Mittwoch, 26. Dezember 2018

Konfrontationstherapie der Dorothee Bär

Die Augsburger Allgemeine berichtet in ihrer Ausgabe vom 24.12. über ein Interview in der Welt am Sonntag mit Dorothee Bär, der Staatsministerin für Digitalisierung:


Dorothee Bär wird zitiert:
"Wir haben in Deutschland mit die strengsten Datenschutzgesetze weltweit und die höchsten Anforderungen an den Schutz der Privatsphäre. Das blockiert viele Entwicklungen im Gesundheitswesen, deshalb müssen wir da auch an der einen oder anderen Stelle abrüsten, einige Regeln streichen und andere lockern"
Weiter heißt es im Artikel:
"Die Deutschen seien 'insgesamt bei allem zu zögerlich und zu sehr von Ängsten getrieben und gehemmt'."

Die Studie der BertelsmannStiftung

Hintergrund ist eine Studie der BertelsmannStiftung, in der an Hand eines Digital Health Index Deutschland auf Platz 16 von 17 untersuchten Ländern gereiht wird:


Auch in den einzelnen Sub-Indizes verharrt Deutschland hinteren Plätzen:
  • Policy-Aktivität (Platz 16): das politisch, strategisches Vorgehen der Länder, der gegebene Rechtsrahmen, die institutionelle Verankerung und Zuständigkeiten
  • Digital-Health-Readiness (Platz 16): die technische Implementierung sowie der digitale Reifegrad
  • Tatsächliche Datennutzung (Platz 15): der vernetzte Austausch von Gesundheitsdaten
Auf Seite 30 der Studie ist "Datenschutz und -verschlüsselung" dem Themenbereich Readiness zugeordnet. Auf Seite 41 werden Indikatoren skizziert, "für die eine mögliche Relevanz auf den Digitalisierungsstand und -prozess vermutet wird. Dazu gehören insbesondere systemische Faktoren wie die Staats- und Regierungsform, die Landesgröße, die beteiligten Akteure, die politische Kultur eines Landes und die Haltung gegenüber möglichen Barrieren wie Datenschutz, der Gesundheitssystem-Typ und die öffentlichen Ausgaben für Digital Health."
Weiter wird zum Datenschutz auf Seite 43 ausgeführt:
"Rolle und kulturelle Verankerung Datenschutz: Datenschutzbedenken können Digitalisierungsprozesse stark behindern und wirken sich sehr negativ auf den Digitalisierungsstand des Gesundheitssystems aus. Je größer die Bedenken, desto schlechter der Digitalisierungsstand."
Datenschutz reiht sich ein in eine Liste mit 19 einzelnen Indikatoren (Seite 44):
Politisches und gesellschaftliches System
  1. Größe des Landes und Einwohnerzahl
  2. Staats- und Regierungsform
  3. Politische Ordnung: Zentralismus vs. Föderalismus und Subsidiarität
  4. Korporatismus (Grad der Selbstverwaltung)
  5. Kompromiss und Konsens
  6. Rolle und kulturelle Verankerung Datenschutz
  7. Finanzierungssystem: Sozialversicherungssystem (Bismarck) vs. Staatlicher Gesundheitsdienst (Beveridge) vs. Hybridsysteme
  8. Regionale / kommunale vs. nationale Organisation
  9. Öffentliche Ausgaben für Digital Health
  10. Akteurskonstellationen und Advocacy-Koalitionen: Anzahl und Rolle von Veto-Akteuren

Digital Health Governance
  1. Anzahl an Strategien und Gesetzen
  2. „Qualität des Gesetzes“
  3. Verbindliche Anwendung von Standards und Interoperabilitätslösungen
  4. Rolle von E-Health-Strategien
  5. Gesicherte Finanzierung nationaler / regionaler Digital-Health-Kompetenzzentren
  6. Zentrales politisches Management installiert
  7. Einbeziehung verschiedener Stakeholder / Interessenvertreter, auch Patienten, Beiräte
  8. Commitment and Involvement
  9. Koordinierung
Auf Seite 60 heißt es:
"Sicherheits- und Datenschutzauflagen für die Verarbeitung der medizinischen Patientendaten sind sehr hoch."
Im Digitalisierungsprofil für Deutschland (Seite 63) wird der Punkt "Nationale oder regionale Rechtsrahmen erlauben die umfassende Weiterverwendung medizinischer Daten unter Beachtung des Datenschutzes" (Zeile P11) als im Mittelfeld befindlich dargestellt:


Die Studie gibt also nicht her, dass Deutschland gerade beim Datenschutz ein großes Hemmnis zur Digitalisierung des Gesundheitswesens hätte. Als maximal schlechter Punkt in der Grafik wird "Rechtsaufsicht der Umsetzung und Förderung von Digital Health durch eine autorisierte Institution mit angemessenen Befugnissen ist gewährleistet" (Zeile P7) genannt. Auch die anderen rötlichen Punkte der Grafik betreffen nicht Datenschutz, sondern Klarheit von Strategien, von Rahmen- und Zeitplänen, Finanzierung und Regulierung.
Im Text der Website zur Studie heißt es über die Erfolgsfaktoren:
"Die ersten Ränge belegen Estland, Kanada, Dänemark, Israel und Spanien. Was erfolgreiche Länder vereint, ist ein Dreiklang aus effektiver Strategie, politischer Führung sowie einer festverankerten Institution zur Koordination des Digitalisierungsprozesses. Auf diese Weise sind die führenden Nationen in verschiedenen Bereichen bereits weiter vorangeschritten als Deutschland: Rezepte etwa werden bereits selbstverständlich digital übermittelt, die wichtigsten Gesundheitsdaten der Patienten sind in digitalen (Kurz-)Akten gespeichert und Bürger können ihre Untersuchungsergebnisse, Medikationspläne oder Impfdaten online einsehen - und entscheiden, wer Zugriff auf ihre Daten haben darf."

Datenschutz

Die aktuelle Datenschutzlage in Deutschland und anderen europäischen Ländern fußt auf der DSGVO, die am 24.5.2016 in Kraft trat und seit dem 25.5.2018 anzuwenden ist. An den Beratungen und Entscheidungsprozessen war Deutschland über viele Jahre beteiligt. Über viele Jahre regiert die Union in Deutschland. Und nun soll das Ergebnis schlecht sein?
Der Regelungsgehalt der DSGVO umfasst unter anderem:
  • Auskunft unter anderem über Zweck, Empfänger und Verantwortliche der Datenverarbeitung
  • Einwilligung in die Verarbeitung, wobei Schriftform nicht mehr gefordert wird (aus Nachweisgründen jedoch oft so gehandhabt wird)
  • Privacy by Design, Privacy by Default
Das sind keine Anforderungen, die bei so sensiblen Daten, wie Gesundheitsdaten es sind, überschießend wären und abgerüstet gehören. In einem Artikel der Welt wird Dorothee Bär zitiert:
"Wir brauchen eine digitale Anwendung, am besten für das Smartphone."
Macht Sinn, wenn die Architektur der Applikation und der zugrundeliegenden Hardware entsprechend gesichert ist. Aber: gibt es dann eine Smartphone-Pflicht?
"Mich frustriert, dass die Prozesse der Selbstverwaltung so wahnsinnig lange dauern. Und ganz ehrlich, Selbstverwaltung klingt nicht nur wie Selbstbeschäftigung, ganz häufig beschäftigen sich diese Gremien auch vor allem mit sich selbst"
Offensichtlich fehlt der nötige politische Zug, um das Thema voranzubringen. Denn die Historie ist bereits 15 Jahre lang:
"Seit der ersten Ankündigung der elektronischen Gesundheitskarte im Jahr 2003 wurden Milliarden in das Projekt investiert und der ursprünglich 2006 vorgesehene Start immer weiter in die Zukunft verschoben. Gleich nach Amtsbeginn hatte Spahn versprochen, das Projekt mit hoher Priorität zu verfolgen. Auch er hatte dabei der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen vorgeworfen, dieses und andere wichtige Vorhaben zu verschleppen und zu blockieren."

Conclusio

Vielleicht werden bereits Sündenböcke in Stellung gebracht, wenn nicht - wie im Koalitionsvertrag vereinbart - ab 2021 alle gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte zur Verfügung haben. Allerdings kann und muss von einer Staatsministerin für Digitalisierung erwartet werden, dass sie Digitalisierung vor dem Hintergrund des Datenschutzes umsetzen will. Mit ihrer Äußerung kommen erhebliche Zweifel an ihrer Eignung auf.

Nota bene: Dorothee Bär war im Beirat der Rhön Klinikum AG vom 1.1.2010 bis 17.12.2013, wie sich aus den jeweiligen Geschäftsberichten ablesen lässt.

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