Freitag, 16. Dezember 2016

Doppelpass ins Aus

In der Augsburger Allgemeinen vom 15.12. hat Walter Roller einen Leitartikel zur doppelten Staatsbürgerschaft veröffentlicht:


Walter Roller schreibt, der "alte Glaubensstreit" flamme wieder auf und nennt als Ursache:
"Richtig ist, dass die Union mit diesem emotional aufgeladenen Thema nationalkonservative Wähler von der AfD zurückgewinnen will."
Dem kann ich zustimmen. Eröffnet wurde der Streit, der seit 2013 beigelegt schien, durch den CDU-Parteitag und einem knapp angenommenem Antrag. Zur Umsetzungsperspektive in der aktuellen Koalition bzw. Regierungskonstellation schreibt Walter Roller:
"Richtig ist auch, dass sich auf absehbare Zeit keine Regierungsmehrheiten für die Rückkehr zur Optionspflicht finden lassen dürften."
Diese Einschätzung teile ich. Trotz der geringen Aussicht auf Realisierung fordert Walter Roller:
"Trotzdem muss es erlaubt sein, den Mythos von der segensreichen Wirkung des Doppelpasses – etwa 600000 Türken haben mittlerweile zwei Staatsangehörigkeiten – im Lichte der Realitäten und neuer Entwicklungen zu hinterfragen, ohne gleich als 'rechts' abgestempelt zu werden."
Natürlich ist die Frage nach den Wirkungen politischen Handelns erlaubt und sogar unbedingt erforderlich. Walter Roller nennt als ersten Punkt seiner Analyse:
"Erstens ist der Doppelpass, wie die Entstehung türkischer und muslimischer Parallelgesellschaften zeigt, kein Allheilmittel der Integration, sondern fördert im Gegenteil in vielen Fällen die Tendenz zur selbst gewollten Abschottung."
Richtig, ein Doppelpass ist kein Allheilmittel. Er kann von einem echten Motivator, einem echten Bekenntnis zu Deutschland über Rosinenpickerei (z.B. hinsichtlich des Wahlrechts) bis hin zu einer Tarnung alles sein. Weder wird er jemanden zu einem "perfekten Deutschen" machen, noch bietet er ausländisch aussehenden Menschen Schutz vor Pöbelei und Fremdenfeindlichkeit. Kein Rechter wird nach dem Pass fragen, bevor er mit der Eisenstange zuschlägt. Der zweite Teil der Behauptung, wonach die selbst gewollte Abschottung gefördert würde, bleibt ohne Beleg, sogar ohne schlüssige Begründung oder Wirkungserklärung und damit ohne Wert. Warum fällt mir hier der Begriff "Fake News" ein?
Walter Roller schreibt weiter:
"Zweitens schwappen die innertürkischen Konflikte zunehmend auf Deutschland über, wobei die Loyalität Hunderttausender mehr Erdogan und seinem Regime als dem deutschen Staat gilt."
Richtig, auch in Deutschland finden sich viele, die Erdogan zujubeln. Walter Roller liefert jedoch keinen Hinweis darauf, wie viele davon einen Doppelpass haben. Joachim Bomhard schreibt ebenfalls in der AZ-Ausgabe vom 15.12.:
"Nach den Ergebnissen einer ergänzenden Hochrechnung lebten zum Stichtag 31. Dezember 2015 zwischen 4,4 und 4,7 Millionen Muslime in Deutschland. Etwa jeder Zweite stammt aus der Türkei. Der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung liegt damit zwischen 5,4 und 5,7 Prozent."
Danach leben etwa 2 Millionen Türken in Deutschland, von denen lt. Walter Roller 600000 einen Doppelpass haben. Damit bleiben etwa 1,5 Millionen Türken ohne deutschen Pass, die für Erdogan demonstrieren dürften und mit der Diskussion um den Doppelpass nichts zu tun haben. Walter Roller führt keinen Nach- oder Hinweis an, dass die mit der höheren Loyalität gegenüber Erdogan anstelle gegenüber Deutschlands zwei Pässe haben. Und er führt nicht aus, welche Bekundungen von Türken in Deutschland erlaubt sein sollen. Ist Freude über die Niederschlagung des Putsches noch erlaubt oder nicht mehr? Oder ist erst die Forderung der Todesstrafe die Grenze? Er zeigt nicht, dass eine klare Entscheidung für oder gegen eine deutsche Staatsbürgerschaft die unerwünschten Proteste verhindern kann. Deshalb erneut die Frage, warum mir "Fake News" einfällt.
Weiter schreibt Walter Roller:
"Und drittens: Wie halten wir es in Sachen Doppelpass mit den vielen Flüchtlingen, die zu uns gekommen sind und noch kommen werden? Deren Integration ist eine immense Aufgabe. In der Debatte um den Doppelpass geht es letztlich auch um die Frage, wie diese Herausforderung am besten zu meistern ist."
Zuerst geht es um türkische Konflikte, die nach Deutschland getragen werden, dann um Flüchtlinge, bei denen meines Wissens nach noch niemand zum derzeitigen Zeitpunkt die Frage nach einer großflächigen Einbürgerung gestellt hat. Walter Roller konstruiert hier mit zwei Themen Berührungspunkte, die es nicht oder nicht so gibt. Verschwörungstheoretiker konstruieren ebenfalls aus unzusammenhängenden oder lose verbundenen Elementen ein vermeintliches Ganzes.
Walter Roller schreibt weiter:
"Niemand muss, wenn er in Deutschland leben will, seine Herkunft und seine Tradition abstreifen. Aber er sollte die in dieser Gesellschaft geltenden Regeln akzeptieren und sich zu diesem freiheitlichen Rechtsstaat bekennen. Der Pass ist mehr als ein Stück Papier. Warum soll sich ein Einwanderer nicht ohne Wenn und Aber dafür entscheiden, nur deutscher Staatsbürger zu sein und so seine Loyalität zu zeigen?"
Ganz einfach: weil das kein Beweis für die Loyalität ist. Walter Roller hat zu Recht darauf hingewiesen, der Doppelpass sei kein "Allheilmittel der Integration". Eine erzwungene Entscheidung zu einer eindeutigen Staatsangehörigkeit ist ebenfalls kein Allheilmittel der Integration. Vielleicht gibt es sogar keine generelle Tendenz in der Wirkung eines Doppelpasses bzw. einer Entscheidung für eine einzige Staatsbürgerschaft. Darum ist die Diskussion darüber keine faktengeleitete, sondern eine emotionale um des Kaisers Bart. Deshalb fällt mir zum wahrscheinlich richtig prognostizierenden Titel des Leitartikels "Der Doppelpass wird zum Wahlkampf-Thema" nur ein:

Wahlkampf! Mir graut's vor dir.

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