Freitag, 6. Januar 2017

CSU obergrenzwertig

Die Augsburger Allgemeine hat am 5.1. einen Bericht veröffentlicht zur Klausurtagung der CSU in Kloster Seeon:


Konfrontation bis zur Selbstaufgabe

Wer geglaubt hatte, der christliche Heilige Geist würde mit seiner Güte auf die CSU herniederleuchten in klösterlicher Umgebung, sieht sich getäuscht. Bereits einleitend steht:
"Seehofer verschärft Konfrontationskurs"
Im ersten Satz dann die Präzisierung:
"Wenn sich die Schwesterpartei CDU nicht ihrer Forderung nach einer Flüchtlingsobergrenze beugt, will sich die CSU auch nicht an einer künftigen Bundesregierung beteiligen."
Weiter wird betont, dass "es sich keinesfalls um eine leere Drohung" handele. Der Entwicklungshilfeminister Gerd Müller stimmt dem zu, sieht eine Obergrenze als "Grundvoraussetzung für eine Beteiligung der CSU an einer Regierung".
Eine klare Position, immerhin. Mal schauen, ob sie ebenso klar und fest ist wie die Drohung mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Januar 2016 schrieb beispielsweise der Focus:
"Staatskanzleichef Marcel Huber erklärte heute, man plane noch keine Klage, behalte sich diese aber als 'Option' vor."
Der Hintergrund der Klagedrohung wird im Artikel so beschrieben:
"Der Bund sei aufgefordert, auf europäischer Ebene die wirksame Sicherung von EU-Außengrenzen sowie eine effektive und faire Verteilung von Flüchtlingen durchzusetzen. Außerdem seien bis zur Wiederherstellung eines ausreichenden Schutzes der EU-Außengrenzen effektive eigene Grenzkontrollen durchzuführen.
Außerdem müsse Berlin sich dafür einzusetzen, entweder eine klare Kontingentierung sowie wirksame Verteilungsmechanismen auf nationaler und EU-Ebene durchzusetzen oder die im Grundgesetz verankerte Drittstaatenregelung zur Anwendung zu bringen, nach der alle aus sicheren Drittstaaten wie Österreich illegal Einreisenden noch an der Grenze zurückzuweisen seien."
Vielleicht täusche ich mich, aber eine auf europäischer Ebene erfolgte wirksame Grenzsicherung gibt es heute genau so wenig wie eine faire Verteilung bzw. Kontingentierung von Flüchtlingen. Eine Klage erfolgte nicht.
Die Drohkulisse wird im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl aufgebaut. Die CSU fühlt sich stark von der rechten AfD bedrängt und möchte an diese nicht weiter Wähler verlieren. Die Konsequenzen der Drohung sollten allerdings wohlüberlegt sein. Nach einer Umfrage für SAT1 Bayern, die am 3.11.2016 veröffentlicht wurde, kommt die CSU auf 44% der Stimmen. Für die folgende Argumentation ist es nicht erheblich, ob sich dieser Wert inzwischen verändert hat. In Bayern ist die einzige Möglichkeit, Merkel zu wählen, die Stimme für die CSU abzugeben. Wenn die CSU sich nun so klar positioniert und ohne Obergrenze keine Koalition mit der CDU auf Bundesebene eingehen wird, müssen sich bayerische Merkelwähler fragen, was sie tun können, wenn Merkel eine Obergrenze weiter ablehnt. Noch schnell den Wohnsitz verlegen? Eher nicht. Dennoch CSU wählen? Dafür gibt es keinen Grund, wenn Merkel Kanzlerin bleiben soll, außer vielleicht die vage Hoffnung, dass die CSU auch ohne Regierungsbeteiligung für Merkel stimmen würde. Zugeben kann das die CSU kaum, weil sonst ihre Drohkulisse unglaubwürdig wird. Die bayerischen Merkelwähler könnten auch der Wahl fernbleiben. Dadurch fehlen erstens der CSU Stimmen und es sinkt die Wahlbeteiligung und die Stimmenanteile der anderen Parteien verschieben sich. Besonders spannend würde die Frage werden, ob die CSU - die ja nur in Bayern antritt - es auf Bundesebene dann noch über die 5%-Hürde schafft. Das müsste sie, um überhaupt in den Bundestag zu kommen, alternativ kann sie mit mindestens drei Direktmandaten in den Bundestag. Es wäre eine politische Meisterleistung, falls die CSU die 5%-Hürde verfehlen würde. Sie hätte sich in beide Knie geschossen, mit einer Kugel.

Grenzen der Obergrenze

Das wird jedoch nur relevant, wenn Merkel sich nicht auf eine Obergrenze einlässt. Derzeit macht Merkel keine Anstalten, eine Obergrenze etablieren zu wollen, obwohl die CSU laut dem AZ-Artikel behauptet:
"Ohne Obergrenze werde die Integration nicht zu leisten sein, für eine weitere Million Flüchtlinge reichten die Möglichkeiten schlichtweg nicht aus."
Die CSU hat bisher lediglich "Obergrenze" gesagt und "200.000" als Zahl genannt. Wie sie diese Obergrenze realisieren und dabei das Grundgesetz wahren will, hat sie bisher nicht gesagt. Und auch nicht, welche unabänderlichen Möglichkeiten es sind, die hier die Grenze definieren. Das ändert sich auch nicht, wenn der CSU-Innenexperte Stephan Mayer meint, ein "atmender Deckel", "bei dem die Aufnahmekapazität jährlich neu berechnet" werde, sei für Seehofer und Merkel "gesichtswahrend". Als Rechenformel schlage ich vor:
Obergrenze = Anzahl Polizeibeamte / 40
Etwa 40 Beamte braucht es angeblich, um eine Person dauerhaft zu überwachen. Wenn jeder Gefährder, pardon, Herr Mayer: Flüchtling lückenlos überwacht wird, ist er kein Sicherheitsproblem mehr.
Ferner ist die Frage offen, wie die Obergrenze zur Sicherheitslage positiv beitragen soll. Als ob unterhalb der Grenze nur Gute und oberhalb der Grenze erst die Bösen kämen. Um diese Frage drückt sich die CSU herum. Vielleicht kann sie sie nicht beantworten, denn sie glaubt sie, was Bundesverkehrsminister Dobrindt laut dem AZ-Artikel gesagt hat:
"Mit dem Flüchtlingsstrom ist auch die Unsicherheit ins Land gekommen."
Soso. Und Türklinken verursachen Grippe. Nein, die Unsicherheit kommt vom IS, vom islamistischen Terrorwahn, vom Hass auf angeblich unislamisches. Das sind die Grippeviren. Flüchtlinge sind lediglich eine Möglichkeit, wie ein Terrorist nach Deutschland kommen kann. Wie Türklinken. Als ob es gegen Grippe helfen würde, alle Türklinken zu vernichten.

Grenzen der Sicherheitsarchitektur

Dobrindt wird weiter zitiert:
"Wir brauchen wieder eine Sicherheitsarchitektur, wie in der Zeit vor der Flüchtlingskrise."
Ach so, mir war gar nicht klar, dass in letzter Zeit die Sicherheitsarchitektur abgebaut worden wäre und nun wieder in Stand gesetzt werden müsste. Ich war der Meinung, es hätte sich nichts geändert bzw. es wurden Verschärfungen umgesetzt.
Apropos Sicherheitsarchitektur: Die CSU hat eine "Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus" (ZET) geschaffen, die bei der Generalstaatsanwaltschaft angesiedelt ist. Laut einem Bericht der Augsburger Allgemeinen sei dies "eine 'klare Antwort'" auf die Zunahme extremistischer und fremdenfeindlicher Straftaten. Die Aufgaben der ZET werden im Bericht in der Printausgabe der AZ so beschrieben:
"Sie soll außerdem eigene Ermittlungsverfahren führen und zudem als 'zentrale Schnittstelle' und 'Wissensvermittler' für alle Dienststellen von Justiz, Polizei und Verfassungsschutz dienen, die mit Abwehr und Verfolgung von extremistischen Straftaten befasst sind. [...]
Nach Ansicht des Justizministers hat Bayern bei der Justiz mit der ZET nun zwei von drei Voraussetzungen für eine effektivere Extremismusbekämpfung geschaffen: ausreichend Personal und eine zeitgemäße Struktur."
Ich finde es widersprüchlich, wenn die CSU meint, eine "zentrale Schnittstelle" als "Wissensvermittler" sei ein zeitgemäßes Strukturelement für effektive Extremismusbekämpfung, und gleichzeitig eine Zentralisierung auf Bundesebene abgelehnt wird, wie im Artikel über die Klausur in Seeon steht:
"Neuer Zankapfel sind die Pläne von Bundesinnenminister Thomas de Maizière für ein neues Sicherheitskonzept, zu denen auch die Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz zugunsten einer Bundesbehörde gehört. Seehofer lehnt solche Vorschläge kategorisch ab."
Da muss sich die CSU fragen lassen:
  • Zentralisierung in Bayern ist gut, auf Bundesebene nicht?
  • Verschlankung von Strukturen ist gut, aber nicht, wenn dabei Kompetenzen aus Bayern an den Bund wandern?
Vielleicht sollte ich ein paar Kerzen stiften. Entweder sie erleuchten mich und die Widersprüche klären sich. Oder der CSU gehen ein paar Lichter auf.

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