Samstag, 18. November 2017

Schnittchen

Walter Roller hat den Stand der Sondierungen zur Bildung einer Bundesregierung in der Augsburger Allgemeinen vom 18.11. kommentiert:


Walter Roller nennt "Schaukämpfe und Muskelspiele" ein Teil des Repertoires von Koalitionsverhandlungen. Momentan laufen zwar erst die Sondierungen, also Vorgespräche zu Koalitionsverhandlungen. Dennoch werden Muskeln gezeigt, denn:
"So geht das in der Politik, und daran ist ja insofern nichts Verwerfliches, als der Wähler im Gegenzug für seine Stimme standfeste Interessenvertretung erwartet und das Streben nach gestalterischer Macht zur Demokratie gehört."
Das Problem beschreibt Walter Roller so:
"Auf diese vom Wähler herbeigeführte Konstellation war niemand vorbereitet – weder in der Sache noch mental."
Niemand war auf ein solches Wahlergebnis vorbereitet, für den Wahlkampf hat jede Partei ihr Profil geschärft und will natürlich Teile davon in der zukünftigen Regierung realisiert wissen:
"Die kleineren Partner hingegen wollen mit ihren Kernanliegen zum Zug kommen, um unter Merkel erkennbar zu bleiben. Was der FDP die Steuerentlastung, ist den Grünen die Klimapolitik."
Nicht zu vergessen die CSU, die kleinste der kleinen Parteien nach dem amtlichen Endergebnis mit nur 46 Sitzen. In der rechnerisch einzig möglichen Koalition ohne AfD müssen die vier Parteien sich zusammenraufen, um "Deutschland instabile Verhältnisse zu ersparen". Eine stabile Koalition braucht mindestens 355 Sitze im Bundestag.
Walter Roller hält auf vielen Feldern Kompromisse für möglich und benennt den Brennpunkt:
"Die wirkliche Sollbruchstelle liegt in der Zuwanderungspolitik. Hier liegen Welten zwischen der CSU und den Grünen. Hier geht es um ein Thema, das Identität und Glaubwürdigkeit der Parteien unmittelbar tangiert und das ganze Land ungleich mehr umtreibt als der Soli oder der Ausstieg aus der Kohle.
Im Streit um den Familiennachzug kommt der grundsätzliche Unterschied zum Vorschein: Die Grünen wollen Zuwanderung nur 'steuern', die Union will – wie es in den Papieren der Unterhändler heißt – eine 'Begrenzung der Migration insgesamt'."
Diese Sollbruchstelle für Jamaika bezeichnet nicht nur unterschiedliche Lösungsansätze für politische Probleme, sondern sie ist Ausdruck des großen strategischen Versagens der CSU. Sie hat mit einigem Hin und Her das Thema Asyl, Flüchtlinge, Migration zu einem Brei gerührt. Dieser Brei war schlussendlich so diffus, dass die CSU selbst es nicht mehr geschafft hat, in ihren Aussagen im Wahlkampf die unterschiedlichen Aspekte dieses Themenkomplexes auseinander zu halten. Dem Geschrei der AfD suchte die CSU zu begegnen durch ähnlich hohe Lautstärke und durch Vorschläge, die nur noch schwer von denen der AfD zu unterscheiden waren. Die CSU hat sich als die einzige demokratisch legitimierte rechts-konservative Kraft dargestellt.
Das Ergebnis in der Bundestagswahl war, dass in Bayern die AfD - demokratisch legitimiert! - das beste Ergebnis in den alten Bundesländern eingefahren hat. Darüber kann man sich nicht wundern, denn das Hin und Her der CSU im Wahlkampf hat den Wählern gezeigt, dass wirkliche rechts-konservative Politik nur mit der AfD möglich sein wird - dass es dabei weit rechts hinausgehen kann, wurde als Kollateralschaden in Kauf genommen.
Die CSU hat aus dem Versagen nichts gelernt und zeigt sich weiter lernresistent vor dem Hintergrund:
"Die CSU, das ist wahr, hat jede Sekunde die Landtagswahl 2018 im Blick. Sie riskierte bei einem Verzicht auf den – übrigens großzügig bemessenen – Richtwert von 200.000 Zuwanderern jährlich den Niedergang."
In der Hoffnung, im Landtag die absolute Mehrheit halten zu können, gibt Alexander Dobrindt den starken Mann in den Sondierungen. Er klammert sich weiter an den Richtwert, der im Bayernplan noch Obergrenze genannt wurde. So wird er kaum der AfD Wähler abspenstig machen können. Denn die AfD kann härter, rechter, extremer auftreten, weil sie als Opposition ja nicht auf Kompromisse und realisierbare Politikvorschläge angewiesen ist. Was also will die CSU so weit rechts gewinnen können - außer Blumentöpfen?
Die CSU nimmt sich mit solcher Kraftmeierei selbst die Handlungsspielräume, die eine vernünftige koalitionäre Politik braucht. Wenn sie Zugeständnisse macht, wird sie die nur der Regierungsbildung Willen machen, nicht aus Überzeugung. Im Februar habe ich das Nachgeben der CSU im Wahlkampf für einen "Fake-Frieden" gehalten. Ich fürchte, dass es in den Sondierungen davon eine Neuauflage geben könnte: die CSU stimmt oberflächlich zu, behält jedoch ihren vermeintlichen Markenkern im Hinterkopf und das Gezänk geht alsbald wieder los.
Mir stellt sich die Frage, ob nicht eine Koalition ohne die CSU ähnliche Stabilität für das Land verspricht wie eine mit der CSU. Ohne CSU fehlen einer Koalition aus CDU, Grünen und FDP weniger als zehn Stimmen. Je nach Entscheidung könnten die sich finden in den Oppositionsparteien. Das gäbe der CSU die Chance, ihre strategische Fehlleistung zu analysieren und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dann klappt auch die Abgrenzung zur AfD im Landtagswahlkampf 2018 besser.

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