Freitag, 6. Juli 2018

Illusion Seehofer

Margit Hufnagel hat in der Augsburger Allgemeinen am 6.7. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem sie die politischen Volten von Horst Seehofer mit Houdinis Entfesselungskünsten vergleicht:


Margit Hufnagel schreibt, Seehofer könnte politischer Nachfolger des größten "Entfesselungskünstlers aller Zeiten" sein:
"Horst Seehofer braucht keine Helfer, er legt sich kurzerhand selbst in Fesseln, ehe er bald darauf den Befreiungsschlag verkündet."
Erstaunlich dabei:
"Und tatsächlich gibt es Wähler, die dem Innenminister mit den scheinbar übernatürlichen Kräften applaudieren: Die Umfragewerte der CSU in Bayern jedenfalls steigen überraschenderweise an."
Es ist tatsächlich erstaunlich, dass Seehofers Politshow applaudierende Zuschauer findet. Er gibt den bayerischen Raufbold, ein Image, das es zu pflegen gelte. Dabei ist es das Wesen der Demokratie, eben nicht durch Rauflust und Dominanz zu Lösungen zu kommen, sondern gemeinsam an der besten Lösung zu arbeiten. Doch das sind nicht die Kategorien der CSU. Ihr geht es um das Durchsetzen, wie man an der Maut sehen konnte und zuletzt am Asylstreit. Seehofer hat "[d]ie Rolle des Märtyrers [...] nicht geschreckt". Auch hier wieder das Bild vom Durchsetzen, diesmal aus der anderen Perspektive. Was bleibt:
"Die Frage ist, ob Seehofer wirklich dauerhaft die Deutungshoheit über die Debatte um seine Person zurückbekommt. Ob die Anmutung des Wahnsinnigen an ihm hängen bleibt. Oder ob die Erzählung vom letzten prinzipientreuen Politiker auf fruchtbaren Boden fällt."
Man muss Seehofer zubilligen, dass er "konsequent bleibt bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus". Politiker werden oft kritisiert, zu sehr als Fähnchen im Wind zu hängen. Seehofer ist konsequent, was nicht zu schwer ist, denn er hat die gefühlte Stimmung im Land hinter sich. Und in der AfD einen willfährigen Helfer. Doch:
„Ein Gesamtkonzept hat der Innenminister nicht vorgelegt.“
Deshalb ist die Frage von Margit Hufnagel, ob Seehofer der tapfere Sachpolitiker sei, klar beantwortet: Nein. Denn in der Sache ist nichts erreicht. Und tapfer ist es auch nicht, auf der populistischen Welle zu reiten. Die Fiktion den Nichteinreise ist ein Zaubertrick, denn die juristische Überprüfung ist ausständig. In einer „testosterongesteuerten Gegnerschaft zu Merkel“ mit dem Autokraten Orbàn oder dem FPÖ-Koalitionär Kurz auf einer Wellenlänge zu liegen, ist ebenfalls nur eine Illusion von verantwortungsvoller Politik.
Der Begriff des Entfesselungskünstlers sollte für Seehofer weiter gefasst werden. Nicht nur, dass er sich aus Situationen zu entfesseln vermag, er entfesselt auch die rechten Kräfte der CSU. War die CSU vor 2015 die Partei der Mir-san-mir-Bayern, wurde sie später die Partei der Bleibts-mir-weg-Bayern. Der Illusion anhängend, es dürfe rechts der CSU keine legitimierte Partei geben, wurden die offenbar inzwischen als Fesseln empfundenen Leitlinien des Christlichen, des Gemeinsamen, letztendlich der europäischen Idee abgeworfen. Die Wählerstimmung folgt dieser nationalen Illusion, die von der AfD vorgedacht wurde und inzwischen Mainstream ist. Damit hat Seehofer auch die Kräfte weiter freigelegt, die  Europa unterminieren und alles, was dieses Europa ausmacht. Houdini wollte unterhalten, er war darin erfolgreich. Seehofer will Politik, ernsthafte Politik, betreiben, liefert aber nur Unterhaltung. Unterhaltung, die auf die Nerven geht. Vielleicht wacht Deutschland eines Tages auf und stellt fest: Seehofer war nur eine Illusion.

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