Sonntag, 11. Dezember 2016

Integration und Gesetz

Die Augsburger Allgemeine berichtet in ihrer Printausgabe vom 10.12. über die Verabschiedung des Integrationsgesetzes im Landtag:


Gegen den Widerstand der Opposition wurde das Gesetz durchgesetzt, mit dem Einwanderer auf die Achtung der Leitkultur verpflichtet werden. Für das Gesetz stimmten CSU-Abgeordnete, die anderen Abgeordneten stimmten dagegen oder enthielten sich. Uli Bachmeier kommentiert:


Uli Bachmeier schreibt:
"Die CSU ist mit ihrem Integrationsgesetz eindeutig über das Ziel hinausgeschossen. Es ist unter dem Eindruck der Flüchtlingswelle seit September 2015 und der Ereignisse der Kölner Silvesternacht entstanden und in fast schon panischer Angst vor einem weiteren Erstarken der AfD mit schneller Feder niedergeschrieben worden."

Wandlung des Gesetzentwurfes

Der Kommentar von Uli Bachmeier ist in so fern interessant, als in der Vorgangsmappe des Landtages der Drucksache 17/11501, die den frühen Entwurf für ein Bayerisches Integrations- und Partizipationsgesetz enthält, im ersten Satz behauptet wird:
"Auf die seit langem erfolgende Einwanderung nach Bayern wurde bislang nicht hinreichend reagiert."
In der Drucksache 17/11362, die die Abstimmung am 9.12. beschreibt, heißt es dann:
"Die Flüchtlingskrise und die Integration Zehntausender, die binnen kurzer Zeit in unser Land kommen, stellen Bayern vor enorme Herausforderungen finanzieller, kultureller und gesellschaftlicher Art, die bewältigt werden müssen, um das Land vor tiefen gesellschaftlichen Gräben und sozialen Konflikten zu bewahren."
Während aus der ersten Version nach tiefe Selbsterkenntnis und -kritik spricht, wird in der zweiten Version mit Gräben und sozialen Konflikten Angst geschürt. Wo im ersten Entwurf noch Nachholbedarf erkannt, das Fehlen einer gewachsenen integrationspolitischen Infrastruktur und die Entziehung des Freistaates aus seiner Verantwortung bemängelt wurde, schreibt die zweite Version:
"Die Orientierung an der Leitkultur gibt der Integration die notwendige Richtung. Für den sozialen Frieden ist entscheidend, dass es Regeln gibt, die alle kennen, die für alle gelten und die im Konfliktfall auch bestimmen, was zu gelten hat und was nicht, Regeln also, die von allen als nicht verhandelbar anerkannt werden. Dieser Grundkonsens der Leitkultur ist von besonderer Bedeutung für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher sozialer Erfahrung und mit verschiedenen ethnischen, kulturellen und religiösen Prägungen."
Recht schwammig. Natürlich ist ein Satz an Regeln für ein Zusammenleben notwendig. Wenn diese Regeln aber "als nicht verhandelbar anerkannt" würden, gäbe es kein Frauenwahlrecht und Kinder dürften erzieherisch geschlagen werden, der Umweltschutz hätte nicht Verfassungsrang. So ganz strikt wird die CSU das also nicht gemeint haben, wofür der nächste Satz ein Indiz liefert:
"Die demokratische Verfasstheit des Gemeinwesens bindet umgekehrt alle Staatsgewalt an die Stimme des Volkes."
Mit der Stimme des Volkes scheint doch vieles verhandelbar zu werden. Auch das Unverhandelbare? Das erfordert einen sehr genauen Blick, insbesondere wenn das Unverhandelbare verhandelt werden soll. Hier erwarte ich mir von den gewählten Volksvertretern einen Mehrwert und nicht bloß ein geradliniges Durchreichen der Stimme des Volkes. Wie wandelbar die ist, zeigen die Ergebnisse politischer Umfragen mit ihren variierenden Präferenzen für oder gegen Themen, Parteien, Personen.
In der Präambel zum Gesetz heißt es dann weiter:
"Die nationalsozialistische Willkürherrschaft, die Verbrechen des Dritten Reichs und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges haben gelehrt, dass allein eine grundrechtlich ausgerichtete Herrschaft des Rechts vor Terror, Diktatur und Spaltung bewahrt und Voraussetzung für Frieden und Freiheit ist. Jeder Einzelne ist daher zur Wahrung des Rechts und zur Loyalität gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen verpflichtet."
Wenn die "grundgesetzlich ausgerichtete Herrschaft des Rechts" vor Spaltung bewahrt, warum warnt die CSU dann ständig vor der Spaltung der Gesellschaft? Loyalität gegenüber Verfassung, Gesetzen kann zweifelsohne verlangt werden. Loyalität gegenüber dem Staat wird schwerer fassbar, weil der Staat vielgestaltig auftritt und nicht jede einzelne "Staatserscheinung" die volle Zustimmung erhalten wird. Noch schwerer wird es beim Volk. Wer ist das Volk, gegenüber dem Loyalität gefordert wird? Augsburger Volk, schwäbisches Volk, bayerisches Volk, deutsches Volk in den Grenzen vor 1989 oder danach? Oder sind es die, die deutsch sprechen? Inclusive Österreich?
Art. 1 des Gesetzes beschreibt die Integrationsziele:
"Es ist Ziel dieses Gesetzes, diesen Menschen für die Zeit ihres Aufenthalts Hilfe und Unterstützung anzubieten, um ihnen das Leben in dem ihnen zunächst fremden und unbekannten Land zu erleichtern (Integrationsförderung), sie aber zugleich auf die im Rahmen ihres Gastrechts unabdingbare Achtung der Leitkultur zu verpflichten und dazu eigene Integrationsanstrengungen abzuverlangen (Integrationspflicht)."
Zur Integrationsförderung finden sich Ausführungen in den weiteren Artikeln des Gesetzes. Dazu definiert der Art. 3 Allgemeine Integrationsförderung:
"(1) Bildung ist ein zentraler Schlüssel zur Integration. Der Staat unterstützt sowohl minderjährige als auch erwachsene Migrantinnen und Migranten darin, spezifische Bildungslücken auszugleichen, [...]
(2) Der Staat unterstützt Migrantinnen und Migranten durch geeignete Angebote in dem ihnen abverlangten Bemühen, sich mit den in der heimischen Bevölkerung vorherrschenden Umgangsformen, Sitten und Gebräuchen vertraut zu machen, soweit sich diese von denjenigen in den Herkunftsstaaten unterscheiden.
(3) Gelingende Integration bedarf der gegenseitigen Rücksichtnahme und Toleranz sowie des Respekts vor der Einzigartigkeit, der Lebensgeschichte und den Prägungen des jeweils anderen. Der Staat fördert an der Leitkultur ausgerichtete Angebote, die Migrantinnen und Migranten in politischer Bildung, deutscher Geschichte einschließlich der Lehren aus den Verbrechen des Dritten Reiches und in der Rechtskunde unterweisen und ihnen die heimische Kultur, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung näherbringen."
Die in Art. 1 Integrationspflicht wird übrigens nicht weiter ausgeführt. Für die Integrationsförderung sei Bildung der zentrale Schlüssel zur Integration. Was für ein mechanistisches Weltbild! Integriert ist, wer viel über das Land weiß? Viel zu wenig. Integriert ist, wer eine emotionale Bindung aufgebaut hat. Integriert ist, wer die heimischen Umgangsformen, Sitten und Gebräuche angenommen hat. Es reicht nicht - wie in Abs. 2 geschrieben - sich mit ihnen vertraut zu machen. Eine emotionale Bindung wird gar nicht verlangt, es reicht sich zu bemühen. Dieses Bemühen wird abverlangt. Die CDU hat auf ihrem Parteitag beschlossen, die Optionspflicht wieder einzuführen. Demnach sollen sich "dauerhaft in Deutschland lebende Menschen mit Zuwanderungsgeschichte klar für oder gegen die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden." Was sich harmlos liest ist jedoch die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit, um die deutsche zu bekommen. Die CSU findet das gut, wie die AZ berichtet hatte. Ich frage mich an der Stelle:
  • Was hat die CSU für ein Menschenbild, das in Kategorien des Entweder-Oder hantiert und das Sowohl-Alsauch ignoriert?
  • Wie soll eine emotionale Nähe zu Deutschland entstehen, wenn immer das Damoklesschwert der Aufgabe der bisherigen Identität über den Menschen schwebt?
  • Wie die CSU diese Integration definitorisch von einer Assimilation unterscheiden will?
In der Drucksache 17/11501 war die Unterscheidung noch möglich. Im Art. 2 Grundsätze heißt es:
"(1) Das Bewusstsein der Menschen mit und ohne Migrationshintergrund für gegenseitige Offenheit, Toleranz, Respekt und Veränderungsbereitschaft ist zu fördern."
Die Problembeschreibung am Beginn der Drucksache steht:
"Die moderne, aufgeklärte und plurale Gesellschaft wird von denen bedroht, die einen deutschen Leitkult zur Maxime erheben."
Mir schwirrt der Kopf. Im ersten Entwurf war von Toleranz die Rede, von Respekt, vom Leitkult als Gefahr. Doch nun sollen Migranten auf eine Leitkultur eingeschworen werden. Früher war der Leitkult etwas, das die moderne Gesellschaft bedroht. Doch zum Glück sind diese Passagen ohne klare Kante in der Drucksache 17/11362 gestrichen worden. "Leitkult" ist out, "Leitkultur" ist in.
Apropos Kultur: Der Art. 10 Rundfunk und Medien sagt:
"Die Angebote in Rundfunk und Telemedien sollen einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der Leitkultur leisten."
Deutscher Schlager statt Bob Dylan? Gilt Andreas Gabalier als Beitrag? Oder Anne Will? Koch- und Quizshows? Big Brother und Shopping Queen auch? Ist das ein Teil des Bildungsauftrags aus dem Art. 3 des Gesetzes?

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Weil das alles sehr verwirrend ist, beschlich mich während der Lektüre des Gesetzes und der weiteren Ausführungen in den Dokumenten des Landtages ein wüster Verdacht:
  • Ich war schon im Ausland.
  • Manche Sitten und Gebräuche teile ich nicht.
  • Manches staatliche und politische Wirken sehe ich kritisch.
Liebe CSU, bitte beauftragen Sie die Bavaria Polizei, mich zu überprüfen. Ich möchte sichergehen, ausreichend integrationsgesetzeskonform integriert zu sein.

Schlusswort

Uli Bachmeier schließt seinen Kommentar mit einer Passage, die auch für meinen Eintrag hier einen schönen Abschluss bildet:
"Doch dass die Partei, die um ihre absolute Mehrheit in Bayern bangt, sich im Kampf gegen den Rechtspopulismus seiner Mittel bedient, könnte für sie auf längere Sicht zum Bumerang werden. Symbolpolitik verstellt den Blick auf die praktischen Leistungen Bayerns für die Integration. Wer von der AfD Applaus bekommt, sollte darüber nachdenken, warum."

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