Mittwoch, 26. Dezember 2018

Konfrontationstherapie der Dorothee Bär

Die Augsburger Allgemeine berichtet in ihrer Ausgabe vom 24.12. über ein Interview in der Welt am Sonntag mit Dorothee Bär, der Staatsministerin für Digitalisierung:


Dorothee Bär wird zitiert:
"Wir haben in Deutschland mit die strengsten Datenschutzgesetze weltweit und die höchsten Anforderungen an den Schutz der Privatsphäre. Das blockiert viele Entwicklungen im Gesundheitswesen, deshalb müssen wir da auch an der einen oder anderen Stelle abrüsten, einige Regeln streichen und andere lockern"
Weiter heißt es im Artikel:
"Die Deutschen seien 'insgesamt bei allem zu zögerlich und zu sehr von Ängsten getrieben und gehemmt'."

Die Studie der BertelsmannStiftung

Hintergrund ist eine Studie der BertelsmannStiftung, in der an Hand eines Digital Health Index Deutschland auf Platz 16 von 17 untersuchten Ländern gereiht wird:


Auch in den einzelnen Sub-Indizes verharrt Deutschland hinteren Plätzen:
  • Policy-Aktivität (Platz 16): das politisch, strategisches Vorgehen der Länder, der gegebene Rechtsrahmen, die institutionelle Verankerung und Zuständigkeiten
  • Digital-Health-Readiness (Platz 16): die technische Implementierung sowie der digitale Reifegrad
  • Tatsächliche Datennutzung (Platz 15): der vernetzte Austausch von Gesundheitsdaten
Auf Seite 30 der Studie ist "Datenschutz und -verschlüsselung" dem Themenbereich Readiness zugeordnet. Auf Seite 41 werden Indikatoren skizziert, "für die eine mögliche Relevanz auf den Digitalisierungsstand und -prozess vermutet wird. Dazu gehören insbesondere systemische Faktoren wie die Staats- und Regierungsform, die Landesgröße, die beteiligten Akteure, die politische Kultur eines Landes und die Haltung gegenüber möglichen Barrieren wie Datenschutz, der Gesundheitssystem-Typ und die öffentlichen Ausgaben für Digital Health."
Weiter wird zum Datenschutz auf Seite 43 ausgeführt:
"Rolle und kulturelle Verankerung Datenschutz: Datenschutzbedenken können Digitalisierungsprozesse stark behindern und wirken sich sehr negativ auf den Digitalisierungsstand des Gesundheitssystems aus. Je größer die Bedenken, desto schlechter der Digitalisierungsstand."
Datenschutz reiht sich ein in eine Liste mit 19 einzelnen Indikatoren (Seite 44):
Politisches und gesellschaftliches System
  1. Größe des Landes und Einwohnerzahl
  2. Staats- und Regierungsform
  3. Politische Ordnung: Zentralismus vs. Föderalismus und Subsidiarität
  4. Korporatismus (Grad der Selbstverwaltung)
  5. Kompromiss und Konsens
  6. Rolle und kulturelle Verankerung Datenschutz
  7. Finanzierungssystem: Sozialversicherungssystem (Bismarck) vs. Staatlicher Gesundheitsdienst (Beveridge) vs. Hybridsysteme
  8. Regionale / kommunale vs. nationale Organisation
  9. Öffentliche Ausgaben für Digital Health
  10. Akteurskonstellationen und Advocacy-Koalitionen: Anzahl und Rolle von Veto-Akteuren

Digital Health Governance
  1. Anzahl an Strategien und Gesetzen
  2. „Qualität des Gesetzes“
  3. Verbindliche Anwendung von Standards und Interoperabilitätslösungen
  4. Rolle von E-Health-Strategien
  5. Gesicherte Finanzierung nationaler / regionaler Digital-Health-Kompetenzzentren
  6. Zentrales politisches Management installiert
  7. Einbeziehung verschiedener Stakeholder / Interessenvertreter, auch Patienten, Beiräte
  8. Commitment and Involvement
  9. Koordinierung
Auf Seite 60 heißt es:
"Sicherheits- und Datenschutzauflagen für die Verarbeitung der medizinischen Patientendaten sind sehr hoch."
Im Digitalisierungsprofil für Deutschland (Seite 63) wird der Punkt "Nationale oder regionale Rechtsrahmen erlauben die umfassende Weiterverwendung medizinischer Daten unter Beachtung des Datenschutzes" (Zeile P11) als im Mittelfeld befindlich dargestellt:


Die Studie gibt also nicht her, dass Deutschland gerade beim Datenschutz ein großes Hemmnis zur Digitalisierung des Gesundheitswesens hätte. Als maximal schlechter Punkt in der Grafik wird "Rechtsaufsicht der Umsetzung und Förderung von Digital Health durch eine autorisierte Institution mit angemessenen Befugnissen ist gewährleistet" (Zeile P7) genannt. Auch die anderen rötlichen Punkte der Grafik betreffen nicht Datenschutz, sondern Klarheit von Strategien, von Rahmen- und Zeitplänen, Finanzierung und Regulierung.
Im Text der Website zur Studie heißt es über die Erfolgsfaktoren:
"Die ersten Ränge belegen Estland, Kanada, Dänemark, Israel und Spanien. Was erfolgreiche Länder vereint, ist ein Dreiklang aus effektiver Strategie, politischer Führung sowie einer festverankerten Institution zur Koordination des Digitalisierungsprozesses. Auf diese Weise sind die führenden Nationen in verschiedenen Bereichen bereits weiter vorangeschritten als Deutschland: Rezepte etwa werden bereits selbstverständlich digital übermittelt, die wichtigsten Gesundheitsdaten der Patienten sind in digitalen (Kurz-)Akten gespeichert und Bürger können ihre Untersuchungsergebnisse, Medikationspläne oder Impfdaten online einsehen - und entscheiden, wer Zugriff auf ihre Daten haben darf."

Datenschutz

Die aktuelle Datenschutzlage in Deutschland und anderen europäischen Ländern fußt auf der DSGVO, die am 24.5.2016 in Kraft trat und seit dem 25.5.2018 anzuwenden ist. An den Beratungen und Entscheidungsprozessen war Deutschland über viele Jahre beteiligt. Über viele Jahre regiert die Union in Deutschland. Und nun soll das Ergebnis schlecht sein?
Der Regelungsgehalt der DSGVO umfasst unter anderem:
  • Auskunft unter anderem über Zweck, Empfänger und Verantwortliche der Datenverarbeitung
  • Einwilligung in die Verarbeitung, wobei Schriftform nicht mehr gefordert wird (aus Nachweisgründen jedoch oft so gehandhabt wird)
  • Privacy by Design, Privacy by Default
Das sind keine Anforderungen, die bei so sensiblen Daten, wie Gesundheitsdaten es sind, überschießend wären und abgerüstet gehören. In einem Artikel der Welt wird Dorothee Bär zitiert:
"Wir brauchen eine digitale Anwendung, am besten für das Smartphone."
Macht Sinn, wenn die Architektur der Applikation und der zugrundeliegenden Hardware entsprechend gesichert ist. Aber: gibt es dann eine Smartphone-Pflicht?
"Mich frustriert, dass die Prozesse der Selbstverwaltung so wahnsinnig lange dauern. Und ganz ehrlich, Selbstverwaltung klingt nicht nur wie Selbstbeschäftigung, ganz häufig beschäftigen sich diese Gremien auch vor allem mit sich selbst"
Offensichtlich fehlt der nötige politische Zug, um das Thema voranzubringen. Denn die Historie ist bereits 15 Jahre lang:
"Seit der ersten Ankündigung der elektronischen Gesundheitskarte im Jahr 2003 wurden Milliarden in das Projekt investiert und der ursprünglich 2006 vorgesehene Start immer weiter in die Zukunft verschoben. Gleich nach Amtsbeginn hatte Spahn versprochen, das Projekt mit hoher Priorität zu verfolgen. Auch er hatte dabei der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen vorgeworfen, dieses und andere wichtige Vorhaben zu verschleppen und zu blockieren."

Conclusio

Vielleicht werden bereits Sündenböcke in Stellung gebracht, wenn nicht - wie im Koalitionsvertrag vereinbart - ab 2021 alle gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte zur Verfügung haben. Allerdings kann und muss von einer Staatsministerin für Digitalisierung erwartet werden, dass sie Digitalisierung vor dem Hintergrund des Datenschutzes umsetzen will. Mit ihrer Äußerung kommen erhebliche Zweifel an ihrer Eignung auf.

Nota bene: Dorothee Bär war im Beirat der Rhön Klinikum AG vom 1.1.2010 bis 17.12.2013, wie sich aus den jeweiligen Geschäftsberichten ablesen lässt.

Donnerstag, 6. Dezember 2018

Auf geht's, CSU

Uli Bachmeier hat in der Augsburger Allgemeinen einen Bericht zur aktuellen Entwicklung der Flüchtlingszahlen an der bayerischen Grenze kommentiert:


Uli Bachmeier schreibt, "sonderlich" sei sie gewesen, die "überschwängliche Euphorie, mit der syrische Bürgerkriegsflüchtlinge [...] empfangen wurden" und die "Panik, die wenig später ausgebrochen ist, als immer mehr und mehr Flüchtlinge kamen".
Im Bericht heißt es:
"Die Zahl der Flüchtlinge, die in Bayern einen Asylantrag stellen, sinkt stetig. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) rechnet damit, dass es dieses Jahr etwa 22.000 sein werden. Im gleichen Zeitraum werden etwa 15.000 abgelehnte Asylbewerber das Land wieder verlassen haben oder abgeschoben worden sein. 'Wir haben insgesamt eine Situation, die sich tendenziell von Monat zu Monat entspannt', sagte Herrmann am Mittwoch in München."
Weiter wird Joachim Herrmann sinngemäß zitiert:
"Die Kontrolle, wer ins Land kommt, sei wieder hergestellt."
Zum Familiennachzug, einem weiteren Thema, das für große Aufwallung gesorgt hat, zeigt sich nun:
"Bei weitem nicht bestätigt haben sich nach Aussage Herrmanns die Befürchtungen, dass Flüchtlinge in großer Zahl Familienangehörige nachholen könnten. Das Thema Familiennachzug sei in einigen Medien, aber auch von Politikern 'gigantisch dramatisiert' worden, sagte der Innenminister. Tatsächlich habe sich herausgestellt, dass ein Großteil der Anträge auf Familienzusammenführung, die bei den deutschen Botschaften in aller Welt vorliegen, nicht von Flüchtlingsfamilien gestellt wurden, sondern zum Beispiel von deutschen Geschäftsleuten, die einen Ehepartner 'aus Brasilien oder Japan' nach Deutschland holen wollen."
Ich halte fest: Die Kontrolle ist wieder hergestellt. Manche Befürchtungen waren übertrieben, sogar "dramatisiert", also eine erneute Verschlechterung der Lage nicht zu erwarten. Deshalb müssen die nicht über einen Symbolgehalt hinauskommenden und dem europäischen Geist widersprechenden Grenzkontrollen beendet werden. Schnell. Jetzt. Das ist auch ein notwendiges Zeichen der Distanzierung der CSU von der AfD.

Freitag, 23. November 2018

Merz in Schwung

Martin Ferber hat in Printausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 23.11. einen Kommentar veröffentlicht zu den Aussagen von Friedrich Merz, das individuelle Asylrecht müsse in Frage gestellt werden:


Nähere Informationen zu den Aussagen von Merz sowie zu den Reaktionen darauf finden sich in einem Bericht in der gleichen Ausgabe:
"Bei einer CDU-Veranstaltung in Thüringen hatte Merz gesagt, er sei schon lange der Meinung, 'dass wir bereit sein müssten, über dieses Asylgrundrecht offen zu reden, ob es in dieser Form fortbestehen kann, wenn wir ernsthaft eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik wollen'."
Die Welt schreibt über die getroffenen ursprünglichen Aussagen:
"'Deutschland ist das einzige Land auf der Welt, in dem ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung verankert ist', hatte er formuliert. Wenn man aber eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ernsthaft wolle, müsse auch offen darüber geredet werden, ob dieses Asylgrundrecht 'in dieser Form fortbestehen' könne. Deshalb müsse man 'irgendwann einmal eine große öffentliche Debatte darüber führen, ob man einen gesetzlichen Vorbehalt ins Grundgesetz schreibt', sagte Merz weiter."
"'Wir kriegen keine europäische Lösung hin, darüber dürfen wir uns nun gar keine Illusionen machen, wenn wir alles mit den Europäern zusammen vereinbaren, und es dann immer noch ein Individualgrundrecht auf Asyl in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gibt, nämlich der Bundesrepublik Deutschland', hatte er in Seebach gesagt."
Merz hat damit die bisherige konservative Hoffnung in der CDU - Jens Spahn - rechts überholt. Mit Vollgas. Wenn man so mag wird Jens Spahn nun zerrieben zwischen dem noch konservativeren Merz und der viel weniger konservativen Kramp-Karrenbauer.
Die Reaktionen folgten prompt. So berichtet die AZ:
"Der langjährige CDU-Spitzenpolitiker Norbert Blüm kritisierte den Merz-Vorstoß scharf. 'Das Spiel mit der Flüchtlingspolitik halte ich für dumm', sagte Blüm unserer Redaktion. Der 83-Jährige, der unter Helmut Kohl 16 Jahre Bundesarbeitsminister war, warnte seine Partei: 'Wer die AfD kopiert, macht einen großen Fehler, denn am Ende profitiert davon immer das Original.'"
Ja, davon kann die CSU berichten, wie wenig das Auftreten als AFDkopie hilfreich ist, die AfD zurückzudrängen und Wähler weg von den Rechtspopulisten hin zu Politik zu führen.
Doch Merz kopiert gut. In bester Manier der Rechtspopulisten macht er eine Aussage, die erwartbar zu heftiger Kritik führen würde. Danach rudert er zurück:
"Später bemühte er sich, die parteiübergreifende Aufregung über seinem Vorstoß zu dämpfen. 'Ich stelle das Grundrecht auf Asyl selbstverständlich nicht in Frage', betonte er."
Merz ist kein dummer Mensch. Warum trifft er eine Aussage, die geradezu provoziert? Es handelte sich um eine Regionalkonferenz zur Bewerbung um den CDU-Parteivorsitz, die von den Landesverbänden Sachsen und Sachsen-Anhalt ausgerichtet wurde. In seinem Kommentar vermutet Martin Ferber:
"Friedrich Merz wollte offenbar sein konservatives Profil schärfen und bei den Gegnern der Merkelschen Flüchtlingspolitik punkten."
Und bewertet, Merz habe in "der Tat hat Merz damit ein klassisches Eigentor geschossen". Merz macht den Eindruck, er wolle eine Art Seehofer der CDU werden. Das Asylrecht nach Art. 16a GG wird lediglich in etwas mehr als ein Prozent der Asylanträge gewährt. Es ist deshalb kein Thema, das ein großes Problem darstellt. Martin Ferber weist hin:
"Das Problem ist nicht das geltende Recht, sondern die Anwendung und Umsetzung des geltenden Rechts, da selbst abgelehnte Asylbewerber hunderttausend Schlupflöcher finden, um doch im Land zu bleiben."
Deshalb ist die Annahme sehr valide, Merz habe seine These aus symbolischen Gründen, zum Befeuern einer wie auch immer gearteten Stimmung getätigt. Wenn es der AfD gelingt, Ihre Themen und "Lösungen" so in andere Parteien zu implantieren, dass sie dort zu Politik etablierter Parteien werden, dann hat die AfD und der Rechtspopulismus gewonnen. Unabhängig von Wahlergebnissen.

Freitag, 9. November 2018

Gesteuerte Hysterie

Simon Kaminski hat in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 9.11. einen Kommentar veröffentlicht zu der Aufregung um den sog. Migrationspakt:


Simon Kaminski titelt mit "Gesteuerte Hysterie", was zutreffend die Aufregung beschreibt, die dem "Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration" entgegen gebracht wird.
Worum es tatsächlich geht, findet sich in einem anderen Beitrag der Augsburger Allgemeinen:
"'Der Pakt ist kein völkerrechtlicher Vertrag und nicht rechtsverbindlich', heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Die Ziffer 15 ist klar formuliert: 'Es ist das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen.'"
"Es werden 23 Vorgaben gemacht. So sollen verlässliche Daten über die Migration gesammelt werden, Migranten sollen Ausweispapiere erhalten, Migranten sollen nur als letztes Mittel festgesetzt werden dürfen, und die Staaten sollen ihre Grenzsicherung koordinieren. Laut dem Pakt sollen Migranten Zugang zu Grundleistungen erhalten, darunter fällt Schulbildung für Kinder. Diese Leistungen gehen aber nicht über die Angebote hinaus, zu denen sich Länder wie Deutschland, die Schweiz, Österreich oder Luxemburg ohnehin selbst verpflichten."
Damit ist klar, dass es zu keinem Eingriff in staatliche Souveränität kommen soll. Dies ist explizit so formuliert im Originaltext, bereits in der Präambel, Punkt 7
"[...] wahrt die Souveränität der Staaten und ihre völkerrechtlichen Pflichten."
Die Aufregung ist aus zwei Gründen so groß.

Politisches Vorgehen

Simon Kaminski schreibt:
"Seit Jahren verhandeln fast alle Nationen dieser Erde über diesen [...] Pakt. Doch die Bundesregierung versäumt es, die Öffentlichkeit zu informieren."
Das ist schwach, kurzsichtig. Vielleicht liegt es nach wie vor an der Schwierigkeit, die Parteien im Umgang mit der AfD haben. Sie haben kein Rezept, mit diesen Faktenverdrehern, Verschwörungstheoretikern, Elitenverächtern und mehr oder wenig stark ausgeprägten Rassisten umzugehen. Dabei ist klar, dass ein solcher Pakt nicht geheim gehalten werden kann. Und er darf es auch nicht. Denn weil er rechtlich unverbindlich ist, kann er nur dann irgendeine Wirkung entfalten, wenn er bekannt ist und diskutiert wird. Die Regierung hat selbst dafür gesorgt, dass die Wogen nun so hoch schlagen.
Die deutsche Regierung gibt sich jedenfalls nicht die Blöße, die sich der österreichische Kanzler Sebastian Kurz gibt, der von Strache getrieben aus dem Pakt überhaupt aussteigt.

Aufgebauschte Inhalte

Dabei gibt es von den Inhalten her weder einen Grund, den Pakt geheim zu halten, noch gibt es einen Grund für die Behauptungen der AfD, es würde nun zu einem Massenansturm Migrationswilliger kommen. Die AfD lügt, wenn sie die Aufgabe nationaler Souveränität an die Wand malt. Die AfD lügt, wenn sie behauptet, es würde ein Recht auf legale (statt reguläre) Migration entstehen. Die AfD lügt, wenn sie das Einsickern in nationale Rechtssprechungen über Gewohnheitsrecht oder "Soft-Law" behauptet.
Wo Faktenverdrehungen nicht ausreichen, wird eine Verschwörung konstruiert. So twittert Götz Frömming am 8.11. um 2:28 Uhr:
"Vieles spricht dafür, dass die Bundesregierung eine treibende Kraft bei der Aufsetzung des #GlobalCompact für Migration war, aber eine öffentliche Debatte in Deutschland verhindern wollte."
Unterstützt wird diese Kritik von der Bildzeitung, die fordert, die Bundesregierung müsse 16 Punkte erklären. Manche versteigen sich in Theorien, nach denen Georgo Soros alles bezahlen würde, um Europa auszuradieren.
Es ist als Mittel politischer Aktivität natürlich zulässig, Vorkommnisse unterschiedlich zu gewichten und zu bewerten, von unterschiedlichen Grundstellungen auf die Vorkommnisse zu schauen. Wenn jedoch nicht mehr die Bewertungen gegeneinander gestellt werden, sondern bereits faktenfreie Behauptungen aufgestellt werden, greift das das an, was die Demokratie zu erreichen verspricht: die beste Lösung zu finden. Wer mit Hysterie und Lügen Politik macht, kann das Etikett "Demokrat" nicht mehr für sich in Anspruch nehmen. Das gilt für die AfD genau so wie für Donald Trump.

Sonntag, 7. Oktober 2018

Schuldige (in) der CSU

In einem Artikel in der Augsburger Allgemeinen vom 6.10. beschreiben Uli Bachmeier und Bernhard Junginger die Suche der CSU nach Schuldigen für das von Umfragen prognostizierte schlechte Abschneiden bei der Landtagswahl am 14.10.:


Die Autoren schreiben, wie klar für Markus Söder die Sache ist:
"Wenn die Landtagswahl in Bayern für die CSU zu einem Debakel wird, dann liegt das nach Ansicht des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder ausschließlich am schlechten Erscheinungsbild der Großen Koalition in Berlin."
Und deshalb ist Söders Taktik im Endspurt:
"Der Ministerpräsident will den Fokus in der letzten Wahlkampfwoche ganz auf Bayern legen. Es gehe um Stabilität und um ein starkes Land."

Bayern und Berlin

Die Vokabel "Stabilität" wurde in den letzten Tagen auf allen Kanälen ventiliert. Im Bericht heißt es:
"Gemeinsam mit Bauministerin Ilse Aigner, die auch Vorsitzende des mächtigen CSU-Bezirksverbandes Oberbayern ist, warnte Söder vor Instabilität durch einen Landtag mit möglicherweise sogar sieben Parteien."
Ja, mit mehr Parteien im Landtag werden die Mehrheitsverhältnisse fragiler, die Optionen der Kooperation zahlreicher. Doch ist es nicht abwegig zu vermuten, eine solche Vielfalt im Landtag entspräche der Vielfalt der Ansichten und Meinungen der Wähler. Allenthalben wird der Verfall der Volksparteien konstatiert, aus Sicht der Volksparteien beklagt. Aus demokratischer Sicht ist jedoch wenig beklagenswert, wenn es neue Parteien gibt, die spezifischer die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe aufgreifen und vertreten. Bayern wird dadurch nicht unregierbar. Es wird nur nicht mehr alleinregierbar durch die CSU. Dieser sich abzeichnende Zustand nagt am Selbstverständnis der CSU, weshalb Söder einen Sündenbock präsentiert und an die Wähler appelliert:
"Ohne seinen parteiinternen Konkurrenten, CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer, direkt zu nennen, sagte Söder am Freitag in München: 'Insgesamt hat Berlin im letzten Dreivierteljahr für anhaltende Unruhe gesorgt.' Gleichzeitig appellierte er an die bayerischen Wähler, die Landtagswahl nicht zu einer Denkzettelwahl gegen die Koalition in Berlin zu nutzen. 'Die Landtagswahl verändert in Berlin nix, aber Bayern kann sich dadurch grundlegend verändern', sagte Söder und warb erneut für Stabilität im Freistaat."
Abgesehen davon, ob die Landtagswahl in Berlin "nix" ändert oder ob nicht doch im Bundesrat - mit Sitz in Berlin - eine zumindest kleine Änderung erkennbar wird, ist der Aufruf an die Wähler, keine Denkzettelwahl zu machen, verwirrend.
Nach der Bundestagswahl sollte Horst Seehofer bayerische Agenden auf Bundesebene vertreten. Zusätzlich zum gemeinsamen Wahlprogramm mit der CDU hat die CSU den Bayernplan erfunden. Seehofer sollte sein Statthalter in Berlin sein. Mit überschaubar großem Erfolg, wie das ergebnislose Gezänk seit einem Jahr zeigt.
Im Bayernplan finden sich die CSU-Garantien:
  • Entlastungsgarantie
  • Versorgungsgarantie
  • Sicherheitsgarantie
  • Ordnungsgarantie
  • Familiengarantie
  • Beteiligungsgarantie
Im Regierungsprogramm zur Landtagswahl lassen sich diese Punkte wieder entdecken. Die Politik, von der die CSU behauptet hat, sie nach der Bundestagswahl im Bund umsetzen zu wollen, will sie auch in Bayern umsetzen. Warum auch nicht, diese Politik entspricht der CSU. Doch wenn einerseits eine ähnliche Politik in Bayern und im Bund gemacht wird und andererseits Seehofer mit dem Auftrag, bayerische Politik nach Berlin zu tragen, entsandt wurde, warum soll der Wähler das nun ausblenden und nur an Bayern denken?

Stabilität

Weil es in Berlin gar chaotisch zugehe, müsse in Bayern Stabilität herrschen. Garant dieser Stabilität sei die CSU. Nur die CSU. Um das glaubwürdig zu verkörpern, müsste Markus Söder selbst stabil sein. Doch er war selbst sehr wandlungsfähig:
  • Vor seiner Zeit als Ministerpräsident war er ein "scharfer Hund", als angehender und tatsächlicher Ministerpräsident wandelte er sich zum ausgleichenden Landesvater.
  • Er erfand die Vokabel "Asyltourismus", von der er sich distanzierte, als das Feuerwerk nicht wie gewünscht zündete.
  • Er versuchte der AfD Wähler abspenstig zu machen, in dem er mehr konservative, mehr rechte Politik umsetzen wollte. Erst mit den Vorkommnissen von Chemnitz will er erkannt haben, wie rechts die AfD sei und grenzte die CSU deutlicher ab.
Zudem: die Wahlgeschenke, im Jahr 2018 vor der Landtagswahl aus dem Füllhorn des Staatssäckels übers Volk gestreut, zielen auf vorhandene Probleme (z.B. Wohnungspreise), wirken aber getrieben. Getrieben von einer AfD, die mehr für die eigenen Leute und weniger für die Fremden fordert. Die CSU hat geliefert. So wirkt der Aufhänger "Stabilität" nicht als Fels in der Brandung, sondern als flatterndes Fähnchen aus einer vergangenen Zeit. Weder Söder noch die CSU vermittelten im Umgang mit der AfD jene gerade Linie, jene Verlässlichkeit, die "Stabilität" intendiert.
Im Artikel der AZ heißt es:
"Für die schwachen Umfragewerte zwischen 33 und 35 Prozent sei die Politik von Söder 'mindestens' so verantwortlich wie die der Großen Koalition, sagten unisono mehrere CSU-Abgeordnete. Den Asylstreit in der Union etwa habe der Ministerpräsident zum 'Endspiel um die Glaubwürdigkeit' stilisiert."

Conclusio

Die CSU und Markus Söder können nicht glaubhaft vermitteln, dass sie sich auf Bayern konzentrieren. Sie können nicht glaubhaft vermitteln, Stabilitätsgarant zu sein. Stabilität setzte eine Strategie voraus. Doch die einzige Strategie der CSU scheint der Machterhalt in Bayern zu sein. Die Taktik der CSU zur Realisierung der Strategie ist wandelbar, mithin instabil. Die Angst, durch Verlust der Fähigkeit zur Alleinregierung Macht und Bequemlichkeit einzubüßen, hat nichts mit Stabilität im landespolitischen Sinn zu tun, das betrifft nur die Stabilität der Wohlfühlzone der CSU. Willkommen im Heute, CSU!

Montag, 3. September 2018

AfD beobachten?

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen vom 3.9. in einem Leitartikel erklärt, warum Teile der AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollten:


Jürgen Marks leitet mit klaren Worten ein:
"Die AfD ist gefährlich. Die Partei bedroht den gesellschaftlichen Grundkonsens. Die Akzeptanz demokratischer Prozesse, Pressefreiheit und Gastfreundschaft sind deutsche Werte. Die Alternative für Deutschland pfeift auf diese Werte."
Dieser Einordnung lässt sich die Definition von Rechtsextremismus des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Seite stellen:
"Im Rechtsextremismus herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheide über den Wert eines Menschen. Eine auf diesen Kriterien fußende 'Volksgemeinschaft' als Gegenentwurf zur bestehenden pluralistischen Gesellschaftsordnung würde zentrale Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung missachten. Rechtsextremistische Agitation ist geprägt von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus sowie einer grundsätzlichen Demokratiefeindschaft."
Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) schreibt zum Rechtsextremismus:
"Gewünscht wird ein starker Staat, der nach innen und außen verlorene Stärke und Geschlossenheit rekonstruiert. Gefordert wird eine völkisch legitimierte, im Gegensatz zur herrschenden angeblich 'wahre' Demokratie sowie Identität von Volk und Führung.
Der bzw. das Fremde steht außerhalb dieser Gemeinschaft und hat auch dort zu bleiben."
Aus den beiden letzten Zitaten wird klar, dass es nicht notwendig ist, "Flüchtlinge [zu] verprügeln oder Journalisten gewaltsam aus den Verlagen [zu] zerren", um als politisch extrem zu gelten. Jürgen Marks weiter:
"Viele von ihnen, auch die, die in Sachsen bei den Protesten mit laufen, sind einfach unzufrieden mit der Politik der so genannten etablierten Parteien und der angeblich einseitigen Berichterstattung vieler Medien. Viele AfD-Anhänger sind keine Rechtsradikalen."
Teile der Unzufriedenen sammeln sich hinter der AfD. Sie seien jedoch "keine Rechtsradikalen". Wobei der Begriff unpräzise ist:
"Von Radikalismus spricht man in der Extremismusforschung nicht."
Der Verfassungsschutzbericht 2017, Seite 44, gibt eine gut verständliche Leitlinie des Rechtsextremismus:
"Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse ist im rechtsextremistischen Weltbild entscheidend für den Wert eines Menschen. Diesem 'völkischen' Kriterium sind auch die Bürger- und Menschenrechte des Einzelnen untergeordnet."
Extrem rechts ist demnach, wer Bürgerrechte davon abhängig machen will, welcher Ethnie, Nation oder Rasse die betreffende Person angehört (völkischen Kriterium). Wer bei ausländischen Straftätern ohne Wenn und Aber "Abschieben!" ruft, ist demnach extrem. Wer ständig "das deutsche Volk" gegen "die Zuwanderer" stellt und ihnen entlang dieser Linie Rechte zubilligen oder entziehen möchte, ist demnach extrem. Es ist also nicht notwendig, gewalttätig zu werden, um sich zu Recht dem Vorwurf, rechtsextrem zu sein, auszusetzen. "Flüchtlinge verprügeln" wird nur ein kleiner Teil der AfD-Sympathisanten - hoffentlich, muss man hinzufügen.
"Die AfD dirigiert die Proteste, zum Teil offen, zum Teil verdeckt. Und am Ende fischt sie ihre Wählerstimmen aus dem Becken der von ihr Aufgewiegelten. Dieser perfide Plan gelingt vor allem in Sachsen."
Jürgen Marks sieht die Ursache in einer "mangelnden Aufarbeitung der deutschen Nazi-Geschichte in der DDR". Hans Vorländer, Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der Technischen Universität (TU) Dresden, sieht in Sachsen ein besonderes Phänomen:
"Es hat ein ausgeprägtes Opfer-Narrativum. Viele denken, dass sie Opfer nicht beherrschbarer Entwicklungen wurden. Das kulminiert in der Zerstörung von Dresden am 13. Februar 1945."
Das mag eine Sondersituation für Sachsen oder die östlichen Bundesländer beschreiben.
"Doch auch im Westen, auch bei uns in Bayern gibt es eine wachsende Zuwendung zur AfD. Obwohl unsere Landschaften blühen und wirtschaftlicher Erfolg eine bayerische Erfindung zu sein scheint."
Dies ist ein Indiz, dass es eben nicht nur Unzufriedenheit mit der Politik ist, die Wähler der AfD zutreibt. Eine gewisse Sympathie für die dünnen politischen Inhalten der Partei, mindestens jedoch für deren Narrative erscheint höchst plausibel. Das macht die Wähler noch nicht zu Nazis - ein oft gebrachter Vorwurf. Aber wer - siehe oben - eine völkische Argumentation nutzt und völkische Konsequenzen ableitet, bewegt sich im Feld der Rechtsextremen. Jürgen Marks nennt "das nicht zu unterschätzende Gefühl, dass es in Deutschland nicht mehr gerecht zugeht" als Beispiel:
"Wenn Medien über die hohen staatlichen Aufwendungen für Flüchtlinge berichten, erhalten sie Reaktionen alleinerziehender Mütter oder Senioren mit Kleinrenten, die sich vergleichsweise ungerecht behandelt fühlen."
Die Reaktionen mögen ebenso verständlich sein wie ein Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Nicht verständlich ist es jedoch, weniger für die Anderen einzufordern, anstatt mehr für sich. Doch genau damit jonglieren die Rechtspopulisten. Die Anderen erhielten ungerechtfertigt zu viel, deshalb müsse ihnen etwas genommen werden. Im Ergebnis soll es dann Lebensmittelmarken geben und windigste Unterkünfte. Am besten bleiben die alle draußen, die Festung Europa (Meuthen auf dem AfD-Parteitag in Augsburg) müsse unüberwindbar werden. Damit ist zwar nicht den "Senioren mit Kleinrenten" geholfen. Doch das spielt keine Rolle, wo "irrationale Angst" grassiert.
Mit Jürgen Marks wundere auch ich mich:
"Es ist unverständlich, warum Bundesinnenmister Horst Seehofer (CSU) sich dagegen sperrt, zumindest die Hardliner innerhalb der Partei vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Denn Leute wie der Thüringer Fraktionschef Björn Höcke spielen offen mit einer Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut. Höcke will den Rechtsextremismus salonfähig machen."
Spontan komme ich auf die Frage, ob sich Seehofer für die CSU eine Koalitionsoption offen halten will?
Der Verfassungsschutz schreibt zur Beobachtung der AfD:
"Seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend prüft der Verfassungsschutzverbund fortlaufend, ob Bestrebungen vorliegen, die den Kernbestand des Grundgesetzes zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen. Auch im Falle der AfD werden offene Indizien wie Aktivitäten, Aussagen oder eine potenzielle Zusammen­arbeit mit extremistischen Gruppierungen gesichtet und bewertet, ob es sich um Einzelmeinungen und -agitationen oder um eine parteipolitische Leitlinie handelt.
Derzeit sind keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte ersichtlich, die eine Beobachtung der AfD als Partei durch den Verfassungsschutzverbund begründen würden." 
Dem kann man folgen. Die Partei insgesamt mag (bis vor Chemnitz) zu wenig eindeutig verfassungsfeindlich sein. Dennoch gibt es - Jürgen Marks nennt Björn Höcke und Alexander Gauland beispielhaft - Radikale in der Partei. Hier schreibt Jürgen Marks:
"Eine Beobachtung dieser Radikalen wäre eine klare Kante des Rechtsstaats."
Womöglich nicht mehr, denn die Betreffenden haben eine gewisse Professionalität entwickelt im Überschreiten von Grenzen, dem anschließenden Dementi und dem Gegenvorwurf, falsch verstanden, falsch zitiert worden zu sein.
Die Hoffnung Jürgen Marks' teile ich nicht:
"Vielleicht würden dann auch die AfD-Sympathisanten verstehen, wie gefährlich diese Partei ist, der sie folgen."
Nein, würden sie nicht. Denn sie sehen ja die Gefahr nicht in der AfD und ihrer Politik, sondern in den von ihnen so genannten "Systemparteien". Letztere gefährden das deutsche Volk. Es könnte sein, dass ein paar Protestwähler abspringen. Sicher nicht abspringen werden die, die das rechte Narrativ der AfD teilen. Die scheinen in der Überzahl.

Donnerstag, 23. August 2018

Wölfe im Schafspelz

Margit Hufnagel hat in der Augsburger Allgemeinen am 22.8. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem sie eine Lanze für den Rechtsstaat bricht:


Sie plädiert gegen das Bauchgefühl und für die Gewaltenteilung als Grundelement europäisch-demokratischer Verfassungskultur. Richtig, denn:
„Wer ihn (den Rechtsstaat, Anm.) gefährdet, richtet größeren Schaden an, als es ein einzelner islamistischer Terrorhelfer jemals könnte.“
Diesen Satz schreibt sie explizit der CSU ins Stammbuch. Und die sollte genau hinhören. Denn sie ist mit der AfD eine Partei, die für Recht und Ordnung steht, die auf die Einhaltung von Regeln pocht. Doch offensichtlich nur, solange die Regeleinhaltung zur Ausgrenzung dient. Der Rechtsstaat wird instrumentalisiert. 

Freitag, 3. August 2018

Seehofers Themendiktat

Die Augsburger Allgemeine berichtet am 3.8. über die Fortschritte, die Innenminister Horst Seehofer bei der konkreten Umsetzung der von ihm und der CSU vorgelegten Forderungen zur Asyl- und Migrationspolitik:
"Horst Seehofer hat sich die Frist selbst gesetzt. Bis Anfang August wollte der Bundesinnenminister Abkommen mit seinen Kollegen in Österreich, Italien, Griechenland und Spanien ausloten, um Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen zu können, die bereits in einem dieser Länder registriert sind. Doch zum Ablauf der Frist gibt es keine einzige solche Vereinbarung"
Vor diesem Hintergrund tauchen Vermutungen auf, Seehofer hätte einen Plan, ein Kalkül. Michael Stifter kommentiert dazu in der Printausgabe:


Michael Stifter spricht von einer Hintertüre, die sich Seehofer aufgemacht habe, als er unter Hinweis auf die Komplexität des Themas das Ganze an "die Regierungschefs" delegierte. Österreich hatte ja bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem Seehofer seine Pläne veröffentlichte, darauf bestanden, nicht belastet zu werden. Und der italienische Innenminister, der alles tut, niemanden ins Land zu lassen, wird wegen Seehofer kaum diese Linie aufgeben.
Michael Stifter schreibt:
"Damit war klar: Sollte er (Seehofer, Anm.) es nicht hinbekommen, muss die Kanzlerin die schwierige Frage eben selbst klären." 
An der Stelle frage ich mich, wie Seehofer und die CSU auf die Idee kommen, sich selbst als Hohepriester der richtigen Asyl- und Migrationspolitik zu propagieren, wenn sie ein paar Tage später zumindest andeuten, sie selbst können es nicht? 
Konstantin von Notz wird im oben genannten Artikel zitiert:
"Nun merkt er, dass viele der seit Jahren bestehenden Probleme eben nicht trivial sind – sie bedürfen einer intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung. Eine solche vermisst man aber bei Horst Seehofer bis heute."
Er wirft Seehofer Populismus vor. Bei der anderen Populistenpartei punktet Seehofer jedoch ebenfalls nicht: die AfD Bayern hat Seehofer inzwischen den Titel "Ankündigungsminister" zugeordnet. Am Ende ist da etwas dran. Bayern gibt sich umweltbewusst, doch straft es sich selbst Lügen, wenn es um die Dienstwagen der bayerischen Behörden geht, wie beispielsweise Die Welt berichtet hat - etwa 90 von etwa 1.900 Fahrzeugen waren mit Elektro- oder Hybridantrieb ausgestattet.
Michael Stifter schreibt vom Verdacht gegen Seehofer, sich "nicht mit vollem Elan ins Zeug" zu legen. Allerdings wisse Seehofer "genau, dass der mühsam zugekleisterte Konflikt zwischen CDU und CSU im Fall eines Scheiterns der Gespräche wieder aufbrechen würde". Seehofers Umfragewerte sinken, weil Wähler "keinen Zoff" mögen, der sei "Gift für den bayerischen Wahlkampf". Ja. Doch vielleicht will Seehofer kein Wahlkämpfer sein für Söder. Vielleicht will er der harte Mann der Asyl- und Migrationspolitik sein und nach ihm dürfe die Sintflut kommen.
Das Themendiktat der CSU kommt nicht überall gut an. Konrad Müller sieht jedoch eine journalistische Unausgewogenheit, wie er in seinem Leserbrief  am 3.8. schreibt:


Konrad Müller verkennt dabei, dass die CSU selbst die Themen auf's Tapet bringt und intensiv bearbeitet. Hochrangige CSU-Politiker fielen beispielsweise auf Twitter durch Veröffentlichungen zu Asyl und Migration auf, nicht durch andere Politikfelder. Und selbst wenn: es muss nicht jeder Bierzeltbesuch in einer Regionalzeitung erwähnt werden, da kann sich eine Lokalzeitung besser darauf ausrichten.
Konrad Müller schlägt vor, die AZ solle darüber berichten, was "in Bayern dank der CSU alles gut" laufe. Tut sie ja. Wenn allerdings die CSU ihr bayerisches Territorium verlässt und in der Bundes- und Europapolitik vor allem durch Minderleistung und Streitsucht auffällt, darf das berichtet werden.

Mittwoch, 11. Juli 2018

Seehofers Meisterstück?

Die Augsburger Allgemeine hat am 11.7. über Seehofers Masterplan zur Migration berichtet. Martin Ferber hat in der Printausgabe dazu kommentiert:


Martin Ferbers Kommentar

Martin Ferber nennt den Masterplan ein Phantom, das Gestalt angenommen habe und als 23-seitiges Dokument mit 63 Einzelmaßnahme vorliege. Das Phantom ist auf der Seite des Innenministeriums abrufbar. Martin Ferber schreibt:
"Dennoch ist der Charakter des Papiers rätselhaft, weil es im höchsten Maße unverbindlich ist. Es ist weder mit der CDU noch mit der SPD abgestimmt. Erst recht gibt es keine Absprachen oder gar verbindliche Vereinbarungen mit den Bundesländern, den europäischen Partnern oder den Regierungen der Mittelmeeranrainer."
Ergänzen lassen sich die Herkunfts- und Transitländer, die ja nicht notwendig Anrainer des Mittelmeers sein müssen. Doch das tut der Rätselhaftigkeit des Phantoms keinen Abbruch.
Martin Ferber bewertet das Dokument zutreffend:
"So ist es trotz Bundesadler und Ministeriumskopf auf dem Titelblatt im Grunde nicht mehr als eine banale To-do-Liste des Innenministers für sich selber."
Und noch nicht mal das:
"[...] mehrfach aber überschreitet er seine Kompetenzen."

Aus dem Papier

Ein Blick in das Dokument offenbart, wie "rätselhaft" und "im höchsten Maße unverbindlich" es ist. Bereits der Titel zeigt dies:
"Masterplan Migration
Maßnahmen zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung"
Widersprüchlicher geht es nicht. Die zweite Zeile ist eine Themaverfehlung der ersten. Es geht Seehofer nicht um Migration als Phänomen, es geht ihm um Zuwanderung nach Deutschland. Seehofer gaukelt vier Handlungsfelder vor, die er im Inhaltsverzeichnis auflistet:
  • Handlungsfeld Herkunftsländer
  • Handlungsfeld Transitländer
  • Handlungsfeld Europäische Union
  • Handlungsfeld Inland / national
Die Verteilung der 63 Punkte auf die Handlungsfelder zeigt Seehofers Widersprüchlichkeit. Das Handlungsfeld "Inland / national" beginnt mit Nummer 26. Allein an der Anzahl gemessen sind also etwa 60% der Punkte nationale Punkte. Das kann kein "Masterplan Migration" sein.
Der erste Satz der Präambel lautet:
"Die Herausforderungen weltweiter Migration erfordern ein System der Ordnung."
Als ob die "Herausforderungen weltweiter Migration" allein ein Ordnungsproblem seien. Doch für einen Hammer sind alle Probleme Nägel. So hämmert er sein Mantra von Recht und Ordnung in die Welt. Ich höre ihn förmlich rufen: "Kriegstreiber der Welt, benehmt Euch ordentlich. Korrupte der Welt, werdet rechtschaffen. Klimawandel, lass das mit der Dürre. Afrikaner, freut euch ordentlich, wenn wir Euch schon mit unserem Getreide versorgen."
Ordentlich geht es weiter:
"Die Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft setzt Ordnung und Steuerung von Migration voraus. Kein Land der Welt kann unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen."
An die Antragsteller im Asylverfahren adressiert:
"Wir wollen verhindern, dass Personen während oder nach einem Asylverfahren untertauchen oder ihre wahre Identität verschleiern."
Apropos "wahre Identität verschleiern". Martin Ferber hat hingewiesen, dass Seehofer mehrfach seine Kompetenzen überschreite. Im Masterplan verspricht Seehofer:
"Deutschland tut bereits viel und wird seinen Einsatz vor Ort weiter verstärken, denn Hilfe vor Ort ist der humanste und wirksamste Weg, Fluchtursachen zu begegnen und Bleibe- und Zukunftsperspektiven für die Menschen zu schaffen."
"Durch die Ausweitung der Maßnahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit wie beispielsweise den Aufbau von Infrastruktur und Investitionen in Bildung und Beschäftigung." 
"Mit einem Entwicklungsinvestitionsgesetz werden verbesserte Rahmenbedingungen für private Investitionen, wirtschaftliche Zusammenarbeit und neue Formen der Ausbildungs- und Technologiekooperationen geschaffen." 
Liegt das nicht im Kompetenzbereich des Entwicklungshilfeministers? Es gibt auch Vorgaben an den Finanzminister:
"Die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern muss ausgebaut werden. Die ODA-Quote (Official Development Assistance) darf daher nicht, wie im Finanzplan bis 2022 vorgesehen, absinken."
"Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA-Quote) darf nicht absinken. Auf ihrer jetzigen Basis müssen die Mittel weiter gesteigert werden. Hieraus ergibt sich – über die Eckwerte hinaus – für das Jahr 2019 ein zusätzlicher Gesamtbedarf für den Einzelplan des BMZ in Höhe von 880 Mio. Euro."
Vielleicht stemmt Seehofer das aus seinem eigenen Etat, der Verdacht einer Kompetenzüberschreitung damit hinfällig.
Auch anderen Staaten macht Seehofer Vorgaben. In Maßnahme 11:
"Zur Verhinderung weiterer Flucht- und Migrationsbewegungen, Stärkung der Aufnahmekapazitäten sowie Verbesserung der Aufnahmebedingungen, insbesondere in Regionen im Umfeld von Konfliktherden durch die Errichtung von „Sicheren Orten“ in Zusammenarbeit mit UNHCR und IOM in: [...] (Nordafrika und Sahel-Region werden genannt, Anm.)"
Oder in Maßnahme 15 und 16:
"15. Finanzielle Unterstützung von Transitländern: Unterstützung der Haupttransitländer bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen einschließlich der aufnehmenden Gemeinden."
"16. Kapazitätsaufbau in Transitländern: Unterstützung von Maßnahmen zum asyl- und migrationsbezogenen Kapazitätsaufbau in Transitländern."
An anderer Stelle zeigen sich die Prioritäten, die Seehofer setzt. Die ersten beiden Maßnahmen des Handlungsfeldes "Europäische Union" sind "18. Stärkung von Frontex" und "19. Europäische Grenzpolizei: Ausbau [...]". Erst danach kommen Maßnahmen zu Asylverfahren, am Ende dann "24. Verbesserung der Unterbringungsbedingungen in Griechenland". Nicht aber Italien, vielleicht weil es zur "Achse der Willigen" gehört.
Als erste nationale Maßnahme fordert Seehofer "26. Verbesserte Grenzkontrollen an der Schengen-Außengrenze", die im ersten Unterkapitel des Handlungsfeldes "Binnengrenzen / Schengen" genannt wird. Wo hat denn Deutschland eine Schengen-Außengrenze? Ah, ja: Schweiz, wenn man die denn mitzählen wollte. Sogar Nebeneffekte erntet Seehofer, wenn er in Maßnahme 28 die Schleierfahndung intensivieren will und damit "einen aktiven Beitrag zur [...] Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität" leistet.
In den weiteren Maßnahmen hämmert Seehofer den Nagel der Ordnung. Ein paar Beispiele:

  • 35 Beschleunigte Verfahren
  • 36 Altersfeststellung und verpflichtende medizinische Untersuchung
  • 37 Bessere Identifizierung und Sicherheitsprüfung
  • 38 Leistungsrechtliche Sanktionierung
  • 39 Bekämpfung von Asylmissbrauch

Im Unterkapitel "Integration" kommen sinnvolle Maßnahmen wie "44. Qualitätssteigerung bei Integrationskursen". Diese werden jedoch gefolgt von Gehämmere:

  • 45 Verschärfung der Anwesenheitspflicht
  • 46 Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten
  • 47 Verschärfung der Pflicht zur Vorlage ärztlicher Atteste
  • 48 Kontrolldichte erhöhen

Im Unterkapitel "Rückkehr" weiter mit dem Hammer:

  • 53 Mitwirkungsverweigerer klarer identifizieren und sanktionieren
  • 54 Klare Pflicht zur Passbeschaffung, damit Betroffene verantwortlich werden für ihre eigenen Papiere
  • 55 Task-Force gegen Gefährder und Straftäter

Natürlich dürfen grundsätzliche Gefahren nicht ausgespart werden, weshalb mit Maßnahme 58 die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaats überhaupt bewahrt werden soll.
Nein, der Masterplan ist kein Masterplan Migration. Er ist, wie eingangs geschrieben, ein Werkzeug gegen Zuwanderung nach Deutschland. Das Handlungsfeld "Inland / national" ist der fette Braten, den Seehofer auslegt. Die anderen Handlungsfelder sind das verschämte Salatblatt, der welke Petersilienstängel und die angetrocknete Tomatenscheibe, die vom Braten ablenken und ihm einen gesunden Anstrich geben sollen.

Conclusio

Nein, der Masterplan ist nicht Seehofers Meisterstück als deutscher Innenminister. Es ist bestenfalls das Gesellenstück eines bayerischen Wahlkämpfers für die AfD-Kopie CSU. An diese Bewertung muss sich die Frage knüpfen, ob Seehofer nicht sein Ministerressort für parteipolitische Zwecke missbraucht. Immerhin tritt er für Recht und Ordnung ein, ein Verdacht des Verstoßes gegen diese wiegte doppelt schwer.
Oder ist das Papier doch nur ein Lausbubenstreich, das erneut Kanzlerin Merkel und die gesamte Regierung ärgern soll. Seehofer bleibt seiner Linie als Illusionist treu. Merkel sollte ihn ins Eck stellen, wo er bis zum Selbstrücktritt schmollen soll. Oder wie Martin Ferber seinen Kommentar schließt:
"Daran aber sind vor ihm schon ganz andere gescheitert."

Freitag, 6. Juli 2018

Illusion Seehofer

Margit Hufnagel hat in der Augsburger Allgemeinen am 6.7. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem sie die politischen Volten von Horst Seehofer mit Houdinis Entfesselungskünsten vergleicht:


Margit Hufnagel schreibt, Seehofer könnte politischer Nachfolger des größten "Entfesselungskünstlers aller Zeiten" sein:
"Horst Seehofer braucht keine Helfer, er legt sich kurzerhand selbst in Fesseln, ehe er bald darauf den Befreiungsschlag verkündet."
Erstaunlich dabei:
"Und tatsächlich gibt es Wähler, die dem Innenminister mit den scheinbar übernatürlichen Kräften applaudieren: Die Umfragewerte der CSU in Bayern jedenfalls steigen überraschenderweise an."
Es ist tatsächlich erstaunlich, dass Seehofers Politshow applaudierende Zuschauer findet. Er gibt den bayerischen Raufbold, ein Image, das es zu pflegen gelte. Dabei ist es das Wesen der Demokratie, eben nicht durch Rauflust und Dominanz zu Lösungen zu kommen, sondern gemeinsam an der besten Lösung zu arbeiten. Doch das sind nicht die Kategorien der CSU. Ihr geht es um das Durchsetzen, wie man an der Maut sehen konnte und zuletzt am Asylstreit. Seehofer hat "[d]ie Rolle des Märtyrers [...] nicht geschreckt". Auch hier wieder das Bild vom Durchsetzen, diesmal aus der anderen Perspektive. Was bleibt:
"Die Frage ist, ob Seehofer wirklich dauerhaft die Deutungshoheit über die Debatte um seine Person zurückbekommt. Ob die Anmutung des Wahnsinnigen an ihm hängen bleibt. Oder ob die Erzählung vom letzten prinzipientreuen Politiker auf fruchtbaren Boden fällt."
Man muss Seehofer zubilligen, dass er "konsequent bleibt bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus". Politiker werden oft kritisiert, zu sehr als Fähnchen im Wind zu hängen. Seehofer ist konsequent, was nicht zu schwer ist, denn er hat die gefühlte Stimmung im Land hinter sich. Und in der AfD einen willfährigen Helfer. Doch:
„Ein Gesamtkonzept hat der Innenminister nicht vorgelegt.“
Deshalb ist die Frage von Margit Hufnagel, ob Seehofer der tapfere Sachpolitiker sei, klar beantwortet: Nein. Denn in der Sache ist nichts erreicht. Und tapfer ist es auch nicht, auf der populistischen Welle zu reiten. Die Fiktion den Nichteinreise ist ein Zaubertrick, denn die juristische Überprüfung ist ausständig. In einer „testosterongesteuerten Gegnerschaft zu Merkel“ mit dem Autokraten Orbàn oder dem FPÖ-Koalitionär Kurz auf einer Wellenlänge zu liegen, ist ebenfalls nur eine Illusion von verantwortungsvoller Politik.
Der Begriff des Entfesselungskünstlers sollte für Seehofer weiter gefasst werden. Nicht nur, dass er sich aus Situationen zu entfesseln vermag, er entfesselt auch die rechten Kräfte der CSU. War die CSU vor 2015 die Partei der Mir-san-mir-Bayern, wurde sie später die Partei der Bleibts-mir-weg-Bayern. Der Illusion anhängend, es dürfe rechts der CSU keine legitimierte Partei geben, wurden die offenbar inzwischen als Fesseln empfundenen Leitlinien des Christlichen, des Gemeinsamen, letztendlich der europäischen Idee abgeworfen. Die Wählerstimmung folgt dieser nationalen Illusion, die von der AfD vorgedacht wurde und inzwischen Mainstream ist. Damit hat Seehofer auch die Kräfte weiter freigelegt, die  Europa unterminieren und alles, was dieses Europa ausmacht. Houdini wollte unterhalten, er war darin erfolgreich. Seehofer will Politik, ernsthafte Politik, betreiben, liefert aber nur Unterhaltung. Unterhaltung, die auf die Nerven geht. Vielleicht wacht Deutschland eines Tages auf und stellt fest: Seehofer war nur eine Illusion.

Mittwoch, 4. Juli 2018

Seehofers Rechtssicht

Rudi Wais hat in der Augsburger Allgemeinen hat vom 4.7. die Einigung der CSU und der CDU im Migrationsstreit kommentiert:


Rudi Wais schreibt:
"Man kann das eine kleine europäische Lösung nennen oder einen Akt purer Not – in jedem Fall wird das Modell der Transitzentren, das Seehofer durchgesetzt hat, die gemeinsame Flüchtlingspolitik nachhaltiger verändern als jeder EU-Gipfel."
Ich teile die Auffassung, dass Seehofers Durchsetzung nachhaltige Veränderungen hervorrufen wird. Die unmittelbare Wirkung scheint sehr klar auf der Hand zu liegen:
"Wie vor drei Jahren, als ein Land nach dem anderen die Grenzen schloss, bis die Balkanroute abgeriegelt war, gerät auch jetzt halb Europa in Zugzwang."

Seehofers Lösung?

Doch ist das bereits "eine kleine europäische Lösung", nur weil Seehofer Domino spielt mit anderen europäischen Ländern?
"Wenn Deutschland Asylbewerber bereits bei der Einreise stoppt, sollen diese schließlich nicht in Salzburg, Innsbruck oder Linz stranden. Deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Regierung in Wien dem Plan von CDU und CSU folgt und die Grenzen nach Italien und Slowenien sichert."
Klar ist jedenfalls, dass sich Europa eine Hoffnung nicht zu machen braucht:
"Ob das bereits so disziplinierend wirkt, dass sich insgesamt weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen, ist damit zwar noch lange nicht gesagt."
Fluchtursachen sind nicht verschwunden, nur weil ein deutscher Innenminister an deutschen Grenzen Kontrollen verschärft. Er beendet damit keinen (Bürger)Krieg, macht keine Äcker fruchtbarer, bietet Menschen keine Perspektive in ihrer Heimat.
Doch das ist nicht das Ziel der Maßnahmen:
"Von den 68.000 Menschen, die zwischen Januar und Mitte Juni in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, hätten mehr als 18.000 streng genommen überhaupt nicht einreisen dürfen, weil sie bereits in Italien, in Griechenland oder einem anderen EU-Land registriert sind und dort auf den Ausgang ihres Verfahrens warten müssten. Indem er das Weiterziehen von einem Land ins nächste unterbindet, im Fachjargon Sekundärmigration genannt, begeht Seehofer also keinen humanitären Tabubruch – er folgt lediglich der Logik der sogenannten Dublin-Regelung, die zunächst einmal die Staaten in der Pflicht sieht, in denen ein Flüchtling ankommt, also vor allem Griechenland, Italien und neuerdings auch Spanien."
Es soll vor allem die sog. Sekundärmigration unterbunden werden. Das sei kein humanitärer Tabubruch und lediglich Umsetzung geltenden Rechts. Rudi Wais meint damit die Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III), in der es in Art. 7 (2) heißt:
"Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt."
Die Verordnung beschreibt, dass der Staat verpflichtet ist, das Verfahren durchzuführen, in dem der Antrag erstmalig gestellt wurde. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Denn in Art. 8 (1) heißt es:
"Handelt es sich bei dem Antragsteller um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem sich ein Familienangehöriger oder eines der Geschwister des unbegleiteten Minderjährigen rechtmäßig aufhält, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient."
Oder in Art. 9:
"Hat der Antragsteller einen Familienangehörigen — ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat —, der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig [...]"
Es ist eben nicht so, dass ausschließlich der Staat des erstmaligen Antrages zuständig ist. Auch die Transitzonen könnten einen juristischen Fallstrick beinhalten, falls Art. 15 analog anwendbar wäre:
"Stellt ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im internationalen Transitbereich eines Flughafens eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig."
Es ist festzustellen, dass Seehofer einem Teil der Logik der Dublin-Regelung folgt. Und die Zurückweisung an einen anderen EU-Staat ist - da hat Rudi Wais recht - nicht inhuman.
Doch das ist zu kurz gedacht. Es muss bedacht werden, welche Wirkung am Ende der Kettenreaktion geschlossener Grenzen entstehen wird. Wenn in anderen Staaten der EU inhumane Effekte entstehen - überfüllte Lager auf überforderten griechischen Inseln beispielsweise - oder in Drittstaaten, muss dies Seehofer zugerechnet werden.
Rudi Wais nennt es die "zweitbeste Lösung". Nein, es ist noch keine Lösung, es ist lediglich eine getroffene Vereinbarung auf einem Papier zwischen CDU und CSU. Damit das Konstrukt funktioniert, muss die Regierung in rechtliche Regelwerke eingreifen, Gesetze ändern. Ob der Koalitionspartner SPD mitspielt, wird sich weisen. Immerhin gibt es dort prominente Stimmen, die Transitzentren weiterhin ablehnen. Es müssen die deutschen Bundesländer mitspielen, auf deren Gebiet die Zentren eingerichtet werden sollen - außer Bayern sind nicht viele Willige auszumachen. Und schließlich sollen Vereinbarungen mit Ländern getroffen werden, zurückgewiesene Asylbewerber zurück zu nehmen - der Andrang der Freiwilligen ist überschaubar. Der Standard schreibt beispielsweise über das Bayern angeblich so nahestehende Österreich:
"Österreich will nach dem deutschen Asylkompromiss keine Verträge zu seinen Lasten akzeptieren. Dies hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag in einer Pressekonferenz mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl (beide FPÖ) in Wien klargestellt. Die Bundesregierung sei 'sicherlich nicht bereit, Verträge zulasten Österreich abzuschließen', sagte Kurz."
Eine Vereinbarung mit Österreich wäre jedoch der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Konstruktion. Zu anderen Ländern schreibt Rudi Wais:
"Aus ihrer Sicht ist dieses Verfahren zutiefst ungerecht, weil es ihnen einen überproportional hohen Anteil der Flüchtlingslasten aufbürdet – entsprechend groß ist die Neigung in diesen Ländern, Asylbewerber einfach weiterreisen zu lassen."
Damit gäbe es keine gestellten Asylanträge und Dublin-Regelung wäre ausgehebelt. Letztendlich hat Seehofer keine Lösung der Asyl- und Migrationsfrage geschafft. Auch keine zweitbeste Lösung. Er hat das Problem der CSU mit der AfD bei der Wahl zum Bayerischen Landtag externalisiert.

Nichts gelöst, doch was erreicht?

Da Seehofers Aktionen keine Lösung brachten für ein Problem, sondern lediglich sein Problem bzw. das der CSU im Wahlkampf lösten, bleibt die Frage, ob er denn überhaupt etwas erreicht hat.
Fiktionen hat Seehofer geschaffen. Bisher waren Menschen eingereist, wenn sie deutsches Staatsgebiet betreten haben. Mit dem Winkelzug von Transitzentren soll es möglich sein, dass Menschen, die da sind, doch nicht hier sind, weil sie in einem Nichtstaatsgebiet (?) leben sollen. Als Law-and-Order-Proponent lehnt Seehofer rechtsfreie Räume ab, hier will er sie unter anderem Namen gerade schaffen.
Rekursive Rücktritte hat Seehofer geschaffen. Als Mittel der Erpressung hat er mit Rücktritt gedroht. Davon trat er dann zurück und bleibt im Amt. Wie lange? Das weiß niemand, nicht einmal Seehofer selbst. Absehbar ist jedoch, dass es wie im Winter 2017 lediglich ein Fake-Friede sein wird.
Flurschaden auf europäischem Boden hat Seehofer geschaffen. Rudi Wais schreibt, Seehofer wolle "eine europäische Lösung offenbar durch die Hintertür erzwingen". Doch Seehofers Vorgehen ist nicht europäisch. Es ist national. Seehofer legt seine Last auf die Schultern anderer. Er verrät die europäische Idee. Rudi Wais meint mit Bismarck, Politik "sei die Kunst des Möglichen". Ja, des Möglichen, nicht des Einfachsten. Populistische Lösungsfiktionen haben aktuell Hochkonjunktur. Seehofer reitet genau diese Welle.
Personenbeschädigungen hat Seehofer erreicht. Er hat sich beschädigt, er hat sich und die CSU in eine Sackgasse manöveriert, wie die AZ in einem Bericht schreibt. Und weiter:
"In seiner Partei sind Kritiker und Gegner überzeugt: 'Er muss gehen, so oder so.' Diese Stimmen werden wohl auch nach der am Montag gelungenen Einigung im Asylstreit nicht verstummen."
"Der Parteichef und seine Mitstreiter hätten 'sich eingemauert in einem Turm und jeden Kontakt zum normalen Leben verloren'."
Doch er hat nicht nur sich selbst beschädigt, auch Merkel. Sie ist eine der wenigen Personen, die glaubhaft und ausdauernd die europäische Idee verfolgen.
Es mag sein, dass sich Seehofer an geltendes Recht gehalten hat mit seinen Vorschlägen - Juristen werden das zu gegebener Zeit klären. Sein erpresserisches Vorgehen und seine nationale "Lösung" sind jedoch nicht vereinbar mit der politischen Kultur und der Idee Europas.

Mittwoch, 27. Juni 2018

Leserbrief

Die Augsburger hat zwei Leserbriefe veröffentlicht zu den aktuellen Diskussionen um Migration, Flucht und Asyl.

23.6., Leserbrief von Ulrich Arnold

Ulrich Arnold bedient sich eines in sozialen Medien von Rechten gerne gebrauchten Vergleiches in seinem Leserbrief zu einem Leitartikel in der AZ. Er stellt die Fläche von Afrika der Fläche von Deutschland gegenüber und will daraus schlussfolgernd argumentieren. Der Vergleich als Bild geht so:


Um diesen Größenvergleich herum baut Ulrich Arnold eine Rechengeschichte:


Afrika hätte nach dieser Geschichte zu bewältigende Probleme, die "gerade mal 2,3 Personen pro Quadratmeter betreffen, während wir (Deutschland, Anm.) 30 Ausländer pro Quadratkilometer mit allem" zu versorgen haben, "was zu einem menschenwürdigen Leben erforderlich ist". Für diese Rechnung setzt er die Zahl der Geflüchteten mit der Zahl der in Deutschland registrierten Ausländer in ein Verhältnis.
Eine solche Rechnung ist indiskutabel, geschmacklos. Sie ist inhaltlich nicht korrekt. Doch die Quelle ist klar, aus der sich solche braune Brühe speist: Ulrich Arnold ist/war AfD-Mitglied in Heimenkirch, das bei der AfD Allgäu in einer Pressemitteilung auftaucht. Die Qualität seiner Argumentation liegt erkennbar auf der Linie der Partei. Die Forderung, dass in Anbetracht der "Bauten der Hauptstädte in Afrika [...] zuerst einmal eine gerechte Umverteilung des Wohlstands innerhalb Afrikas" erfolgen müsse, ist an Realitätsferne kaum mehr zu überbieten.

27.6., Leserbrief von Burkhardt Brinkmann

Burkhardt Brinkmann wendet sich gegen einen Beitrag in der Augsburger Allgemeinen vom 23.6., in dem die langsame Änderung der Sprache analysiert wird:


Burhhardt Brinkmann hält es entgegen dem Artikel für Stimmungsmache "wenn die Asyltouristen in Deutschland als 'Flüchtlinge' bezeichnet werden". Von denen sei keiner mehr in Gefahr, "wenn er aus einem Nachbarland nach Deutschland" einreise. Er zweifelt daran, dass ein Migrant "überhaupt jemals ein Flüchtling war". "Migrationslobbyisten" hätten dann noch den Begriff "Armutsflüchtlinge" geschaffen, was den Flüchtlingsbegriff "noch verlogener" mache. Und es sei "deutschen Steuerzahlern [...] nicht zuzumuten, einreisende Völkerschafen füttern zu müssen".
Wer so argumentiert, braucht sich nicht als Verteidiger europäischer Kultur aufzuspielen. Der hat den Boden dessen verlassen, was diese Kultur ausmacht. Doch auch er bewegt sich auf dem Boden dessen, was die AfD in ihrem Kern ausmacht. Er twittert einschlägig, und schreibt auf seinem Blog über das Weltgeschehen. Dort findet sich auch unter seinem offenen Brief an die CSU folgender Schlusssatz:
"Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht 'weltoffen':
Der hat den A.... offen!"
Ich bin froh, dass der Titel seines offenen Briefes "Wenn ich in der AfD etwas zu sagen hätte ……." nicht (hoffentlich!) zutrifft. Andererseits zeigt der Leserbrief in der AZ erneut, welches Gedankengut in den AfD-braunen Tümpeln vorherrscht.

Conclusio


  • Respekt für die Augsburger Allgemeine, dass sie solche Leserbriefe aus der intellektuellen Dunkelkammer veröffentlichen.
  • Mitleid für die Meinungsfreiheit und Demokratie, dass sie solche Leserbriefe aushalten muss.
  • Respekt für die Meinungsfreiheit und die Demokratie, dass sie solche Leserbriefe aushält.

Sonntag, 24. Juni 2018

Söders Tritte

Uli Bachmeier hat in der Augsburger Allgemeinen am 23.6. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er die ersten 100 Tage von Markus Söder als Ministerpräsident in Bayern beleuchtet:


Söders Wahlstrategie

Einleitend zitiert er Franz Josef Strauß mit den Worten:
"Bayern ist unsere Heimat, Deutschland ist unser Vaterland, Europa ist unsere Zukunft."
Söder verabschiede sich "von diesem grundsätzlichen Bekenntnis seines großen politischen Vorbilds":
"Mit seinem leichtfertigen Gerede vom 'Ende des geordneten Multilateralismus' stellt Söder das Projekt Europa infrage. Das ist die mit Abstand gefährlichste Entwicklung in seinen ersten 100 Tagen als Regierungschef in Bayern. Denn was, bitte schön, soll die Alternative zur Zusammenarbeit in Europa sein? Etwa ein ungeordneter Nationalismus? Jeder gegen jeden?"
Offenbar. Zur Migration beteuert die CSU zwar, sie wolle sich einer europäischen Lösung anschließen. Falls die nicht käme oder nicht so aussehe, wie die in Bayern ersonnene und für Deutschland hocherpresste "Lösung" des "Masterplans" es definiere, werde die "Lösung" eben national umgesetzt:


Diese Haltung hatte sich bereits vor 10 Tagen abgezeichnet, als Söder verlautbarte:


Uli Bachmeier schreibt, "Kritik von linker, liberaler oder grüner Seite" störe Söder nicht. Im Gegenteil, eine solche Kritik mache die CSU von Rechten wieder wählbarer. Söder habe Bayern einen "Rechtsruck" verordnet. Noch im Februar war ein solcher Rechtsruck von Unionswählern nicht gewünscht, nur bei den AfD-Wählern stand ein "konservativerer" Kurs hoch im Kurs.
Diese "[simple] Logik" steht hinter dem Wahlkampfmanöver der CSU. Wobei sie übersieht, dass nicht alle Zustimmung aus dem rechten Eck ein Qualitätssiegel für die eigene Position ist und nicht alle Kritik aus dem mittleren oder linken Eck ein Ansporn. Es ist eine pubertäre Trotzhaltung. Hauptsache gegen die Eltern, speziell die Mutti. Hauptsache die coole Gang applaudiert. Dabei:
"Im Landtagswahljahr 2018 aber hat sich die Partei unter der Doppelspitze Horst Seehofer und Markus Söder in eine Situation manövriert, in der alles auf dem Spiel steht: der Zusammenhalt mit der Schwesterpartei CDU, die Stabilität und das Wertefundament des politischen Systems in Deutschland und die Zukunft der Europäischen Union, die den Bürgern in Bayern und Deutschland wirtschaftlichen Wohlstand, soziale Sicherheit und Reisefreiheit von Portugal bis Finnland beschert hat."
Ja, die CSU stellt alles zur Disposition, was bisher als Werte an sich galt. Weiterhin zeigt sie in ihrem Fokus auf die AfD, dass sie mit ihrer - nennen wir es: Haltung inzwischen jeden Anspruch verloren hat, sich auf eine europäische Prägung und Kultur berufen zu dürfen. Denn sie trampelt auf dieser Kultur herum, auf den Werten herum, auf Bewährtem. Uli Bachmeier schreibt:
"Söder hält es für eine Stärke, sich ausschließlich auf den 14. Oktober zu konzentrieren und alles andere diesem einen Ziel unterzuordnen. Er meint, dass das Schicksal der CSU als Volkspartei allein dadurch schon besiegelt ist, wenn sie sich im Landtag einen Koalitionspartner suchen muss. Er meint, der Zeitgeist rücke nach rechts, also müsse auch die CSU weiter nach rechts.
Dass er damit der AfD nur in die Hände spielt, dass die CSU dann nicht mehr dieselbe ist wie zuvor, dass sie ihre Kraft zur Integration breiter Wählerschichten verlieren könnte, klammert er ebenso aus wie alle anderen Risiken auch. Für einen härteren Kurs in der Asylpolitik mag es eine Mehrheit geben, für einen Anti-Europa-Kurs mit Sicherheit nicht."
Was Söder für Stärke hält, ist Schwäche. Denn er läuft den Themen hinterher, die die AfD auf die politische Bühne gehievt hat. Söder und die CSU schreien ihr Migrationsthema so laut hinaus, dass alle anderen Themen unter die Räder kommen. Vielmehr unter die braunen Stiefel, die sich die CSU ursprünglich anzog, um gegen die AfD zu marschieren. Inzwischen ist sie jedoch im Gleichschritt, sie ist #AFDkopie.

Gleichschritt der CSU mit AfD

Der Gleichschritt zeigt sich in einer ganzen Reihe unsäglicher (Re)Tweets der CSU. Eine Auswahl aus dem Monat Juni 2018 belegt dies. Da wird das europäische und deutsche Asylsystem als feudales Menü dargestellt, aus dem sich Asylbewerber nach belieben ihren Aufenthalt zusammenstellen können:


Die ganze Angelegenheit sei so schlimm, dass dem Migrationsstrom mit einer Asylwende begegnet werden müsse:


Eine Asylwende reicht jedoch nicht, das System stehe Kopf und müsse auf die Füße gestellt werden:


Und nicht nur mit Zurückweisungen müsse der Migrationsstrom eingedämmt werden, es müsse mehr Abschiebungen geben. Doch da gebe es ja diese Abschiebe-Verhinderungs-Industrie (Dobrindt) und überhaupt sei das Rechtssystem hinsichtlich der Abschiebungen untauglich:


Die AfD sägt ebenfalls mit solchen Aussagen am Grundsätzlichen: mit "Systemparteien" und "Altparteien" werden die bezeichnet, die nicht AfD sind. "Lügenpresse" und Geschichtsrelativismus sind inzwischen ihr Markenkern.
Ich bin gespannt, wie weit die CSU diesen braunen Pfad ebenfalls begehen wird. Schmutzige Stiefel hat sie sich schon geholt. Doch es besteht wenig Anlass zur Hoffnung. Denn das braune Gestampfe sei kein Wahlkampf:


Wer es glaubt. Die Journalisten jedenfalls nicht, denn Markus Blume erntete Lacher. Überhaupt ist er ein Spaßvogel, wie der Tweet zeigt, in dem er Ordnung ankündigt und verhindern will, dass sich das Jahr 2015 wiederhole:


Wie weit der Rechtsruck der CSU gediehen ist, zeigt ein aktueller Bericht in der AZ, nach dem der österreichische Bundeskanzler statt der deutschen Bundeskanzlerin auf der Abschlusskundgebung des Wahlkampfes auftreten solle. Kein Wunder, denn mit Kurz gibt es keinen solchen Dissens wie mit Merkel.


Das ist mindestens pikant. Ein ausländischer Politiker soll in Deutschland einen Wahlkampfauftritt absolvieren. Bei Erdogan war so ein Vorgang undenkbar, ihm oder seinen Wahlkämpfern wurde es explizit verboten. Doch was kümmert die CSU eine solche Beschränkung? Eine "[g]emeinsame Überzeugung in der Zuwanderunspolitik" rechtfertigt es jedenfalls, einen Kanzler sprechen zu lassen, der mit Rechtspopulisten (FPÖ) koaliert.
Die (Denk)Welt, in der sich die CSU befindet, hält die CSU so fest umschlungen, dass sie nicht mehr merkt, wie sehr sie auf europäischer Kultur und europäischen Werten herumtrampelt. Ich glaube nicht, dass da noch leichte Schläge auf den Hinterkopf helfen. Ein Arschtritt scheint nötig. In der Wahlkabine.

Mittwoch, 20. Juni 2018

Scheindebatte Asyl

Andrea Kümpfbeck hat am 20.6. in der Augsburger Allgemeinen einen Leitartikel veröffentlicht über die Asyldebatte in Deutschland und diese Debatte eingeordnet in die Gesamtheit aller Fluchtphänomene:


Andrea Kümpfbeck bezieht sich dabei auf den Bericht "Forced Displacement in 2017" des UNHCR. Sie nennt die zwei Beispiele Bangladesch und Südsudan und schreibt:
"Innerhalb weniger Wochen sind im vergangenen Herbst gut eine halbe Million Rohingya, Angehörige der muslimischen Minderheit Myanmars, vor den Gewaltexzessen in ihrer Heimat ins Nachbarland geflohen. Dort ist das größte Flüchtlingslager der Welt entstanden, mit dem das überforderte Bangladesch weitgehend alleingelassen wird."
"Jeder dritte Südsudanese ist in dem ostafrikanischen Bürgerkriegsland auf der Flucht. 2,4 Millionen Menschen sind in den Nachbarländern Uganda, Sudan und Äthiopien untergekommen, wo auch die eigene Bevölkerung immer wieder von Hungersnöten bedroht ist."
Die AfD und die CSU überbieten sich gegenseitig, wer es wohl schafft, garstiger zu Asylbewerbern und Migranten zu sein. Die Asyldebatte spalte die Politik, "sogar die Regierung [droht] daran zu zerbrechen". Während inzwischen in Deutschland die Einreisezahlen deutlich zurückgegangen sind, berichtet das UNHCR, es seien "weltweit 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Verfolgung. So viele wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs".
Im krassen Gegensatz zu den Fakten steht das Verhalten der Populisten, die den "Eindruck schüren", die "Flüchtlingskrisen dieser Welt" spielten sich in Europa ab. Der Bericht der UNHCR zeigt:


Die Grafik bestätigt, was Andrea Kümpfbeck schreibt: die Flüchtlingskrisen "spielen in den Entwicklungs- und Schwellenländern, die nicht die wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten europäischer Staaten haben, einer solchen Herausforderung zu begegnen".
In Anbetracht dieser Zahl werden die Sprüche von AfD und CSU, Deutschland könne nicht allen helfen, zur ekelhaften Farce. Es kommen nicht alle. Es werden nie alle kommen. Es wollen und können nicht alle kommen. Andrea Kümpfbeck schreibt:
"Nur ein Bruchteil der Geflohenen und Vertriebenen kommt überhaupt bis an unsere Grenzen, die meisten können sich die teure Reise überhaupt nicht leisten. Oder wollen nicht weg aus ihrer Heimatregion."
Das macht die Sprüche der Populisten noch ekelhafter. Allenthalben weisen die Populisten auf die Frage hin, wie sich die angeblich so armen Flüchtlinge denn die Schlepper und die Reise überhaupt leisten können. Die einfache Antwort: Es kommen nur die in Europa an, die es sich überhaupt leisten konnten. Weil sie nicht die Ärmsten der Armen waren. Weil sie gesammelt hatten. Weil sie sich prostituiert haben. Weil sie versklavt wurden.
Die gleiche Farce ist der Versuch der Populisten, durch Abschreckung - nichts anderes ist die Asyl- und Migrationspolitik der Populisten - Flucht zu unterdrücken. Es wird als "Lösung" propagiert, was keine Lösung ist:
"Denn die Mehrzahl der Flüchtlinge verlässt ihr Land eben nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Viele flüchten vor der Klimaveränderung, besonders aus den Ländern Afrikas. Weil ihre Felder vertrocknen und nicht mehr genügend abwerfen. Weil verschobene Regenzeiten die Aussaat wegschwemmen. Weil sie dadurch ihre Familie nicht mehr ernähren können. Die meisten Flüchtlinge aber verlassen ihr Land, weil dort Korruption und Ausbeutung herrschen, Chaos und Gewalt."
Ja, es sind keine Wirtschaftsflüchtlinge, wenn in der Heimat Hunger droht, weil kein Regen mehr fällt. Oder zuviel. Bei solchen Fluchtursachen kommt auch die Entwicklungshilfe oder -politik an ihre Grenzen. Dennoch:
"Entwicklungszusammenarbeit ist der richtige Ansatz. Jeder Euro, der in Bildungs- und Ausbildungsprojekte junger Menschen in Entwicklungsländern investiert wird, ist gut angelegtes Geld. Denn wer in seiner Heimat die Chance auf ein anständiges Ein- und Auskommen hat, der will und wird auch dort bleiben. Das belegt die Statistik."
Entwicklungszusammenarbeit ist etwas, wo Deutschland allein einen gewichtigen Beitrag leisten kann. Bei klimatischen Veränderungen braucht es eine gemeinsame Anstrengung der Weltgemeinschaft. Wer sich hier auf die Nation zurückzieht, wer hier glaubt, "America First" oder "Deutschland zuerst" sei eine zielführende Devise, befindet sich auf dem Holzweg. Totholz.
Die von den Populisten am Kochen gehaltene Asyldebatte ist deshalb eine scheinheilige Debatte. Es wird behauptet, (europäische) Werte würden verteidigt - die christliche Kultur, den Sozialstaat, das Geld der Steuerzahler. Dabei geht es nur um das dumpfe Gefühl, die Flüchtlinge würden etwas bekommen, was ihnen nicht zustehe, sondern der "angestammten Bevölkerung". Das Problem wird überhöht und Scheinlösungen werden angeboten. Letztendlich verlieren die Populisten das Recht, europäische Werte für sich zu beanspruchen. Sie treten sie mit Füßen.

Freitag, 15. Juni 2018

Rechter Knall

Gregor Peter Schmitz hat in der Augsburger Allgemeinen am 15.6. den weiter anhaltenden Streit zwischen Seehofer mit seiner CSU und der Kanzlerin Merkel kommentiert:


Richtig, ein "großer Knall löst nicht alle Probleme". Und man sollte sich sicher sein, dass man ihn auslöst und nicht hat. Sonst geht es nach hinten los und es wird ein "Selbstmord aus Angst vor dem eigenen Tod".
Der Knall, das könnte ein Bruch der Union sein, ein Lossagen der CSU von der CDU. Die Vertrauensfrage. Wobei: nach den markigen Sprüchen der CSU stellt sich vielmehr die Frage, wie ein Vertrauen mit der CDU jemals wieder hergestellt werden könne. Zerrüttet ist es ohnehin bereits. Die Aussicht, tatsächlich die Koalition zu kündigen, erfolgt nicht auf dem Boden vertrauensvoller Zusammenarbeit, sondern trägt erpresserische Züge. Entweder gibt Merkel nach oder es knallt.
Gregor Peter Schmitz beschreibt die Welt, in der solche bitteren Früchte reifen:
"Von ihrer Warte sieht die Welt so aus: Die CSU ackert sich in Bayern ab, stellt eine Rekordbilanz nach der anderen auf, brennt Wahlkampf-Feuerwerke voller grandioser Vorschläge ab, bis hin zum Raumfahrtprogramm und Reiterstaffeln – doch die AfD wird in den Umfragen nicht kleiner, sondern größer. Und die Schuld darin liegt für die Anhänger dieser Denkschule in Berlin, wo Angela Merkel regiert und Horst Seehofer (der andere für die CSU-Landtagsfraktion bereitstehende Sündenbock) nicht wie erhofft durchregiert. Die AfD sei ja nicht in Bayern entstanden, sagte Ministerpräsident Söder gerade bei unserem Augsburger Allgemeine Forum, unter großem Applaus."
Sehr witzig, Herr Söder, aber reine Ablenkung. Denn in den alten Bundesländern ist die AfD in Bayern bei der letzten Bundestagswahl am erfolgreichsten gewesen und errang 12,4%. Bayern mag nicht die Geburtsstation der AfD sein, doch sie gedeiht in Bayern prächtig. Die Kurzsichtigkeit offenbart sich auch in den Erwartungen in der CSU-Welt:
"Diese Gruppe ist überzeugt: Solange die Mutter der Flüchtlingspolitik nicht weg ist, wird auch die AfD nicht verschwinden."
Das sind Vereinfachungen im Stile einer AfD, die mit #MerkelMussWeg die sozialen Medien überschwemmt. Wer so einfach denkt, denkt auch an die Endlösung aller Migrationsprobleme durch das Dichtmachen der deutschen Grenzen. Gregor Peter Schmitz dazu:
"Und schließlich: Zumindest der Glaube, dass die CSU ihrer Sorgen ledig sei, sobald Merkel abtreten muss, ist naiv."
Das Verhalten der CSU ist mehr als nur naiv. Es ist geschichtsvergessen. Der Katalysator für Merkels Grenzöffnung war im Sommer 2015 war der grausame Erstickungstod von 71 Menschen in einem luftdichten Kühllaster. Erst diese Woche wurden die hauptverdächtigen Schlepper in Ungarn zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt. Wie will die CSU trotz geschlossener Grenzen der Wiederholung solcher oder ähnlicher Fälle begegnen? Gar nicht, Hauptsache als Rumpelstilzchen die Grenzen geschlossen.
Zur Eingangs gestellten Frage, nach dem Tun oder dem Haben des Knalls muss beleuchtet werden, ob es zur Aufrechterhaltung von Recht, Rechtsstaatlichkeit und Ordnung - das sind ja die behaupteten Absichten der CSU - überhaupt zulässig ist, die Grenzen zu schließen. Die AZ hat hierzu einige Fakten und Bewertungen zusammengestellt. Ein paar Auszüge:
"Eigentlich müssen laut EU-Recht Flüchtlinge dort Asyl beantragen, wo sie als Erstes europäischen Boden betreten, sagt der Bielefelder Staatsrechtler Christopher Gusy. 'Das Problem ist, dass viele Flüchtlinge in den Ankunftsstaaten weder einen Asylantrag gestellt haben noch dort registriert wurden.' Wenn nicht eindeutig klar sei, welches das Ankunftsland ist, könne man einen Betroffenen kaum dorthin zurückschicken."
"'Die herrschende Meinung unter den deutschen Europarechtlern lautet, dass es im Regelfall rechtlich nicht zulässig ist, in einem anderen Land bereits registrierte Asylbewerber einfach an der Grenze zurückzuschicken', sagt der Staatsrechtler Walther Michl von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. 'Es ist aber umstritten, ob sich Deutschland auf eine Ausnahmeklausel der europäischen Verträge berufen kann, wenn es die innere Sicherheit oder die öffentliche Ordnung bedroht sieht', sagt der Europarechts-Experte. Allerdings sei diese Rechtsfrage kompliziert, da die Voraussetzungen umstritten seien und zudem die EU-Grundrechte-Charta gelte. Minderjährige Flüchtlinge oder solche mit engen Verwandten in Deutschland könnten in kaum einem Fall zurückgewiesen werden."
"Verfassungsrechtler Gusy sieht die Sache klar: 'Die Kanzlerin kann praktisch jede Regierungsangelegenheit zur Richtlinie machen – oder wie es heute heißt: zur Chefsache', betont er. 'Ich sag’s mal auf gut Bairisch: Der Ober sticht den Unter', sagt der Professor. "
Also: Die CSU will trotz erheblicher rechtlicher Bedenken und entgegen der herrschenden Meinung Einreisewillige an der Grenze zurückschicken. Die CSU behauptet ferner, Seehofer könne das entscheiden, weil es seine Ressortverantwortung wäre, und ignoriert dabei die Darstellung des Verfassungsrechtlers Gusy, der sicherlich keine Einzelmeinung hat. Die CSU will Recht und Ordnung herstellen, steht dabei auf rechtlich wackeligem Boden. Ist das noch Wahlkampf oder dämmert bereits eine neue Herrschaft des Unrechts herauf?
Die ganze Aktivität der CSU ist vor allem ihrer Angst vor der AfD geschuldet und dem kurzsichtigen Unterfangen, die AfD rechts überholen zu wollen. Damit ist aber auch klargestellt: Knall hat man in der CSU, einen rechten Knall. Verursachen wird sie bestenfalls eine Knallerei.