Freitag, 30. Dezember 2016

Populisten

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 30.12. einen Leitartikel über Populisten und was gegen sie getan werden kann veröffentlicht:


Ein spannender Leitartikel, der eine genauere Analyse verdient.

Was sind Populisten?

Zu Beginn stellt Walter Roller die wichtige Frage:
"Was ist Populismus? Im Lexikon steht: 'Populismus ist eine von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen zu gewinnen'. Populus ist das Volk, und Populisten behaupten, das 'wahre', von den Eliten hinters Licht geführte und verratene Volk zu vertreten. Sie schüren die Wut auf das 'System', gaukeln einfache Lösungen vor."
Auf Wikipedia findet sich eine vergleichbare Definition, die einzelne Aspekte weiter hervorhebt:
"Die Encyclopedia of Democracy definiert Populismus wie folgt: 'Eine politische Bewegung, die die Interessen, kulturellen Wesenszüge und spontanen Empfindungen der einfachen Bevölkerung hervorhebt, im Gegensatz zu denen einer privilegierten Elite. Um sich zu legitimieren, sprechen populistische Bewegungen oft direkt den Mehrheitswillen an – durch Massenversammlungen, Referenden oder andere Formen der direkten Demokratie –, ohne großes Interesse für Gewaltenteilung oder die Rechte von Minderheiten."
Walter Roller ordnet gemäß der Definition Marine Le Pen und Donald Trump als Populisten ein, die AfD und die FPÖ als populistische Parteien - in allen Fällen muss man zustimmen. Walter Roller hat Recht, wenn er schreibt:
"Auch den etablierten, den lupenrein demokratischen Parteien ist der Populismus nicht fremd. 'Volksnah' wollen alle sein. Jede ist um die 'Gunst der Massen' bemüht, jede will an die Macht. Demokratische Politiker stehen in der Pflicht, dem Volk 'aufs Maul' zu schauen und die Anliegen der Bürger aufzugreifen."
An dieser Stelle muss hingewiesen werden auf eine Art "Populismusstufe". Populistisch sind Parteien, die sich vornehmlich populistischer Methoden bedienen. Eine Partei, die zeit- oder anlassweise populistische Methoden anwendet, ist noch nicht populistisch, aber der populistische Werkzeugkasten bleibt populistisch, auch wenn er von "lupenreinen demokratischen Parteien" angewendet wird. Das bringt uns zur Frage, was der populistische Werkzeugkasten sei. Wikipedia bietet folgende an:
  • Das Volk auf der einen Seite, die Eliten auf der anderen
  • Das Volk hat politische Reife, ein ungetrübtes Urteilsvermögen
  • Die Eliten sind korrupt, unfähig und in dubiose Machenschaften verwickelt
  • Das Volk ist die Summe der braven Bürger, weshalb das Bürgerinteresse mit dem Volksinteresse gleichgesetzt wird
  • Die Interessen der braven Bürger sind berechtigt, wahr, moralisch
  • Es gibt Krisen und Niedergang und es gibt Schuldige daran
In einer solch einfachen Welt können einfache "Lösungen" generiert werden. Einfache "Lösungen" bieten Populisten zu genüge an.

Ursachen des Populismus

Walter Roller schreibt:
"Hätten sie (demokratische Politiker, Anm.) es (dem Volk aufs Maul geschaut und Anliegen aufgegriffen, Anm.) in der Vergangenheit zur Genüge getan, wäre es gar nicht zum viel beklagten Aufstieg populistischer Parteien und dem Vertrauensverlust der regierenden, meist Einheitskost servierenden Parteien gekommen."
Dieser Satz ist mit Vorsicht zu genießen, da sich der Populismus gemäß Definition durch Hören auf des Volkes Stimme auszeichnet und laut Walter Roller ein Hördefizit ein Grund für den Aufstieg populistischer Parteien sei. Als ob der Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben werden sollte. Andrés Velasco, ehem. Minister und Professor an verschiedenen Universitäten, warnt in seinem Beitrag "The Real Roots of Populism":
"Precisely because populism – whether leftist (Hugo Chávez in Venezuela, Podemos in Spain) or rightist (Donald Trump in the United States, the National Front in France) – is ugly, menacing, and destructive, its growing strength calls for nuanced explanation. A weak grasp of causes will lead to ill-conceived solutions – at which point populism truly may become unstoppable."
Schafft es die Ursachenforschung nicht, die Gründe für den Erfolg der Populisten zu erklären, gerät man leicht auf den Weg falscher Lösungen. Wenn Walter Roller glaubt, mit besserem Zuhören der etablierten Parteien wäre den Populisten das Wasser abzugraben, scheint mir das zu einfach. Kemal Derviş, ehem. Minister und hoher UN-Mitarbeiter, schreibt:
"Unfortunately, these arguments often lead political moderates to retreat under the pressure of nativism, aggressive nationalism, and incoherent economic slogans. Those who shout or tweet one-liners and promote narrow identity politics have forced those who believe in a global human community, one bound together by shared interests, to fight a rearguard battle to articulate why the one-liners make little sense."
Walter Roller meint, mit mehr Zuhören wäre der Aufstieg der Populisten zu verhindern gewesen. Das erklärt nicht, warum nun vielfach nationalistische Töne zu hören sind, warum nun der Glaube an nationale Lösungen wächst. Ein Beispiel: Warum sind die Populisten mit "Nein zu Europa" erfolgreich, warum fordern sie nicht ein "populistisches Europa", das dem Volk zuhört und viele Volksentscheide realisiert?
Den etablierten Parteien wird oft vorgeworfen, Entscheidungen dauerten zu lange. Deshalb fordern Populisten meist einen "Starken Mann", der alles richten kann. Die Länge von Entscheidungen ist jedoch genau der Interessenausgleich, der notwendig ist für eine Politik, die auf Minderheiten Rücksicht nimmt. Darum glaube ich nur eingeschränkt an die einfache Ursache, die Walter Roller nennt. Ergänzend dazu ein Hinweis von Roberto Laserna:
"Another confusion, and perhaps a more dangerous one, similarly conflates 'the people' with the so-called 'masses' going out into the streets. The logic of this type of mobilization is that resources are directed to the group that shouts the loudest and is able to trigger social conflict. This means that attention is diverted from the weakest and those most in need to those who already are well enough off to be organized."
Ian Buruma meint, der Populismus helfe den Reichen, obwohl der Populismus doch den kleinen Mann einen sollte:
"The newly rich are as important a force in the rise of populism as the poorer and less educated people who feel neglected by the elites. Despite huge inequalities of wealth, they share a deep anger at those whom they suspect of looking down on them. And they are not entirely wrong. No matter how many palaces or yachts new money can acquire, old money will continue to despise the acquirer. Likewise, the educated urban class tends to dismiss the voters who supported Brexit or back Trump as stupid and ill-bred. " 

Qualität in der Politik

Walter Roller bringt Beispiele, wie etablierte Parteien den Grenzgang versuchen zwischen populär und populistisch:
"Ein Mann wie der CSU-Vorsitzende Seehofer hat im Kampf um die Mehrheit stets die Stimmung in der Bevölkerung im Blick und richtet seine auf das Kleinhalten der AfD fokussierte Politik auch danach aus. Oder nehmen wir Sigmar Gabriel, der das Schicksal seiner SPD immer wieder mit 'populären' Vorstößen zu wenden versucht. Wer will, mag das – und auch manche Volte der Kanzlerin – Populismus nennen."
Zugegeben, die Grenze ist fließend und nicht jeder Populismusvorwurf gerechtfertigt und vielleicht selbst sogar populistisch, ein Totschlagargument. Deshalb passt die Grundrichtung des nächsten Satzes von Walter Roller:
"Doch es ist grober Unfug, jede Forderung etwa Seehofers (zuletzt jene nach einer 'Neujustierung der Sicherheits- und Flüchtlingspolitik') mit dem Etikett populistisch zu versehen und in einen Topf mit den völkisch-national eingefärbten Parolen der AfD zu rühren."
Nicht jede Forderung Seehofers ist populistisch. Wenn Seehofer aber in den Seegebieten der AfD Themen und Lösungen fischt und die AfD populistisch ist, sind auch die seehoferschen Fänge aus diesen Gebieten populistisch. Insbesondere die "Neujustierung der Sicherheits- und Flüchtlingspolitik" ist aus den AfD-Fischgründen, der Zeitpunkt kurz nach dem Attentat wohl schon geschmacklos. Daran ändert sich auch nichts, wenn Walter Roller auf die Erfolge von Seehofer verweist:
"Seehofer kann das ertragen, zumal viele seiner zunächst als 'rechts' abgestempelten Vorstöße mit einiger Verspätung Regierungspolitik werden."
Nur weil etwas realisiert wurde, ist es nicht gute Politik. Obwohl es realisiert wurde, kann es aus dem Grabbelkasten rechter Ideen entlehnt sein. Nur weil die Regierung aus Fantasielosigkeit gegenüber den Populisten schrittweise deren Inhalte übernimmt, macht sie keine gute Politik.

Was tun gegen Populisten?

Walter Roller schlägt passend zu seiner Ursachenanalyse vor:
"Probleme lösen – und zwar so, dass sich auch der konservative, an traditionellen Werten hängende, auf Recht und Ordnung pochende Teil der Bevölkerung wieder besser aufgehoben fühlt in diesem Staat."
Nein, das reicht nicht. Mehr konservative Politik schützt uns nicht vor Populisten. Das würde vielleicht populistischen Parteien Stimmen nehmen, gleichzeitig jedoch zum Teil deren Politinhalte realisieren. Damit lässt sich nicht der Populismus mit seinen Ideen der Abschottung, des Wir-versus-Die, seine einfachen Wege etc. aus der Welt schaffen. Gegen Attentäter geht man nicht erfolgreich vor, in dem man höhere Gefängnisstrafen fordert.
Kemal Derviş schlägt einen "Gegenangriff" vor und weist auf mögliche Hindernisse hin:
"But this counterattack, if it can be called that, seems unable to formulate even two-liners capable of refuting populist tendentiousness. There are of course decent economic analyses and sensible policy proposals that are being put forward by the moderate camp; but the debate is usually in the language – and body language – of technical experts, inciting yawns, not popular support. [...]
What makes 'constructive' populism constructive is that it simplifies what is known with a reasonable degree of certainty. By contrast, 'destructive' populists consciously distort what is known and have no qualms fabricating what isn’t. [...]
But it must be made concrete. In the world’s liberal democracies, such a message should emphasize three components: strong defense and intelligence capabilities; the legitimacy of negotiating with friends and foes alike to find common ground; and the understanding that lasting alliances and friendships will be built around shared democratic values and support for human rights."
Roberto Laserna nennt einen weiteren Aspekt, der zur Lösung beitragen kann:
"The most flagrant confusion is that which conflates state and nation."
Selbst für mehr national denkende Menschen böten sich abseits der üblichen AfD-, FN, FPÖ-Diktion Möglichkeiten. So schlägt Lawrence Summers in der Financial Times vor:
"What is needed is a responsible nationalism — an approach where it is understood that countries are expected to pursue their citizens’ economic welfare as a primary objective but where their ability to harm the interests of citizens elsewhere is circumscribed. International agreements would be judged not by how much is harmonised or by how many barriers are torn down but whether citizens are empowered."
Den Populisten wird man nicht Herr, wenn man die Probleme, die vorhanden und teilweise von den Populisten inzwischen so emotional aufgeladen wurden, durch populistische "Lösungen" löst. Die Politik muss einen Weg finden, solche Lösungen zu generieren, dass sich konservative und liberale, grüne und rote, alle in ihnen finden können. Die Politik muss den Dialog ermöglichen und die Beteiligten müssen lernwillig sein: Weder hilft die konservative Lösung "Gefängnis" bei allen Straftaten, noch hilft das liberale Credo "Alle Macht dem Markt". Nur weil konservatives Gedankengut derzeit das zweifelhafte Glück hat, durch Populisten lautgesprochen zu werden, ist nicht konservative Politik die Lösung.

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