Dienstag, 3. Januar 2017

Quark, breit, nicht stark

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 3.1. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er ein entschlosseneres Handeln des Rechtsstaats fordert:



Wahlkampforakel

Walter Roller schreibt:
"Deutschland steuert auf einen harten, das Land noch mehr polarisierenden Wahlkampf um die Sicherheits- und Flüchtlingspolitik zu. [...] Aber wann, wenn nicht vor einer Bundestagswahl, soll in einer Demokratie über jene Probleme diskutiert werden, die den Bürgern auf den Nägeln brennen?"
Sein Voraussage dürfte richtig sein, seine Frage über den Zeitpunkt für politische Diskussionen ist es jedenfalls. Selbstverständlich muss ein solches Thema im Wahlkampf diskutiert werden - hoffentlich bleibt es nicht das einzige Thema, hoffentlich dominiert es nicht alle anderen Themen. Einen Rahmen steckt Walter Roller ab:
"Verantwortliche Politik darf die Lage weder dramatisieren (wozu die CSU/CDU aus taktischem Kalkül neigt) noch, wie es im rot-rot-grünen Lager üblich ist, mit beschwichtigenden Formeln schönzureden versuchen."
Er sollte hinzufügen, dass sich die verantwortliche Politik auch nicht von den Populisten die Themen aufzwängen darf. Und er sollte die Wähler aufrufen, einen verantwortlichen Umgang von der Politik einzufordern. Tut er aber nicht, er begnügt sich mit einer Schuldzuweisung und einem Hinweis auf Law-and-Order:
"Die Verantwortung hierfür trägt eine Politik, der es am Willen zur konsequenten Durchsetzung von Recht und Ordnung fehlt."
Nir Baram hat in seinem Roman "Weltschatten" einen schönen Einblick gegeben in verantwortungslose Wahlkämpfe, als er den Wahlkampfberater Alister Edmond in einer Mail schreiben lässt:
"Unsere einzige Chance ist, die Kampagne auf eine Botschaft zuzuspitzen: Eine Wirtschaftskrise historischen Ausmaßes (wie in den achtziger Jahren, oder im Grunde noch schlimmer) kommt mit der Geschwindigkeit einer Raumfähre, die von einem betrunkenen Astronauten gesteuert wird, auf Bolivien zu, sodass jetzt einfach jemand gewählt werden muss, der uns vor der nahenden Apokalypse rettet.
Eine 'Breitseite' gegen die beiden anderen Kandidaten muss her, vor allem gegen den der extremen Linken. Ein Verunglimpfungshagel wie eine Sintflut, und danach die erfolgreichsten Anschuldigungen immer wieder durchkauen, bis die Kinder sie in ihren Albträumen aufsagen können. Das sind die beiden Kernelemente der Kampagne, etwas anderes kommt nicht in Frage."
Ein verantwortungsbewusster Wahlkampf ist der erste Schritt, den die etablierten Parteien setzen können, um den Populisten Einhalt zu gebieten.

Angst wovor?

Walter Roller schreibt:
"Wenn sich nur noch 40 Prozent der Deutschen ausreichend beschützt fühlen, so ist dies ein alarmierendes Zeichen für das schwindende Vertrauen in den Staat."
Er sagt nicht, woher er die Zahl hat. Die Studie "Die Ängste der Deutschen 2016" zeigt jedenfalls ein Anwachsen der Angst vor Terrorismus:


Die Angst machte bei konkreten Anlässen einen Sprung und zeigt, wie sehr das Thema "den Bürgern auf den Nägeln" brennt. Wie rasch sich die Angst ändern kann, zeigt auch eine Rückschau auf eine Presseinfo 2014:
"Die Deutschen sind 2014 so entspannt wie lange nicht mehr. Nie zuvor in der R+V-Langzeitstudie 'Die Ängste der Deutschen' befürchteten so wenige Bundesbürger, dass es mit der Wirtschaft bergab geht und die Arbeitslosenzahlen steigen. Auf ein Rekordtief fiel auch die Sorge um die Überforderung der Politiker. Und noch wichtiger: Der Angstindex, der Durchschnitt aller langjährig abgefragten Ängste, sank um 2 Prozentpunkte auf 39 Prozent - und damit auf den niedrigsten Wert seit 20 Jahren. 2014 liegen nur vier Ängste über der 50-Prozent-Marke. 'Am meisten Sorgen machen sich die Bundesbürger ums Geld, die Umwelt und ihre eigene Gesundheit', so Rita Jakli, Leiterin des R+V-Infocenters, auf der heutigen Pressekonferenz in Berlin. 'Die Mehrheit der Deutschen befürchtet, dass die Euro-Schuldenkrise die Steuerzahler teuer zu stehen kommt und die Lebenshaltungskosten weiter steigen.' Mehr als jeder zweite Bundesbürger hat Angst vor zunehmenden Naturkatastrophen und davor, im Alter auf Pflege angewiesen zu sein."
Die Studie 2016 wiederum zeigt, wie breit die Themen gefächert sind, die den Bundesbürgern Angst machen:


Die Top-Themen befeuert Walter Roller, wenn er schreibt:
"Nichts trägt mehr zur Verunsicherung bei als das Gefühl mangelnder Sicherheit infolge staatlichen Kontrollverlustes."
Mangelnde Sicherheit ist die Triebfeder, die das Sicherheitsthema zum dominierenden im Wahlkampf machen kann. Angeblicher staatlicher Kontrollverlust (Walter Roller) bzw. Überforderung der Politiker (Studie) die Triebfeder, die es den Vertretern verantwortlicher Politik schwer machen, überhaupt Gehör zu finden. Ängste, die im Kern verständlich sind, dürfen nicht zum Nebel werden, der europäische Werte und Lehren aus der Geschichte verhüllt und bei dem "Lösungen", wie sie Populisten fordern, zum Leuchtturm werden.

Getretener Quark

Walter Roller hat es inzwischen auf eine beachtliche Sammlung von Leitartikel gebracht. Bei den Themen Sicherheit, Migration und Flüchtlinge kommen seine Analysen immer zum selben Ergebnis: Mehr Rechtsstaat, entschlosseneres Handeln, mehr Härte. Dabei nutzt er den Effekt, den Dipl.-Psychologe Dr. A. Kitzmann so beschreibt:
"Auch durch ständige Wiederholungen können wir manipuliert werden. So kann ein Gesprächspartner, der immer wieder eine bestimmte Tatsache äußert, durch die ständige Wiederholung die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen erhöhen. Mit der Zahl der Wiederholungen einer Behauptung wächst die Bereitschaft, die Behauptung als wahr zu akzeptieren, denn bei der Wiederholung tritt ein Bekanntheitseffekt auf, der dazu führt, daß wir eine vertraut freundliche Haltung einnehmen."
Ergänzend der Hinweis, die "Tatsache" muss nicht wahr sein, es kann sich auch um eine bloße Behauptung handeln.
Die immer gleiche Forderung Walter Rollers nach Härte kann man einer in den Leitartikeln ausgedrückten konservativen, vielleicht sogar rechts-konservativen Haltung zuschreiben. Fragwürdig sind jedenfalls seine Ausflüge in den populistischen Werkzeugkasten, wie auch heute (Hervorhebung von mir):
"Das Versagen der Behörden liegt auf der Hand. Doch sie sind nicht schuld daran, dass einer wie Anis Amri – wie viele Amris leben eigentlich hier? – nicht in Abschiebehaft genommen und zügig ausgewiesen wird, keiner Melde- und Residenzpflicht unterliegt und sich in einem Netz islamistischer Moscheen bewegen und verbergen kann."
Walter Roller macht - wiederum unter Anwendung populistischer Methoden - gleich klar, für wie realitätsfern er abweichende Meinungen hält:
"Die Leugnung eines Zusammenhangs zwischen der großherzigen Asylpolitik und der verschärften Sicherheitslage kommt einer Realitätsverweigerung gleich."
Auch dies kommt in seinen Leitartikeln wiederholt zum Ausdruck. Wobei er ja recht hat, wenn er einen Zusammenhang herstellt zwischen Zuwanderung und Sicherheit: Bei den eingereisten Menschen waren auch solche darunter, die ihre beruflichen Zukunft im Terrorismus sahen. Allerdings hat er nicht recht, wenn er einen Zusammenhang herstellt zwischen Zuwanderung und Sicherheit: Er tut so, als ob Abschiebung, Residenzpflicht etc. Mittel gegen den Terror wären. Das sind bestenfalls Mittel für ein besseres Sicherheitsgefühl, nicht für eine verbesserte Sicherheitslage. Auch Deutsche oder zur deutschen Staatsbürgerschaft gewechselte können sich radikalisieren, auch hier geborene. Ab wann soll ein Flüchtling oder Asylbewerber nicht mehr als Gefahr gelten? Hier verkennt Walter Roller selbst die Realität. Oder er handelt nach dem obigen Wahlkampfvorschlag von Alister Edmond. Ich hoffe, im Wahlkampf durchschauen die Wähler den Unterschied zwischen Symbolpolitik und verantwortlicher Politik. Doch mein Optimismus ist ein verhaltener, wenn ich mir die Ergebnisse einer Studie zu möglichen Maßnahmen zur Steigerung der Sicherheit bei Statista ansehe:


Apropos Realitätsverweigerung: Ich persönlich habe ja viel mehr Angst vor Fahrdienstleitern der Deutschen Bahn. Denn (Zahlen gerundet, damit sich's leichter rechnet):
  • 2015 kamen etwa 1 Million Flüchtlinge. 2016 gab es etwa 5 Attentate
    Quote: 0,0005 %
  • Es gibt etwa 12.000 Fahrdienstleiter, wie die DB im November schrieb, 1 davon verschuldete einen schweren Zugunfall (Bad Aibling)
    Quote: 0,00833 %
Sollten nicht alle Fahrdienstleister das Handy im Dienst abgeben müssen, sollte nicht eine Handypolizei kontrollieren, welche Spiele installiert und wann gespielt wurden (Identifikation)? Vielleicht sollten alle Fahrdienstleister alle 15 Sekunden einen Aufmerksamkeitsknopf drücken müssen (Meldepflicht), um aufmerksam zu bleiben?

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