Sonntag, 18. Dezember 2016

Walter Rollers Staatsvertrag

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 17.12. einen Leitartikel veröffentlicht zu Schlussfolgerungen aus dem Mord an einer Studentin:


Walter Roller schreibt:
"Sicherheit ist die Geschäftsgrundlage im Vertrag des Bürgers mit seinem Staat und seiner Demokratie. Versagt der Staat auf diesem Gebiet, geht das Vertrauen in ihn verloren - zur Freude jener Populisten, die einen Mordfalls zur Stimmungsmache gegen alle Flüchtlinge ausschlachten."
Richtig, die Sicherheitsgarantie des Staates auch die Grundlage für unsere Rechtsauffassung, nach der eben nicht Selbstjustiz und das Recht des Stärkeren das Zusammenleben regeln. Darum ist eine Einordnung der Bluttat notwendig. Walter Roller schreibt hierzu:
"Der Mord von Freiburg ist ein Weckruf an den Staat, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die [...] Sicherheitsprobleme einzudämmen. Dieses Verbrechen darf nicht, wie es in rechtsradikalen, fremdenfeindlichen Milieus nun geschieht, zur Hetze gegen die Flüchtlingspolitik missbraucht werden. Die pauschale Verdächtigung von Muslimen ist abscheuliche Stimmungsmache."
Richtig. Dies führt unmittelbar zur Frage, welche Aspekte der Tat wie eingeordnet werden können. War es ein Mord wie jeder andere auch oder nicht? Er war ein Mord wie jeder andere, wenn man eine Frau als Opfer, einen Mann als Täter sowie eine sexuell konnotierte Bluttat als "üblich" bezeichnen will. Der Mord war nicht wie jeder andere, weil der Täterkontext sowie das folgende mediale Interesse besonders sind. Die Besonderheiten dieses Mordes müssen besonders gewürdigt werden.
Die Reiseroute des Verdächtigen ist relevant, weil es dem in Griechenland bekannten Gewalttäter trotz allem gelungen ist, nach Deutschland zu kommen und dort trotz Registrierung keine Warnlampen angingen. Martin Ferber berichtet in der Printausgabe über einen Streit "hinter den Kulissen über Schuldfragen" zwischen Berlin und Athen. Danach behauptet Griechenland, die "Fingerabdrücke als auch die Personalien des mutmaßlichen Täters seien im Jahr 2013 in die EU-Datenbank 'Eurodac' eingespeist" und so allen europäischen Sicherheitsbehörden zugänglich gemacht zu haben. Nach dem Untertauchen des Verdächtigen sei Interpol "möglicherweise zu spät" informiert worden. Unabhängig davon, wen welche Schuld trifft, hat das gesamte System versagt: Ein bekannter Gewalttäter konnte in Europa reisen und in Deutschland unentdeckt vor Behörden auftreten.
Walter Roller schreibt zur Einordnung des Verbrechens:
"Dieses Verbrechen führt eben eindringlich vor Augen, dass die weitgehend unkontrollierte Masseneinwanderung Deutschland (noch) unsicherer gemacht hat und die Ängste der Bevölkerung vor wachsender Kriminalität keine Hirngespinste sind."
Im Stile Rechter stellt er die Tat in einen Bezugsrahmen zur "unkontrollierte[n] Masseneinwanderung". Weitere Ursachen bietet er nicht an, obwohl sich eine Reihe an Möglichkeiten und Beispielen fände:
  • Patriarchale Grundhaltung des Täters, nach denen Frauen als minderwertig und verfügbar gelten und den Schaden haben, wenn sie sich zu wehren wagen
  • Defizite in der Impulskontrolle, wodurch kleine Anlässe zu eruptiven Handlungen führen
  • Defizite im Ausleben sexueller Fantasien und die Unfähigkeit, sie konstruktiv zu bearbeiten
  • Persönlicher Machtanspruch, der sich im speziellen Fall gegen eine Frau gerichtet hat, aber auch Männer hätte treffen können
Walter Roller genügt jedoch die Ausländereigenschaft des Täters und er spannt den Bogen weiter auf:
"Wir haben ein Sicherheitsproblem, das sich nicht nur an einzelnen 'Flüchtlingen' und deren Straftaten, sondern vor allem auch an osteuropäischen Banden, arabischen Clans, 'rechtsfreien' Räumen und nicht abgeschobenen, straffällig gewordenen Asylbewerbern festmacht. So sind die Realitäten."
Ja, es gibt spezifische Kriminalitäten, die sich schwerpunktmäßig an bestimmten Personengruppen festmachen lassen. Die von Walter Roller konstruierte Realität begnügt sich mit dieser Zuordnung, ohne weiter zu fragen. Er begnügt sich mit Erklärungen im Stile "der Russe ist", "der Bulgare ist", "der arabische Clan ist". Dabei ist es für einen funktionierenden Kampf gegen die Kriminalität notwendig, die Hintergründe zu verstehen. Ohne das wird sich keine Sicherheit garantieren lassen, außer neben jedem Osteuropäer steht dauerhaft ein Polizist. Doch eine ernsthafte Suche nach Hintergründen ist nicht die Sache von Walter Roller:
"Aber das kann ja nicht heißen, die Probleme zu verniedlichen oder -  wie im Fall der unzweifelhaft angestiegenen Ausländerkriminalität - mit statistischen Kunstgriffen zu verschleiern."
Was Walter Roller als statistischen Kunstgriff bezeichnet, ist das kleine Einmaleins der seriösen Dateninterpretation. Es ist kein Kunstgriff, im geeigneten Moment Anteile und %-Werte zu betrachten und nicht auf Absolutzahlen zu schauen.
So simpel die Analyse, so simpel die Grundrichtung der Lösung:
"Das Bedrohungsgefühl vieler Bürger mag größer sein als die tatsächliche Gefahr. Doch die Sorgen vor wachsender Unsicherheit sind, zumal auch vor dem Hintergrund eines zu übertriebener Toleranz neigenden Rechtsstaates, gut begründet."
Walter Roller räumt ein, dass zwischen gefühlter und tatsächlicher Gefahr ein Unterschied bestehe. Die gefühlte Gefahr führt er auf übertriebene Toleranz des Staates zurück. In die gleiche Kerbe schlägt er mit dieser Bemerkung:
"Und was, nur ein Beispiel, soll der Bürger davon halten, dass von den Tätern der Kölner Silvesternacht bisher ganze drei (und zwei nur zur Bewährung) verurteilt wurden?"
Er lässt das stehen, ohne Hinweis auf Ursachen, ohne Begründung. Der Rechtsstaat und seine Regeln, nach denen die Schuld eines Täters zweifelsfrei nachzuweisen ist, haben zu dem Ergebnis geführt. Walter Roller will keinen solchen Rechtsstaat. In seinem Rechtsstaat zählt die Volksstimmung mehr als gleiches Recht für alle. Sein Rechtsstaat ist unnachsichtig, Abschiebung ist wichtiger als die Berücksichtigung von Abschiebehemmnissen (über die diskutiert werden kann und sollte). Walter Rollers Staatsvertrag führt augenscheinlich weg von unserem derzeitigen Staatsverständnis, hin zur Morgendämmerung eines Polizeistaates. Obwohl Walter Roller vor dem Missbrauch der Freiburger Tat durch Populisten warnt, liegt er ganz auf ihrer Linie und beweist damit, wie weit in die Mitte rechtes Gedankengut bereits ragt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen