Sonntag, 17. Dezember 2017

Jude als Schimpfwort

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 16.12. die judenfeindlichen Ausschreitungen in Berlin kommentiert:


Walter Roller schreibt:
"Die Kanzlerin will 'mit allen Mitteln des Rechtsstaats' gegen die judenfeindliche Gewaltrhetorik muslimischer Zuwanderer einschreiten. Gut so."
Ja, gut so. Allerdings sieht Walter Roller ein Messen mit zweierlei Maß:
"Antisemitische Agitationen und Übergriffe, häufig als antizionistisch verbrämt, müssen tabu sein – ob sie nun von ganz rechts, ganz links oder aus arabischen Communitys heraus begangen werden. Aber es sieht so aus, als ob mit zweierlei Maß gemessen wird. Hätten Neonazis derart massiv gegen Juden und Israelis gehetzt, wären die öffentlichen Proteste wohl lautstärker ausgefallen. Im dringend notwendigen 'Kampf gegen rechts' und die schändlichen Straftaten deutscher Rechtsradikaler droht übersehen zu werden, was sich da in Kreisen muslimischer Einwanderer zusammenbraut – sei es aus falsch verstandener Toleranz, sei es wegen des Versuchs, diese Schattenseite der Masseneinwanderung auszublenden."
Interessant, wie Walter Roller die Ursache des seiner Ansicht nach zu leisen öffentlichen Protestes allein "falsch verstandener Toleranz" oder dem Versuch, "diese Schattenseite der Masseneinwanderung auszublenden" zuschreibt. Völlig außer Acht bleibt dabei, welchen Bezug rechtsradikaler Antisemitismus zur deutschen Öffentlichkeit hat im Gegensatz zum muslimischen. Treten Rechte antisemitisch auf, ist es irgendwie "Wir", das berührt das Selbstbild, das verteidigt werden muss. Treten Muslime antisemitisch auf, sind es "Andere". Die Anderen haben mir dem Selbstbild und dem eigenen Ich nichts zu tun. Ein lauter Protest kann unterbleiben, weil es ja ohnehin die grundverdächtigen Einwanderer aus einem anderen Kulturkreis betrifft. Eine Welle, die die AfD derzeit reitet und die sich als Verteidiger der Juden aufspielt - tatsächlich jedoch ihren Anti-Antisemitismus als Deckmantel für ihren Antimuslimismus instrumentalisiert. Hinzu kommt ein weiterer Argumentationspfad: "Gutmenschen" sind zu wenig alarmiert, zu tolerant, blenden Schattenseiten aus - sehen die denn nicht, was da in Massen eingewandert ist? Nochmals ein Grüppchen "Anderer", auf die es sich bequem zeigen lässt.
Walter Roller schreibt weiter:
"Es sind hunderttausende junger Männer gekommen, denen von früher Jugend an der Hass auf die Juden eingetrichtert wurde. Sie bringen diesen Hass [...] 'in ihrem Gepäck mit', wie es der algerische Schriftsteller Daoud formuliert. Der politisierte, in manchen Moscheen gepredigte Islam macht sich dies zunutze [...]"
Ja, Antisemitismus ist in bestimmten Ländern, in bestimmten Gesellschaften weit verbreitet. Deshalb fällt Antimuslimen ihre aktuelle projüdische Haltung quasi in den Schoß. Die Deutschen mögen im Angesicht der eigenen Geschichte ein wenig resilienter sein, völlig gefeit sind sie nicht, wie der Expertenbericht Antisemitismus auf Seite 72 zeigt:


Keine Frage, Aufrufen zu Gewalt und oder andere gräuelleugnende Aussagen unterliegen dem Strafgesetz. Hier ist rechtsstaatliches Handeln gefordert. Allerdings wirft Walter Roller zu vieles in einen Topf:
"Dass an manchen deutschen Schulen 'Du Jude' zum Schimpfwort geworden ist, Bürger jüdischen Glaubens in Angst vor Übergriffen von Muslimen leben und auf deutschen Straßen 'Juden ins Gas' gebrüllt wird, ist alarmierend und muss schleunigst unterbunden werden – durch einen entschlossen handelnden Rechtsstaat, der Gesetze durchsetzt, seine (jüdischen) Bürger schützt und keinen multikulturellen 'Rabatt' gewährt."
"Juden ins Gas" ist qualitativ etwas anderes als "Du Jude". Antisemitisch sind beide Äußerungen, ohne Zweifel. Doch was soll ein entschlossen handelnder "Rechtsstaat, der Gesetze durchsetzt" an deutschen Schulen, wenn dort "'Du Jude' zum Schimpfwort geworden ist"? Da wäre mit gescheiter Bildungsarbeit wohl mehr auszurichten. Nicht immer ist der Griff zum Hammer - Walter Rollers Lieblingswerkzeug und erster Reflex - das zielführende Mittel.

Conclusio

  • Antisemitismus - egal von wem - darf keinen Platz in der Gesellschaft haben.
  • Antimuslimismus, der sich als Anti-Antisemitismus tarnt, darf keinen Platz in der Gesellschaft haben.
  • Der entschlossen handelnde Rechtsstaat ist nicht allein gefordert, um gegen Antisemitismus zu kämpfen.

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