Mittwoch, 11. Januar 2017

Bayerns Deutschland 2.0

Die Augsburger Allgemeine hat einen Bericht veröffentlicht zu den Papieren der CSU zu Asyl und Sicherheit:


Obwohl es sich nur um zwei Papiere handelt, halte ich den Begriff der "Flut" im Titel für gut gewählt. Im Bericht heißt es zu Seehofers Flutbeitrag:
"Seine Kernaussage lautet: 'Wir treten ein für Humanität und Integration, aber auch für eine klare Ordnung und Begrenzung gegenüber denjenigen, die wir nicht aufnehmen können.'"
Es lässt sich darüber diskutieren, ob das wirklich die Kernaussage ist und nicht die Obergrenze. Das Bekenntnis zur "Humanität und Integration" könnte auch als Abgrenzungsversuch zur AfD verstanden werden, die auch auf Ordnung und Begrenzung drängt. Ein Blick in die Beiträge kann vielleicht Klarheit bringen. Inzwischen sind die Beiträge als Bericht aus der Kabinettsitzung verfügbar.


Damit Deutschland Deutschland bleibt

Der erste Teil der Flut betrifft den Beitrag von Horst Seehofer, der sich mit dem Positionspapier zur Zuwanderung befasst. Dabei wird der erste Teil der oben genannten Kernaussage so beschrieben:
"Die Aufnahme von Schutzbedürftigen ist ein Gebot der christlichen und humanitären Verantwortung. [...] Humanität und Integration können jedoch nur gelingen, wenn die Grenzen dessen beachtet werden, was Staat und Gesellschaft leisten und verkraften können."
Es wird von christlicher und humanitärer Verantwortung gesprochen und im übernächsten Atemzug gleich darauf hingewiesen, wie eng begrenzt diese Verantwortung wahrgenommen werden kann. Es wird auf leist- und verkraftbares verwiesen, eine Formulierung beliebiger Beliebigkeit. Etwas später heißt es zur Obergrenze von 200.000 Personen:
"Diese Obergrenze entspricht nach langer Erfahrung der Verantwortung und auch der Leistungskraft unseres Landes."
Hier bleibt ebenfalls offen, was das denn nun für eine Grenze sei, die nicht übersprungen werden kann. Das Fuchteln mit der Grenze wird unterstützt durch eine weitere Behauptung:
"Eine unbegrenzte Aufnahme ist beim besten Willen nicht zu schaffen – von niemandem und in keinem Land der Welt."
Niemand hat gefordert, dass Deutschland die Aufnahme der Welt wolle. Ferner heißt es:
"Die Situation vom September 2015 darf sich keinesfalls wiederholen. Deutschland kann nicht noch einmal eine so hohe Zahl von Flüchtlingen aufnehmen."
Was denn, Herr Seehofer? Deutschland kann nicht nochmals 43.071 Asylanträge verkraften, wie das BAMF schreibt? Das ist doch unterhalb der Obergrenze von 200.000. Und Sie behaupten das pauschal, ohne Zeitbezug, weshalb es zulässig ist, diese Zahl als Jahreswert zu interpretieren.
Als Lösung sieht das Papier sechs Punkte vor:
  1. Bekämpfung der Fluchtursachen
    "Lebensperspektiven in der Heimat" werden als das "beste Mittel gegen neue Migrationswellen" gesehen. Inhaltlich natürlich vollkommen richtig. Allerdings wird das nicht für die Menschen gefordert, die fliehen, sondern gegen diese und für Deutschland. Es sind also egoistische Motive und damit ein Kratzer im Lack der christlichen und humanitären Verantwortung.
  2. Rückführung
    Das betrifft diejenigen, die "keinen Anspruch auf Schutz haben", diejenigen, bei denen "der Verfolgungs- oder Fluchtgrund weggefallen ist". Der Anspruch auf Schutz ist nicht eingeschränkt, weshalb unklar ist, ob alle gemeint sind, deren Asylantrag abgelehnt wird oder ob beispielsweise Abschiebehindernisse weiterhin als humanitäres Gebot gelten. Das "Gastrecht" verwirken überhaupt alle, die "in Deutschland straffällig" wurden. Falschparken bricht Asylanspruch? Kommt Deutschland damit nicht in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, wenn Personen mit einer nichtdeutschen Staatsbürgerschaft mit einer anderen, vielleicht sogar zusätzlichen Strafe zu rechnen haben. In der Pauschalität, wie es hier gefordert wird und ohne Rücksicht auf die Schwere der Straftat eine fragwürdige Forderung.
  3. Familiennachzug
    Der Nachzug soll eingeschränkt werden auf die Kernfamilie, auf berechtigte Fälle und nur unter der Voraussetzung erfolgen, dass "ein dauerhaftes Bleiberecht, eine eigene Wohnung und ein selbstverdienter, gesicherter Lebensunterhalt" vorliegt. Da drängt sich die Frage auf, ob nicht die nachziehende Familie selbst ein Asylrecht erworben haben könnte, ob nicht eine Zusammenführung der Kernfamilie ein humanitäres Gebot, ein Element der Integration ist und deshalb die Voraussetzung humanitär fragwürdig, wenn nicht sogar inhuman.
  4. Grenzssicherung und Europa
    Es wird "gemeinsames europäisches Asylsystem" gefordert, bei dem im grenznahen Schnellverfahren entschieden wird und Solidarität aller Mitgliedsstaaten erforderlich ist. Über Flüchtlingszentren in Drittstaaten soll der Druck auf die EU-Außengrenzen gesenkt und das Geschäft der Schlepper beendet werden. Dass das mal nicht nach hinten losgeht und die Schlepper sich auf die Umgehung der Flüchtlingszentren spezialisieren. Wie weit es mit der europäischen Solidarität her ist, zeigt das Verhalten der Visegrád-Staaten und das Erstarken der Rechtspopulisten in Frankreich, Österreich etc. Die Forderung nach einer gemeinsamen europäischen Haltung ist dennoch und jedenfalls berechtigt. In dem Wissen um die zögerliche Haltung in Europa kann es auch die Basis sein, mehr auf nationale Lösungen zu setzen.
  5. Binnengrenzen
    Um "die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten zu können" werden in Grenznähe "Transitzentren" gefordert. Dabei wird behauptet, der Art. 16a GG erlaube "Zurückweisungen auch und selbst gegenüber Asylbegehrenden, wenn diese aus einem Mitgliedstaat der EU nach Deutschland einreisen wollen". Naja, im Wortlaut des Artikels, Absatz 2, heißt es lediglich, dass man sich bei der Einreise über ein EU-Land nicht auf das Asylrecht (Absatz 1) berufen könne. Zu Zurückweisungen sagt das Grundgesetz nichts.
  6. Migrationsanreize
    Die Anreize zur Migration nach Deutschland sollen abgebaut werden, "damit es keine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme gibt". Dazu müsste erst erwiesen sein, dass das die Hauptgründe für Migration sind. Das ist sehr zweifelhaft, wenn man Argumente hört wie sie viele Menschen bringen, die nach England wollen, weil sie dort Bekannte finden werden.
Hier gibt es erste Anzeichen einer möglichen Vermischung von Asyl und Migration. Etwas später heißt es im Dokument:
"Daneben (den o.g. Forderungen, Anm.) braucht Deutschland ein Einwanderungsbegrenzungsgesetz, das die legale Zuwanderung in den Arbeitsmarkt steuert und begrenzt. Das Asylrecht ist kein allgemeines Zuwanderungsrecht."
Das ist natürlich richtig, Asyl ist kein "allgemeines Zuwanderungsrecht". Es ist ein besonders starkes Recht. Dennoch, durch die latente Vermischung von Asyl und Migration, durch den generellen Duktus der Härte bleiben Zweifel an der Humanität. Es entsteht der Eindruck, die CSU fechte einen Kulturkampf, den sie im Titel des Forderungskatalogs bereits angekündigt hat.


Freiheit und Sicherheit durch Recht und Ordnung

Wie Teile dieser Kultur ausgestaltet sein sollen, legen der bayerische Innen- und der Justizminister dar in ihrem Beitrag zur zweiten Flutwelle. Beide wollen die Befugnisse der Sicherheitsbehörden ausweiten und fordern deshalb unter anderem:
  • Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung auf "E-Mail-Dienste, elektronische Post, Messenger Dienste und soziale Medien" sowie eine Verlängerung der Speicherfrist
  • Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation und "Befugnis zur Anordnung der Entschlüsselung von Entschlüsselungssoftware"
  • Online-Durchsuchung
  • Fluggastdatenspeicherung
Die Minister glauben, durch ein Mehr an Daten könnten sie ein Mehr an Sicherheit bieten. Ich glaube, sie schaffen damit vor allem ein Mehr an gefühlter Sicherheit und reißen gleichzeitig sicherheitsschaffende Elemente ein, wenn sie einen Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation fordern. Warum fordern sie nicht gleich das Verbot vertraulicher Kommunikation?
Die Minister wollen den Schutz derer verbessern, "die uns schützen". In Ordnung. Nur ist es zweifelhaft, ob die "Erhöhung des Strafrahmens für gewalttätige Angriffe auf Polizei- und Justizbedienstete sowie Rettungskräfte" wirksam ist. Besoffene lesen vermutlich nicht erst im Gesetz, bevor sie sich einer Kontrolle widersetzen.
Die Minister wollen gegen Wohnungseinbrüche schärfer vorgehen. In Ordnung. Nur ist es zweifelhaft, ob sich reisende Profis davon abschrecken lassen. Auch der geforderten Ausweitung der "Telekommunikationsüberwachung wie auch zur Verkehrsdatenerhebung" auf Einbrüche lässt sich leicht umgehen und wird die mickrige Aufklärungsquote kaum steigen lassen.
Die Minister wollen die Cyberkriminalität bekämpfen, in dem von ausländischen Anbietern "mandatierte Ansprechpartner im Inland zur Verfügung zu stellen" sind. Das ist eine Forderung, die vor allem im Zusammenhang mit Facebook immer wieder auftaucht. Facebook ist bisher nicht als die große Plattform für Cyberkriminelle bekannt. Hassrede zwar, Mobbing auch, aber Cyberkriminelle scheinen mir hier neu zu sein. Zudem wird gefordert, die "Verpflichtung von Herstellern und Nutzern, IT-Sicherheitsmaßnahmen nach dem Stand der Technik umzusetzen". Ich sehe schon das SEK anrücken: "Frau Müller, wir verhaften Sie, weil sie das Sicherheitsupdate XYZ nicht eingespielt haben!"
Die Minister wollen die Videoüberwachung ausbauen und ausweiten auf "Publikumseinrichtungen, etwa Einkaufszentren und Konzerthallen". Dabei sollen die "rechtlichen und technischen Möglichkeiten zur Gesichtserkennung" verbessert werden. Sie könnten sich auch der Forderung des Scotland Yard-Chefs anschließen, der jedes Haus mit Kameras ausstatten wollte. Wobei es interessant wäre zu hören, was sie zu der Erfahrung in England sagen würden:
"Massive investment in CCTV cameras to prevent crime in the UK has failed to have a significant impact, despite billions of pounds spent on the new technology, a senior police officer piloting a new database has warned. Only 3% of street robberies in London were solved using CCTV images, despite the fact that Britain has more security cameras than any other country in Europe."
Offen bleibt, wie sie hierbei das berechtigte Interesse Unverdächtiger an unbeobachteter Bewegung wahren wollen.
Die Minister wollen die behördliche Zusammenarbeit verbessern. In Ordnung, mit der steht es nicht zum Besten, wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen.
Die Minister fordern eine bessere Überwachung von Gefährdern, sie wollen eine "elektronische Aufenthaltsüberwachung mit Fußfesseln für verurteilte und aus der Haft entlassene Extremisten". Sehr gut, weil ein so Überwachter sich nicht mehr in die Luft sprengt und keinen LKW mehr klaut. Sie fordern auch einen "Widerruf der Flüchtlingsanerkennung bei Beitritt zum IS oder vergleichbaren terroristischen Gruppierungen". Ja bitte, mehr Durchsuchungsmöglichkeiten, dass die Behörden den Beitrittsantrag oder den Mitgliedsausweis auch schnell finden. Putzig ist das.
Schließlich zeigt sich auch hier, wie weit die von Seehofer behauptete Humanität gehen soll:
"Vorrang des Ausweisungsinteresses bei Straftätern gegenüber dem individuellen Bleibeinteresse"


Fazit

Die Flut bringt an einzelnen Stellen sinnvolle Forderungen. Ein Wirkungsnachweis wird bei den Forderungen nicht gebracht. Die Wirksamkeit wird bestenfalls - wenn überhaupt - behauptet, gegenteilige Erfahrungen nicht berücksichtigt. Aus meiner Sicht sind es Maßnahmenkataloge, die die aufgewühlte Volksseele beruhigen sollen. Sie adressieren das Gefühl von Sicherheit, nicht die tatsächliche Sicherheit, weil sie andere Rechtsgüter über Gebühr beeinträchtigen, weil sie leicht umgangen werden können, weil sie nicht wirken. In der Summe spülen sie deshalb die behauptete Humanität fort.

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