Sonntag, 25. Dezember 2016

Sankt Florian für Deutschland

Martin Ferber kommentiert in der Augsburger Allgemeinen vom 24.12. die Konsequenzen des Anschlags von Berlin:


Martin Ferber bringt eine Reihe an Symptomen und Vorschlägen, die einer näheren Analyse bedürfen.

Zustandsbeschreibung

Martin Ferber schreibt:
"Dass Ausländer ohne gültige Papiere problemlos einreisen, sich mehrere Identitäten zulegen, aber nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können, selbst wenn sie von den Sicherheitsbehörden als 'Gefährder' identifiziert worden sind, ist ein untragbarer Zustand. Das muss beendet werden [...]"
Was hier in einem Satz zusammengetragen ist, erweckt den Eindruck, es wäre ein einheitlicher Problemkreis. Ist es aber nicht:
  • Ohne gültige Papiere
    Das kann für Personen gelten, die mit bösen Absichten nach Deutschland kommen und so hoffen, möglichst lange sich aufhalten zu können. Das kann aber auch für Personen gelten, die einem Bombenangriff entkamen nur mit den Sachen, die sie am Leib tragen. Natürlich hat Deutschland das Recht, zu wissen, wer einreist. Aber sogar das Asylrecht kennt Antragsteller ohne Papiere, weshalb es unredlich ist, den Eindruck zu erwecken, Einreisende ohne Papiere wären allesamt Kriminelle oder zumindest Gefährder.
  • Mehrere Identitäten
    In dieser Pauschalität ist es wenig hilfreich. Jeder Internetnutzer hat verschiedene Identitäten, wenn er sich mit unterschiedlichen Nicknames bei verschiedenen Diensten anmeldet. Es ist ferner nicht vorwerfbar, wenn sich einzelne Personen in verschiedenen Umfeldern unterschiedlich nennen. Schränkt man den Begriff der Identität jedoch auf eine "staatsbürgerliche Identität" ein, von der Einmaligkeit angenommen werden kann, ist es unzweifelhaft kriminell, sich durch eine Vielheit solcher Identitäten Vorteile zu erschleichen. Dabei macht es letztlich keinen Unterschied, ob es um mehrfache Antragstellungen geht, um mehrfach Gelder beanspruchen zu können oder ob eine kriminelle Vergangenheit verschleiert werden soll. Allerdings muss die Frage gestellt werden, ob nicht eine strikte Ablehnung ehemals Krimineller nicht gerade dazu führen würde, mit einer gefälschten Identität einen Einreiseversuch zu wagen. Würde es ferner nicht dazu führen, dass diejenigen mit bösen Absichten gegen Deutschland sich besonders unauffällig verhalten würden, bis sie eingereist sind? Würde es nicht auch die von einer Einreise abhalten, die in einem griechischen Chaoslager aus berechtigtem Protest einen Müllkübel angezündet haben und verurteilt wurden? Und wie würde sich das vertragen mit der Grundidee, jeder hätte eine zweite Chance verdient?
  • Keine Abschiebung
    Es gibt eine Reihe an möglichen Gründen, warum eine Abschiebung nicht erfolgen kann. Zuerst sind hier die Voraussetzungen für eine Abschiebung aus § 34 AsylG zu nennen, die eine Abschiebungsandrohung an das Vorliegen einer Entscheidung im Asylverfahren knüpft. Ferner gibt es die oft diskutierten Abschiebehemmnisse, die als Abschiebeverbote in §60 AufenthG oder als Duldung in §60a AufenthG beschrieben sind. Martin Ferber gibt selbst in einem Artikel einen Überblick. Doch abgesehen von solchen juristischen Gründen stellt sich die Vermutung ein, eine strikte Abschiebung sei eine "Lösung" nach dem Sankt-Florian-Prinzip. Warum sollten die Zielländer einer solchen massenweisen Abschiebung von Terroristen und Schwerkriminellen zustimmen? Sie werden sich mit Händen und Füßen wehren. Und nicht übersehen werden sollte, dass die Abgeschobenen sich in den Zielländern erst recht den Terrororganisationen anschießen könnten oder selbst als Terrorwerber weitere potentielle Terroristen generieren. So erhöht sich die Gefahr für Deutschland, die mit der Abschiebung gemindert werden sollte.

Druck machen

Martin Ferber schreibt in einem ersten Lösungsansatz:
"[...] möglicherweise durch die Einrichtung von Transitzonen im grenznahen Gebiet, bis die Identität geklärt ist."
Blenden wir alle möglichen Schwierigkeiten mit solchen Transitzonen aus wie das Recht auf Freizügigkeit, aus den beengten Verhältnissen dort entstehende soziale Probleme, Einschränkungen bei der Klärungsmöglichkeit von Identitäten überhaupt etc. Es wird sich die Frage stellen, wo solche Transitzonen geschaffen werden können. Wieder winkt Sankt Florian: Die Zonen sollen entstehen an der Grenze, im Wald, aber bitte nicht bei uns in unserer Stadt, in unserem Dorf. Wenn sie im Wald versteckt sind, macht es auch nichts, dass sich die besonders lange dort aufhalten, die mit unredlichen Absichten eingereist sind, die kein Interesse an der Identitätsfeststellung haben und eine Gruppe Gleichgesinnter vorfinden, mit der sie dann lange über ihre Pläne diskutieren können. Sind die Pläne reif, werden sie die Transitzone auf eigene Faust verlassen, unter- und zum finalen Akt wieder auftauchen.
Martin Ferber schreibt weiter:
"Zudem muss der Druck auf die Herkunftsländer massiv erhöht werden, ihre rechtskräftig verurteilten Staatsbürger zurückzunehmen, notfalls durch Kürzung oder Aussetzung der Entwicklungshilfe."
Nun ja, warum sollen sich die Länder dem Druck beugen? Wäre es für die Länder nicht sinnvoller, noch viel strikter zu behaupten, der Verurteilte wäre keiner ihrer Staatsbürger? Wenn die Person keine Papiere hat und der fremde Staat sich weigert, zur Aufklärung substantiell etwas beizutragen, bleibt von der Forderung nach höherem Druck nicht viel mehr als heiße Luft.
Der Ruf nach Kürzung oder Aussetzung der Entwicklungshilfe sollte nicht ohne einen Blick auf die Entwicklungshilfestatistik der OECD erfolgen:


Der Großteil der Entwicklungshilfe floss in "Unspecified" Zielländer (oberster Balken) und zum größten Teil (brauner Teilbalken) für "Refugees in donor countries", also Flüchtlinge in Deutschland. Die zumeist größten Anteile der Entwicklungshilfe gehen in "Social Infrastructure" (rote Teilbalken) oder in "Economic Infrastructure" (blaue Teilbalken). Würde die Entwicklungshilfe gekürzt, muss also die Frage beantwortet werden, wem damit geschadet würde. Vielleicht träfe es genau die Menschen, die sich bereits jetzt als Migranten auf eine abenteuerliche Reise nach Deutschland machen. Für sie würde sich die Lage im Heimatland verschlechtern und sie hätten einen Grund mehr zum Hass auf Deutschland: Deutschland wäre Schuld an der Lageverschlechterung. Damit wäre nichts gewonnen, weder für die Sicherheit in Deutschland noch für die Reduktion der Migrationszahlen.

Fazit

Auch wenn der Ruf nach Härte populär ist, dem Terror wird man nur in Einzelfällen mit harter sicherheitsdienstlicher oder polizeilicher Arbeit beikommen. Das wird auf Dauer aber so wenig funktionieren wie mit einem Eimer ein leckgeschlagenes Boot zu retten. Dem Terror wird man nur in der Gemeinschaft Herr, zu der auch die Länder gehören, die den Terror fördern. Nach Sankt Florians Art die Probleme an die Gemeinschaft zu externalisieren, die man intern nicht haben möchte, zeugt nicht von politischer Weitsicht. In den Herkunftsländern werden sich mehr potentielle Terroristen finden als die deutsche Staatsgewalt Ressourcen zu deren Beobachtung hat. Der Ruf nach Härte, nach Druck ist leicht zu propagieren, hält aber einem zweiten Blick nicht stand. Er berücksichtigt nicht mögliche Ausweichmanöver anderer, er überzeugt nicht und entpuppt sich auf Dauer als unwirksam.

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