Samstag, 30. Dezember 2017

The same as every year

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 30.12. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er einen Abriss der zukünftig notwendigen Flüchtlingspolitik gibt:


Walter Roller wiederholt zum Ende des Jahres 2017 seine Positionen, die er mehrfach veröffentlicht hat und die ich in meinem Blog zusammengetragen habe. Weiterhin tarnt er als Analyse, was sprachlich und inhaltlich kaum zu unterscheiden ist von den Äußerungen der AfD und CSU. Und weiterhin lässt er die dem Thema angemessene Trennschärfe vermissen, wenn er beispielsweise unter der Überschrift "Flüchtlingspolitik" die "Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung" als "dringlichste politische Aufgabe" anführt.
Walter Roller kennt auch die feinere Klinge, die den Texten innewohnende Schärfe wird dadurch jedoch nicht gemildert. Er benennt die "Masseneinwanderung von Menschen aus der muslimischen und afrikanischen Welt" als die Ursache für die Veränderung des politischen Klimas und die Spaltung der Gesellschaft. Er führt die "Willkommenskultur" als eines der "um die Meinungsführerschaft" ringenden Lager an. Merkels "Einwanderungspolitik" sei eine "großherzige, im europäischen Alleingang vollzogene", die "längst jenen Zusammenhalt [gefährde], auf den jede Gesellschaft angewiesen" sei. Eine "Veränderung der Bevölkerungsstrukturen" sei "ohne hinreichende demokratische Rückversicherung" herbeigeführt worden - vor knapp zwei Jahren nannte er es noch demokratisches Defizit. Die "Furcht Einheimischer vor dem Verlust kultureller Identität" müsse berücksichtigt werden, damit "ein Mindestmaß an gesellschaftlichem Konsens ermöglicht" werde. Das ist in Details, nicht jedoch im Grundlegenden anders als sein Leitartikel vom 12.4.2016, bei dem ich mir bereits eine Erwiderung oder Widerlegung verkniffen und lediglich die Schärfe herausgearbeitet hatte.
Selbstverständlich sollen die Menschen wissen, "wohin die Reise gehen soll und wie der Staat den inneren Frieden bewahren, die Sicherheit seiner Bürger gewährleisten und 'französische Verhältnisse' (islamische Parallelgesellschaften) verhindern will". Nur hilft es dabei nichts, von Masseneinwanderung, Gutmenschentum etc. zu sprechen. Nötig wäre zum Beispiel eine Analyse der Fehler Frankreichs, die Parallelgesellschaften begünstigt haben. Nötig wäre eine Analyse der Sicherheitssituation: gefühlt ist sie desolat wegen der angeblich hohen Straffälligkeit von Ausländern. Wenn der Beitrag des SWR zur Kriminalstatistik stimmt, trügt das Gefühl, denn die meisten Straftaten betreffen Schwarzfahrten und ähnliche Vermögens- und Erschleichungsdelikte. Berichte mit großer Medienbreite über Gewalttaten von Asylbewerbern tun das ihre für dieses Gefühl. Walter Roller schreibt ja selbst:
"Die Realität sieht anders aus."
So wird - behauptet Walter Roller - aus "der 'nationalen Kraftanstrengung' (Merkel), abgelehnte Asylbewerber verstärkt abzuschieben" nichts. Vielleicht würde es Walter Roller helfen, sich mit Markus Söder die Nachhilfe des BR-Magazins "quer" anzuschauen. Söder hatte behauptet, 500 000 abgelehnte Asylbewerber würden nicht abgeschoben. Nach Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien blieben lediglich 32 000 übrig. Das Magazin forderte von Söder Aufklärung statt Hetze - Walter Roller sollte sich dies auch zu Herzen nehmen.
Deutschland sei Einwanderungsland, schreibt Walter Roller und behauptet einen "Verlust kultureller Identität". Nach Zahlen des CIA World Factbooks ist Deutschland mit seiner Migrationsrate von 1,5 (EU-Schnitt: 2,5) auf der Rangliste der Einwanderungsländer auf Platz 54. Richtig ist, dass es in Deutschland einen positiven Wanderungssaldo gibt. Walter Roller behauptet, es würden "[w]eit über 200 000 Menschen [...] heuer hier eintreffen". Er qualifiziert das nicht und lässt unklar, ob es Asylerstanträge sind, Asylanträge insgesamt, ob das brutto (also nur Einreisen nach Deutschland) oder netto (Ein- abzgl. Ausreisen) ist. Das BAMF nennt in seiner Statistik für November 2017 diese Zahlen:


Das sind insgesamt knapp 190 000 Anträge und knapp 170 000 Erstanträge bis November. Auf diese Unklarheit türmt Walter Roller nun die Behauptung, die "Aufnahmekapazität und Integrationskraft des Landes [sei] überfordert" und deshalb sei "die Zahl der Flüchtlinge dauerhaft auf ein verkraftbares Maß zu begrenzen". Er lässt unklar, was Aufnahmekapazität sei und was Integrationskraft. Worthülsen. Meint er zu wenig Wohnungen? Die Huffington Post berichtet im November 2017 von fehlenden Wohnungen und abnehmenden Bauanträgen. Auf im November berichtet der Focus, von 1990 bis heute sei die Zahl der Sozialwohnungen um 60% gesunken. Dessen ungeachtet stößt Walter Roller in das Horn, das auch die AfD bläst: Migranten, Asylanten, Ausländer, Flüchtlinge - mit begrifflichen Feinheiten muss man sich hier nicht aufhalten - sind an so vielem Schuld.
Als Garnitur setzt Walter Roller die Einzigartigkeit Deutschlands in Szene:
"Kein Land Europas ist so hilfsbereit wie Deutschland, das niemanden, der 'Asyl' begehrt, abweist und jeden ordentlich versorgt."
Zu Beginn schrieb er "Willkommenskultur", damit die Einzigartigkeit im rechten Licht leuchte. Weiter:
"Das Recht auf Asyl ist unantastbar und bliebe auch bei einer - großzügig bemessenen - 'Obergrenze' von 200 000 jährlich gesichert."
Walter Roller widerspricht sich in diesem Satz selbst, da das Asylrecht keine Obergrenze kennt, ob die "großzügig" bemessen sei oder nicht. Was wäre sie wert, wenn sich eine Entwicklung wie in 2015 wiederholte?
Ein Hinweis von Walter Roller ist im Grundsätzlichen richtig:
"Es geht darum, die Chancen der Migration zu nutzen und zugleich den Blick für die Risiken zu schärfen. Vonnöten ist ein Gesetz, das Verfolgten und [...] und Kriegsflüchtlingen Schutz bietet, den Zuzug von Arbeitsmigration an den Interessen des Landes ausrichtet."
Allerdings: wie scharf soll denn der "Blick für die Risiken" noch werden nach all dem, was zuvor im Leitartikel geschrieben wurde? So scharf blicken wie die AfD? Und die CSU? Und inzwischen auch die FDP? Islamisierung? Alle Deutschen müssen sich bewaffnen? Vergewaltigungen hinter jedem Baum und jedem Strauch? Massenhaft Einbrüche - ach so, das waren ja die osteuropäischen Banden.
Walter Roller übersieht, dass ein solches Einwanderungsgesetz  - wenn es denn so heißen soll - allein nicht reichen wird. Vielleicht braucht es Änderungen an Gesetzen zum Wohnungsbau, zur Aus- und Berufsbildung, zur Anerkennung von ausländischen Qualifikationen. Vielleicht braucht es mehr Qualität in der Anwendung von Gesetzen, der Fall Anis Amri zeigt dies eindrücklich.
Walter Roller meint:
"Für eine solch realistische, mit Herz und Verstand gemachte Politik wäre die Zustimmung einer großen Mehrheit der Wähler gewiss."
Wenn es bloß so wäre! In seinem Vorschlag vermag ich weder Herz noch Verstand zu erkennen. Das Herz ist kalt, nicht warm, wie er Glauben machen möchte. Verstand würde helfen bei der Diskussion um Migration, Asyl und Schutz. Doch den bedient Walter Roller nicht, er zielt auf den Bauch. Mit dieser Methode gelang der AfD der Einzug in den Bundestag. Wieder nix mit der staden Zeit.

Donnerstag, 28. Dezember 2017

Fantastische Nationen

Winfried Züfle hat in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 28.12. einen Leitartikel  veröffentlicht zu den aktuellen Bestrebungen in einzelnen Teilen Europas, sich mehr auf den Nationalstaat zu besinnen:


Winfried Züfle schreibt, "[n]nationalistische Tendenzen machen sich in immer mehr Regionen Europas breit" und fragt:
"Hat dieser Trend nicht auch gute Seiten? Träumen nicht viele sogar von einem 'Europa der Regionen'?"
Er führt später an den Beispielen Katalonien und Schottland aus:
"Sie streben kein 'Europa der Regionen' an. Sie wollen vielmehr neue Nationalstaaten ausrufen und damit neben die Regierungen in Madrid und London treten. Einen Europa-reformerischen Ansatz verfolgen sie nicht."
Abgesehen von den von Winfried Züfle angesprochenen Problemen - Abstimmungen, Staaten erster und zweiter Ordnung - stellt sich die Frage, welchen Nutzen der Rückzug auf den Nationalstaat überhaupt bringen soll. Richtig ist der Hinweis von Winfried Züfle auf das Subsidiaritätsprinzip, nach dem Aufgaben möglichst weit unten gelöst werden sollen und nur solche Aufgaben weiter oben, die dort besser gelöst werden können. Als Lachnummer europäischen Versagens wird an dieser Stelle gerne die Gurkenkrümmung angeführt, ein sagenhaftes Beispiel für Einmischung von oben - sagenhaft, weil es bei genauer Betrachtung nicht das Beispiel ist, für das es gehalten wird. Man wird dennoch Fälle finden, in denen eine europäische Entscheidung nicht der Weisheit letzter Schluss war. Dennoch rechtfertigt das nicht, die europäische Gemeinschaft insgesamt in Frage zu stellen. Niemand bringt sein Auto auf den Schrottplatz, weil ein Blinkerbirnchen kaputt ist.
Ohne große Diskussion dürfte bei folgenden Themenkomplexen Einigkeit erzielbar sein über den Nutzen eines gesamteuropäischen Auftritts:
  • Außenpolitik
  • Migration, Asyl
  • Sicherheitspolitik incl. behördlicher Kooperation bei Polizei und anderen Sicherheitsorganen
  • Wirtschaftspolitik incl. dem Verhandeln von Handelsvereinbarungen
  • Energiepolitik
Manch andere Politikfelder sind eine zwingende Konsequenz aus dem, was als gemeinsame Errungenschaft Europas gilt. Wer die Personenfreizügigkeit will, muss sich über den Abbau von Grenzen Gedanken machen. Wer einen gemeinsamen Wirtschaftsraum will, muss über den Abbau von Unterschieden nachdenken - das Beispiel Mobilfunk-Roaming zeigt, dass dies auch zu unmittelbarem Nutzen für die Bürger führen kann. 
Winfried Züfle zeigt am Beispiel Südtirols "die gelungene Integration einer aufbegehrenden Region in einen Staat". Die Autonomiebewegungen zeigen, dass sie kein rationales Anliegen haben, auch wenn sie es so darstellen. Wirtschaftlich starke Regionen (z.B. Katalonien) wollen sich vom Rest des Landes abspalten, weil sie so viel in den gemeinsamen Topf einzahlen und so wenig daraus bekommen würden. Mag sein. Doch bleibt offen, was die Differenz noch wert ist, wenn davon ein eigenständiger Staat finanziert werden müsste. Der Brexit hat gezeigt, mit welchen Halb- und Unwahrheiten ein ganzes Land aus Europa hinausgelogen werden kann. 
Insbesondere die Rechtspopulisten haben den Nationalstaat als ihr Vehikel entdeckt. Und viele Wähler fallen auf die Hohlformel herein, weil "ein mögliches Verschmelzen zu den 'Vereinigten Staaten von Europa' bei Bürgern und Politikern" ein "Unbehagen" auslöst. Dieser populistische Nationalstaat ist eine Chimäre:
  • Ungarn macht die Grenzen entlang des Staatsgebietes dicht, um die sich über den Balkan nähernden Flüchtlinge abzuhalten. Das Staatsgebiet ist Ungarn wurscht, wenn es um Doppelpässe für außerhalb Ungarns lebende Menschen geht, sofern sie eine Ahnenlinie nachweisen können. Widerspruch wurde abgeblockt mit dem Hinweis auf die Souveränität Ungarns, also wieder einem staatsgebietlich angelegten Konstrukt.
    Ähnliche Bestrebungen erwähnt Winfried Züfle im Zusammenhang mit Südtirol und den Überlegungen der neuen Wiener Regierung, Südtirolern mit deutscher oder ladinischer Muttersprache die doppelte Staatsbürgerschaft anzudienen. Nicht von der Hand zu weisen ist hierbei der Verdacht, es gehe um Beschaffung neuer loyaler Wähler. Richtig absurd wird das Ganze vor dem Hintergrund, dass auch in Österreich doppelte Staatsbürgerschaften (vor allem türkische) abgeschafft werden sollen.
  • In der AfD wünscht man sich kameradschaftlich deutsche Weihnachten:


    Die Ursprünge des Weihnachtsfestes, die lokal und "personell" nichts mit Deutschland zu tun haben, werden dabei ausgeblendet und "nach alter Tradition" gerufen. Offen bleibt dabei, was das für eine Tradition sei.
  • Donald Trump macht mit seinem "America first" den (nord)amerikanischen Kontinent gleich zu den USA. Wobei natürlich US-Interessen keineswegs an das Staatsgebiet gebunden sein sollen.
  • André Poggenburg von der AfD forderte "Deutschland den Deutschen". Im Wahlprogramm wurde ein europäisches Staatsvolk explizit negiert (Seite 7), stattdessen wird "dem Ideal freier Völker" gefrönt. Offen bleibt, was das Staatsvolk ausmachen soll: Ist es der Geburtsort, ist es eine Ahnenlinie, ist es der Pass, die Staatsbürgerschaft? Klar ist nur, dass die Kriterien sich wandeln je nach verfolgtem Zweck. 
Der populistische Brei des Nationalstaates ist angerührt aus geografischen, (mutter)sprachlichen, kulturellen und geburtlichen Ingredenzien in veränderlichen Anteilen. Es wird in großer Beliebigkeit jene Zutat betont, die zweckdienlich erscheint. Es wird auf eine angebliche Tradition verwiesen, selbst wenn die Ursprünge der Tradition in einem fremden Kulturkreis zu suchen sind. Es wird auf eine angeblich lange Geschichte verwiesen, auch wenn das aktuelle Staatsgebiet erst vor wenigen Jahrzehnten entstand. Nationalstaaten der Populisten sind Fantasmen, herbeifabuliert von Demagogen, um die größer (komplexer) gewordene Welt in leicht verdauliche Häppchen zu vereinfachen. Populistischer Brei ist am leichtesten zu Schlucken.
Winfried Züfle hat grundsätzlich recht, wenn er die Regionen für Europa betont. Doch ein Europa der Regionen wird nur funktionieren, wenn diese nicht ein Surrogat für den Nationalstaat abgeben. Es wäre nichts gewonnen, wenn nicht Österreich gegen Deutschland, sondern Kärnten gegen Sachsen wäre. Den Populisten dienen Nationalstaaten als fantastisches Konstrukt, um "Uns" und "die Anderen" zu separieren. Regionen lassen sich für die gleiche Trennung instrumentalisieren. Solange manche Menschen in Europa das Gefühl haben, sie verdienten mehr als sie haben, ihnen stünde mehr zu als sie aktuell bekommen oder jemand gefährde ihre Besitzstände, solange werden sie geschickten Demagogen auf den Leim gehen und sich holen, was ihnen vermeintlich zusteht - und wenn es das ganze Land ist, wie Alexander Gauland nach der Bundestagswahl verkündet hatte. Dann folgen auf fantastische Nationalstaaten fantastische Regionen und die europäische Idee hätte nichts gewonnen. Und die braunen Köche reiben sich die Kochlöffel.

Mittwoch, 20. Dezember 2017

Österreich als Vorbild?

Rudi Wais hat am 18.12. in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen die Regierungsbildung in Österreich kommentiert:


Rudi Wais schreibt, Österreich mache Deutschland vor, wie es geht und lobt:
„Niedrigere Steuern, eine gezielte Entlastung der Familien, rigide Maßnahmen gegen illegale Migration, weniger Bürokratie, mehr Polizisten und 1200 Euro Mindestrente für langjährig Versicherte“
Zwei Leserbriefschreiber verleihen ebenfalls ihrer Freunde Ausdruck:


Die Bedeutung der landeseigenen Bevölkerung sei erkannt, eigene Interessen seien zurückgestellt und Probleme der Bürger aufgegriffen. Und das alles in relativ kurzer Zeit, wobei Rudi Wais schreibt, die Ausgangslage sei für Kurz ähnlich gewesen wie die Merkels.
Ich frage mich, was Rudi Wais mit Ausgangslage meint. Bereits im Wahlkampf und im Wahlprogramm hat sich die Liste Kurz (ÖVP) inhaltlich der FPÖ angenähert, so dass die nunmehrige Koalition unausweichlich war. Einen solchermaßen verbundenen Partner hat Merkel nicht: Jamaika ist geplatzt und die SPD stapelt ihren Preis immer höher.
Ich frage mich außerdem, was am Regierungsprogramm so toll sein soll:
  • Bei der Angelobung der neuen Regierung wies der Bundespräsident explizit auf das Schutzbedürfnis der Schwächsten hin, in Kenntnis des Programms.
  • Asylbewerber sollen nur noch Sachleistungen erhalten. Man entzieht ihnen somit Teilhabemöglichkeiten und wundert sich anschließend über Parallelgesellschaften. Verstärkt wird das durch sog. Brückenklassen, also „Sonderklassen“ für Kinder von Asylbewerbern.
  • Bundeswehr, Polizei und Geheimdienste unterstehen einem Minister der rechtspopulistischen FPÖ, der zudem als Putinversteher die Haltung der EU gegenüber Russland wegen Krim und Ukraine als falsch ansieht.
  • Die Arbeitsmarktpolitik erinnert an das in Deutschland kritisierte Hartz IV. So sollen beispielsweise zumutbare Wegzeiten erheblich verlängert werden, das Arbeitslosengeld mit der Bezugsdauer sinken, die Aktion 20000 zur Förderung Älterer reduziert werden.
  • Der Familienbonus soll nicht negativsteuerfähig sein, weshalb er Geringverdienern nichts bringen wird.
  • Die europarechtliche Exportpflicht soll gelöst werden, was zu einer Reduzierung erworbener Renten führen würde, die ins (europäische) Ausland bezahlt werden - europarechtlich bedenklich.
  • Abschaffung des Lagezuschlagsverbotes im Mietrecht würde zu einer deutlichen Verteuerung der wiener Mieten führen.
Es scheint, als ob das politische Talent Sebastian Kurz auch in Deutschland für solche Begeisterung sorgt, dass sich der kritische Blick in rosa Wolken verliert.

Sonntag, 17. Dezember 2017

Jude als Schimpfwort

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 16.12. die judenfeindlichen Ausschreitungen in Berlin kommentiert:


Walter Roller schreibt:
"Die Kanzlerin will 'mit allen Mitteln des Rechtsstaats' gegen die judenfeindliche Gewaltrhetorik muslimischer Zuwanderer einschreiten. Gut so."
Ja, gut so. Allerdings sieht Walter Roller ein Messen mit zweierlei Maß:
"Antisemitische Agitationen und Übergriffe, häufig als antizionistisch verbrämt, müssen tabu sein – ob sie nun von ganz rechts, ganz links oder aus arabischen Communitys heraus begangen werden. Aber es sieht so aus, als ob mit zweierlei Maß gemessen wird. Hätten Neonazis derart massiv gegen Juden und Israelis gehetzt, wären die öffentlichen Proteste wohl lautstärker ausgefallen. Im dringend notwendigen 'Kampf gegen rechts' und die schändlichen Straftaten deutscher Rechtsradikaler droht übersehen zu werden, was sich da in Kreisen muslimischer Einwanderer zusammenbraut – sei es aus falsch verstandener Toleranz, sei es wegen des Versuchs, diese Schattenseite der Masseneinwanderung auszublenden."
Interessant, wie Walter Roller die Ursache des seiner Ansicht nach zu leisen öffentlichen Protestes allein "falsch verstandener Toleranz" oder dem Versuch, "diese Schattenseite der Masseneinwanderung auszublenden" zuschreibt. Völlig außer Acht bleibt dabei, welchen Bezug rechtsradikaler Antisemitismus zur deutschen Öffentlichkeit hat im Gegensatz zum muslimischen. Treten Rechte antisemitisch auf, ist es irgendwie "Wir", das berührt das Selbstbild, das verteidigt werden muss. Treten Muslime antisemitisch auf, sind es "Andere". Die Anderen haben mir dem Selbstbild und dem eigenen Ich nichts zu tun. Ein lauter Protest kann unterbleiben, weil es ja ohnehin die grundverdächtigen Einwanderer aus einem anderen Kulturkreis betrifft. Eine Welle, die die AfD derzeit reitet und die sich als Verteidiger der Juden aufspielt - tatsächlich jedoch ihren Anti-Antisemitismus als Deckmantel für ihren Antimuslimismus instrumentalisiert. Hinzu kommt ein weiterer Argumentationspfad: "Gutmenschen" sind zu wenig alarmiert, zu tolerant, blenden Schattenseiten aus - sehen die denn nicht, was da in Massen eingewandert ist? Nochmals ein Grüppchen "Anderer", auf die es sich bequem zeigen lässt.
Walter Roller schreibt weiter:
"Es sind hunderttausende junger Männer gekommen, denen von früher Jugend an der Hass auf die Juden eingetrichtert wurde. Sie bringen diesen Hass [...] 'in ihrem Gepäck mit', wie es der algerische Schriftsteller Daoud formuliert. Der politisierte, in manchen Moscheen gepredigte Islam macht sich dies zunutze [...]"
Ja, Antisemitismus ist in bestimmten Ländern, in bestimmten Gesellschaften weit verbreitet. Deshalb fällt Antimuslimen ihre aktuelle projüdische Haltung quasi in den Schoß. Die Deutschen mögen im Angesicht der eigenen Geschichte ein wenig resilienter sein, völlig gefeit sind sie nicht, wie der Expertenbericht Antisemitismus auf Seite 72 zeigt:


Keine Frage, Aufrufen zu Gewalt und oder andere gräuelleugnende Aussagen unterliegen dem Strafgesetz. Hier ist rechtsstaatliches Handeln gefordert. Allerdings wirft Walter Roller zu vieles in einen Topf:
"Dass an manchen deutschen Schulen 'Du Jude' zum Schimpfwort geworden ist, Bürger jüdischen Glaubens in Angst vor Übergriffen von Muslimen leben und auf deutschen Straßen 'Juden ins Gas' gebrüllt wird, ist alarmierend und muss schleunigst unterbunden werden – durch einen entschlossen handelnden Rechtsstaat, der Gesetze durchsetzt, seine (jüdischen) Bürger schützt und keinen multikulturellen 'Rabatt' gewährt."
"Juden ins Gas" ist qualitativ etwas anderes als "Du Jude". Antisemitisch sind beide Äußerungen, ohne Zweifel. Doch was soll ein entschlossen handelnder "Rechtsstaat, der Gesetze durchsetzt" an deutschen Schulen, wenn dort "'Du Jude' zum Schimpfwort geworden ist"? Da wäre mit gescheiter Bildungsarbeit wohl mehr auszurichten. Nicht immer ist der Griff zum Hammer - Walter Rollers Lieblingswerkzeug und erster Reflex - das zielführende Mittel.

Conclusio

  • Antisemitismus - egal von wem - darf keinen Platz in der Gesellschaft haben.
  • Antimuslimismus, der sich als Anti-Antisemitismus tarnt, darf keinen Platz in der Gesellschaft haben.
  • Der entschlossen handelnde Rechtsstaat ist nicht allein gefordert, um gegen Antisemitismus zu kämpfen.

Sonntag, 10. Dezember 2017

Zukünfte in Europa

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 9.12. kommentiert, ob und in wie weit eine Zentralisierung Europas Zukunft sein könne:


Walter Roller sieht zwei Philosophien aufeinander prallen:
"Mit Macrons und Junckers Vorschlägen ist das Feld bereitet für eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Zukunft Europas, in deren Verlauf zwei Philosophien aufeinanderprallen. Hier die französisch-italienische, die 'Solidarität' über die Eigenverantwortung jeder Nation stellt und die Nivellierung der Wirtschafts- und Sozialpolitiken anstrebt. Dort die 'deutsche', die auf die Budgethoheit der gewählten nationalen Parlamente pocht und Leistungen der Gemeinschaft an Spar- und Reformanstrengungen knüpft."
Nicht zu vergessen: Macron ist der diesjährige Karlspreis zuerkannt worden für Verdienste um Europa. Ich lasse ungeachtet, ob eine verstärkte Solidarität zu einer Erosion der Eigenverantwortung führt, wie es im Kommentar durchschimmert; war es schon immer eines der Ziele der EU, die Lebensbedingungen anzugleichen, mithin eine "Nivellierung der Wirtschafts- und Sozialpolitiken" anzustreben. Walter Roller verkürzt mit seinen Ausführungen de n Denkrahmen auf "Budgethoheit" und "Spar- und Reformanstrengungen". Wesentlich treffender sind da die Ausführungen von Mark Leonard, Direktor im European Council on Foreign Relations:
"Even without a Jamaica coalition, Germany still has a stable liberal majority in the Bundestag. The same cannot be said for the rest of the EU, where almost every other member state is now a '50-50 society': half cosmopolitan, half communitarian. In these countries, the government at any given time represents whichever side won the latest round in an ongoing culture war."
Die zwei Philosophien, von denen Walter Roller schreibt, sind nicht "Geld verschleudern" vs. "Geld beisammenhalten", sondern Gemeinschaft vs. Individualität, vielleicht Liberalismus. Die Budgethoheit ist dabei nur eine Facette. Frankreich und Deutschland sind ein Beispiel, das auf Budgetseite Pole zeigt: Hier gemeinsame Schulden und gemeinsame Budgethoheit, dort nationale Schulden und nationale Budgethoheit. Ein anderes Beispiel bieten die Visagrád-Staaten, die sich mit dem Argument nationaler Kompetenzen sogar von dem verabschieden, was über Jahrzehnte als gemeinsamer Wertekanon Europas galt.
Dennoch ist die Frage Walter Rollers richtig, wo die Zukunft Europas gesucht werden sollte:
"Deutschland wird, sobald eine neue Regierung steht, Farbe bekennen und darlegen müssen, wie weit es sich auf die Pläne Macrons einlässt."
Macrons Pläne sind ein Debattenbeitrag, kein in Europa final diskutiertes mögliches Ziel. Sie sind deshalb nicht der Belzebub, dem mit Weihwasser begegnet werden muss. Andererseits: Ohne gemeinsames Auftreten der Europäer wird Durchsetzungskraft verschenkt, weshalb Walter Roller einräumt:
"Richtig ist: Die EU muss stärker und handlungsfähiger werden. Die Liste der Aufgaben, die nur gemeinsam zu schaffen sind, ist lang. Sie reicht von einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Einwanderungspolitik bis hin zum Kampf gegen Steuerdumping und einer digitalen Offensive."
Ausgelassen hat er Wirtschaftspolitik. Ohne große öffentliche Aufmerksamkeit hat Europa mit Japan die EU-Japan Economic Partnership Agreement (EPA) geschlossen und am 8.12. in einer Pressemitteilung verlautbart:
"The Economic Partnership Agreement will remove the vast majority of the €1 billion of duties paid annually by EU companies exporting to Japan, as well as a number of long-standing regulatory barriers. It will also open up the Japanese market of 127 million consumers to key EU agricultural exports and will increase EU export opportunities in a range of other sectors."
Wirtschaftspolitik ist ein Aspekt, aber nicht der einzige Aspekt, an dem entlang die Zukunft Europas diskutiert werden kann und muss. Slawomir Sierakowski bietet eine Erklärung an, warum Deutschland so besonders vehement alles ablehnt, was auch nur im Ansatz nach "Vergemeinschaftung von Schulden" klingen könnte:
"Germany, however, has little enthusiasm for EU-level economic reforms, because it benefits from the status quo. A common monetary policy in the absence of a common fiscal policy creates an imbalance that works decidedly in Germany’s favor. Because Germany, the eurozone’s largest economy, shares a currency with poorer member states, it enjoys an artificial boost to export competitiveness."
Sierakowski meint sogar:
"Germany has essentially dropped an anchor that is now preventing all of Europe from moving forward."
Sollte Sierakowski richtig liegen und Deutschland tatsächlich durch die gemeinsame Währung mit ärmeren EU-Staaten profitieren, weil die Exportmöglichkeiten verbessert werden, muss sich Walter Roller die Frage gefallen lassen, warum er so vehement auf den deutschen Sparstandpunkt steht. Vielleicht liegt es am Zerrbild, das er zeichnet:
"Doch ein gleichmacherisches, von fernen Brüsseler Mammutbehörden gelenktes Europa, das den Wettbewerb zwischen den Staaten verhindert und die Kompetenzen des Nationalstaats über Gebühr aushöhlt, geriete zum Irrweg."
Walter Roller nennt es Luftschlösser, was die SPD anstrebt: Die Vereinigten Staaten von Europa bis 2025. Richtig. Man frägt sich, welch Teufel die SPD geritten hat bei dieser Forderung. Sierakowski vermutet politischen Selbstmord:
"Hans Kundnani of the German Marshall Fund surmises that by voting for the Euroskeptic FDP and the far-right Alternative für Deutchland (AfD), rather than the CDU and SPD, German voters have already expressed their views on Macron’s plan to reform the eurozone. If he is right, the SPD would be committing political suicide if it supported EU-level reforms."
So wird es sein. Die SPD hat in den letzten Jahren ihre (Stamm)Wählerschaft verloren und anstatt sich zu überlegen, wie sie wieder mehr Wählerzuspruch gewinnen kann, vergrößert sie den Abstand.
Dennoch: Die Debatte um die Zukunft Europas muss geführt werden. Ein großer Fragenkomplex ist der, was europäisch besser gelöst werden kann und was national. Denen, die so sehr nationale Eigenheiten behaupten, sei mit Mark Leonard entgegnet:
"Earlier this year, a Brookings Institution report tried to determine if Europe is an 'optimal political area,' a concept borrowed from economist Robert Mundell’s theory of 'optimal currency areas.' The report concluded that cultural and institutional differences between EU countries have not changed much over the past three decades of European integration. But it also found that the divisions between countries are far smaller than the differences within countries. Or in other words, on the issue of freedom of movement, there is greater polarization between London and the British Midlands than between the UK and Poland."
Die Diskussion muss ernsthaft beginnen und bis zur Klärung fortgeführt werden. Aber nicht mit verkürzten Argumenten.

Sonntag, 3. Dezember 2017

Paket-Wahnsinn

Sarah Schierack hat am 2.12. in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen einen Bericht kommentiert, in dem die Konsequenzen einiger Lieferdienste auf die starke Zunahme der versendeten Pakete geschildert wurde:


Im Bericht heißt es:
"Erstmals scheinen einige Paketdienste auch hierzulande ein ähnliches Szenario zu befürchten (mehr Pakete als die Dienste transportieren können, Anm.). Der zum Otto-Konzern gehörende Dienstleister Hermes hat als erster Logistiker mit Online-Händlern fest vereinbart, wie viele Pakete er transportieren wird. Hermes will nur noch so viele Sendungen zum Kunden bringen, wie nach realistischer Einschätzung auch wirklich befördert werden können. Alles, was darüber hinaus bestellt wird, bleibt entweder im Lager oder muss von den Paketboten eines anderen Unternehmens transportiert werden."
Weiter heißt es, es gäbe "zu wenig Zusteller, zu wenig Fahrzeuge, zu wenig Platz, um die Sendungen zwischenzulagern". Die Paketdienste rüsteten auf bei Personal, bei Fahrzeugen, bei Lager- und Logistikzentren. Dennoch:
"Das Weihnachtsgeschäft sei eine 'Kraftprobe für die gesamte deutsche Logistikbranche'."
Ja. Genauso wie der Berufsverkehr eine Kraftprobe für den öffentlichen Nahverkehr ist. Würden die Stadtwerke Augsburg Fahrgäste abweisen, weil die Kapazitäten nicht vorhanden sind, ein Proteststurm würde losbrechen - zu Recht übrigens.
Die Logistiker denken über Alternativen nach:
"Um die Paketströme besser zu steuern, denken einige Logistiker bereits über Alternativen zur bequemen Zustellung an der Haustür nach. Wie die Wirtschaftswoche berichtet, erwägen Paketdienste wie Hermes oder DPD, die Lieferung bis an die Türschwelle zu einer Extra-Leistung zu machen. 'In der Zukunft könnte es so kommen, dass die Paketdienste standardmäßig an den Paketshop liefern und die Lieferung zur Haustür dann zum Beispiel 50 Cent extra kostet', sagte DPD-Geschäftsführer Boris Winkelmann dem Magazin."
Im Kommentar schreibt Sarah Schierack, der "Paket-Wahnsinn" nehme immer mehr zu und vermutet, Empfänger müssten sich "in der nahen Zukunft also daran gewöhnen [...], Pakete an einer Sammelstelle, in einem Paketshop oder direkt im Laden abzuholen." Es drohe "irgendwann ein Verkehrskollaps [...], wenn immer mehr Paketautos durch die Orte fahren." Die Umwelt leide zudem, wenn "immer mehr Päckchen durch das Land geschickt" werden.
Es ist nicht sehr gewagt, eine weitere Zunahme des Versandhandels zu erwarten, der Bericht spricht von etwa einem Drittel bis 2021. Nur:
  • Wird es die angesprochenen Umweltprobleme lösen, wenn die Kunden mit ihren Autos einzelne Pakete im Paketshop abholen? Kaum.
  • Wird es die Lagerprobleme lösen, wenn die Lagerflächen nicht mehr beim Logistiker, sondern im Paketshop vorgehalten werden? Nein.
  • Ist es kundenfreundlich, wenn sich die Kunden in zig verschiedenen Paketshops ihre Pakete zusammenklauben müssen? Nein.
Die Überlegungen der Logistiker sind unausgegoren. Vielleicht sind die Logistiker mit Zusatzgebühren für die Hauszustellung diejenigen, die als erstes aus dem Markt verschwinden, weil sich das kein Kunde bieten lassen wird. Die Händler würden auch darunter leiden und sich verstärkt Logistikern ohne Zusatzgebühren zuwenden, Monopolisierung droht.
Sarah Schierack hätte den Logistikern mutiger die Leviten lesen sollen. Eine naheliegende Idee ist, dass es Sammelstellen gibt, in die alle Logistiker Pakete bringen und von denen die Kunden alle ihre Pakete unabhängig vom Logistiker abholen können oder die Pakete von dort zentral an die Kunden ausgeliefert werden. Das würde zumindest einige der Liefertouren sparen, wenn die Sammelstelle die Sendungen konsolidieren würde (z.B. nach Familienname, nach Hausanschrift etc.).
Der Versandhandel ist erfolgreich, weil er für die Kunden bequem ist. Die Logistiker sollten sich hüten, diese Errungenschaft leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Samstag, 2. Dezember 2017

Christliche Verfehlung

In der Augsburger Allgemeinen vom 2.12, wurde ein Leserbrief von Rudolf Uhrle veröffentlicht:


Rudolf Uhrle fordert vom Papst, er solle "sich gefälligst mehr um die in aller Welt verfolgten Christen kümmern" und er solle "nicht in einem buddhistischen Land schlaue Reden halten".
In der gleichen Ausgabe der AZ findet sich ein Bericht über die Situation in Myanmar und Bangladesch. Andrea Kümpfbeck beleuchtet dort beeindruckend, wie eine als friedlich geltende Religion - der Buddhismus - im "Rohingya-Konflikt, der seit Jahrzehnten schwelt und gerade wieder eskaliert ist", ethnischer Säuberungen (UN) und Völkermord (Menschenrechtsorganisationen) betreibt. Ein paar Schilderungen von Andrea Kümpfbeck:
"Die Geschichten, die die Überlebenden im Elendslager von Cox’s Bazar erzählen, sind grausam. Sie handeln von Folter und Unterdrückung, von Massenvergewaltigungen, öffentlichen Erschießungen, von abgebrannten Dörfern und verschwundenen Familienangehörigen."
"Denn die Regierung Myanmars bestreitet, dass es sich bei den Rohingya um eine Volksgruppe handelt."
"Denn radikale buddhistische Mönche, die aus ihrem Glauben eine aggressive Nationalideologie gemacht haben, tun sich beim Hass auf die Rohingya besonders hervor. 'Ultranationalistische Mönche säen seit Jahren Hass und Gewalt, durch Predigten, die Verbreitung von Schriften, CDs und soziale Netzwerke', sagt Benedict Rogers, Myanmar-Experte der Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity Worldwide."
"Mönch Wirathu, der gerne mit dunkler Sonnenbrille auftritt und wegen seiner Hasspredigten auf Muslime auch 'Hitler Burmas' genannt wird, begründet seine Hetze mit der vermeintlich drohenden Islamisierung des zu 90 Prozent buddhistischen Myanmars."
Da werden Menschen gefoltert, massenvergewaltigt, von der Regierung ignoriert. Da darf ein "Hitler Burmas" sein Unwesen treiben. Der Papst besucht die Gegend und Andrea Kümpfbeck berichtet:
"Papst Franziskus hatte schon im August die Verfolgung der Rohingya scharf verurteilt."
"Er forderte Hilfe für die bedrängte Minderheit: 'Lasst uns weiter zusammenarbeiten, damit wir sicherstellen können, dass ihre Rechte anerkannt werden.'"
Ich vermag im Gegensatz zu Rudolf Uhrle keine schlaue Rede zu erkennen. Ich vermag in seinem Leserbrief insbesondere keinerlei christliche Haltung zu erkennen, deren Grundprinzip die Nächstenliebe ist. Falls sich Rudolf Uhrles Nächstenliebe nur auf Christen bezieht, sollte er schleunigst Nachhilfe nehmen. Denn wenn es um Transportkarren auf dem Friedhof geht, nimmt er es sehr genau. Seine christliche Haltung sollte er genau so genau nehmen.

Samstag, 25. November 2017

Kein "Weiter so!"

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 25.11. den Machtkampf in der CSU kommentiert:


Walter Roller beschreibt die Situation in der CSU treffend:
"Ausgerechnet die CSU, deren große Stärke über Jahrzehnte hinweg die Geschlossenheit im Ernstfall war, bietet ein Jahr vor der Landtagswahl das Schauspiel eines mit brutaler Härte geführten, selbstmörderischen Machtkampfes."
Es wurde den ganzen Tag diskutiert:
"Doch am Ende eines langen, von 'Kameradschafts'-Appellen geprägten Tages zauberte der Meister des politischen Strippenspiels nur einen Rat der CSU-Weisen aus dem Hut, der ihm nun – hört, hört! – zur Seite stehen soll beim Entwurf einer 'befriedenden Zukunftslösung'."
Es kreißte der Berg und gebar: ein Strippenspiel mit dem Titel:
"Niemand weiß, was Seehofer im Schilde führt."
Der Kampf zur Bundestagswahl wurde geführt mit dem Hashtag #Klartext. Nach dem Wahlkampf wird klar, dass die CSU diesen Begriff für sich selbst nicht (er)füllen kann. Sie will zwar "keinen Königsmord auf offener Bühne", jedoch scheut sie auch "die offene Feldschlacht". Dabei sei die "Ersatzbank der CSU ist mit Söder, Aigner, Weber, Herrmann, Dobrindt ordentlich bestückt".
Ordentlich ist eine bemerkenswerte Vokabel für diese Ansammlung politischer Figuren. Herrmann als bayerischer Innenminister, der auf den harten und durchsetzungsstarken Staat setzt. Dobrindt, der sich im neuen Bundestag als Landesgruppenchef um Absicherung der rechten Flanke zur AfD bemüht und sich nicht scheut, auf deren Gebiet zu agieren. Und Söder, der seine Macht und seine Schar als Tänzer auf vielen Hochzeiten und großzügiger Gönner ausgebaut hat.
In einem Interview mit der AZ meinte Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld:
"Den Leuten weiterhin einen Hahnenkampf vorzuführen, damit sind sie auch in Bayern nicht erfolgreich. Dessen sind die Wähler überdrüssig."
Nicht nur des Kampfes kammgeschwollener Hähne sind die Wähler überdrüssig. Ebenso überdrüssig sind sie des Hin und Hers, das die CSU im Wahlkampf bot. Rote Linien, die dann keine waren, Stichwort Obergrenze. Mal für, mal gegen Merkel.
In einem anderen Bericht der AZ schreibt Uli Bachmeier:
"Zu dem Bild von dem Mann, der am Abgrund steht, gesellt sich gestern noch eine zweite Parabel, mit der Seehofers Kritiker und Söders Unterstützer sich Mut machen. Ein erfahrener Parteistratege erzählt sie so: 'Wir haben das Problem alter Löwe – junger Löwe. In der Natur gewinnt immer der junge Löwe – es ist nur die Frage, wann der alte Löwe in der Einsamkeit verschwindet.'"
Schön wär's, denn dann ist Ruhe. Doch das ist nicht zu erwarten, wie immer die Personaldiskussion ausgehen wird. Denn: in einem Jahr ist Landtagswahl.
Martin Ferber kommentiert in der gleichen Ausgabe der AZ:


Martin Ferber schreibt:
"Doch es geht weder um Merkel und Schulz, sondern um Deutschland und Europa. Es wird höchste Zeit, den politischen Stillstand zu überwinden und eine stabile, handlungsfähige Regierung zustande zu bringen."
Ja, das ist der Kontext, in dem der Machtkampf der CSU aufgeführt wird. Und der dämmernde Wahlkampf für die Landtagswahl 2018. Walter Roller schreibt:
"Sie [die CSU, Anm.] steht 2018 in Bayern vor der nahezu unlösbaren Aufgabe, die alleinige Macht gegen sechs Parteien (SPD, Grüne, FDP, AfD, Freie Wähler, Linke) zu verteidigen. Das ist, wenn überhaupt, nur mit geschlossenem Auftreten und einem neuen Spitzenkandidaten zu schaffen, der Erneuerung und frischen Wind verkörpert."
Das sind erschütternde Aussichten. Die CSU wird bis zur Wahl ihren Fokus in Bayern haben, um die alleinige Macht zu verteidigen. Wie bisher schon wird sie in der AfD ihre ärgste Widersacherin sehen und sich von ihr dennoch die Themen oktroyieren lassen und ihre "Lösungen" kopieren. Damit bekommt Merkel nicht, was sie will und was Deutschland und Europa braucht. Noch schlimmer wird es, wenn sich die CSU auf das Mindeste (Walter Roller) einigen kann:
"Teamgeist ist das Mindeste, was so ein Tandem im Wahljahr haben muss – sonst geht der Schuss für die CSU nach hinten los und der Streit weiter."
In einer Koalition mit der CSU bekommt Merkel einen unter innerem und äußerem Druck stehenden Partner, der sehr mit sich selbst beschäftigt ist und dabei Deutschland und Europa Bayern unterordnet. Eine "stabile, handlungsfähige Regierung", die in der Lage ist, sich "um Deutschland und Europa" verdient zu machen, lässt sich allein aus CDU und SPD bilden - die Mehrheiten im Bundestag geben dies her. Das wäre auch ein klares Signal an Europa, dass in Deutschland kein Rechtsruck bevorsteht. Eine Wohltat in Anbetracht der Entwicklungen in einigen Ländern Europas, zuletzt in Österreich.

Samstag, 18. November 2017

Schnittchen

Walter Roller hat den Stand der Sondierungen zur Bildung einer Bundesregierung in der Augsburger Allgemeinen vom 18.11. kommentiert:


Walter Roller nennt "Schaukämpfe und Muskelspiele" ein Teil des Repertoires von Koalitionsverhandlungen. Momentan laufen zwar erst die Sondierungen, also Vorgespräche zu Koalitionsverhandlungen. Dennoch werden Muskeln gezeigt, denn:
"So geht das in der Politik, und daran ist ja insofern nichts Verwerfliches, als der Wähler im Gegenzug für seine Stimme standfeste Interessenvertretung erwartet und das Streben nach gestalterischer Macht zur Demokratie gehört."
Das Problem beschreibt Walter Roller so:
"Auf diese vom Wähler herbeigeführte Konstellation war niemand vorbereitet – weder in der Sache noch mental."
Niemand war auf ein solches Wahlergebnis vorbereitet, für den Wahlkampf hat jede Partei ihr Profil geschärft und will natürlich Teile davon in der zukünftigen Regierung realisiert wissen:
"Die kleineren Partner hingegen wollen mit ihren Kernanliegen zum Zug kommen, um unter Merkel erkennbar zu bleiben. Was der FDP die Steuerentlastung, ist den Grünen die Klimapolitik."
Nicht zu vergessen die CSU, die kleinste der kleinen Parteien nach dem amtlichen Endergebnis mit nur 46 Sitzen. In der rechnerisch einzig möglichen Koalition ohne AfD müssen die vier Parteien sich zusammenraufen, um "Deutschland instabile Verhältnisse zu ersparen". Eine stabile Koalition braucht mindestens 355 Sitze im Bundestag.
Walter Roller hält auf vielen Feldern Kompromisse für möglich und benennt den Brennpunkt:
"Die wirkliche Sollbruchstelle liegt in der Zuwanderungspolitik. Hier liegen Welten zwischen der CSU und den Grünen. Hier geht es um ein Thema, das Identität und Glaubwürdigkeit der Parteien unmittelbar tangiert und das ganze Land ungleich mehr umtreibt als der Soli oder der Ausstieg aus der Kohle.
Im Streit um den Familiennachzug kommt der grundsätzliche Unterschied zum Vorschein: Die Grünen wollen Zuwanderung nur 'steuern', die Union will – wie es in den Papieren der Unterhändler heißt – eine 'Begrenzung der Migration insgesamt'."
Diese Sollbruchstelle für Jamaika bezeichnet nicht nur unterschiedliche Lösungsansätze für politische Probleme, sondern sie ist Ausdruck des großen strategischen Versagens der CSU. Sie hat mit einigem Hin und Her das Thema Asyl, Flüchtlinge, Migration zu einem Brei gerührt. Dieser Brei war schlussendlich so diffus, dass die CSU selbst es nicht mehr geschafft hat, in ihren Aussagen im Wahlkampf die unterschiedlichen Aspekte dieses Themenkomplexes auseinander zu halten. Dem Geschrei der AfD suchte die CSU zu begegnen durch ähnlich hohe Lautstärke und durch Vorschläge, die nur noch schwer von denen der AfD zu unterscheiden waren. Die CSU hat sich als die einzige demokratisch legitimierte rechts-konservative Kraft dargestellt.
Das Ergebnis in der Bundestagswahl war, dass in Bayern die AfD - demokratisch legitimiert! - das beste Ergebnis in den alten Bundesländern eingefahren hat. Darüber kann man sich nicht wundern, denn das Hin und Her der CSU im Wahlkampf hat den Wählern gezeigt, dass wirkliche rechts-konservative Politik nur mit der AfD möglich sein wird - dass es dabei weit rechts hinausgehen kann, wurde als Kollateralschaden in Kauf genommen.
Die CSU hat aus dem Versagen nichts gelernt und zeigt sich weiter lernresistent vor dem Hintergrund:
"Die CSU, das ist wahr, hat jede Sekunde die Landtagswahl 2018 im Blick. Sie riskierte bei einem Verzicht auf den – übrigens großzügig bemessenen – Richtwert von 200.000 Zuwanderern jährlich den Niedergang."
In der Hoffnung, im Landtag die absolute Mehrheit halten zu können, gibt Alexander Dobrindt den starken Mann in den Sondierungen. Er klammert sich weiter an den Richtwert, der im Bayernplan noch Obergrenze genannt wurde. So wird er kaum der AfD Wähler abspenstig machen können. Denn die AfD kann härter, rechter, extremer auftreten, weil sie als Opposition ja nicht auf Kompromisse und realisierbare Politikvorschläge angewiesen ist. Was also will die CSU so weit rechts gewinnen können - außer Blumentöpfen?
Die CSU nimmt sich mit solcher Kraftmeierei selbst die Handlungsspielräume, die eine vernünftige koalitionäre Politik braucht. Wenn sie Zugeständnisse macht, wird sie die nur der Regierungsbildung Willen machen, nicht aus Überzeugung. Im Februar habe ich das Nachgeben der CSU im Wahlkampf für einen "Fake-Frieden" gehalten. Ich fürchte, dass es in den Sondierungen davon eine Neuauflage geben könnte: die CSU stimmt oberflächlich zu, behält jedoch ihren vermeintlichen Markenkern im Hinterkopf und das Gezänk geht alsbald wieder los.
Mir stellt sich die Frage, ob nicht eine Koalition ohne die CSU ähnliche Stabilität für das Land verspricht wie eine mit der CSU. Ohne CSU fehlen einer Koalition aus CDU, Grünen und FDP weniger als zehn Stimmen. Je nach Entscheidung könnten die sich finden in den Oppositionsparteien. Das gäbe der CSU die Chance, ihre strategische Fehlleistung zu analysieren und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dann klappt auch die Abgrenzung zur AfD im Landtagswahlkampf 2018 besser.

Donnerstag, 9. November 2017

Storchennest - Beatrix' Bildungsmisere

Beatrix von Storch hat am 9.11. einen Tweet retweetet und so dazu aufgerufen, das "Schul- und Bildungsniveau in Deutschland" wieder anzuheben:


Eine Forderung, der man sich ohne weiteres anschließen kann, liegt doch im Bildungsbereich einiges im Argen. Doch Beatrix von Storch geht den entscheidenden Schritt weiter und beweist im "Selbstversuch", wie notwendig es ist, Schul- und Bildungsprobleme anzugehen. 
Die Augsburger Allgemeine berichtet am 9.11. über ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach dem intersexuellen Menschen einen Anspruch haben auf ein drittes Geschlecht im Geburtenregister. Die AZ schreibt erklärend:
"Intersexualität kann sich an den Chromosomen, den Hormonen oder den anatomischen Geschlechtsmerkmalen zeigen. Der Begriff der Intersexualität wird zum Teil auch für Personen verwendet, die genetisch eindeutig dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, aber aufgrund hormoneller Störungen eine Vermännlichung der äußeren Geschlechtsorgane aufweisen. Im Gegensatz dazu sind Transsexuelle Menschen mit einem eindeutigen biologischen Geschlecht, die sich jedoch psychisch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen und deshalb für sich oft medizinische Eingriffe zur Anpassung ihres Körpers an das psychische Geschlecht wählen."
Zu diesem wegweisenden Urteil nun zeigt Beatrix von Storch, wie weit sie zwar in Mathe aufgepasst hat und weiter als bis drei zählen kann, im Fach Biologie jedoch nicht so viel mitgenommen hat:


Sie hat das Urteil nicht verstanden, nimm die biologische Fundierung des dritten Geschlechts nicht zur Kenntnis, vermischt irgendwie die vielen Geschlechter, die in Facebook einstellbar sind, und die (psychologischen) Geschlechterrollen (Gender) mit den biologischen Geschlechtern. Bitte, Bildungspolitiker, gehen Sie die Bildungsmisere endlich an!

Donnerstag, 2. November 2017

Medien in sozialer Verantwortung

Die jüngsten Erkenntnisse um russischen Einfluss bei den Präsidentschaftswahlen in den USA hat Jürgen Marks am 2.11. kommentiert:


Jürgen Marks sieht die "bisherigen Befürchtungen" belegt:
"Russland hat tatsächlich die Wahl von Donald Trump zum mächtigsten Mann der Welt durch Fake News in sozialen Online-Medien unterstützt.
Mehr als 120 Millionen Amerikaner haben bei Facebook, Google und Youtube manipulierte Berichte gelesen und Videos geschaut, die politische Lügen, Verdrehungen und falsche Behauptungen verbreitet haben."
Das rührt an den Grundfesten der Demokratie, weil es die politische Willensbildung der Bürger zur Farce werden lässt. Erschwerend hinzu kommt, dass es die Souveränität von Staaten untergräbt, wenn ausländische Mächte solch versteckten Einfluss ausüben.
In Deutschland habe es solche Vorkommnisse noch nicht gegeben, doch erste Ansätze gibt es:
"Doch auch in Deutschland nimmt die Zahl der russisch gesteuerten Nachrichten zu. Bei Deutschrussen beliebte Online-Medien mit Namen wie Sputnik und RT Deutsch sind gespickt mit Falschmeldungen."
Solche Falschmeldungen bringen Menschen auf die Straße, als beispielsweise ein russlanddeutsches Mädchen über Tage nicht auffindbar war. Zur Stimmungsmache taugen Falschmeldungen allemal und je nach Thema haben sie ein enormes Mobilisierungspotential.
Jürgen Marks sieht die "amerikanischen Plattformen [...] als Handlanger" eingespannt und schreibt:
"Kein verantwortungsvolles Medienhaus der demokratischen Welt hätte sich von den Online-Agenten aus dem Kreml derart benutzen lassen, wie es Google, Facebook und Co. getan haben."
Eingespannt ja, aber keinesfalls als Opfer. Jürgen Marks zeigt damit auf den Kern des Problems, wenngleich er ihn nicht trifft: Ist Google, ist Facebook ein "verantwortungsvolles Medienhaus" oder etwas anderes? Jürgen Marks zieht Parallelen zwischen diesen Plattformen und dem deutschen Verlagswesen:
"Zudem ist es an der Zeit, dass die Internet-Giganten aus dem Silicon Valley endlich die Verantwortung für die Inhalte auf ihren Plattformen übernehmen. In Deutschland ist sich jeder Verleger der Pflicht bewusst, Beiträge vor der Veröffentlichung zu prüfen."
Nun, ein Zeitungsverlag wird sich natürlich anschauen, was er veröffentlicht, weil es ja unter seinem Namen geschieht. Facebook hingegen sieht es nicht als eigene Veröffentlichung, sondern als eine des Nutzers. Der Vergleich hinkt also -  ein Telefonanbieter ist auch nicht verpflichtet, über seine Leitungen nur Wahrheiten zu schleusen. Oder: Ist der Inhaber eines Copy-Shop haftbar, wenn jemand seinen Nachbarn als pädophil denunziert und dafür 100 Kopien eines Pamphlets anfertigt, um sie im Dorf auszuhängen? Eben.
Jürgen Marks stellt die Frage:
"Was ist also falsch daran, bei Online-Plattformen ähnliche Maßstäbe anzulegen wie bei Verlagen?"
Vieles. Weil sie keine Plattformen sind, die Beiträge in eigener Verantwortung online stellen. Nur weil das Ergebnis (die Veröffentlichung) vergleichbar ist, sind es die Kontexte nicht. Dabei spielt es kaum eine Rolle, dass es schwierig sein mag, solche Konzerne zur Einhaltung lokaler Rechte zu verpflichten. Jürgen Marks schreibt weiter:
"Es wäre eine lohnende Aufgabe für die EU, die Fake-News-Schleudern in den Mitgliedstaaten zu stoppen."
Durchaus kann eine Regierung versuchen, Lügen zu unterbinden. Dass "Fake-News-Schleudern" oft keine Menschen, sondern "automatisierte Software-Schnipsel (Social Bots)" sind, macht das Problem drängender, weil die schiere Masse der Lügen bereits einen Eindruck von Wahrheit vermittelt.
Jürgen Marks sieht eine Lösung:
"Nur wenn tatsächlich geharnischte Strafen drohen, werden sich Google, Facebook, Twitter und Co. zu mehr Verantwortung und Transparenz bekennen. Die mächtigen Konzerne haben Milliardengewinne angehäuft. Ein Teil des Geldes für Filterprogramme und bessere Kontrollen der Inhalte einzusetzen, ist nicht zu viel verlangt."
Oh doch, das ist zu viel verlangt. Es obläge dann den Plattformen zu entscheiden, was bleibt und was gelöscht wird. Wer sagt denn, dass dies mit der Gewissenhaftigkeit eines verantwortungsvollen Verlegers geschähe? Man könnte nicht mehr über "Zinnsoldaten in Reih und Glied" schreiben, weil das sexuell anzüglich wäre. Oder wie beim Netzdurchsetzungsgesetz, das Plattform-Betreiber verpflichtet, Beiträge zu löschen, wenn sie gemeldet werden. Dass Beiträge gelöscht werden, die falsch sind, mag noch angehen. Dass Beiträge gelöscht werden, deren Wahrheit anderen missfällt, jedoch nicht. Auch wenn ich mich wiederhole: soziale Medien nennen sich Medien, sie sind aber keine Medien wie Zeitungen und Fernsehen.
Der Schlüssel liegt wo anders. Facebook und Co leben davon, dass Anwender möglichst viel Zeit auf der Plattform verbringen und mit möglichst viel Werbung konfrontiert werden bzw. mit ihr interagieren. Fake-News führen dazu, dass Anwender auf der Plattform gehalten werden, weil sie zum Lesen und Teilen und Kommentieren einladen. Das schafft ein Gruppengefühl, weil die Anwender bestimmte Themen ähnlich sehen, und das Gruppengefühl verleitet zum längeren Bleiben. Für die Plattform werden Fake-News erst dann zum Problem, wenn Anwender ihr den Rücken kehren wegen der Fake-News. Vielleicht ist es eine Frage der Bildung, wie anfällig Anwender für Fake-News sind. Vielleicht ist es eine Frage, wie viel Selbstwert Einzelne aus Likes ziehen. Letztendlich sind die sozialen Medien ein Spiegel unserer Selbst. Wenn Lügen als Mittel zur Durchsetzung von Interessen genutzt werden "wollen", werden sie es auch auf solchen Plattformen. Wir werden uns fragen müssen, wie viele Lügen wir akzeptieren und welche Konsequenzen wir ggfs. ziehen wollen. Fragwürdige Strafen und intransparente Filterprogramme sind es keinesfalls.

Montag, 30. Oktober 2017

Heiße Luft oder Sturm?

Martin Ferber hat in seinem Artikel am 30.10. den Stand der Sondierungen zu einer Jamaika-Koalition analysiert:


Martin Ferber zeigt sich überrascht, mit welcher Geschwindigkeit die dunklen Wolken aufzogen:
"Dass der Weg nach Jamaika lange und beschwerlich werden würde, war allen Beteiligten von Anfang an bewusst. Dass es aber so schnell zur Krise kommen würde, überrascht denn doch."
Weiter schreibt er:
"Die ersten Verhandlungen zu den Themen Klimaschutz und Migration erwiesen sich als ein bloßer Austausch der jeweiligen Maximalforderungen – gepaart mit der Aufforderung an alle anderen, Bereitschaft zum Kompromiss zu zeigen, ohne selber von seinen Positionen abzurücken. Zu viele rote Linien aber führen in die Sackgasse, aus der kein Herauskommen mehr möglich ist."
Als Zuschauer reibt man sich die Augen und fragt sich, ob das noch Verhandlungstaktik ist oder schon Sturheit. Natürlich darf jede Partei in den Gesprächen wiederholen, was sie im Wahlprogramm versprochen hat. Allerdings muss auch klar sein, dass ein Wahlprogramm keine Politik ist, sondern eine Politikabsicht mit der Präambel "Falls ich alleine regierte, dann ...".
Welch Wirkung das Wahlprogramm auf das politische Verhalten hat, beschreibt Martin Ferber so:
"Unübersehbar ist, dass in allen Parteien die Angst vor dem ungewöhnlichen Bündnis und seinen möglichen Folgen größer ist als der Mut, bewährte Pfade zu verlassen und politisches Neuland zu betreten."
Angst ist das Stichwort, das die Wahl und die jetzigen Sondierungen überformt. Allerdings ist es vor allem die Angst vor der AfD:
  • Die etablierten Parteien ließen sich die Themen für den Wahlkampf von der AfD diktieren.
  • Als der Einzug der AfD absehbar war, sollte der dienstälteste und nicht mehr der lebensälteste Parlamentarier die konstituierende Sitzung eröffnen.
  • Die Grünen fordern verstärkte Öffentlichkeit in Ausschüssen, um die AfD bloß zu stellen -  die AZ hat berichtet.
  • Die CSU ist nur noch ein Schatten ihrer selbst und versucht, die AfD auf der Standspur rechts zu überholen.
Als ob die politische Linie der AfD so neu wäre in Deutschland, dass die Panik gerechtfertigt wäre. Bisher war dieses Gedankengut in anderen Parteien versteckt. Nun türmt es sich zu einem braunen "gärigen Haufen" (Alexander Gauland) auf und durchbricht die beschauliche Oberfläche der Bundespolitik. Alle starren auf diesen Haufen, Merkels "Spielraum für Kompromisse" schwindet, Seehofer "kämpft gar ums politische Überleben". Die FDP kokettiert im Übermut ihres erneuten Einzuges in den Bundestag mit ihrer Bedeutung, droht mit der Opposition. Die Grünen sind teilweise regierungswillig (Realos), teilweise nicht - vielleicht sogar regierungsunfähig (Fundis).
Martin Ferber schreibt:
"Damit Jamaika gelingen kann, weil es angesichts des Wahlergebnisses gelingen muss, ist als erstes eine verbale Abrüstung erforderlich. Die jeweiligen Maximalpositionen sind hinlänglich bekannt und müssen nicht täglich lautstark wiederholt werden. Wer vom anderen Bereitschaft zum Kompromiss einfordert, muss sie selber unter Beweis stellen. Die Union braucht einen Erfolg bei der Migration und Zuwanderungsbegrenzung, die Grünen beim Klimaschutz, die FDP in der Steuerpolitik. Das lässt sich über kluge Beschlüsse organisieren, in denen sich alle Seiten wiederfinden."
Recht hat er, doch der Zuschauer reibt sich stärker die Augen, es schmerzt langsam. Da sitzen vier Parteien beieinander, die das Hohe Lied der politischen Verantwortung singen und die Demokratie hochhalten. Allenthalben verlautbarten sie, Demokraten müssten gegen die AfD zusammenstehen - nun stehen sie zusammen gegeneinander. Gleichzeitig ignorieren sie das Grundprinzip demokratischen Handelns: den Kompromiss. Was könnte entstehen, wenn
  • die Union die Stimme eines modernen deutschen Konservativismus wäre
  • die Grünen Umwelt- und vielleicht soziales Gewissen wären
  • die FDP der liberale Wächter vor überbordendem Staatsagieren mit Blick auf das in Zukunft Kommende wäre
Aus dieser Mischung ließe sich ein großer Teil der Antworten rühren auf die Fragen, die sich Deutschland, Europa und der Welt derzeit stellen. Doch vor lauter Angst vor der lauten AfD fällt den Köchen der Rührlöffel aus der Hand und sie nehmen das Stöckchen auf, das die AfD ihnen hinhält. So wird das kein Sturm, der die Luft reinigt. So ist die Ankündigung, die AfD mit guter Politik bekämpfen zu wollen nur heiße Luft - mit gärigem Eindruck.

Samstag, 28. Oktober 2017

Storchennest - Beatrix' Rechtsauffassung

Beatrix von Storch hat sich geäußert zur Frage, ob der Islam eine Religion sei und deshalb Religionsfreiheit nach dem deutschen Grundgesetz genießt:


Nach Beatrix von Storch könne eine Religion keine Religionsfreiheit genießen, soweit sie Zivil- und Strafrecht regele. Frau von Storch, als Denkanstoß ein paar der christlichen Zehn Gebote, die genau das regeln:
  • Du sollst nicht töten
  • Du sollst nicht stehlen
  • Du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen wider Deinen Nächsten 

Seien Sie konsequent. #TrauDich

Mittwoch, 18. Oktober 2017

Demos Emotio regiert

Jüngst gab es den Vorschlag, einen muslimischen Feiertag einzuführen, die Augsburger Allgemeine berichtete beispielsweise über das Entsetzen in der CSU. Walter Roller kommentierte in der Ausgabe vom 18.10. die Diskussion:


Walter Roller schreibt, es stünde jedem Muslim frei, "seinen Glauben zu leben und nach seiner Fasson glücklich zu werden". Allerdings bedürfe es dazu nicht eines islamischen Feiertages. Denn "Deutschland [sei] christlich-jüdisch geprägt; die Feiertagskultur [spiegele] dies wider". Ich frage mich, warum dann im deutschen Feiertagskalender so wenig Überschneidung mit dem Kalender jüdischer Feiertage zu finden ist. Mit der behaupteten jüdischen Mitprägung kann es nicht weit her sein, wenn sich diese nicht in der "Feiertagskultur" widerspiegelt. Das Argument der Prägung ist deshalb nicht stichhaltig. Zudem: Bei etwa 82,3 Millionen Einwohnern in Deutschland sind 46 Millionen Mitglied der katholischen oder evangelischen Kirchen; das ist etwas mehr als die Hälfte. Reicht die Hälfte, um von einer Prägung zu sprechen?
Die behauptete Prägung sei "ein Stück von dem Kitt, der das Land" zusammenhalte, Identität vermittele. Es ist jedoch keine religiöse Identität, die mit den die Prägung widerspiegelnden Feiertagen generiert wird. Wie viele Bürger begehen die Feiertage in Hinwendung zur Religion und wie viele nutzen die Feiertage als freie Tage? Die Feiertage mögen eine religiöse Grundlage haben. Von dieser Grundlage haben sie sich großteils abgekoppelt und für die Mehrheit der die Feiertage konsumierenden Bürger ist die Grundlage nicht mehr relevant. Anders gesagt: auch Atheisten und Muslime haben am Ostermontag frei, Christen müssen nicht beten oder in die Messe.
Walter Rollers eigentliches Argument wird klar mit den beiden Sätzen:
"Warum daran rütteln in einer Zeit, die ja dringender denn je der selbstbewussten Pflege von Tradition und der Besinnung auf Herkunft bedarf?"
"Zweitens schürt dieser Vorstoß nur die diffuse Angst vor einer schleichenden, aus falscher Toleranz hingenommenen 'Islamisierung' des Landes."
Warum bedarf es "dringender denn je" einer "selbstbewussten Pflege von Tradition", einer "Besinnung auf Herkunft"? Ja, Traditionen sollen gepflegt werden, schon weil sie als Teil des kulturellen Erbes ein Wert an sich sind. Allerdings darf die Pflege eigener Traditionen nicht einher gehen mit einer Ausgrenzung und Abwertung anderer Traditionen. Walter Roller sagt es selbst: "nach seiner Fasson glücklich werden", seiner eigenen. Gebetsmühlenartig wird dies für Nicht-Christen eingeschränkt, weil die behauptete Prägung des Landes dies nicht anders zulasse. Mit einer solchen Sicht wird Kultur statisch, obwohl die Geschichte zeigt, wie wandelbar kulturelle Sachverhalte sind. Herkunft als Teil eines Traditionenkonstrukts vermag erklären, warum bestimmte Traditionen gepflegt werden. Sie kann aber überhaupt kein Argument sein, daraus besondere Rechte abzuleiten.
Walter Roller gibt zu, diffuse Ängste vor einer schleichenden Islamisierung des Landes existierten und dürften nicht geschürt werden. Richtig. Doch genau diese Ängste schürt er, wenn ein muslimischer Feiertag als Bedrohung der behaupteten christlich-jüdischen Prägung wahrgenommen wird, weil falsche Toleranz einer Islamisierung Vorschub leiste. Selbstbewusste würden Islamisierungsaktivitäten widerstehen, weil sie sich ihrer Traditionen und Herkunft selbst bewusst wären. Sie könnten - um die Vokabel zu benutzen - tolerant sein. Sie müssten nicht zwanghaft Elemente ihrer Tradition gegenüber anderen durchsetzen. Das Nebeneinander von Traditionen wäre keine Parallelgesellschaft, sondern normal. Aus diesem Blickwinkel ist der Ruf, die eigene Tradition müsse verteidigt werden, kein Zeichen der Stärke. Es ist das Eingeständnis eigener Schwäche und die Unterstellung, traditionsteilende Nachbarn wären ebenso schwach.
Nicht nur die Ängste sind diffus. Wenn es um die Frage geht, ob Geschäfte am Sonntag öffnen dürfen oder nicht, wird nicht oder kaum das christliche Argument bemüht. Da geht es um Entschleunigung, um Familie, um Abstand vom Kommerz. Die Forderung, der Sonntag müsse frei bleiben, damit genügend Zeit für den Kirchgang bleibt, wird nicht erhoben. Dies zeigt ebenfalls die Beliebigkeit einer Argumentation, die auf der behaupteten christlichen Prägung aufbaut.
Hinweise auf inhaltlich schwache, dafür diffusere Argumente finden sich auch im Kommentar von Martin Ferber in der Printausgabe vom 17.10. über die Kanzlerin:


Martin Ferber beschreibt die oft vorgebrachten Argumente:
"Angela Merkel habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt, bringe mit ihrem stoischen 'Weiter-so' die Wähler auf die Palme, nehme die sorgen der Bürger nicht ernst [...]".
Bestätigung fänden die Merkel-Kritiker durch die Wahl in Österreich, wo "dank eines klaren konservativen Profils und einer eindeutigen Positionierung in der Flüchtlingspolitik" die ÖVP stärkste Kraft wurde - so zumindest die Lesart der CSU. War es das konservative Profil oder war es der Nimbus des jungen Polittalents Sebastian Kurz? War es die Flüchtlingspolitik, auf deren Feld die FPÖ über Jahre gezündelt hat? Bei der Wahl in Niedersachsen war die Flüchtlingspolitik nicht sehr präsent, die CDU hat verloren, die SPD gewonnen. Konservatives Profil und Flüchtlingspolitik sind Argumente aus einem Gemischtwarenladen, jeder bediene sich nach seiner Fasson.
Allenthalben wird dargestellt, nur gute Politik könne Wähler von der AfD fernhalten. Nur was ist denn gute Politik in unserer repräsentativen Demokratie? Eine gute Politik zeichnet sich nicht dadurch aus, den diffusen Ängsten, den behaupteten Sorgen und Nöten der auf einer Palme hockenden Bürger blind zu folgen und die einfachsten Lösungsideen umzusetzen. Gute Politik nimmt die Ängste, Sorgen, Nöte wahr und übersetzt sie nach einer sachgerechten Analyse in ethische geleitete Lösungsvorschläge. Die Ethik wiederum ist ein recht stabiles Gebilde von Ansprüchen, die unser Zusammenleben leiten. Religion kann dieser Ethik nicht übergeordnet sein, Religion kann diese Ethik teilen. Wer dagegen glaubt, Diffuses als Kompass für politische Lösungen verwenden zu können, hält für Demokratie, was in Wirklichkeit Demotiokratie ist: Regentschaft beliebig steuerbarer Emotionen, die über das Feigenblatt demokratischer Vorgehensweisen die demokratisch-aufgeklärte Kultur Europas beschädigt. Demotiokratie ist keine gute Politik.

Freitag, 13. Oktober 2017

Richtung der Integration nach CSU

Die Augsburger Allgemeine hatte am 9.10. über den Zehn-Punkte-Plan der CSU berichtet, der im Vorfeld der Abstimmungsgespräche zur Regierungsbildung innerhalb der Union kreiert worden war. Mit den einzelnen Punkten des Planes hatte ich mich schon auseinandergesetzt.
Die CSU hat wiederholt über die Medien verlautbart, die Integration habe eine Richtung, beispielsweise zuletzt via Twitter oder im Jahr 2015 schon im Bayernkurier. Ich habe nun versucht, die klare Richtung der Integration an Hand des Zehn-Punkte-Plans abzuleiten und bin gescheitert. Denn es gibt keine Richtung. Einmal soll der Integrator - also das aufnehmende Gebilde - die Richtung vorgeben, das andere Mal das zu Integrierende:


Vielleicht findet sich jemand, der diese Widersprüchlichkeit aufklären kann.

Montag, 9. Oktober 2017

Motivation trotz Stimmenverlust

Jürgen Marks kommentiert in der Augsburger Allgemeinen vom 9.10. den Zehn-Punkte-Plan, mit dem die CSU in die unionsinterne Abstimmung mit der CDU für die anstehenden Koalitionsgespräche gegangen war:


Jürgen Marks schreibt, die CSU verorte "sich als einzige etablierte Partei rechts der Mitte". Auch vor dem Hintergrund der "bayerischen Landtagswahlen im Herbst" sei es "überlebenswichtig", konservative Inhalte "im Jamaika-Koalitionsvertrag" unterzubringen, um keinen Absturz zu riskieren. Allerdings sei die Wirkung fraglich:
"Der Dauer-Zwist mit den Verletzungen auf allen Seiten hat die Unions-Parteien viele Stimmen gekostet."
Richtig, in einer Jamaika-Koalition müssen Fußabdrücke aller beteiligten Parteien sichtbar sein. Selbstverständlich wird die Union, vor allem die CSU, Konservatives beitragen. Allerdings bleibt - siehe stimmenkostende Verletzungen - offen, ob ein dauerhafter Friede innerhalb der Union entsteht oder ob die neue Legislatur erneut von "Dauer-Zwist" und "Verletzungen auf allen Seiten" geprägt sein wird. Ich bin skeptisch, denn je höher der CSU das Wasser zum Halse steigt, desto mehr wird sie um ihr Profil bemüht sein, rechts der Mitte. Die Koalitionspartner verortet die CSU links der Mitte, im Zweifel also Feindesland. Für die absolute Mehrheit im Landtag, auf die die CSU aus ihrer Sicht ein Anrecht hat, wird sie viel unternehmen. Zudem: trotz Getöse haftet der CSU der Geruch des Umfallens an. Ja, sie hat die Maut durchgesetzt. Aber - und das bleibt präsenter im Wählergedächtnis - sie hat die Obergrenze gefordert, ist dann für die Wahl zurückgerudert und bringt sie nun wieder in Koalitionsgespräche ein. Dieses Hin und Her hat die CSU ebenfalls Stimmen gekostet, nicht nur der "Dauer-Zwist". Daraus drängt sich die Frage auf, welche Zwist-Katalysatoren im Zehn-Punkte-Plan angelegt sind.

Zehn-Punkte-Plan

Die AZ hat den Plan im Wortlaut abgedruckt. Die CSU ist danach der Meinung, ein "weiter so" dürfe es nicht geben, und wer weiter so machen will, habe nicht verstanden. Die Union sei prägend für Deutschland und habe "die politische Mitte mit der demokratischen Rechten vereint". Deshalb müsse sie wieder "ihren angestammten Platz Mitte-Rechts ausfüllen". Kürzlich hatte Walter Roller einen Rechtsruck geleugnet, mit dem CSU-Plan findet er nun bestätigt statt.
Der Zehn-Punkte-Plan im Einzelnen:
"1. Weil die Menschen eine bürgerlich-konservative Politik wollen. [...] Die Wähler setzen auf die Werte und Prägung des Landes, wollen Recht und Ordnung, wünschen Sicherheit und Wohlstand für alle. [...]"
Mir drängt sich die Frage auf, wer denn "die Menschen" seien. Ist das ein ähnlicher Anspruch, wie ihn die AfD erhebt, wenn sie vom Volk spricht? Dennoch: Recht, Ordnung und Sicherheit sind en Vogue, seit Deutschland islamisiert und von marodierenden Einbrecher- und Vergewaltigerbanden heimgesucht wird. Ob die Gefahr so groß ist wie der Eindruck davon, ist fraglich. Selbst mit der Kriminalitätsstatistik zur Hand ließe sich trefflich über die richtige Interpretation der Zahlen streiten.
 "2. Weil wir kein politisches Vakuum entstehen lassen dürfen. Wenn bis auf die CSU alle etablierten Parteien links der Mitte wahrgenommen werden, dann ist das ein Problem. [...]"
Eine unbewiesene Behauptung, die jedoch auf einer Linie liegt mit der Behauptung, die Menschen wollten eine bürgerlich-konservative Politik. Das Problem entsteht aus dem Unionsanspruch, die rechteste der etablierten Parteien zu sein.
"3. Weil wir die Spaltung der Gesellschaft überwinden müssen. Wir dürfen die Antwort auf die zentralen Konfliktlinien nicht den Extremen von links und rechts überlassen."
Ja, die Antworten der Extremen werden kaum zu einer tragfähigen und verantwortungsvollen Lösung führen. Die Frage ist jedoch, welcher Spalt die Gesellschaft trennt. Ist rechts und links noch eine sinnstiftende Kategorisierung oder inzwischen überholt - man schaue nur auf die Wählerwanderung von Linken und SPD zur AfD. Oder auf die Wahlanalyse der Bertelsmann-Stiftung, die mit der unterschiedlichen Offenheit gegenüber Modernisierung argumentiert.
"4. Weil bei der Modernisierung alle mitkommen müssen. [...] Es ist die Stunde der Union, alle mitzunehmen. Wir können Veränderungen nicht verbieten oder sie einfach laufen lassen. Aber wir müssen sie gestalten."
Ja. Doch dafür wird ein Zehn-Punkte-Plan nicht reichen, weil die Veränderungen zu vielfältig sind. Es muss klar gemacht werden, dass es keine raschen Lösungen geben kann, wie beispielsweise die jahrelange Diskussion um die Besteuerung von Internet-Konzernen zeigt. Und: Ehrlichkeit bei den Grenzen der eigenen Gestaltungsmacht ist notwendig, denn die Veränderungen lassen sich "nicht verbieten". Die AfD wurde groß mit dem vermittelten Eindruck, Nationalismus löse alle Probleme.
"5. Weil man bei großen Aufgaben auch an die kleinen Leute denken muss. Deutschland hat viel Verantwortung in Europa und der Welt übernommen. Aber es darf nie der Eindruck entstehen, dass die eigene Bevölkerung zu kurz kommt. [...]"
Der diffuse Begriff der eigenen Bevölkerung ist kritisch, weil nicht klar ist, wer damit gemeint ist. Sind es die Bürger Deutschlands, Deutsche, alle die hier leben? Es ist natürlich richtig, dass Deutschland trotz seiner Verantwortung in der Welt und Europa auch an Deutschland denken muss. Mit der Unklarheit des Begriffs der eigenen Bevölkerung sind auch nationalistische Konzepte möglich, wie sie die AfD vertritt. Und das ist unvertretbar.
"6. Weil zu Offenheit und Freiheit auch Obergrenze und Leitkultur gehören. Grenzenlose Freiheit macht Angst. Und Angst ist der größte Feind einer offenen Gesellschaft. Deshalb brauchen wir eine bürgerliche Ordnung der Freiheit: das heißt einen durchsetzungsfähigen Staat, eine klare Begrenzung der Zuwanderung und einen Richtungspfeil für die Integration."
Bei bürgerlicher Ordnung fällt mir Biedermeier ein. Zusammen mit Punkt 5 wird's gar biedermeierlich. Oder ist das schon eine AfD-Kopie? Wiederum zeigt sich: Wo Obergrenze und Leitkultur gefordert wird und wo die Integration eine Richtung hat, mangelt es am Integrationswillen, nicht am -können. Integration hat nicht eine Richtung, sie hat zwei: auf einander zu. Und wieder schafft es die CSU nicht, bei einer Begrenzung klar zu trennen zwischen Asyl/Flucht und Migration. So bleibt nur ein Topf übrig, in dem auch die AfD kräftig rührt.
"7. Weil gesunder Patriotismus und Liebe zur Heimat wichtig sind. Wir können stolz sein auf das, was Deutschland in den letzten 70 Jahren erreicht hat. Die Werte und Prägung unserer Heimat sorgen für Identität und Zusammenhalt. Nur wer der eigenen Sache sicher ist, kann anderen offen und tolerant begegnen. [...]"
Deutschland kann stolz auf seine Leistungen sein. Doch warum wird der Untergang der Indentität und des Abendlandes vermutet, wenn Schwule und Leben heiraten wollen? Vielleicht ist man sich der Sicherheit der eigenen Sache doch nicht so sicher und kämpft deshalb um Symbole.
"8. Weil es die konservative Stimme braucht gegen Denkverbote und Meinungspolizei. Genauso gefährlich wie ein radikaler Populismus von rechts ist der blinde Populismus gegen rechts. Alles, was nicht im Geist der Alt-68er steht, gilt als rechts und damit schlecht. [...]"
Meinungspolizei, Denkverbote, Alt-68er-Diffamierung, Populismus-Vorwürfe. Das könnte von der AfD kommen. Und ich zweifle nun noch stärker am Sinn der in Punkt 3 genannten Rechts-Links-Kategorie, wenn die CSU behauptet, der Vorwurf, rechts zu sein, beträfe alles rechts der Alt-68er. Will sie damit Nebelkerzen werfen, unter deren Schwaden sie echte rechte Inhalte wieder salonfähig machen will?
"9. Weil wir uns nur so von der AfD erfolgreich abgrenzen können. [...] Wir müssen die AfD knallhart bekämpfen - und um ihre Wähler kämpfen."
Ja, die AfD muss und soll bekämpft werden, mit demokratischen Mitteln und neuerdings im Bundestag. Das heißt aber nicht, im Revier der AfD-Inhalte zu wildern, sondern die Wähler zu überzeugen, dass es zu AfD-Lösungen eine bessere Alternative gibt. Sonst wird die Union zu einem Mitspieler in der AfD-Liga.
"10. Weil inzwischen selbst der Zeitgeist konservativ ist. Normalerweise sieht der Konservative den Zeitgeist eher skeptisch. Doch heute ist das Konservative das neue Moderne. Anders gesagt: Konservativ ist wieder sexy. [...]"
Wie hieß es einst von Berlin? Arm, aber sexy. Die CSU findet sich so sexy, weil der Zeitgeist konservativ sei. Sie jubelt, weil sie Zeitgeist mit Moderne verwechselt. Mit zeitgeistig-konservativen Antworten auf die Fragen der Moderne wird sie Gefahr laufen, die Veränderungen und deren Konsequenzen in biedermeierlicher Beschaulichkeit zu verpassen. Sie vermag damit vielleicht Modernisierungs-Skeptiker (Bertelsmann-Studie) einlullen. Ob sie dauerhaft sexy bleibt, wenn sie "das Konservative als das neue Moderne" feiert und nicht das Konservative modernisiert und fit macht für morgen, wird sich weisen.
Für eine Jamaika-Koalition finden sich nicht zu viele Stolpersteine, die vorhandenen sind jedoch nicht zu unterschätzen. Wird der Koalitionsvertrag sauber verhandelt, sollten wir - bis zum nächsten Wahlkampf - Ruhe vor dem "Dauer-Zwist" haben. Außer die CSU lässt sich wieder von der AfD die Themen diktieren.