Mittwoch, 11. Juli 2018

Seehofers Meisterstück?

Die Augsburger Allgemeine hat am 11.7. über Seehofers Masterplan zur Migration berichtet. Martin Ferber hat in der Printausgabe dazu kommentiert:


Martin Ferbers Kommentar

Martin Ferber nennt den Masterplan ein Phantom, das Gestalt angenommen habe und als 23-seitiges Dokument mit 63 Einzelmaßnahme vorliege. Das Phantom ist auf der Seite des Innenministeriums abrufbar. Martin Ferber schreibt:
"Dennoch ist der Charakter des Papiers rätselhaft, weil es im höchsten Maße unverbindlich ist. Es ist weder mit der CDU noch mit der SPD abgestimmt. Erst recht gibt es keine Absprachen oder gar verbindliche Vereinbarungen mit den Bundesländern, den europäischen Partnern oder den Regierungen der Mittelmeeranrainer."
Ergänzen lassen sich die Herkunfts- und Transitländer, die ja nicht notwendig Anrainer des Mittelmeers sein müssen. Doch das tut der Rätselhaftigkeit des Phantoms keinen Abbruch.
Martin Ferber bewertet das Dokument zutreffend:
"So ist es trotz Bundesadler und Ministeriumskopf auf dem Titelblatt im Grunde nicht mehr als eine banale To-do-Liste des Innenministers für sich selber."
Und noch nicht mal das:
"[...] mehrfach aber überschreitet er seine Kompetenzen."

Aus dem Papier

Ein Blick in das Dokument offenbart, wie "rätselhaft" und "im höchsten Maße unverbindlich" es ist. Bereits der Titel zeigt dies:
"Masterplan Migration
Maßnahmen zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung"
Widersprüchlicher geht es nicht. Die zweite Zeile ist eine Themaverfehlung der ersten. Es geht Seehofer nicht um Migration als Phänomen, es geht ihm um Zuwanderung nach Deutschland. Seehofer gaukelt vier Handlungsfelder vor, die er im Inhaltsverzeichnis auflistet:
  • Handlungsfeld Herkunftsländer
  • Handlungsfeld Transitländer
  • Handlungsfeld Europäische Union
  • Handlungsfeld Inland / national
Die Verteilung der 63 Punkte auf die Handlungsfelder zeigt Seehofers Widersprüchlichkeit. Das Handlungsfeld "Inland / national" beginnt mit Nummer 26. Allein an der Anzahl gemessen sind also etwa 60% der Punkte nationale Punkte. Das kann kein "Masterplan Migration" sein.
Der erste Satz der Präambel lautet:
"Die Herausforderungen weltweiter Migration erfordern ein System der Ordnung."
Als ob die "Herausforderungen weltweiter Migration" allein ein Ordnungsproblem seien. Doch für einen Hammer sind alle Probleme Nägel. So hämmert er sein Mantra von Recht und Ordnung in die Welt. Ich höre ihn förmlich rufen: "Kriegstreiber der Welt, benehmt Euch ordentlich. Korrupte der Welt, werdet rechtschaffen. Klimawandel, lass das mit der Dürre. Afrikaner, freut euch ordentlich, wenn wir Euch schon mit unserem Getreide versorgen."
Ordentlich geht es weiter:
"Die Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft setzt Ordnung und Steuerung von Migration voraus. Kein Land der Welt kann unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen."
An die Antragsteller im Asylverfahren adressiert:
"Wir wollen verhindern, dass Personen während oder nach einem Asylverfahren untertauchen oder ihre wahre Identität verschleiern."
Apropos "wahre Identität verschleiern". Martin Ferber hat hingewiesen, dass Seehofer mehrfach seine Kompetenzen überschreite. Im Masterplan verspricht Seehofer:
"Deutschland tut bereits viel und wird seinen Einsatz vor Ort weiter verstärken, denn Hilfe vor Ort ist der humanste und wirksamste Weg, Fluchtursachen zu begegnen und Bleibe- und Zukunftsperspektiven für die Menschen zu schaffen."
"Durch die Ausweitung der Maßnahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit wie beispielsweise den Aufbau von Infrastruktur und Investitionen in Bildung und Beschäftigung." 
"Mit einem Entwicklungsinvestitionsgesetz werden verbesserte Rahmenbedingungen für private Investitionen, wirtschaftliche Zusammenarbeit und neue Formen der Ausbildungs- und Technologiekooperationen geschaffen." 
Liegt das nicht im Kompetenzbereich des Entwicklungshilfeministers? Es gibt auch Vorgaben an den Finanzminister:
"Die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern muss ausgebaut werden. Die ODA-Quote (Official Development Assistance) darf daher nicht, wie im Finanzplan bis 2022 vorgesehen, absinken."
"Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA-Quote) darf nicht absinken. Auf ihrer jetzigen Basis müssen die Mittel weiter gesteigert werden. Hieraus ergibt sich – über die Eckwerte hinaus – für das Jahr 2019 ein zusätzlicher Gesamtbedarf für den Einzelplan des BMZ in Höhe von 880 Mio. Euro."
Vielleicht stemmt Seehofer das aus seinem eigenen Etat, der Verdacht einer Kompetenzüberschreitung damit hinfällig.
Auch anderen Staaten macht Seehofer Vorgaben. In Maßnahme 11:
"Zur Verhinderung weiterer Flucht- und Migrationsbewegungen, Stärkung der Aufnahmekapazitäten sowie Verbesserung der Aufnahmebedingungen, insbesondere in Regionen im Umfeld von Konfliktherden durch die Errichtung von „Sicheren Orten“ in Zusammenarbeit mit UNHCR und IOM in: [...] (Nordafrika und Sahel-Region werden genannt, Anm.)"
Oder in Maßnahme 15 und 16:
"15. Finanzielle Unterstützung von Transitländern: Unterstützung der Haupttransitländer bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen einschließlich der aufnehmenden Gemeinden."
"16. Kapazitätsaufbau in Transitländern: Unterstützung von Maßnahmen zum asyl- und migrationsbezogenen Kapazitätsaufbau in Transitländern."
An anderer Stelle zeigen sich die Prioritäten, die Seehofer setzt. Die ersten beiden Maßnahmen des Handlungsfeldes "Europäische Union" sind "18. Stärkung von Frontex" und "19. Europäische Grenzpolizei: Ausbau [...]". Erst danach kommen Maßnahmen zu Asylverfahren, am Ende dann "24. Verbesserung der Unterbringungsbedingungen in Griechenland". Nicht aber Italien, vielleicht weil es zur "Achse der Willigen" gehört.
Als erste nationale Maßnahme fordert Seehofer "26. Verbesserte Grenzkontrollen an der Schengen-Außengrenze", die im ersten Unterkapitel des Handlungsfeldes "Binnengrenzen / Schengen" genannt wird. Wo hat denn Deutschland eine Schengen-Außengrenze? Ah, ja: Schweiz, wenn man die denn mitzählen wollte. Sogar Nebeneffekte erntet Seehofer, wenn er in Maßnahme 28 die Schleierfahndung intensivieren will und damit "einen aktiven Beitrag zur [...] Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität" leistet.
In den weiteren Maßnahmen hämmert Seehofer den Nagel der Ordnung. Ein paar Beispiele:

  • 35 Beschleunigte Verfahren
  • 36 Altersfeststellung und verpflichtende medizinische Untersuchung
  • 37 Bessere Identifizierung und Sicherheitsprüfung
  • 38 Leistungsrechtliche Sanktionierung
  • 39 Bekämpfung von Asylmissbrauch

Im Unterkapitel "Integration" kommen sinnvolle Maßnahmen wie "44. Qualitätssteigerung bei Integrationskursen". Diese werden jedoch gefolgt von Gehämmere:

  • 45 Verschärfung der Anwesenheitspflicht
  • 46 Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten
  • 47 Verschärfung der Pflicht zur Vorlage ärztlicher Atteste
  • 48 Kontrolldichte erhöhen

Im Unterkapitel "Rückkehr" weiter mit dem Hammer:

  • 53 Mitwirkungsverweigerer klarer identifizieren und sanktionieren
  • 54 Klare Pflicht zur Passbeschaffung, damit Betroffene verantwortlich werden für ihre eigenen Papiere
  • 55 Task-Force gegen Gefährder und Straftäter

Natürlich dürfen grundsätzliche Gefahren nicht ausgespart werden, weshalb mit Maßnahme 58 die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaats überhaupt bewahrt werden soll.
Nein, der Masterplan ist kein Masterplan Migration. Er ist, wie eingangs geschrieben, ein Werkzeug gegen Zuwanderung nach Deutschland. Das Handlungsfeld "Inland / national" ist der fette Braten, den Seehofer auslegt. Die anderen Handlungsfelder sind das verschämte Salatblatt, der welke Petersilienstängel und die angetrocknete Tomatenscheibe, die vom Braten ablenken und ihm einen gesunden Anstrich geben sollen.

Conclusio

Nein, der Masterplan ist nicht Seehofers Meisterstück als deutscher Innenminister. Es ist bestenfalls das Gesellenstück eines bayerischen Wahlkämpfers für die AfD-Kopie CSU. An diese Bewertung muss sich die Frage knüpfen, ob Seehofer nicht sein Ministerressort für parteipolitische Zwecke missbraucht. Immerhin tritt er für Recht und Ordnung ein, ein Verdacht des Verstoßes gegen diese wiegte doppelt schwer.
Oder ist das Papier doch nur ein Lausbubenstreich, das erneut Kanzlerin Merkel und die gesamte Regierung ärgern soll. Seehofer bleibt seiner Linie als Illusionist treu. Merkel sollte ihn ins Eck stellen, wo er bis zum Selbstrücktritt schmollen soll. Oder wie Martin Ferber seinen Kommentar schließt:
"Daran aber sind vor ihm schon ganz andere gescheitert."

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