Mittwoch, 21. Dezember 2016

Walter Rollers Heimsuchung

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 21.12. einen Leitartikel veröffentlicht nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt:


Walter Roller schreibt zum Ausblick richtig:
"Der Terrorismus, dessen Brutstätten im Mittleren Osten liegen und der sich mitten in Europa in islamistischen Milieus seine 'Gotteskrieger' herangezüchtet hat, führt Krieg gegen alle freien Gesellschaften und wird uns noch viele Jahre in Atem halten."
Dieser Ausblick bildet die Grundlage für seine weiteren Ausführungen und dient als Begründungsplattform für seine Forderungen. Wie er bei seinen Ausführungen und Forderungen vorgeht, verdient nähere Betrachtung.

Walter Rollers Selbst-Widerspruch

Walter Roller schreibt:
"Noch sind Hintergründe und genauer Hergang des Attentats nicht hinreichend aufgeklärt. Weder besteht Klarheit über die Identität des Täters und mögliche Hintermänner [...]"
Das hindert ihn nicht an der Schlussfolgerung:
"Zweitens besteht nun nicht mehr der geringste Zweifel daran, dass die unkontrollierte Massenzuwanderung die Sicherheitslage verschärft hat und im Strom der Flüchtlinge auch Terroristen ins Land gelangt sind."
Ohne Klarheit über den Täter und mögliche Hintermänner steht für Walter Roller fest, dass die Massenzuwanderung und der Strom der Flüchtlinge Schuld sind. Nicht der IS, nicht seine ausgefeilten Rekrutierungsmethoden, nicht weltpolitische Gräben und propagierte Wir-versus-Die-Gruppen, nicht die sozialen Medien mit ihren Dynamiken, nicht wirtschaftliche Gründe, nicht soziale Gründe. Im September war er noch differenzierter:
"Es ist wichtig, gegenüber der verunsicherten Bevölkerung immer wieder darauf hinzuweisen, dass die allermeisten muslimischen Flüchtlinge weder mit dem Islamismus sympathisieren noch potentielle Gewalttäter sind."
Doch Walter Roller legt weiter auf und schreckt vor Unwahrheiten nicht zurück.

Walter Rollers Lüge

Die AfD, vielmehr André Poggenburg von der AfD, hat sich zur Einordnung des Anschlags geäußert:
"AfD-Fraktionschef André Poggenburg sagte heute in Magdeburg dazu: 'Wir trauern um die vielen toten und verletzten Menschen in Berlin. Dieser Anschlag zeigt eindeutig, dass der Terror in Deutschland endgültig angekommen ist. Wir reden nicht mehr nur von einer abstrakten Gefahr. Es handelt sich um einen Anschlag auf unsere Menschen, unser Land und unsere Freiheit. Er ist die direkte Folge einer Politik des Multikulti um jeden Preis und der Preis ist auch die Sicherheit unserer Bürger. Nach jetzigem Stand kann man davon ausgehen, dass es sich um einen gezielten Angriff auf unsere christlich-abendländische Kultur und unsere Wertvorstellungen durch den Islamismus handelt. Jeder der weiterhin leugnet, dass der Islam in direkter Verbindung mit dem islamistischen Terror steht, macht sich mitschuldig an jedem weiteren Opfer. Wir müssen nun zeigen, dass wir eine wehrhafte Nation sind, dass wir niemals akzeptieren werden, wenn Terroristen unsere Grundfesten bedrohen.'"
Walter Roller schreibt zur beginnenden politischen Debatte:
"Mit Ausnahme der AfD, die den Massenmord sogleich in fremdenfeindlicher Manier auszuschlachten versuchte, sind die ersten Reaktionen von Besonnenheit geprägt."
Walter Roller hat Recht, von der AfD liegt eine Äußerung vor, siehe oben. Allerdings wird in der gleichen Ausgabe der AZ im Artikel "Merkels schwerstes Jahr" und inzwischen auch online Horst Seehofer von der CSU zitiert:
"Nach dem mutmaßlichen Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt fordert CSU-Chef Horst Seehofer eine Überprüfung und Neujustierung der deutschen Flüchtlingspolitik. 'Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren', sagte der bayerische Ministerpräsident am Dienstag zu Beginn einer Kabinettssitzung in München."
Neben der AfD gibt es auch schon Forderungen seitens der CSU. Dies verschweigt Walter Roller, hier lügt er. Die Forderung der CSU ist keine besonnene. Wer sich die Aufzeichnungen rund um dieses Zitat beispielsweise im TV anschaut, wundert sich über die seltsame Kombination aus augenscheinlicher Betroffenheit Seehofers über den Anschlag und seiner Forderung, die Politik zu  überdenken und zu justieren. Perfide, wie er die Opfer und Betroffenen zu seinen Zeugen beruft.

Walter Roller als Demokratiefeind?

Durch viele Beiträge hindurch hat Walter Roller eine harte Linie vertreten. Bisher war er dabei noch auf einem Pfad unterwegs, der sich mit einem europäischen Demokratieverständnis in Einklang bringen ließ. So schrieb er im November:
"Aber Trumps Sieg ist ein Warnsignal, dass die liberale, pluralistische Demokratie keine Ewigkeitsgarantie besitzt. Sie muss stets aufs Neue verteidigt und so gestaltet werden, dass sie das Vertrauen der Menschen behält."
Er sah die liberale, pluralistische Demokratie als schützenswert. Im August schrieb er:
"Die Union steht wie keine andere Partei für einen wehrhaften Staat, der Sicherheit und Freiheit als zwei Seiten einer Medaille begreift."
Inzwischen klingt das anders:
"Der beunruhigte Bürger braucht die Gewissheit, dass der Staat alles Menschenmögliche tut, um ihn zu schützen.
[...]
Die Verteidigung der freien Gesellschaft und unserer Art zu leben erfordert einen kühlen Kopf und Nervenstärke – und einen noch entschlossener handelnden Staat, der die größtmögliche Sicherheit seiner Bürger mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu gewährleisten versucht."
Inzwischen geht es nur noch um "alles Menschenmögliche", um "größtmögliche Sicherheit", die "mit allen rechtsstaatlichen Mitteln" erreicht werden soll oder muss. Die Sicherheit ist Walter Rollers Primat, dem sich alle anderen Werte unterzuordnen haben. Er geht diesmal noch weiter als vor ein paar Tagen, als er über den Mord an einer Studentin in Freiburg und die Erwartungen der Bürger gegenüber dem Staat von einer "Geschäftsgrundlage" sprach. Wikipedia definiert einen Polizeistaat so:
"Polizeistaat ist eine kritische Bezeichnung für einen Staat, dessen Organe nicht rechtlich gebunden handeln und die sich im Gegensatz zu heutigen rechts- und verfassungsstaatlichen Vorstellungen wegen einer mangelhaften Gewaltenteilung nicht effektiv gegenseitig kontrollieren. Charakteristisch ist eine starke Stellung der Polizei und anderer staatlicher Sicherheitsdienste (wie die Geheimpolizei) [...]"
Walter Roller fordert keine übergesetzliche Polizei oder übergesetzlichen Sicherheitsdienste. Allerdings wird zunehmend unklar, welche demokratischen Grundwerte er als Begrenzung sicherheitsdienstlicher Aktivitäten akzeptieren möchte, weshalb ihm die abgewandelte Gretchenfrage zu stellen ist:

Nun sag, wie hast du’s mit der Demokratie?

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