Montag, 9. Oktober 2017

Motivation trotz Stimmenverlust

Jürgen Marks kommentiert in der Augsburger Allgemeinen vom 9.10. den Zehn-Punkte-Plan, mit dem die CSU in die unionsinterne Abstimmung mit der CDU für die anstehenden Koalitionsgespräche gegangen war:


Jürgen Marks schreibt, die CSU verorte "sich als einzige etablierte Partei rechts der Mitte". Auch vor dem Hintergrund der "bayerischen Landtagswahlen im Herbst" sei es "überlebenswichtig", konservative Inhalte "im Jamaika-Koalitionsvertrag" unterzubringen, um keinen Absturz zu riskieren. Allerdings sei die Wirkung fraglich:
"Der Dauer-Zwist mit den Verletzungen auf allen Seiten hat die Unions-Parteien viele Stimmen gekostet."
Richtig, in einer Jamaika-Koalition müssen Fußabdrücke aller beteiligten Parteien sichtbar sein. Selbstverständlich wird die Union, vor allem die CSU, Konservatives beitragen. Allerdings bleibt - siehe stimmenkostende Verletzungen - offen, ob ein dauerhafter Friede innerhalb der Union entsteht oder ob die neue Legislatur erneut von "Dauer-Zwist" und "Verletzungen auf allen Seiten" geprägt sein wird. Ich bin skeptisch, denn je höher der CSU das Wasser zum Halse steigt, desto mehr wird sie um ihr Profil bemüht sein, rechts der Mitte. Die Koalitionspartner verortet die CSU links der Mitte, im Zweifel also Feindesland. Für die absolute Mehrheit im Landtag, auf die die CSU aus ihrer Sicht ein Anrecht hat, wird sie viel unternehmen. Zudem: trotz Getöse haftet der CSU der Geruch des Umfallens an. Ja, sie hat die Maut durchgesetzt. Aber - und das bleibt präsenter im Wählergedächtnis - sie hat die Obergrenze gefordert, ist dann für die Wahl zurückgerudert und bringt sie nun wieder in Koalitionsgespräche ein. Dieses Hin und Her hat die CSU ebenfalls Stimmen gekostet, nicht nur der "Dauer-Zwist". Daraus drängt sich die Frage auf, welche Zwist-Katalysatoren im Zehn-Punkte-Plan angelegt sind.

Zehn-Punkte-Plan

Die AZ hat den Plan im Wortlaut abgedruckt. Die CSU ist danach der Meinung, ein "weiter so" dürfe es nicht geben, und wer weiter so machen will, habe nicht verstanden. Die Union sei prägend für Deutschland und habe "die politische Mitte mit der demokratischen Rechten vereint". Deshalb müsse sie wieder "ihren angestammten Platz Mitte-Rechts ausfüllen". Kürzlich hatte Walter Roller einen Rechtsruck geleugnet, mit dem CSU-Plan findet er nun bestätigt statt.
Der Zehn-Punkte-Plan im Einzelnen:
"1. Weil die Menschen eine bürgerlich-konservative Politik wollen. [...] Die Wähler setzen auf die Werte und Prägung des Landes, wollen Recht und Ordnung, wünschen Sicherheit und Wohlstand für alle. [...]"
Mir drängt sich die Frage auf, wer denn "die Menschen" seien. Ist das ein ähnlicher Anspruch, wie ihn die AfD erhebt, wenn sie vom Volk spricht? Dennoch: Recht, Ordnung und Sicherheit sind en Vogue, seit Deutschland islamisiert und von marodierenden Einbrecher- und Vergewaltigerbanden heimgesucht wird. Ob die Gefahr so groß ist wie der Eindruck davon, ist fraglich. Selbst mit der Kriminalitätsstatistik zur Hand ließe sich trefflich über die richtige Interpretation der Zahlen streiten.
 "2. Weil wir kein politisches Vakuum entstehen lassen dürfen. Wenn bis auf die CSU alle etablierten Parteien links der Mitte wahrgenommen werden, dann ist das ein Problem. [...]"
Eine unbewiesene Behauptung, die jedoch auf einer Linie liegt mit der Behauptung, die Menschen wollten eine bürgerlich-konservative Politik. Das Problem entsteht aus dem Unionsanspruch, die rechteste der etablierten Parteien zu sein.
"3. Weil wir die Spaltung der Gesellschaft überwinden müssen. Wir dürfen die Antwort auf die zentralen Konfliktlinien nicht den Extremen von links und rechts überlassen."
Ja, die Antworten der Extremen werden kaum zu einer tragfähigen und verantwortungsvollen Lösung führen. Die Frage ist jedoch, welcher Spalt die Gesellschaft trennt. Ist rechts und links noch eine sinnstiftende Kategorisierung oder inzwischen überholt - man schaue nur auf die Wählerwanderung von Linken und SPD zur AfD. Oder auf die Wahlanalyse der Bertelsmann-Stiftung, die mit der unterschiedlichen Offenheit gegenüber Modernisierung argumentiert.
"4. Weil bei der Modernisierung alle mitkommen müssen. [...] Es ist die Stunde der Union, alle mitzunehmen. Wir können Veränderungen nicht verbieten oder sie einfach laufen lassen. Aber wir müssen sie gestalten."
Ja. Doch dafür wird ein Zehn-Punkte-Plan nicht reichen, weil die Veränderungen zu vielfältig sind. Es muss klar gemacht werden, dass es keine raschen Lösungen geben kann, wie beispielsweise die jahrelange Diskussion um die Besteuerung von Internet-Konzernen zeigt. Und: Ehrlichkeit bei den Grenzen der eigenen Gestaltungsmacht ist notwendig, denn die Veränderungen lassen sich "nicht verbieten". Die AfD wurde groß mit dem vermittelten Eindruck, Nationalismus löse alle Probleme.
"5. Weil man bei großen Aufgaben auch an die kleinen Leute denken muss. Deutschland hat viel Verantwortung in Europa und der Welt übernommen. Aber es darf nie der Eindruck entstehen, dass die eigene Bevölkerung zu kurz kommt. [...]"
Der diffuse Begriff der eigenen Bevölkerung ist kritisch, weil nicht klar ist, wer damit gemeint ist. Sind es die Bürger Deutschlands, Deutsche, alle die hier leben? Es ist natürlich richtig, dass Deutschland trotz seiner Verantwortung in der Welt und Europa auch an Deutschland denken muss. Mit der Unklarheit des Begriffs der eigenen Bevölkerung sind auch nationalistische Konzepte möglich, wie sie die AfD vertritt. Und das ist unvertretbar.
"6. Weil zu Offenheit und Freiheit auch Obergrenze und Leitkultur gehören. Grenzenlose Freiheit macht Angst. Und Angst ist der größte Feind einer offenen Gesellschaft. Deshalb brauchen wir eine bürgerliche Ordnung der Freiheit: das heißt einen durchsetzungsfähigen Staat, eine klare Begrenzung der Zuwanderung und einen Richtungspfeil für die Integration."
Bei bürgerlicher Ordnung fällt mir Biedermeier ein. Zusammen mit Punkt 5 wird's gar biedermeierlich. Oder ist das schon eine AfD-Kopie? Wiederum zeigt sich: Wo Obergrenze und Leitkultur gefordert wird und wo die Integration eine Richtung hat, mangelt es am Integrationswillen, nicht am -können. Integration hat nicht eine Richtung, sie hat zwei: auf einander zu. Und wieder schafft es die CSU nicht, bei einer Begrenzung klar zu trennen zwischen Asyl/Flucht und Migration. So bleibt nur ein Topf übrig, in dem auch die AfD kräftig rührt.
"7. Weil gesunder Patriotismus und Liebe zur Heimat wichtig sind. Wir können stolz sein auf das, was Deutschland in den letzten 70 Jahren erreicht hat. Die Werte und Prägung unserer Heimat sorgen für Identität und Zusammenhalt. Nur wer der eigenen Sache sicher ist, kann anderen offen und tolerant begegnen. [...]"
Deutschland kann stolz auf seine Leistungen sein. Doch warum wird der Untergang der Indentität und des Abendlandes vermutet, wenn Schwule und Leben heiraten wollen? Vielleicht ist man sich der Sicherheit der eigenen Sache doch nicht so sicher und kämpft deshalb um Symbole.
"8. Weil es die konservative Stimme braucht gegen Denkverbote und Meinungspolizei. Genauso gefährlich wie ein radikaler Populismus von rechts ist der blinde Populismus gegen rechts. Alles, was nicht im Geist der Alt-68er steht, gilt als rechts und damit schlecht. [...]"
Meinungspolizei, Denkverbote, Alt-68er-Diffamierung, Populismus-Vorwürfe. Das könnte von der AfD kommen. Und ich zweifle nun noch stärker am Sinn der in Punkt 3 genannten Rechts-Links-Kategorie, wenn die CSU behauptet, der Vorwurf, rechts zu sein, beträfe alles rechts der Alt-68er. Will sie damit Nebelkerzen werfen, unter deren Schwaden sie echte rechte Inhalte wieder salonfähig machen will?
"9. Weil wir uns nur so von der AfD erfolgreich abgrenzen können. [...] Wir müssen die AfD knallhart bekämpfen - und um ihre Wähler kämpfen."
Ja, die AfD muss und soll bekämpft werden, mit demokratischen Mitteln und neuerdings im Bundestag. Das heißt aber nicht, im Revier der AfD-Inhalte zu wildern, sondern die Wähler zu überzeugen, dass es zu AfD-Lösungen eine bessere Alternative gibt. Sonst wird die Union zu einem Mitspieler in der AfD-Liga.
"10. Weil inzwischen selbst der Zeitgeist konservativ ist. Normalerweise sieht der Konservative den Zeitgeist eher skeptisch. Doch heute ist das Konservative das neue Moderne. Anders gesagt: Konservativ ist wieder sexy. [...]"
Wie hieß es einst von Berlin? Arm, aber sexy. Die CSU findet sich so sexy, weil der Zeitgeist konservativ sei. Sie jubelt, weil sie Zeitgeist mit Moderne verwechselt. Mit zeitgeistig-konservativen Antworten auf die Fragen der Moderne wird sie Gefahr laufen, die Veränderungen und deren Konsequenzen in biedermeierlicher Beschaulichkeit zu verpassen. Sie vermag damit vielleicht Modernisierungs-Skeptiker (Bertelsmann-Studie) einlullen. Ob sie dauerhaft sexy bleibt, wenn sie "das Konservative als das neue Moderne" feiert und nicht das Konservative modernisiert und fit macht für morgen, wird sich weisen.
Für eine Jamaika-Koalition finden sich nicht zu viele Stolpersteine, die vorhandenen sind jedoch nicht zu unterschätzen. Wird der Koalitionsvertrag sauber verhandelt, sollten wir - bis zum nächsten Wahlkampf - Ruhe vor dem "Dauer-Zwist" haben. Außer die CSU lässt sich wieder von der AfD die Themen diktieren.

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