Mittwoch, 7. Dezember 2016

Der manipulierte Wähler

In der Augsburger Allgemeinen berichtet Michael Pohl über den Einsatz von Big Data im US-Wahlkampf:


Michael Pohl schreibt über Alexander Nix:
"Der frühere Finanzanalyst war mit seiner Firma in der Endphase des US-Wahlkampfs oberster Digitalstratege von Donald Trumps Kampagne. Und was nach dem Erfolg des schrillen Immobilien-Milliardärs vielen Menschen Angst macht, ist die Aussage von Nix, sein Unternehmen mit dem wohlklingendem Namen „Cambridge Analytica“ habe mithilfe von Milliarden Datenspuren für fast jeden der 220 Millionen erwachsenen US-Bürger ein psychologisches Persönlichkeitsprofil erstellt. Es basiere unter anderem auf Facebook-Seiten und Kreditkarten-Abrechnungen. „Big Data“ nennen Marketingleute das Prinzip, unzählige individuelle Verbraucher-Daten zu verknüpfen, um auf den einzelnen Kunden zielgerichtete Werbung zu platzieren und ihm so Produkte zu verkaufen."
Michael Pohl stellt die Frage, ob mit Big Data Wahlmanipulation möglich wäre. Entscheidend wird sein, was unter Manipulation verstanden wird. Es geht nicht um Fälschung von Wahlzetteln oder Schindluder bei der Auszählung. Es geht, wie im Marketing, um die Ansprache lohnender Ziele. Im Prinzip ist jeder Wahlkampf eine Art Manipulation, weil jede Partei die Wähler in jeweiligen Sinn beeinflussen und zur Stimmabgabe für die Partei bewegen möchte. Michael Pohl beschreibt den Wahlkampf so:
"Trumps Helfer Nix nutzte neben Facebook gigantische Mengen anderer Verbraucherdaten, die bei dem lockeren US-Datenschutz samt Adressen frei käuflich sind. Etwa welche Zeitschriften oder Lebensmittel die Bürger kaufen. Ein entscheidendes Merkmal, ob Wähler für Trumps Werbebotschaften als besonders anfällig gelten, war demnach, ob sie ein Auto aus amerikanischer Produktion fahren. Entsprechend des Psychoprofils bekamen die Wähler individuell maßgeschneiderte Werbebotschaften. Und im trotz Internet wahlentscheidenden Kampf an der Haustüre, konnten Trumps Wahlhelfer auf einer Smartphone-App sehen, bei wem sich das Klingeln lohnt und bei wem nicht. Oder welche Themen sie ansprechen sollten."
Wikipedia definiert Manipulation als "gezielte und verdeckte Einflussnahme". Wie wenig Informationen nötig sind für ein brauchbares Profil und damit gezielte Ansprache, zeigt Michael Pohl:
"Der Wissenschaftler behauptet, dass man aus durchschnittlich 68 Facebook-Likes eines Profils mit 95-prozentiger Sicherheit vorhersagen kann, welche Hautfarbe der Besitzer hat, mit über achtzig Prozent, ob er homosexuell ist oder ob er Demokraten oder Republikaner wählt. Ähnliches gelte für Intelligenz, Religion oder Alkoholkonsum. Mit 300 Likes könne die Technik das Verhalten einer Person eindeutiger vorhersagen als deren Partner."
Die notwendige Anzahl Likes zu bekommen ist kaum eine Hürde. Wenn die Analyse wirklich so leistungsstark ist und ein Wahlkämpfer deshalb einen Wähler besser kennt als dieser sich selbst und der Wahlkämpfer damit in der Lage ist, die relevanten Knöpfe beim Wähler zu drücken, ist das manipulativ. Nicht umsonst stehen die Kommunikationstechniken des NLP unter dem Manipulationsverdacht.
Im Marketing ist mancher Verbraucher vielleicht froh, nur relevante Werbung gezeigt zu bekommen, als manipulativ wird er das nicht empfinden. Relevante Werbung zu platzieren ist das Ziel für die Werbenden, weil damit die Werbewirksamkeit erhöht wird und Streuverluste geringer sind. Eine Marketingmanipulation mag moralisch bedenklich sein, eine zu viel gekaufte Tafel Schokolade jedoch ein geringer Schaden. Anders wird es bei der demokratischen Willensbildung, die in einer Wahlentscheidung gipfelt. Die unerwünschten Nebenwirkungen lassen sich nicht kurzfristig beheben und wenn es blöd läuft, trumpelt ein ganzes Land in ein fragwürdiges Ergebnis.
Michael Pohl weiter:
"'Big Data' mag zwar Trumps Wahlsieg nicht allein erklären, aber beim knappen Ergebnis spielte jeder Faktor eine Rolle. Doch was bedeutet dies für Deutschland? 'Menschen in der digitalen Welt sind mit nur wenigen Merkmalen berechenbare Größen', sagt der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar. 'Was wir aus dem Bereich der Werbung bereits kennen, das funktioniert auch zur Beeinflussung von Wählern.' Die Technik von 'Big Data' sei ein überaus mächtiges Instrument. 'Für die Demokratie, wie wir sie kennen, ist es das Ende, wenn die Überlegenheit von Big-Data-Strategien den Ausgang von Wahlen bestimmt und die Basis bildet für eine intransparente, auf Algorithmen beruhende, gezielte Ansprache des Wählers.' Caspar fordert eine Stärkung der Rolle des Datenschutzes: 'Manipulation darf hier nicht zu einem akzeptierten Werkzeug werden.'"
Dem Schlusssatz ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Nur: wie kann das erreicht werden?
  • Das Schwert des Datenschutzes muss scharf bleiben. Eine Stärkung des Datenschutzes wird nicht reichen, weil die Anbieter der Datendienstleistung durch entsprechende Wahl des Standortes und anderes Verhalten Datenschutzvorgaben ganz oder teilweise aushebeln können. Neue Anbieter scheren sich ggfs. überhaupt nicht um Datenschutz. Und was kann Datenschutz noch erreichen, wenn die Nutzer selbst der Verwendung ihrer Daten zustimmen, teilweise ohne Verständnis für die Konsequenzen dieser Zustimmung?
  • Die Verwender oder Nutznießer der Daten müssen in die Pflicht genommen werden und vor einer wahlwerberischen Ansprache darüber aufklären, woher sie welches Wissen über den angesprochenen Wähler haben. Nur so hat der Wähler eine Chance, die mögliche Manipulation zu erkennen und der Wahlwerbung mit Vorsicht zu begegnen.
  • Die Medienkompetenz der Wähler ist zu stärken. Das muss bereits in der Schule beginnen. Die Menschen müssen sensibilisiert werden, wie einseitig Informationen sein können, wenn sie nur aus bestimmten Quellen stammen. Sie müssen sensibilisiert werden für die Funktionsweise von Sozialen Netzwerken, die immer nur relevantes dem Nutzer präsentieren. Sie müssen sensibilisiert werden, wenn sie eine Website aufgerufen haben und in den folgenden Tagen und Wochen immer wieder Werbung für genau diese Site angezeigt bekommen, egal wo sie gerade im Internet unterwegs sind. Sie müssen sensibilisiert werden für den Umfang politischer Themen und welchen Aufwand eine umfassende Information zu einem Thema erfordert. Sie müssen ermuntert werden zu hinterfragen und skeptisch zu sein. Sie müssen in die Lage versetzt werden, selbst zu entscheiden, von wem sie sich wie und wohin bewegen lassen und wo sie nicht mitgehen wollen. Sie müssen mit Manipulation rechnen. Big Data macht das zu einer großen Aufgabe für uns alle.

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