Montag, 3. September 2018

AfD beobachten?

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen vom 3.9. in einem Leitartikel erklärt, warum Teile der AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollten:


Jürgen Marks leitet mit klaren Worten ein:
"Die AfD ist gefährlich. Die Partei bedroht den gesellschaftlichen Grundkonsens. Die Akzeptanz demokratischer Prozesse, Pressefreiheit und Gastfreundschaft sind deutsche Werte. Die Alternative für Deutschland pfeift auf diese Werte."
Dieser Einordnung lässt sich die Definition von Rechtsextremismus des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Seite stellen:
"Im Rechtsextremismus herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheide über den Wert eines Menschen. Eine auf diesen Kriterien fußende 'Volksgemeinschaft' als Gegenentwurf zur bestehenden pluralistischen Gesellschaftsordnung würde zentrale Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung missachten. Rechtsextremistische Agitation ist geprägt von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus sowie einer grundsätzlichen Demokratiefeindschaft."
Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) schreibt zum Rechtsextremismus:
"Gewünscht wird ein starker Staat, der nach innen und außen verlorene Stärke und Geschlossenheit rekonstruiert. Gefordert wird eine völkisch legitimierte, im Gegensatz zur herrschenden angeblich 'wahre' Demokratie sowie Identität von Volk und Führung.
Der bzw. das Fremde steht außerhalb dieser Gemeinschaft und hat auch dort zu bleiben."
Aus den beiden letzten Zitaten wird klar, dass es nicht notwendig ist, "Flüchtlinge [zu] verprügeln oder Journalisten gewaltsam aus den Verlagen [zu] zerren", um als politisch extrem zu gelten. Jürgen Marks weiter:
"Viele von ihnen, auch die, die in Sachsen bei den Protesten mit laufen, sind einfach unzufrieden mit der Politik der so genannten etablierten Parteien und der angeblich einseitigen Berichterstattung vieler Medien. Viele AfD-Anhänger sind keine Rechtsradikalen."
Teile der Unzufriedenen sammeln sich hinter der AfD. Sie seien jedoch "keine Rechtsradikalen". Wobei der Begriff unpräzise ist:
"Von Radikalismus spricht man in der Extremismusforschung nicht."
Der Verfassungsschutzbericht 2017, Seite 44, gibt eine gut verständliche Leitlinie des Rechtsextremismus:
"Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse ist im rechtsextremistischen Weltbild entscheidend für den Wert eines Menschen. Diesem 'völkischen' Kriterium sind auch die Bürger- und Menschenrechte des Einzelnen untergeordnet."
Extrem rechts ist demnach, wer Bürgerrechte davon abhängig machen will, welcher Ethnie, Nation oder Rasse die betreffende Person angehört (völkischen Kriterium). Wer bei ausländischen Straftätern ohne Wenn und Aber "Abschieben!" ruft, ist demnach extrem. Wer ständig "das deutsche Volk" gegen "die Zuwanderer" stellt und ihnen entlang dieser Linie Rechte zubilligen oder entziehen möchte, ist demnach extrem. Es ist also nicht notwendig, gewalttätig zu werden, um sich zu Recht dem Vorwurf, rechtsextrem zu sein, auszusetzen. "Flüchtlinge verprügeln" wird nur ein kleiner Teil der AfD-Sympathisanten - hoffentlich, muss man hinzufügen.
"Die AfD dirigiert die Proteste, zum Teil offen, zum Teil verdeckt. Und am Ende fischt sie ihre Wählerstimmen aus dem Becken der von ihr Aufgewiegelten. Dieser perfide Plan gelingt vor allem in Sachsen."
Jürgen Marks sieht die Ursache in einer "mangelnden Aufarbeitung der deutschen Nazi-Geschichte in der DDR". Hans Vorländer, Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der Technischen Universität (TU) Dresden, sieht in Sachsen ein besonderes Phänomen:
"Es hat ein ausgeprägtes Opfer-Narrativum. Viele denken, dass sie Opfer nicht beherrschbarer Entwicklungen wurden. Das kulminiert in der Zerstörung von Dresden am 13. Februar 1945."
Das mag eine Sondersituation für Sachsen oder die östlichen Bundesländer beschreiben.
"Doch auch im Westen, auch bei uns in Bayern gibt es eine wachsende Zuwendung zur AfD. Obwohl unsere Landschaften blühen und wirtschaftlicher Erfolg eine bayerische Erfindung zu sein scheint."
Dies ist ein Indiz, dass es eben nicht nur Unzufriedenheit mit der Politik ist, die Wähler der AfD zutreibt. Eine gewisse Sympathie für die dünnen politischen Inhalten der Partei, mindestens jedoch für deren Narrative erscheint höchst plausibel. Das macht die Wähler noch nicht zu Nazis - ein oft gebrachter Vorwurf. Aber wer - siehe oben - eine völkische Argumentation nutzt und völkische Konsequenzen ableitet, bewegt sich im Feld der Rechtsextremen. Jürgen Marks nennt "das nicht zu unterschätzende Gefühl, dass es in Deutschland nicht mehr gerecht zugeht" als Beispiel:
"Wenn Medien über die hohen staatlichen Aufwendungen für Flüchtlinge berichten, erhalten sie Reaktionen alleinerziehender Mütter oder Senioren mit Kleinrenten, die sich vergleichsweise ungerecht behandelt fühlen."
Die Reaktionen mögen ebenso verständlich sein wie ein Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Nicht verständlich ist es jedoch, weniger für die Anderen einzufordern, anstatt mehr für sich. Doch genau damit jonglieren die Rechtspopulisten. Die Anderen erhielten ungerechtfertigt zu viel, deshalb müsse ihnen etwas genommen werden. Im Ergebnis soll es dann Lebensmittelmarken geben und windigste Unterkünfte. Am besten bleiben die alle draußen, die Festung Europa (Meuthen auf dem AfD-Parteitag in Augsburg) müsse unüberwindbar werden. Damit ist zwar nicht den "Senioren mit Kleinrenten" geholfen. Doch das spielt keine Rolle, wo "irrationale Angst" grassiert.
Mit Jürgen Marks wundere auch ich mich:
"Es ist unverständlich, warum Bundesinnenmister Horst Seehofer (CSU) sich dagegen sperrt, zumindest die Hardliner innerhalb der Partei vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Denn Leute wie der Thüringer Fraktionschef Björn Höcke spielen offen mit einer Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut. Höcke will den Rechtsextremismus salonfähig machen."
Spontan komme ich auf die Frage, ob sich Seehofer für die CSU eine Koalitionsoption offen halten will?
Der Verfassungsschutz schreibt zur Beobachtung der AfD:
"Seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend prüft der Verfassungsschutzverbund fortlaufend, ob Bestrebungen vorliegen, die den Kernbestand des Grundgesetzes zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen. Auch im Falle der AfD werden offene Indizien wie Aktivitäten, Aussagen oder eine potenzielle Zusammen­arbeit mit extremistischen Gruppierungen gesichtet und bewertet, ob es sich um Einzelmeinungen und -agitationen oder um eine parteipolitische Leitlinie handelt.
Derzeit sind keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte ersichtlich, die eine Beobachtung der AfD als Partei durch den Verfassungsschutzverbund begründen würden." 
Dem kann man folgen. Die Partei insgesamt mag (bis vor Chemnitz) zu wenig eindeutig verfassungsfeindlich sein. Dennoch gibt es - Jürgen Marks nennt Björn Höcke und Alexander Gauland beispielhaft - Radikale in der Partei. Hier schreibt Jürgen Marks:
"Eine Beobachtung dieser Radikalen wäre eine klare Kante des Rechtsstaats."
Womöglich nicht mehr, denn die Betreffenden haben eine gewisse Professionalität entwickelt im Überschreiten von Grenzen, dem anschließenden Dementi und dem Gegenvorwurf, falsch verstanden, falsch zitiert worden zu sein.
Die Hoffnung Jürgen Marks' teile ich nicht:
"Vielleicht würden dann auch die AfD-Sympathisanten verstehen, wie gefährlich diese Partei ist, der sie folgen."
Nein, würden sie nicht. Denn sie sehen ja die Gefahr nicht in der AfD und ihrer Politik, sondern in den von ihnen so genannten "Systemparteien". Letztere gefährden das deutsche Volk. Es könnte sein, dass ein paar Protestwähler abspringen. Sicher nicht abspringen werden die, die das rechte Narrativ der AfD teilen. Die scheinen in der Überzahl.

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