Montag, 30. Oktober 2017

Heiße Luft oder Sturm?

Martin Ferber hat in seinem Artikel am 30.10. den Stand der Sondierungen zu einer Jamaika-Koalition analysiert:


Martin Ferber zeigt sich überrascht, mit welcher Geschwindigkeit die dunklen Wolken aufzogen:
"Dass der Weg nach Jamaika lange und beschwerlich werden würde, war allen Beteiligten von Anfang an bewusst. Dass es aber so schnell zur Krise kommen würde, überrascht denn doch."
Weiter schreibt er:
"Die ersten Verhandlungen zu den Themen Klimaschutz und Migration erwiesen sich als ein bloßer Austausch der jeweiligen Maximalforderungen – gepaart mit der Aufforderung an alle anderen, Bereitschaft zum Kompromiss zu zeigen, ohne selber von seinen Positionen abzurücken. Zu viele rote Linien aber führen in die Sackgasse, aus der kein Herauskommen mehr möglich ist."
Als Zuschauer reibt man sich die Augen und fragt sich, ob das noch Verhandlungstaktik ist oder schon Sturheit. Natürlich darf jede Partei in den Gesprächen wiederholen, was sie im Wahlprogramm versprochen hat. Allerdings muss auch klar sein, dass ein Wahlprogramm keine Politik ist, sondern eine Politikabsicht mit der Präambel "Falls ich alleine regierte, dann ...".
Welch Wirkung das Wahlprogramm auf das politische Verhalten hat, beschreibt Martin Ferber so:
"Unübersehbar ist, dass in allen Parteien die Angst vor dem ungewöhnlichen Bündnis und seinen möglichen Folgen größer ist als der Mut, bewährte Pfade zu verlassen und politisches Neuland zu betreten."
Angst ist das Stichwort, das die Wahl und die jetzigen Sondierungen überformt. Allerdings ist es vor allem die Angst vor der AfD:
  • Die etablierten Parteien ließen sich die Themen für den Wahlkampf von der AfD diktieren.
  • Als der Einzug der AfD absehbar war, sollte der dienstälteste und nicht mehr der lebensälteste Parlamentarier die konstituierende Sitzung eröffnen.
  • Die Grünen fordern verstärkte Öffentlichkeit in Ausschüssen, um die AfD bloß zu stellen -  die AZ hat berichtet.
  • Die CSU ist nur noch ein Schatten ihrer selbst und versucht, die AfD auf der Standspur rechts zu überholen.
Als ob die politische Linie der AfD so neu wäre in Deutschland, dass die Panik gerechtfertigt wäre. Bisher war dieses Gedankengut in anderen Parteien versteckt. Nun türmt es sich zu einem braunen "gärigen Haufen" (Alexander Gauland) auf und durchbricht die beschauliche Oberfläche der Bundespolitik. Alle starren auf diesen Haufen, Merkels "Spielraum für Kompromisse" schwindet, Seehofer "kämpft gar ums politische Überleben". Die FDP kokettiert im Übermut ihres erneuten Einzuges in den Bundestag mit ihrer Bedeutung, droht mit der Opposition. Die Grünen sind teilweise regierungswillig (Realos), teilweise nicht - vielleicht sogar regierungsunfähig (Fundis).
Martin Ferber schreibt:
"Damit Jamaika gelingen kann, weil es angesichts des Wahlergebnisses gelingen muss, ist als erstes eine verbale Abrüstung erforderlich. Die jeweiligen Maximalpositionen sind hinlänglich bekannt und müssen nicht täglich lautstark wiederholt werden. Wer vom anderen Bereitschaft zum Kompromiss einfordert, muss sie selber unter Beweis stellen. Die Union braucht einen Erfolg bei der Migration und Zuwanderungsbegrenzung, die Grünen beim Klimaschutz, die FDP in der Steuerpolitik. Das lässt sich über kluge Beschlüsse organisieren, in denen sich alle Seiten wiederfinden."
Recht hat er, doch der Zuschauer reibt sich stärker die Augen, es schmerzt langsam. Da sitzen vier Parteien beieinander, die das Hohe Lied der politischen Verantwortung singen und die Demokratie hochhalten. Allenthalben verlautbarten sie, Demokraten müssten gegen die AfD zusammenstehen - nun stehen sie zusammen gegeneinander. Gleichzeitig ignorieren sie das Grundprinzip demokratischen Handelns: den Kompromiss. Was könnte entstehen, wenn
  • die Union die Stimme eines modernen deutschen Konservativismus wäre
  • die Grünen Umwelt- und vielleicht soziales Gewissen wären
  • die FDP der liberale Wächter vor überbordendem Staatsagieren mit Blick auf das in Zukunft Kommende wäre
Aus dieser Mischung ließe sich ein großer Teil der Antworten rühren auf die Fragen, die sich Deutschland, Europa und der Welt derzeit stellen. Doch vor lauter Angst vor der lauten AfD fällt den Köchen der Rührlöffel aus der Hand und sie nehmen das Stöckchen auf, das die AfD ihnen hinhält. So wird das kein Sturm, der die Luft reinigt. So ist die Ankündigung, die AfD mit guter Politik bekämpfen zu wollen nur heiße Luft - mit gärigem Eindruck.

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