Mittwoch, 18. Oktober 2017

Demos Emotio regiert

Jüngst gab es den Vorschlag, einen muslimischen Feiertag einzuführen, die Augsburger Allgemeine berichtete beispielsweise über das Entsetzen in der CSU. Walter Roller kommentierte in der Ausgabe vom 18.10. die Diskussion:


Walter Roller schreibt, es stünde jedem Muslim frei, "seinen Glauben zu leben und nach seiner Fasson glücklich zu werden". Allerdings bedürfe es dazu nicht eines islamischen Feiertages. Denn "Deutschland [sei] christlich-jüdisch geprägt; die Feiertagskultur [spiegele] dies wider". Ich frage mich, warum dann im deutschen Feiertagskalender so wenig Überschneidung mit dem Kalender jüdischer Feiertage zu finden ist. Mit der behaupteten jüdischen Mitprägung kann es nicht weit her sein, wenn sich diese nicht in der "Feiertagskultur" widerspiegelt. Das Argument der Prägung ist deshalb nicht stichhaltig. Zudem: Bei etwa 82,3 Millionen Einwohnern in Deutschland sind 46 Millionen Mitglied der katholischen oder evangelischen Kirchen; das ist etwas mehr als die Hälfte. Reicht die Hälfte, um von einer Prägung zu sprechen?
Die behauptete Prägung sei "ein Stück von dem Kitt, der das Land" zusammenhalte, Identität vermittele. Es ist jedoch keine religiöse Identität, die mit den die Prägung widerspiegelnden Feiertagen generiert wird. Wie viele Bürger begehen die Feiertage in Hinwendung zur Religion und wie viele nutzen die Feiertage als freie Tage? Die Feiertage mögen eine religiöse Grundlage haben. Von dieser Grundlage haben sie sich großteils abgekoppelt und für die Mehrheit der die Feiertage konsumierenden Bürger ist die Grundlage nicht mehr relevant. Anders gesagt: auch Atheisten und Muslime haben am Ostermontag frei, Christen müssen nicht beten oder in die Messe.
Walter Rollers eigentliches Argument wird klar mit den beiden Sätzen:
"Warum daran rütteln in einer Zeit, die ja dringender denn je der selbstbewussten Pflege von Tradition und der Besinnung auf Herkunft bedarf?"
"Zweitens schürt dieser Vorstoß nur die diffuse Angst vor einer schleichenden, aus falscher Toleranz hingenommenen 'Islamisierung' des Landes."
Warum bedarf es "dringender denn je" einer "selbstbewussten Pflege von Tradition", einer "Besinnung auf Herkunft"? Ja, Traditionen sollen gepflegt werden, schon weil sie als Teil des kulturellen Erbes ein Wert an sich sind. Allerdings darf die Pflege eigener Traditionen nicht einher gehen mit einer Ausgrenzung und Abwertung anderer Traditionen. Walter Roller sagt es selbst: "nach seiner Fasson glücklich werden", seiner eigenen. Gebetsmühlenartig wird dies für Nicht-Christen eingeschränkt, weil die behauptete Prägung des Landes dies nicht anders zulasse. Mit einer solchen Sicht wird Kultur statisch, obwohl die Geschichte zeigt, wie wandelbar kulturelle Sachverhalte sind. Herkunft als Teil eines Traditionenkonstrukts vermag erklären, warum bestimmte Traditionen gepflegt werden. Sie kann aber überhaupt kein Argument sein, daraus besondere Rechte abzuleiten.
Walter Roller gibt zu, diffuse Ängste vor einer schleichenden Islamisierung des Landes existierten und dürften nicht geschürt werden. Richtig. Doch genau diese Ängste schürt er, wenn ein muslimischer Feiertag als Bedrohung der behaupteten christlich-jüdischen Prägung wahrgenommen wird, weil falsche Toleranz einer Islamisierung Vorschub leiste. Selbstbewusste würden Islamisierungsaktivitäten widerstehen, weil sie sich ihrer Traditionen und Herkunft selbst bewusst wären. Sie könnten - um die Vokabel zu benutzen - tolerant sein. Sie müssten nicht zwanghaft Elemente ihrer Tradition gegenüber anderen durchsetzen. Das Nebeneinander von Traditionen wäre keine Parallelgesellschaft, sondern normal. Aus diesem Blickwinkel ist der Ruf, die eigene Tradition müsse verteidigt werden, kein Zeichen der Stärke. Es ist das Eingeständnis eigener Schwäche und die Unterstellung, traditionsteilende Nachbarn wären ebenso schwach.
Nicht nur die Ängste sind diffus. Wenn es um die Frage geht, ob Geschäfte am Sonntag öffnen dürfen oder nicht, wird nicht oder kaum das christliche Argument bemüht. Da geht es um Entschleunigung, um Familie, um Abstand vom Kommerz. Die Forderung, der Sonntag müsse frei bleiben, damit genügend Zeit für den Kirchgang bleibt, wird nicht erhoben. Dies zeigt ebenfalls die Beliebigkeit einer Argumentation, die auf der behaupteten christlichen Prägung aufbaut.
Hinweise auf inhaltlich schwache, dafür diffusere Argumente finden sich auch im Kommentar von Martin Ferber in der Printausgabe vom 17.10. über die Kanzlerin:


Martin Ferber beschreibt die oft vorgebrachten Argumente:
"Angela Merkel habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt, bringe mit ihrem stoischen 'Weiter-so' die Wähler auf die Palme, nehme die sorgen der Bürger nicht ernst [...]".
Bestätigung fänden die Merkel-Kritiker durch die Wahl in Österreich, wo "dank eines klaren konservativen Profils und einer eindeutigen Positionierung in der Flüchtlingspolitik" die ÖVP stärkste Kraft wurde - so zumindest die Lesart der CSU. War es das konservative Profil oder war es der Nimbus des jungen Polittalents Sebastian Kurz? War es die Flüchtlingspolitik, auf deren Feld die FPÖ über Jahre gezündelt hat? Bei der Wahl in Niedersachsen war die Flüchtlingspolitik nicht sehr präsent, die CDU hat verloren, die SPD gewonnen. Konservatives Profil und Flüchtlingspolitik sind Argumente aus einem Gemischtwarenladen, jeder bediene sich nach seiner Fasson.
Allenthalben wird dargestellt, nur gute Politik könne Wähler von der AfD fernhalten. Nur was ist denn gute Politik in unserer repräsentativen Demokratie? Eine gute Politik zeichnet sich nicht dadurch aus, den diffusen Ängsten, den behaupteten Sorgen und Nöten der auf einer Palme hockenden Bürger blind zu folgen und die einfachsten Lösungsideen umzusetzen. Gute Politik nimmt die Ängste, Sorgen, Nöte wahr und übersetzt sie nach einer sachgerechten Analyse in ethische geleitete Lösungsvorschläge. Die Ethik wiederum ist ein recht stabiles Gebilde von Ansprüchen, die unser Zusammenleben leiten. Religion kann dieser Ethik nicht übergeordnet sein, Religion kann diese Ethik teilen. Wer dagegen glaubt, Diffuses als Kompass für politische Lösungen verwenden zu können, hält für Demokratie, was in Wirklichkeit Demotiokratie ist: Regentschaft beliebig steuerbarer Emotionen, die über das Feigenblatt demokratischer Vorgehensweisen die demokratisch-aufgeklärte Kultur Europas beschädigt. Demotiokratie ist keine gute Politik.

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