Montag, 30. Januar 2017

Parallelwelten

Winfried Züfle hat in der Augsburger Allgemeinen vom 30.1. einen Leitartikel veröffentlicht zum Dekret von Donald Trump, das Einreisen aus bestimmten muslimischen Ländern verbietet:



Winfried Züfle schreibt:
"Doch jetzt liefert Trump mit seinen vorläufigen Einreiseverboten in die USA für die Einwohner der Staaten Irak, Iran, Libyen, Somalia, Syrien, Sudan und Jemen eine gefährliche Bestätigung der Sichtweise der Islamisten. Der US-Präsident hat Länder ausgewählt, die mehrheitlich muslimisch sind. Die Religionszugehörigkeit erscheint so als Begründung der Einreisesperre, auch wenn sie nicht explizit genannt ist. Diese Politik spielt den Islamisten in die Hände. Nicht nur gewinnt deren Weltsicht an Plausibilität. Sondern ihnen wird es auch erleichtert, Nachwuchs zu rekrutieren und ideologische sowie finanzielle Unterstützung zu organisieren."
Auch wenn die Religionszugehörigkeit nicht explizit genannt ist, dürfte der Verdacht nur schwer zu widerlegen sein, die Auswahl erfolgte unter maßgeblicher Berücksichtigung der Religion. Die gleiche Mechanik war und ist federführend, wenn deutsche Politiker die "Leitkultur" anführen und mit Blick auf Muslime anmerken, sie seien aus einem anderen Kulturkreis. Auch hier ist nicht explizit die Religion genannt als Unterscheidungsmerkmal, dennoch ist sie gemeint.


Deshalb sei der Schluss von Winfried Züfles Leitartikel vor allem den Proponenten der Leitkultur zur Lektüre und Reflektion empfohlen:
"Auch wenn Rechtspopulisten auf der ganzen Welt jubeln mögen, Trump hat mit seinen Einreiseverboten kein Patentrezept zum Schutz vor den Gefahren des islamistischen Terrorismus gefunden. Die einfache Lösung, die er im Wahlkampf versprochen hat, wurde von ihm zwar umgesetzt. Aber das Problem gelöst hat er nicht.
Man darf gespannt sein, ob er in der Lage ist, aus seinen Fehlern zu lernen."

Dienstag, 24. Januar 2017

Jürgen Marks Ausblick

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen am 24.1. einen Leitartikel veröffentlicht zu Manipulationsmöglichkeiten durch Tricks auf Twitter und Facebook:


Jürgen Marks schreibt:
"Egal ob Radio, Fernsehen oder Zeitungen – Medien sahen und sehen es als ihre Aufgabe, die Mächtigen zu kontrollieren und Wählern eine faire Grundlage für ihre Entscheidung zu geben."
Fairerweise sollte erwähnt werden, dass auch die genannten Medien nicht ganz frei sind von Meinungen. So gab und gibt es eher konservative Zeitungen, eher liberale, eher sozialdemokratische etc. Sie informieren über und bewerten das Geschehen aus ihrer jeweiligen Perspektive. Manches Medium war strenger in der Trennung von Information und Meinung, manch anderes weniger. Wer zum Beispiel nur eine konservative Zeitung las, stecke auch in einer Art Filterblase. Jürgen Marks beschreibt die Blase so:
"Durch die Algorithmen der Netzwerke bekommen Nutzer nur noch angezeigt, was sie interessiert oder welche Meinung sie ohnehin vertreten. Andere Ansichten werden herausgefiltert. Statt den Wettstreit der Argumente zu verfolgen, wird die eigene Meinung verstärkt. Wenn Menschen nur noch in ihrer Filterblase leben, fehlt der Austausch mit Andersdenkenden. Das verhärtet die Fronten."
Der große Unterschied zur Filterblase über z.B. Zeitungen ist, dass den Konsumenten die Filterung weniger bewusst ist: Ich könnte eine zweite Zeitung abonieren, wenn ich mich zu einseitig informiert fühle. In sozialen Medien wird mir jedoch von intransparenten Algorithmen, die zum Betriebsgeheimnis des Plattformanbieters gehören, Information präsentiert. Wer es selbst ausprobieren möchte, kann auf www.google.de den gleichen Suchbegriff eingeben wie auf www.startpage.com. Beide benutzen Suchalgorithmen von Google, bei startpage jedoch anonymisiert.
Jürgen Marks beschreibt die Probleme der "digitalen Wahlkampf-Tricks":
"Denn die digitale Welt gibt Politikern einen bislang unbekannten Werkzeugkasten schmutziger Tricks an die Hand, die Wahlen entscheiden können. Trump hat virtuos auf dieser Klaviatur gespielt. Er hat von Fake News profitiert und mit Social Bots (Roboter-Programme) die Stimmung manipuliert. [...] Fake News tauchen ungeprüft in den sozialen Netzwerken auf. Mal sind es üble Gerüchte, mal bösartige Falschmeldungen mit getürkten Absendern. [...] Bevor die Lüge dementiert werden kann, hat sie sich bereits tausendfach verbreitet."
Nicht nur Social Bots sondern Unmengen an Fragwürdigkeiten ab, auch "Redaktionen" von Handlangern können das erledigen. So hatte Barack Obama eine Vielzahl von Unterstützern, die für ihn die Klaviatur bespielten. Es ist weniger ein Problem, dass Falschnachrichten auftauchen. Das Problem ist, dass sie sich rasend schnell verbreiten, viel schneller als eine Richtigstellung. Das Problem ist, dass die Medien, die sich um qualitätsvolle Berichte bemühen, teilweise als Lügenpresse verschrien sind. Das Problem ist, dass recherchierte Nachrichten den alternativen Fakten hinterherlaufen. Das Problem ist, dass sich in den sozialen Medien Neuigkeiten von Freund zu Freund verbreiten und deshalb als vertrauenswürdig gelten. Das Problem ist, dass eine Diskussion nicht notwendig ist, wenn als naheliegende Reaktion das "liken" nur einen Mausklick entfernt ist. Das Problem ist, dass soziale Medien für manche Gruppen bereits das Hauptmedium für Informationen sind, auch wenn andere Medien nicht als "Lügenpresse" gelten, wie beispielsweise Dr. Ulrike Wagner in einem Gastbeitrag zeigt. Das Problem ist, dass manche sich gegen Richtigstellungen immunisieren und sogar Verschwörungstheorien nachhängen, wie der Leserbrief von Diana Wagner zeigt:


Diana Wagner weist richtigerweise auf die technischen Möglichkeiten der Bildmanipulation hin. Sie zieht jedoch den Schluss, dass sich aufmerksamen Beobachtern "auch andere Möglichkeiten" eröffnen als der Glaube an die Richtigkeit der Bilder. Eher wird an eine Verschwörung aller Bilderproduzenten gedacht als an die Richtigkeit der Bilder.
Auf die notwendige Frage, was zu tun sei, schreibt Jürgen Marks:
"Niemand hat bislang eine Idee, wie die drohende Spirale der digitalen Tricks gestoppt werden kann. Verbote von Social Bots werden so wenig helfen wie eine Selbstverpflichtung von Facebook, Fake News künftig zu bekämpfen. Das Netzwerk hat täglich weltweit 1,8 Milliarden Nutzer. Wer soll diesen Flohzirkus kontrollieren?"
Ja. Eine Selbstverpflichtung von Facebook ist den Teufel mit dem Belzebub austreiben. Eine staatliche Zensurbehörde ist demokratisch fragwürdig - China lässt grüßen. Was bleibt ist der mündige Wähler. Ihm muss klar sein, wie soziale Medien funktionieren. Ihm muss klar sein, wie einseitig die dortigen Informationen sein können. Ihm muss klar sein, dass sein confirmation bias dazu führt, dass er bestätigende Nachrichten sucht und widerstrebende ablehnt. Ihm muss klar sein, dass er Unwahrheiten aufsitzen kann. Ihm muss klar sein, dass er selbst aktiv werden muss, will er mündiger Bürger werden oder bleiben. Ihm muss klar sein, dass er nur als mündiger und medienkompetenter Bürger dem Missbrauch durch die Petrys, Trumps, Le Pens und Straches dieser Welt entrinnen kann. Ihm muss klar sein, dass auch seine Kinder das wissen und anwenden können müssen.

Mittwoch, 18. Januar 2017

Nichtige PolitDeppen

Martin Ferber hat in der Augsburger Allgemeinen am 18.1. einen Leitartikel veröffentlicht zum Urteil des Verfassungsgerichts zum Verbotsantrag der NPD:


Martin Ferber stellt klar:
"Dabei haben die Richter in den roten Roben keinen Zweifel daran gelassen, dass die NPD verfassungswidrig ist, aggressiv gegen Andersdenkende vorgeht, Mitbürger mit Migrationshintergrund oder anderer Hautfarbe einschüchtert und bedroht sowie offen eine Überwindung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung anstrebt und einen autoritären Führerstaat nach dem Vorbild der nationalsozialistischen Diktatur etablieren will."
Die politische Einordnung der NPD ist damit klar formuliert. Martin Ferber verweist auf einen - seiner Ansicht nach - Widerspruch zu einer über 50 Jahre alten Entscheidung:
"Im Fall der KPD begründeten sie das Verbot ausdrücklich damit, es komme nicht darauf an, dass 'nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können'. Es reiche die Absicht aus."
Ob Widerspruch oder Weiterentwicklung der Rechtsprechung kann diskutiert werden. Ein Widerspruch ergäbe sich nur, wenn das KPD-Verbot über jeden Zweifel erhaben richtig wäre. Und es müsste geklärt werden, ob die damalige Entscheidung heutigen Ansprüchen noch gerecht würde.
Martin Ferber schreibt:
"Nach diesem Urteil ist es praktisch unmöglich geworden, eine Partei zu verbieten, selbst wenn an ihrer Verfassungsfeindlichkeit, menschenverachtenden Einstellung und antifreiheitlichen Programmatik keine Zweifel bestehen."
Das ist zu pessimistisch. Ein Verbot wird dann möglich sein, wenn die Gefahr groß genug ist. Ein Parteienverbot ist die Ultima Ratio. Hier ist in einem Rechtsstaat unserer Prägung die Hürde unbedingt sehr hoch anzusetzen. Zudem verschwindet ja nicht die Geisteshaltung der Parteianhänger, nur weil die Partei verboten wird. Man kann es auch so sehen: die NPD schreibt sich den Umsturz ins Parteiprogramm und fühlt sich groß und wichtig. Doch dann sagt das Verfassungsgericht: "Das habt Ihr nicht drauf." Statt Nationaldemokratischer Partei Deutschlands nur Nichtige PolitDeppen - und sie merken es nicht mal, weil sie sich über das Nichtverbot freuen.
Martin Ferber schreibt:
"Mit der Verfassung ist der NPD nicht mehr beizukommen, der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat muss es hinnehmen, dass selbst seine erklärten Feinde die von ihm gewährten Grundrechte in Anspruch nehmen können."
Ja, das ist so und es ist gut so. Nur Staaten mit einer fragwürdigen Rechtsstaatlichkeit können erklärte Feinde leicht verbieten - die Türkei liefert ein aktuelles Beispiel. Welche Mittel unterhalb des "finalen Rettungsschusses" möglich sind, stellt Michael Ferber dar:
"Umso wichtiger ist, dass der Kampf gegen die NPD wie andere extremistische Kräfte am rechten wie linken Rand mit allen Mitteln der Politik, der Gesellschaft wie der Justiz geführt wird. Karlsruhe hat dies sogar ausdrücklich gefordert."
Richtig, und dazu gehört auch die Überlegung, ob und wie die Parteienfinanzierung geändert werden kann. Allerdings ist zu bedenken, dass eine nicht verbotene Partei nicht ohne weiteres aus der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen werden darf. Das wäre schnell undemokratisch, das wäre schnell nicht rechtsstaatlich, für den Ausschluss muss es gewichtige Argumente geben. Martin Ferber meint:
"Es kann nicht sein, dass eine Partei erst dann verboten werden kann, wenn sie so stark ist, dass von ihr eine tatsächliche Gefahr ausgeht. Dann könnte es für die Freiheit und die Demokratie schon zu spät sein."
Doch, das ist an der tatsächlichen Gefahr festzumachen. Der Rechtsstaat bewegt sich an vielen Stellen entlang der Grenze des Noch-Nicht gegenüber dem Jetzt-Schon. Soll man jemanden verhaften, der damit prahlt, morgen werde er ein Fahrrad klauen? Oder wenn er prahlt, morgen eine Bombe im Bahnhof zu zünden? Wenn jeder Rufer von "Ausländer raus" verhaftet würde, wären manche Städte leer. Und die Reichsbürger, die alles mögliche ablehnen, wann werden die vorsorglich, ohne tatsächliche Gefahr, verhaftet? Es ist die Abwägung verschiedener Rechtsgüter, die einen Rechtsstaat von einem Unrechtsstaat unterscheidet. Parteienverbote als letztes Mittel dürfen nur eingesetzt werden, wenn anders die Gefahr für den Staat nicht mehr abgewendet werden kann.
Selbstverständlich muss der Rechtsstaat wachsam bleiben seinen erklärten Feinden gegenüber:
"Mag die NPD auch schwach sein, harmlos ist sie nicht."

Dienstag, 17. Januar 2017

Stoppt die Tricks

Jürgen Marks hat in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 17.1. einen Kommentar veröffentlicht zum Bericht von Oxfam über die ungleiche Vermögensverteilung in der Welt:


Jürgen Marks billigt genialen Erfindern "wie Bill Gates oder Mark Zuckerberg" zu, ihr Vermögen verdient zu haben und sich ihres Reichtums nicht schämen zu müssen. Er führt direkt im Anschluss daran aus:
"Der Skandal ist, dass die Politik eine schäbige, globale Steuervermeidungsindustrie zulässt. US-Konzerne wie Apple oder Google schieben ihre Gewinne hin und her, bis sie am Ende kaum noch Steuern zahlen Der superreiche Investor Warren Buffet rühmte sich vor einigen Jahren, er zahle weniger Steuern als seine Sekretärin."
Dazu zwei Anmerkungen als Ergänzung und Korrektur:
Erstens steht Mark Zuckerberg nicht völlig auf der Seite des steuerlichen Lichts. Als er vor etwas über einem Jahr eine Konstruktion etablierte, um für sein Kind vorzusorgen, hatte das auch erhebliche Steuervorteile, wie beispielsweise Forbes berichtet hatte. Nicht nur "US-Konzerne" machen sich gesetzliche Regelungen im Sinne einer "Steuervermeidungsindustrie" zu Nutze.
Zweitens "rühmte sich vor einigen Jahren" Warren Buffet nicht, "weniger Steuern als seine Sekretärin" zu zahlen. Auf CNN Money findet sich der Schluss im Artikel:
"Asked if the rise in the capital gains rate and the top marginal tax rate that took effect this year were pointless since he's still paying less than his secretary, he responded, 'It was better than no change.'"
Warren Buffet fand eine ihn treffende Steuererhöhung gut. In der New York Times hat er dazu aufgerufen, die Superreichen nicht mehr zu verhätscheln:
"While the poor and middle class fight for us in Afghanistan, and while most Americans struggle to make ends meet, we mega-rich continue to get our extraordinary tax breaks. Some of us are investment managers who earn billions from our daily labors but are allowed to classify our income as 'carried interest,' thereby getting a bargain 15 percent tax rate. [...]
Last year my federal tax bill — the income tax I paid, as well as payroll taxes paid by me and on my behalf — was $6,938,744. That sounds like a lot of money. But what I paid was only 17.4 percent of my taxable income — and that’s actually a lower percentage than was paid by any of the other 20 people in our office. Their tax burdens ranged from 33 percent to 41 percent and averaged 36 percent."
Rühmen klingt anders. Auf der Website des Weißen Hauses findet sich ein Dokument des The National Economic Council mit dem Titel "THE BUFFETT RULE: A BASIC PRINCIPLE OF TAX FAIRNESS", in dem dargelegt wird, warum im Steuerrecht eine "Buffet Rule" nötig sei für eine verbesserte Steuergerechtigkeit.
Trotz der Unschärfen im Kommentar bleibt der Aufruf von Jürgen Marks richtig: Steuertricksereien zu Lasten der Allgemeinheit dürfen keine Zukunft haben. Die internationale Politik ist hier aufgerufen, zusammen zu arbeiten und sich nicht in einem steuerlichen Attraktivitätswettbewerb die eigenen wirtschaftlichen Grundlagen abgraben zu lassen.

Trumpelnder Erpresser

Stefan Stahl hat am 17.1. in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen einen Leitartikel veröffentlicht zum Auftreten des zukünftigen US-Präsidenten Donald Trump:


Stefan Stahl schreibt:
"Den Mann treibt hier eine Vision für sein Vaterland an. Seine naive Utopie kommt einem Schlag in die Magengrube einer globalisierten, auf Freihandel setzenden Wirtschaftswelt gleich: 'Amerikanische Autos werden über die Straßen fahren, amerikanischer Stahl wird überall im Land neue Wolkenkratzer aufragen lassen. Trump strebt die Re-Industrialisierung seines Landes an und lässt dabei kräftig die Muskeln spielen. Er tritt wie ein wild gewordener Polit-Popeye auf, der viel zu viel Spinat gegessen hat."
Ein schönes Bild, nur mit dem Unterschied, dass Popeye als knurrig, jedoch herzensgut galt. Trump ist eher ein Polit-Rambo, dem Stefan Stahl zu Recht warnt:
"Denn selbst wenn der künftige US-Präsident Konzerne wie Ford erfolgreich erpresst, in Amerika und nicht in Mexiko zu investieren, kann der Schuss auch nach hinten losgehen."
Richtig. Immerhin mancher Mexikaner hat zumindest schon mal den Hahn gespannt. Auf die Ankündigung von Ford, die geplante Fabrik in Mexiko nicht mehr bauen zu wollen, hat sich die mexikanische Experiencias Xcaret Group bereits von Ford verabschiedet:
"In accordance with the aforementioned, we have decided to cancel, effective as of this date, the purchase of vehicles from your brand"
Wenn das Schule macht, wird Trump anders Recht behalten als ihm lieb sein kann. Amerikanische Autos werden nur noch in den USA fahren. Der Schuss wäre für Trump nach hinten losgegangen. Der Empfehlung von Stefan Stahl kann ich mich deshalb nur anschließen:
"Erst denken"

Sonntag, 15. Januar 2017

Idiotische Ideologisierung

Wolfgang Schütz hat in der Augsburger Allgemeinen vom 14.1. einen Artikel veröffentlicht, in dem er Gefahren für die Demokratie als mögliche Konsequenzen der Globalisierung aufzeigt:


Wolfgang Schütz leitet ein mit einem Hinweis auf George Soros:
"Vor 1989 sei der Kommunismus der größte Feind der offenen Gesellschaft gewesen; jetzt aber sei es der Kapitalismus. Die entfesselten Kräfte des Marktes sorgen für immer mehr Ungleichheit und unterwanderten so die Grundpfeiler der Gerechtigkeit und des sozialen Friedens - also der Demokratie."
Dem stellt Wolfgang Schütz ein Zitat entgegen:
"'Was für ein erstaunlicher Irrtum!', hat denn 1997 auch schon der deutsch-britische Soziologe Ralf Dahrendorf auf George Soros erwidert: 'Der Witz der offenen Gesellschaft liegt ja gerade darin, dass sie viele Wege erlaubt, auf viele Kapitalismen.' Eben auf diese Vielfalt und deren sinnvolle Gestaltung käme es in Zukunft an statt auf entsprechende Feindbilder - die nämlich begründeten nur Angstszenarien und geschlossene Gesellschaften."
Als Beleg für die Gefahr, in der die Demokratie sei, verweist Wolfgang Schütz auf eine Umfrage:
"Eine aktuelle,  kürzlich in der New York Times veröffentlichte weltweite Umfrage zeigt zudem, wie die Wertschätzung der Demokratie auf breiter Front abstürzt. Und zwar nach Alter, also in die Zukunft gerichtet. Etwa in den USA, Australien oder England erachten es noch rund zwei Drittel der in den 1930er Jahren geborenen Menschen als entscheidend, in einer Demokratie zu leben . bis zu den in den 80ern Geborenen fällt der Wert in die Nähe von 25 Prozent! In Europa stürzen die Kurven (noch?) flacher. Aber die Tendenz scheint die gleiche: Die kapitalistischen Staatsmodelle fußen auf den Werten Wirtschaftswachstum, sozialer Zusammenhalt und Demokratie - wenn die Stabilität nur auf Kosten von einem der dreien erhalten werden kann, dann am liebsten dem der Demokratie. Ein Alarmsignal vielleicht. Aber was tun?"
Als Antwort bringt Wolfgang Schütz den Vorschlag:
"George Soros ist an der Seite von Prominenten wie dem Politiker Al Gore und dem Theologen Hans Kling Initiator eines neuen, globalen 'Marshall Plans', der für die Rahmenbedingungen einer 'Ökosozialen Marktwirtschaft' weltweit kämpft - für Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit."
Wolfgang Schütz schließt seinen Artikel mit dem Hinweis auf ideologische Überformung von Begriffen:
"Denn ausgerechnet das freiheitliche Denken ist in den Nullerjahren als Neoliberalismus zum verpönten Inbegriff des Casino-Kapitalismus geworden und in den heutigen Debatten als Linksliberalismus zum Inbegriff antinationalen Gutmenschentums geworden. Diese Ideologisierung spricht wohl Bände über das prekäre deutsche Verhältnis zur Freiheit und zur Vielfalt des Kapitalismus."
Wolfgang Schütz greift Aspekte auf, die ich für sehr bedenkenswert halte und denen ich ein paar weitere Gedanken zur Seite stelle.
Der Kapitalismus als Wirtschaftsform beschreibt in seiner Grundidee lediglich, dass Produktionsmittel in privater Hand liegen und der Markt Angebot und Nachfrage regelt. Es gibt demnach keine staatlichen Direktiven, wer was zu produzieren oder zu konsumieren hat. Man kann den Erfolg kapitalistischer Modelle gegenüber sozialistischen als Beweis für die gesellschaftliche Leistungsfähigkeit des Kapitalismus sehen. Durch das Privateigentum an Produktionsmitteln war es beispielsweise für Henry Ford sinnvoll, sich um eine effizientere Fertigung zu kümmern, was zur Fließbandfertigung führte. Es war durch den Zusammenhang zwischen Nachfrage und Angebot sinnvoll, seinen Arbeitern solche Löhne zu zahlen, dass sie sich die Produkte von Ford selbst leisten konnten.
Der Kapitalismus ist jedoch anfällig für das, was ihn als Casino-Kapitalismus berechtigt in die Kritik brachte: Durch geschickten Agieren an Märkten ist es einzelnen Personen oder Gruppen möglich, Vorteile für sich zu generieren. Bleibt dabei die Rücksicht auf andere Personen und Gruppen auf der Strecke, ist das die Rücksichtslosigkeit, die mit dem Begriff Neoliberalismus zu einem plakativen Namen gefunden hat.
Der Liberalismus beschreibt eine Ordnung, in der das Individuum frei ist von staatlicher Gewalt und nicht dem Missbrauch von Macht und Herrschaft ausgesetzt ist. Zusammen mit dem Kapitalismus beschreibt er die heutige Grundstruktur vieler Gesellschaften und Staaten.
Kapitalismus und Liberalismus werden nur dauerhaft funktionieren, wenn die Vorteile und Nachteile einigermaßen gerecht verteilt werden. Gerecht muss nicht gleich heißen. Doch bereits hier tun sich erste Bruchlinien auf, wie an Beispielen gezeigt werden kann: Verkehrsminister Dobrindt argumentiert für seine Pkw-Maut, eine Gleichbehandlung ausländischer Autofahrer wäre gerecht. Höhere Steuern für Reiche werden als gerecht bezeichnet, weil sie leistungsfähiger seien als Normalverdiener und sie durch höhere Steuern eine Art gleichen Schmerz verspüren würden. Chancengleichheit in der Ausbildung wird ebenfalls als gerecht empfunden. Diese Beispiele zeigen, dass oft die Gerechtigkeit an einer Gleichheit festgemacht wird. Die Gleichheit als Gerechtigkeit kann konstruiert daher kommen, wenn beispielsweise Kosten für Flüchtlingsheime in Anzahl neuer Polizisten oder Lehrer dargestellt werden.
Eine Ungleichheit steht schnell im Verdacht, ungerecht zu sein. Liberalismus und Kapitalismus sind Ordnungsformen, bei dem Einzelne durch besondere Fähigkeiten besondere Resultate erzielen können. Die besonderen Resultate werden als gerecht empfunden, wenn die besonderen Talente als Entschuldigung, als Exkulpation dienen können: selbst erarbeiteter Reichtum ist gerechter als ererbter.
In der sozialen Marktwirtschaft europäischer Prägung wird dem Staat eine gerechtigkeitsstiftende Rolle zugeschrieben. Er soll durch Rahmen dafür sorgen, dass besondere Talente nicht auf Kosten der Allgemeinheit über Gebühr besondere Resultate erzielen können. Diese Rolle ist unscharf definiert, die zugehörige Gerechtigkeit nicht klar. Die Unschärfe eröffnet eine Bühne, auf der politische Angebote gemacht werden können: Die Partei Die Linke macht andere Parteiprogramme und Lösungsvorschläge als die AfD, die Grünen andere als die SPD und diese andere als die CDU. Diese politische Bühne ist eine Grundlage für Demokratie, weil sich nur so politische Meinungen bilden lassen und Wähler eine Auswahl haben. Bereits das Zwei-Parteien-System in den USA wird aus europäischer Perspektive fragwürdig, Ein-Parteien-Systeme als undemokratisch empfunden.
Die Rolle des Staates als Instanz der Gerechtigkeit kommt an Grenzen, wenn Vorgänge außerhalb seiner Reichweite an der Gerechtigkeit rütteln. Die Globalisierung ist charakterisiert durch vielfältige internationale Zusammenhänge, bei denen viele nicht direkt beeinflusst werden können von einem Staat: Kein Staat kann Fortschritte in der Computertechnologie verbieten, ein Verbot von Im- und Exporten ist undenkbar in einem liberalen und kapitalistischen Land. Kein Staat kann einem anderen Staat verbieten, aus seinen besonderen Talenten wie billigen Arbeitskräften, Rohstoffen etc. besondere Resultate, einen wirtschaftlichen Aufstieg zu generieren. Im Gegenteil: der Aufstieg wird als Lösung vielfältiger Probleme gesehen, er bekämpft Armut, Hunger, zum Teil Kriege, Flucht.
Vorteile des Einen können jedoch Nachteile eines Anderen bedeuten. Wenn eine Pizzeria Pleite geht, weil in unmittelbarer Nähe eine bessere eröffnet hat, wird das kaum Anlass für eine Kapitalismuskritik sein. Wenn in einem Land Arbeitsplätze entstehen und in einem anderen wegfallen, ist das Globalisierung und Ziel heftiger Kritik. Länderübergreifend ist staatliches Handeln begrenzt. Dafür wird ein Schuldiger gesucht. Dann werden tatsächliche Defizite im Gerechtigkeitshandeln des Staates mit tatsächlichen Grenzen des Handelns vermengt. Als Schuldige sind Politiker und Eliten rasch ausgemacht, Fehlverhalten einzelner generalisiert auf die gesamte Gruppe. Die Kritik an der Gruppe generalisiert auf das System, für das die Gruppe als repräsentativ angesehen wird. So wird aus dem unsolidarischen und kriminellen Verhalten einzelner Wirtschaftsführer eine Kritik eine Kapitalismus. So wird aus dem Verhalten einzelner Politiker eine Kritik an Politik und eskaliert zu einer Kritik am demokratischen System. Der Starke Mann soll's richten und natürlich ist er gegen Fehlverhalten gefeit, der Starke Mann ist gerecht.
Begriffe saugen Bedeutungen auf, die ihnen ursprünglich nicht gehörten. Ideologien entstehen und stehen sich unversöhnlich gegenüber. Plakative Vokabeln werden zum Bollwerk. Wolfgang Schütz nennt als Lösung die Vokabel Ökosoziale Marktwirtschaft. Sie soll durch Nachhaltigkeit zu mehr Gerechtigkeit führen. Ja, mehr Rücksicht auf ökologische und soziale Belange ist notwendig. Ohne Zweifel muss unser Handeln mehr Rücksicht nehmen auf Nebenwirkungen. Es darf sich nicht nur nach den (beabsichtigten) Wirkungen richten.
Wir müssen ehrlich sein in unseren Analysen und Vorschlägen. Wir können nicht gegen die Globalisierung sein, weil Arbeitsplätze in der Textilindustrie wegfallen und gleichzeitig in Asien gefertigte Billig-T-Shirts kaufen. Wir können nicht den Rückzug ins Nationale fordern und uns gleichzeitig beschweren, dass internationale Konzerne konkurrierende Steuergesetze in verschiedenen Ländern zum eigenen Vorteil nutzen. Wir können nicht auf die Demokratie schimpfen, dabei Politiker meinen und dann Wahlen und anderen Mitwirkungsmöglichkeiten fernbleiben. Wir können uns nicht in einer Ideologie eingraben und die Augen verschließen vor der Wirklichkeit. Wir müssen uns ernsthaft fragen, was berechtigte Kritik an Realsystemen ist und wo die Kritik als Konzeptkritik überschießt. Oder wie Wolfgang Schütz es sagt:
"Diese Ideologisierung spricht wohl Bände über das prekäre deutsche Verhältnis zur Freiheit und zur Vielfalt des Kapitalismus."

Freitag, 13. Januar 2017

Trumps Krieg

Die Augsburger Allgemeine hat am 13.1. einen Bericht von Thomas Seibert veröffentlicht zu Donald Trump, seinen Auftritten und seinen Ausritten:



Trump als Unternehmer

Thomas Seibert schreibt:
"Ganz so uneigennützig, wie er tut, ist Trump aber nicht, sagen Ethik-Fachleute. Walter Shaub, Chef der Ethik-Kommission in der Regierung des scheidenden Präsidenten Barack Obama, verwarf Trumps Vorstellungen in deutlichen Worten. Hohe Amtsträger dürften nicht den Eindruck vermitteln, aus ihren Posten Profit zu ziehen. Doch Trump vermeide den klaren Bruch mit seiner Unternehmerrolle."
Das verwundert nicht, denn Trump als Unternehmer hat diverse kritische Situationen überstanden, aus viel Geerbtem mehr gemacht. Wenn man das als "Vollblutunternehmer" bezeichnen mag, wird es nicht zu einem "Aderlass" kommen, nur weil Trump Präsident wird. Als Unternehmer war er immer wieder gefordert, unkonventionelle Wege zu finden, um seine Vorstellungen zu realisieren. Als Präsident wird er ebenso handeln. Was als unkonventionell daher kommt und bis zu Regelbrüchen gehen kann, findet Trump selbst nicht bedenklich:
"Die Kritik der Medien und der Fachleute an seinem Vorgehen lässt Trump bisher kalt. Er fühlt sich sicher. Die Leute hätten ihn schließlich auch ohne Offenlegung der Steuererklärung zum Präsidenten gewählt, sagte er bei seiner Pressekonferenz. Nur die Medien interessierten sich dafür, sonst niemand."
Es stört ihn nicht mal, dass sich seine Wähler von ihm abwenden, ihn zumindest kritischer sehen:
"Laut einer Umfrage tritt er das Präsidentenamt mit der außergewöhnlich niedrigen Zustimmungsrate von nur 37 Prozent an: Auch viele Trump-Wähler sind offenkundig wenig begeistert von dem, was sie derzeit erleben. Mehr als die Hälfte der Amerikaner rechnen mit einem schweren Skandal während Trumps Präsidentschaft."
Der schwere Skandal, mit dem bereits mehr als die Hälfte der Amerikaner rechnen, kann nicht überraschen. Anfangs mag, getrieben von Hoffnung, noch die Haltung gerechtfertigt gewesen sein, abzuwarten und zu sehen, ob Trump seine angekündigte Politik umsetzen wird. Inzwischen hat Trump sein Kabinett weitgehend zusammen gestellt, wie in einer Übersicht im Bericht von Thomas Seibert zu sehen ist. Als Chefstratege wird dort Steve Bannon gezeigt.


Trumps Strategieflüsterer

Steve Bannon war der Kopf hinter Trumps Wahlkampagne und hinter der Website Breitbart News, die er als "the platform for the alt-right" bezeichnet hat, wie Wikipedia schreibt. Spiegel Online titelt seinen Bericht über die Website mit "Programm: Brandstiftung".
Auf der Website von Breitbart London hat James Delingpole am 1.1.2017 einen Eintrag veröffentlicht mit dem Titel "Rules for Righties — a War-Winning Manifesto for 2017". Bereits in der Vergangenheit ist Delingpole aufgetreten, beispielsweise als er den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel leugnete. Das Jahr 2016 ist für Delingpole ein Brückenkopf, der Krieg sei noch nicht gewonnen, wie er schon in der Einleitung in kriegsnaher Sprache schreibt:
"2016 was a great year for most of us – but just because we’ve gained the beachhead doesn’t mean we’re going to win the war."
Mit Brexit und Trump sei ein erster Schritt getan, "the worst of the fighting is yet to come":
"Our enemy is fanatical, determined, well organised. Plus, they still hold most of the key positions: the big banks, the corporations, the top law firms, the civil service, local government, the universities, the schools, the mainstream media, Hollywood… Give those bastards half the chance and they’ll drive us back into the sea – which, in contemporary terms, means nixing Brexit (or giving us 'soft Brexit', which is basically the same thing) and frustrating all the things President Trump will try to do to Make America Great Again."
Delingpole gibt sich optimistisch, den Krieg gewinnen zu können und führt eine Reihe von Gründen an, die ich einfach zitiere (Hervorhebungen im Original):
"We will never underestimate the wickedness of the enemy
[...] From Mao’s China to Stalin’s Soviet Union, from Cuba to North Korea, history is littered with the wreckage of failed left wing schemes to make the world a better, fairer place.
[...] Its (Socialism, Anm.) malign influence is still with us today. Innocent boys being accused of rape on college campuses; genuine rapes committed by gangs of Muslim taxi drivers in northern England and by gangs of Muslim immigrants in German cities like Cologne;  [...]
We will always remember that we are better than them
[...] One of the most thoroughly hateful things about the left is the way it tries to constrain free expression. If we play the same game, we are no better than they are. And face it: we just are.
We will take the fight to the enemy, not cower in No Man’s Land
[...] No wonder so many of us had become so fed up with politics: no matter which party you voted for, whether the notionally left-wing one or the notionally right-wing one you still seemed to end up up with the same old vested interests, the same old liberal Establishment elite.
Of course we should always despise the liberal-left because their philosophy is morally bankrupt, dangerous and wrong.
[...] If conservatives like fruit or honey in their yogurt and liberals prefer to eat it with dogshit, it is NOT a sensible accommodation – much as our centrist conservative columnists might wish it so – to say: 'All right. How about we eat our yogurt with a little bit of both?' We need to understand, very clearly, that there are such things as right and wrong [...]
We will never apologise, never explain, never surrender
[...] The vengeful liberal-left doesn’t just want humiliation – it wants total annihilation. [...]
We will laugh in the face of death
Something I’ve noticed about the liberal-left: they don’t have a sense of humour.
[...] Humour requires a degree of self-knowledge; an ability to recognise your own weaknesses (vital if you are to triumph over them) and not to take yourself too seriously. Also, it’s a sign that you are a happy warrior – in the manner of heroes like Andrew Breitbart.
[...] We should remember at all times that in the culture wars, we are the Greek city states and the enemy are the Persians.
We will mercilessly expose their weaknesses
People on the liberal-left are just like us, really, only slightly less evolved. Their brains are stuck in that stage of evolution just before ours – the hunter-gatherer stage when we were all roaming the plains and were programmed to respond in the most basic way to our most primal instincts.
This is why so much of the left-liberal 'argument' has to do with raw emotion rather than logic [...]
Leave no man behind
[...] Unlike the left – which sees ethnic, sexual and religious minorities mainly as client victim groups to patronise and exploit for identity politics purposes – we on the right 'celebrate diversity' by not giving a damn about diversity.
[...] We are all equal and we all have equal rights, just like the 14th amendment says. (Which means, by the way, that we don’t believe in positive discrimination – which is just another form of discrimination, as practised by the disgusting left not the sensible and just right).
Always attack
This, pretty much, was the tactic of the Royal Navy throughout the Napoleonic Wars – even when outnumbered and outgunned by the French and the Spanish.
[...] For far, far too long, conservatives have been fighting a defensive war – spending more time apologising for being conservatives than actually taking on the enemy. But at last, in the U.S. at least, we have a leader who is not afraid of a fight."
James Delingpole schließt sein Manifest mit dem Aufruf:
"OK. We’re done. Unleash hell."
Nein, wir brauchen nicht zu hoffen, dass es besser wird, wenn Donald Trump im Amt ist. Donald Trump hat Einflüsterer, die solches Gedankengut verbreiten. Donald Trump selbst ist unberechenbar, erratisch, eine "Unguided Missile". Man weiß nicht, auf welches Thema er als nächstes anspringen wird und was er dazu sagen wird. Man weiß nicht, ob und was er denkt - außer an sich. Die Welt muss einen Weg finden, die nächsten Jahre dennoch zu bestehen. Beten allein wird nicht reichen gegen die angekündigte Hölle.

Mittwoch, 11. Januar 2017

Bayerns Deutschland 2.0

Die Augsburger Allgemeine hat einen Bericht veröffentlicht zu den Papieren der CSU zu Asyl und Sicherheit:


Obwohl es sich nur um zwei Papiere handelt, halte ich den Begriff der "Flut" im Titel für gut gewählt. Im Bericht heißt es zu Seehofers Flutbeitrag:
"Seine Kernaussage lautet: 'Wir treten ein für Humanität und Integration, aber auch für eine klare Ordnung und Begrenzung gegenüber denjenigen, die wir nicht aufnehmen können.'"
Es lässt sich darüber diskutieren, ob das wirklich die Kernaussage ist und nicht die Obergrenze. Das Bekenntnis zur "Humanität und Integration" könnte auch als Abgrenzungsversuch zur AfD verstanden werden, die auch auf Ordnung und Begrenzung drängt. Ein Blick in die Beiträge kann vielleicht Klarheit bringen. Inzwischen sind die Beiträge als Bericht aus der Kabinettsitzung verfügbar.


Damit Deutschland Deutschland bleibt

Der erste Teil der Flut betrifft den Beitrag von Horst Seehofer, der sich mit dem Positionspapier zur Zuwanderung befasst. Dabei wird der erste Teil der oben genannten Kernaussage so beschrieben:
"Die Aufnahme von Schutzbedürftigen ist ein Gebot der christlichen und humanitären Verantwortung. [...] Humanität und Integration können jedoch nur gelingen, wenn die Grenzen dessen beachtet werden, was Staat und Gesellschaft leisten und verkraften können."
Es wird von christlicher und humanitärer Verantwortung gesprochen und im übernächsten Atemzug gleich darauf hingewiesen, wie eng begrenzt diese Verantwortung wahrgenommen werden kann. Es wird auf leist- und verkraftbares verwiesen, eine Formulierung beliebiger Beliebigkeit. Etwas später heißt es zur Obergrenze von 200.000 Personen:
"Diese Obergrenze entspricht nach langer Erfahrung der Verantwortung und auch der Leistungskraft unseres Landes."
Hier bleibt ebenfalls offen, was das denn nun für eine Grenze sei, die nicht übersprungen werden kann. Das Fuchteln mit der Grenze wird unterstützt durch eine weitere Behauptung:
"Eine unbegrenzte Aufnahme ist beim besten Willen nicht zu schaffen – von niemandem und in keinem Land der Welt."
Niemand hat gefordert, dass Deutschland die Aufnahme der Welt wolle. Ferner heißt es:
"Die Situation vom September 2015 darf sich keinesfalls wiederholen. Deutschland kann nicht noch einmal eine so hohe Zahl von Flüchtlingen aufnehmen."
Was denn, Herr Seehofer? Deutschland kann nicht nochmals 43.071 Asylanträge verkraften, wie das BAMF schreibt? Das ist doch unterhalb der Obergrenze von 200.000. Und Sie behaupten das pauschal, ohne Zeitbezug, weshalb es zulässig ist, diese Zahl als Jahreswert zu interpretieren.
Als Lösung sieht das Papier sechs Punkte vor:
  1. Bekämpfung der Fluchtursachen
    "Lebensperspektiven in der Heimat" werden als das "beste Mittel gegen neue Migrationswellen" gesehen. Inhaltlich natürlich vollkommen richtig. Allerdings wird das nicht für die Menschen gefordert, die fliehen, sondern gegen diese und für Deutschland. Es sind also egoistische Motive und damit ein Kratzer im Lack der christlichen und humanitären Verantwortung.
  2. Rückführung
    Das betrifft diejenigen, die "keinen Anspruch auf Schutz haben", diejenigen, bei denen "der Verfolgungs- oder Fluchtgrund weggefallen ist". Der Anspruch auf Schutz ist nicht eingeschränkt, weshalb unklar ist, ob alle gemeint sind, deren Asylantrag abgelehnt wird oder ob beispielsweise Abschiebehindernisse weiterhin als humanitäres Gebot gelten. Das "Gastrecht" verwirken überhaupt alle, die "in Deutschland straffällig" wurden. Falschparken bricht Asylanspruch? Kommt Deutschland damit nicht in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, wenn Personen mit einer nichtdeutschen Staatsbürgerschaft mit einer anderen, vielleicht sogar zusätzlichen Strafe zu rechnen haben. In der Pauschalität, wie es hier gefordert wird und ohne Rücksicht auf die Schwere der Straftat eine fragwürdige Forderung.
  3. Familiennachzug
    Der Nachzug soll eingeschränkt werden auf die Kernfamilie, auf berechtigte Fälle und nur unter der Voraussetzung erfolgen, dass "ein dauerhaftes Bleiberecht, eine eigene Wohnung und ein selbstverdienter, gesicherter Lebensunterhalt" vorliegt. Da drängt sich die Frage auf, ob nicht die nachziehende Familie selbst ein Asylrecht erworben haben könnte, ob nicht eine Zusammenführung der Kernfamilie ein humanitäres Gebot, ein Element der Integration ist und deshalb die Voraussetzung humanitär fragwürdig, wenn nicht sogar inhuman.
  4. Grenzssicherung und Europa
    Es wird "gemeinsames europäisches Asylsystem" gefordert, bei dem im grenznahen Schnellverfahren entschieden wird und Solidarität aller Mitgliedsstaaten erforderlich ist. Über Flüchtlingszentren in Drittstaaten soll der Druck auf die EU-Außengrenzen gesenkt und das Geschäft der Schlepper beendet werden. Dass das mal nicht nach hinten losgeht und die Schlepper sich auf die Umgehung der Flüchtlingszentren spezialisieren. Wie weit es mit der europäischen Solidarität her ist, zeigt das Verhalten der Visegrád-Staaten und das Erstarken der Rechtspopulisten in Frankreich, Österreich etc. Die Forderung nach einer gemeinsamen europäischen Haltung ist dennoch und jedenfalls berechtigt. In dem Wissen um die zögerliche Haltung in Europa kann es auch die Basis sein, mehr auf nationale Lösungen zu setzen.
  5. Binnengrenzen
    Um "die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten zu können" werden in Grenznähe "Transitzentren" gefordert. Dabei wird behauptet, der Art. 16a GG erlaube "Zurückweisungen auch und selbst gegenüber Asylbegehrenden, wenn diese aus einem Mitgliedstaat der EU nach Deutschland einreisen wollen". Naja, im Wortlaut des Artikels, Absatz 2, heißt es lediglich, dass man sich bei der Einreise über ein EU-Land nicht auf das Asylrecht (Absatz 1) berufen könne. Zu Zurückweisungen sagt das Grundgesetz nichts.
  6. Migrationsanreize
    Die Anreize zur Migration nach Deutschland sollen abgebaut werden, "damit es keine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme gibt". Dazu müsste erst erwiesen sein, dass das die Hauptgründe für Migration sind. Das ist sehr zweifelhaft, wenn man Argumente hört wie sie viele Menschen bringen, die nach England wollen, weil sie dort Bekannte finden werden.
Hier gibt es erste Anzeichen einer möglichen Vermischung von Asyl und Migration. Etwas später heißt es im Dokument:
"Daneben (den o.g. Forderungen, Anm.) braucht Deutschland ein Einwanderungsbegrenzungsgesetz, das die legale Zuwanderung in den Arbeitsmarkt steuert und begrenzt. Das Asylrecht ist kein allgemeines Zuwanderungsrecht."
Das ist natürlich richtig, Asyl ist kein "allgemeines Zuwanderungsrecht". Es ist ein besonders starkes Recht. Dennoch, durch die latente Vermischung von Asyl und Migration, durch den generellen Duktus der Härte bleiben Zweifel an der Humanität. Es entsteht der Eindruck, die CSU fechte einen Kulturkampf, den sie im Titel des Forderungskatalogs bereits angekündigt hat.


Freiheit und Sicherheit durch Recht und Ordnung

Wie Teile dieser Kultur ausgestaltet sein sollen, legen der bayerische Innen- und der Justizminister dar in ihrem Beitrag zur zweiten Flutwelle. Beide wollen die Befugnisse der Sicherheitsbehörden ausweiten und fordern deshalb unter anderem:
  • Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung auf "E-Mail-Dienste, elektronische Post, Messenger Dienste und soziale Medien" sowie eine Verlängerung der Speicherfrist
  • Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation und "Befugnis zur Anordnung der Entschlüsselung von Entschlüsselungssoftware"
  • Online-Durchsuchung
  • Fluggastdatenspeicherung
Die Minister glauben, durch ein Mehr an Daten könnten sie ein Mehr an Sicherheit bieten. Ich glaube, sie schaffen damit vor allem ein Mehr an gefühlter Sicherheit und reißen gleichzeitig sicherheitsschaffende Elemente ein, wenn sie einen Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation fordern. Warum fordern sie nicht gleich das Verbot vertraulicher Kommunikation?
Die Minister wollen den Schutz derer verbessern, "die uns schützen". In Ordnung. Nur ist es zweifelhaft, ob die "Erhöhung des Strafrahmens für gewalttätige Angriffe auf Polizei- und Justizbedienstete sowie Rettungskräfte" wirksam ist. Besoffene lesen vermutlich nicht erst im Gesetz, bevor sie sich einer Kontrolle widersetzen.
Die Minister wollen gegen Wohnungseinbrüche schärfer vorgehen. In Ordnung. Nur ist es zweifelhaft, ob sich reisende Profis davon abschrecken lassen. Auch der geforderten Ausweitung der "Telekommunikationsüberwachung wie auch zur Verkehrsdatenerhebung" auf Einbrüche lässt sich leicht umgehen und wird die mickrige Aufklärungsquote kaum steigen lassen.
Die Minister wollen die Cyberkriminalität bekämpfen, in dem von ausländischen Anbietern "mandatierte Ansprechpartner im Inland zur Verfügung zu stellen" sind. Das ist eine Forderung, die vor allem im Zusammenhang mit Facebook immer wieder auftaucht. Facebook ist bisher nicht als die große Plattform für Cyberkriminelle bekannt. Hassrede zwar, Mobbing auch, aber Cyberkriminelle scheinen mir hier neu zu sein. Zudem wird gefordert, die "Verpflichtung von Herstellern und Nutzern, IT-Sicherheitsmaßnahmen nach dem Stand der Technik umzusetzen". Ich sehe schon das SEK anrücken: "Frau Müller, wir verhaften Sie, weil sie das Sicherheitsupdate XYZ nicht eingespielt haben!"
Die Minister wollen die Videoüberwachung ausbauen und ausweiten auf "Publikumseinrichtungen, etwa Einkaufszentren und Konzerthallen". Dabei sollen die "rechtlichen und technischen Möglichkeiten zur Gesichtserkennung" verbessert werden. Sie könnten sich auch der Forderung des Scotland Yard-Chefs anschließen, der jedes Haus mit Kameras ausstatten wollte. Wobei es interessant wäre zu hören, was sie zu der Erfahrung in England sagen würden:
"Massive investment in CCTV cameras to prevent crime in the UK has failed to have a significant impact, despite billions of pounds spent on the new technology, a senior police officer piloting a new database has warned. Only 3% of street robberies in London were solved using CCTV images, despite the fact that Britain has more security cameras than any other country in Europe."
Offen bleibt, wie sie hierbei das berechtigte Interesse Unverdächtiger an unbeobachteter Bewegung wahren wollen.
Die Minister wollen die behördliche Zusammenarbeit verbessern. In Ordnung, mit der steht es nicht zum Besten, wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen.
Die Minister fordern eine bessere Überwachung von Gefährdern, sie wollen eine "elektronische Aufenthaltsüberwachung mit Fußfesseln für verurteilte und aus der Haft entlassene Extremisten". Sehr gut, weil ein so Überwachter sich nicht mehr in die Luft sprengt und keinen LKW mehr klaut. Sie fordern auch einen "Widerruf der Flüchtlingsanerkennung bei Beitritt zum IS oder vergleichbaren terroristischen Gruppierungen". Ja bitte, mehr Durchsuchungsmöglichkeiten, dass die Behörden den Beitrittsantrag oder den Mitgliedsausweis auch schnell finden. Putzig ist das.
Schließlich zeigt sich auch hier, wie weit die von Seehofer behauptete Humanität gehen soll:
"Vorrang des Ausweisungsinteresses bei Straftätern gegenüber dem individuellen Bleibeinteresse"


Fazit

Die Flut bringt an einzelnen Stellen sinnvolle Forderungen. Ein Wirkungsnachweis wird bei den Forderungen nicht gebracht. Die Wirksamkeit wird bestenfalls - wenn überhaupt - behauptet, gegenteilige Erfahrungen nicht berücksichtigt. Aus meiner Sicht sind es Maßnahmenkataloge, die die aufgewühlte Volksseele beruhigen sollen. Sie adressieren das Gefühl von Sicherheit, nicht die tatsächliche Sicherheit, weil sie andere Rechtsgüter über Gebühr beeinträchtigen, weil sie leicht umgangen werden können, weil sie nicht wirken. In der Summe spülen sie deshalb die behauptete Humanität fort.

Freitag, 6. Januar 2017

CSU obergrenzwertig

Die Augsburger Allgemeine hat am 5.1. einen Bericht veröffentlicht zur Klausurtagung der CSU in Kloster Seeon:


Konfrontation bis zur Selbstaufgabe

Wer geglaubt hatte, der christliche Heilige Geist würde mit seiner Güte auf die CSU herniederleuchten in klösterlicher Umgebung, sieht sich getäuscht. Bereits einleitend steht:
"Seehofer verschärft Konfrontationskurs"
Im ersten Satz dann die Präzisierung:
"Wenn sich die Schwesterpartei CDU nicht ihrer Forderung nach einer Flüchtlingsobergrenze beugt, will sich die CSU auch nicht an einer künftigen Bundesregierung beteiligen."
Weiter wird betont, dass "es sich keinesfalls um eine leere Drohung" handele. Der Entwicklungshilfeminister Gerd Müller stimmt dem zu, sieht eine Obergrenze als "Grundvoraussetzung für eine Beteiligung der CSU an einer Regierung".
Eine klare Position, immerhin. Mal schauen, ob sie ebenso klar und fest ist wie die Drohung mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Januar 2016 schrieb beispielsweise der Focus:
"Staatskanzleichef Marcel Huber erklärte heute, man plane noch keine Klage, behalte sich diese aber als 'Option' vor."
Der Hintergrund der Klagedrohung wird im Artikel so beschrieben:
"Der Bund sei aufgefordert, auf europäischer Ebene die wirksame Sicherung von EU-Außengrenzen sowie eine effektive und faire Verteilung von Flüchtlingen durchzusetzen. Außerdem seien bis zur Wiederherstellung eines ausreichenden Schutzes der EU-Außengrenzen effektive eigene Grenzkontrollen durchzuführen.
Außerdem müsse Berlin sich dafür einzusetzen, entweder eine klare Kontingentierung sowie wirksame Verteilungsmechanismen auf nationaler und EU-Ebene durchzusetzen oder die im Grundgesetz verankerte Drittstaatenregelung zur Anwendung zu bringen, nach der alle aus sicheren Drittstaaten wie Österreich illegal Einreisenden noch an der Grenze zurückzuweisen seien."
Vielleicht täusche ich mich, aber eine auf europäischer Ebene erfolgte wirksame Grenzsicherung gibt es heute genau so wenig wie eine faire Verteilung bzw. Kontingentierung von Flüchtlingen. Eine Klage erfolgte nicht.
Die Drohkulisse wird im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl aufgebaut. Die CSU fühlt sich stark von der rechten AfD bedrängt und möchte an diese nicht weiter Wähler verlieren. Die Konsequenzen der Drohung sollten allerdings wohlüberlegt sein. Nach einer Umfrage für SAT1 Bayern, die am 3.11.2016 veröffentlicht wurde, kommt die CSU auf 44% der Stimmen. Für die folgende Argumentation ist es nicht erheblich, ob sich dieser Wert inzwischen verändert hat. In Bayern ist die einzige Möglichkeit, Merkel zu wählen, die Stimme für die CSU abzugeben. Wenn die CSU sich nun so klar positioniert und ohne Obergrenze keine Koalition mit der CDU auf Bundesebene eingehen wird, müssen sich bayerische Merkelwähler fragen, was sie tun können, wenn Merkel eine Obergrenze weiter ablehnt. Noch schnell den Wohnsitz verlegen? Eher nicht. Dennoch CSU wählen? Dafür gibt es keinen Grund, wenn Merkel Kanzlerin bleiben soll, außer vielleicht die vage Hoffnung, dass die CSU auch ohne Regierungsbeteiligung für Merkel stimmen würde. Zugeben kann das die CSU kaum, weil sonst ihre Drohkulisse unglaubwürdig wird. Die bayerischen Merkelwähler könnten auch der Wahl fernbleiben. Dadurch fehlen erstens der CSU Stimmen und es sinkt die Wahlbeteiligung und die Stimmenanteile der anderen Parteien verschieben sich. Besonders spannend würde die Frage werden, ob die CSU - die ja nur in Bayern antritt - es auf Bundesebene dann noch über die 5%-Hürde schafft. Das müsste sie, um überhaupt in den Bundestag zu kommen, alternativ kann sie mit mindestens drei Direktmandaten in den Bundestag. Es wäre eine politische Meisterleistung, falls die CSU die 5%-Hürde verfehlen würde. Sie hätte sich in beide Knie geschossen, mit einer Kugel.

Grenzen der Obergrenze

Das wird jedoch nur relevant, wenn Merkel sich nicht auf eine Obergrenze einlässt. Derzeit macht Merkel keine Anstalten, eine Obergrenze etablieren zu wollen, obwohl die CSU laut dem AZ-Artikel behauptet:
"Ohne Obergrenze werde die Integration nicht zu leisten sein, für eine weitere Million Flüchtlinge reichten die Möglichkeiten schlichtweg nicht aus."
Die CSU hat bisher lediglich "Obergrenze" gesagt und "200.000" als Zahl genannt. Wie sie diese Obergrenze realisieren und dabei das Grundgesetz wahren will, hat sie bisher nicht gesagt. Und auch nicht, welche unabänderlichen Möglichkeiten es sind, die hier die Grenze definieren. Das ändert sich auch nicht, wenn der CSU-Innenexperte Stephan Mayer meint, ein "atmender Deckel", "bei dem die Aufnahmekapazität jährlich neu berechnet" werde, sei für Seehofer und Merkel "gesichtswahrend". Als Rechenformel schlage ich vor:
Obergrenze = Anzahl Polizeibeamte / 40
Etwa 40 Beamte braucht es angeblich, um eine Person dauerhaft zu überwachen. Wenn jeder Gefährder, pardon, Herr Mayer: Flüchtling lückenlos überwacht wird, ist er kein Sicherheitsproblem mehr.
Ferner ist die Frage offen, wie die Obergrenze zur Sicherheitslage positiv beitragen soll. Als ob unterhalb der Grenze nur Gute und oberhalb der Grenze erst die Bösen kämen. Um diese Frage drückt sich die CSU herum. Vielleicht kann sie sie nicht beantworten, denn sie glaubt sie, was Bundesverkehrsminister Dobrindt laut dem AZ-Artikel gesagt hat:
"Mit dem Flüchtlingsstrom ist auch die Unsicherheit ins Land gekommen."
Soso. Und Türklinken verursachen Grippe. Nein, die Unsicherheit kommt vom IS, vom islamistischen Terrorwahn, vom Hass auf angeblich unislamisches. Das sind die Grippeviren. Flüchtlinge sind lediglich eine Möglichkeit, wie ein Terrorist nach Deutschland kommen kann. Wie Türklinken. Als ob es gegen Grippe helfen würde, alle Türklinken zu vernichten.

Grenzen der Sicherheitsarchitektur

Dobrindt wird weiter zitiert:
"Wir brauchen wieder eine Sicherheitsarchitektur, wie in der Zeit vor der Flüchtlingskrise."
Ach so, mir war gar nicht klar, dass in letzter Zeit die Sicherheitsarchitektur abgebaut worden wäre und nun wieder in Stand gesetzt werden müsste. Ich war der Meinung, es hätte sich nichts geändert bzw. es wurden Verschärfungen umgesetzt.
Apropos Sicherheitsarchitektur: Die CSU hat eine "Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus" (ZET) geschaffen, die bei der Generalstaatsanwaltschaft angesiedelt ist. Laut einem Bericht der Augsburger Allgemeinen sei dies "eine 'klare Antwort'" auf die Zunahme extremistischer und fremdenfeindlicher Straftaten. Die Aufgaben der ZET werden im Bericht in der Printausgabe der AZ so beschrieben:
"Sie soll außerdem eigene Ermittlungsverfahren führen und zudem als 'zentrale Schnittstelle' und 'Wissensvermittler' für alle Dienststellen von Justiz, Polizei und Verfassungsschutz dienen, die mit Abwehr und Verfolgung von extremistischen Straftaten befasst sind. [...]
Nach Ansicht des Justizministers hat Bayern bei der Justiz mit der ZET nun zwei von drei Voraussetzungen für eine effektivere Extremismusbekämpfung geschaffen: ausreichend Personal und eine zeitgemäße Struktur."
Ich finde es widersprüchlich, wenn die CSU meint, eine "zentrale Schnittstelle" als "Wissensvermittler" sei ein zeitgemäßes Strukturelement für effektive Extremismusbekämpfung, und gleichzeitig eine Zentralisierung auf Bundesebene abgelehnt wird, wie im Artikel über die Klausur in Seeon steht:
"Neuer Zankapfel sind die Pläne von Bundesinnenminister Thomas de Maizière für ein neues Sicherheitskonzept, zu denen auch die Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz zugunsten einer Bundesbehörde gehört. Seehofer lehnt solche Vorschläge kategorisch ab."
Da muss sich die CSU fragen lassen:
  • Zentralisierung in Bayern ist gut, auf Bundesebene nicht?
  • Verschlankung von Strukturen ist gut, aber nicht, wenn dabei Kompetenzen aus Bayern an den Bund wandern?
Vielleicht sollte ich ein paar Kerzen stiften. Entweder sie erleuchten mich und die Widersprüche klären sich. Oder der CSU gehen ein paar Lichter auf.

Mittwoch, 4. Januar 2017

Böse Blicke im Tunnel

In der Augsburger Allgemeinen wurden am 4.1. einige Leserbriefe veröffentlicht zu dem Bericht über den Polizeieinsatz an Silvester:


Thematische Einordnung

Die Polizei hatte eine Vielzahl von Personen festgesetzt und kontrolliert. Die Auswahl der Personen erfolgte auf der Basis der Erfahrungen von Silvester 2015, weshalb es sich vor allem um nordafrikanisch aussehende junge Männer handelte. In einer Veröffentlichung der Polizei wurde der Begriff "Nafris" für "Nordafrikanische Intensivtäter" verwendet. Dieser Begriff war Anlass zu Kritik an der Polizei und deren Vorgehen sowie an der Verwendung des diskriminierenden Begriffs. Später wurde von der Polizei der Begriff zurück genommen und von den Kritikern der Einsatz als solches nicht mehr kritisiert, die ursprüngliche Verwendung des Begriffs jedoch weiterhin.
Meine Einordnung: Der Begriff "Nafris" ist ein für den internen Polizeigebrauch gedachter Begriff, wie es viele gibt. Sie dienen in der Regel der kürzeren Kommunikation, weil sie lange Wortungetüme vermeiden. Die Abkürzung "Spusi" für "Spurensicherung" ist aus Krimis bekannt. Auch andere Berufe arbeiten mit Abkürzungen, die nur für Eingeweihte verständlich und vielleicht teilweise nicht "politisch korrekt" sind - so what? Ich finde den Begriff selbst nicht diskriminierend, wenn er als Bezeichnung für die gemeinte Gruppe (männliche Intensivtäter aus Nordafrika) verwendet wird. Problematisch finde ich die Verwendung des Begriffes bei Personen, die augenscheinlich aus Nordafrika kommen und deren Intensivtäterschaft nicht klar feststeht. Dazu müssten die Personen einzeln identifiziert und ihre Kriminalgeschichte dokumentiert und zugeordnet sein. In unserem Rechtsstaat gilt jemand lediglich als Verdächtiger, solange seine Schuld nicht erwiesen ist. Diesen Beweis liefert ein Gericht mit einer Verurteilung. Deshalb muss sich die Polizei die Frage gefallen lassen, wie sie bei einer so großen Gruppe bereits im Vorfeld wusste, dass es sich insgesamt um Täter, Intensivtäter handeln würde und nicht nur um eine Gruppe Verdächtiger oder Auffälliger. Deshalb ist die Verwendung des Begriffs zu kritisieren.

Einordnung der Leserbriefe

Eine Einordnung, deren Kern nicht von der Hand zu weisen ist, liefert Hans Meck aus Günzburg:
"Wenn nur einer aus der Menge, welche die Kölner Polizei 'eingekesselt' hat, eine Straftat [...] begangen hätte, dann hätten genau dieselben Besserwisser, die jetzt dieses polizeiliche Verhalten kritisieren, wieder über polizeiliches oder behördliches Versagen schwadroniert."
Er nennt damit ein grundsätzliches Problem mit solchen Polizeieinsätzen. In der akuten Situation müssen die Einsatzkräfte entscheiden, ob und wie sie vorgehen. Anhand von Beobachtungen müssen sie einschätzen, ob "noch nicht" oder "jetzt schon" eingegriffen werden soll. Bei dieser Einschätzung können sie sich verschätzen. Dass die Polizei vor dem Hintergrund Silvester 2015 besonders vorsichtig war, kann nicht verwundern und deshalb sollten Kritiker zurückhaltend sein. Unklar ist, warum die Kritik nur von schwadronierenden Besserwissern gekommen sein soll.
Rjurik Nentwig aus Oy-Mittelberg verbittet sich jegliche Kritik, wenn sie von der falschen Seite kommt:
"[...] und Frau Peter von den Grünen kann sich nur über die Abkürzung 'Nafris' aufregen. Das zeigt überdeutlich, in welcher ideologisch geprägten Scheinwelt diese Politikerin mit ihren Gesinnungsgenossen lebt."
Er unterstellt Frau Peter zudem "den politisch korrekten Tunnelblick". Er scheint ja den Durchblick zu haben, er erkennt Scheinwelten anderer, er kann ein Tunnelblicksyndrom aus der Ferne diagnostizieren und sogar in der Anamnese die politische Korrektheit als Ursache ausmachen. Das ist beeindruckend.
Paul Herrmann aus Landsberg empfiehlt gegen solche Krankheiten eine bewährte Therapie:
"Vielleicht wäre es politisch korrekter, wenn sich unsere gutmenschlichen grünen Führungsdamen den wieder zu Tausenden angereisten 'Narfis' entgegengestellt hätten. Ich könnte mir vorstellen, dass sich ihre Einstellung in dieser Sache geändert hätte."
Das hilft offenbar nicht nur gegen den Tunnelblick und politische Korrektheit, sondern auch gegen Gutmenschlichkeit. Gäbe es ein solches Universalmedikament doch auch gegen Stinkefüße und gegen unterirdische Argumentation, die Welt wäre ein besserer Ort.
Paul Herrmann findet ferner die Entschuldigung des Polizeipräsidenten überflüssig:
"Die erzwungene Entschuldigung des Polizeipräsidenten für das Wort 'Nafris' ist beschämend und in keiner Weise angebracht. Dürfen wir künftig auch nicht mehr 'Amis' zu Amerikanern sagen?"
Er leitet damit über zu Beatrix Smolka aus Weißenhorn, die schreibt:
"Im Land, wo ganz lässig von 'Ossi' und 'Wessi' die Rede ist, kann 'Nafris' schwerlich als rassistisch gelten. Welch unerträgliche Hysterie! Welch ein Ausverkauf der Demokratie! [...] Auch Polizisten sind Bürger mit Anspruch auf Respekt für ihre Arbeit [...]"
Die genannten Vergleiche könnte ich verstehen, wenn "Nafris" nur ebenfalls nur eine örtliche Zuschreibung bezüglich der Herkunft bedeuten würde. Er bedeutet jedoch "Intensivtäter", erst nachrangig eine örtliche Zuschreibung. Die Kritik am Begriff hat nichts mit Respektlosigkeit gegenüber der Polizeiarbeit zu tun. Es ist jedoch respektlos, einen Anspruch auf den Begriff 'Nafris' zu postulieren, wie es Paul Herrmann und Beatrix Smolka tun, wenn sie eine Entschuldigung als "beschämend", die Kritik als "Hysterie" bezeichnen. Beatrix Smolka sieht gar den "Ausverkauf der Demokratie". Mir wird ganz schwindelig, wenn ich versuche mir vorzustellen, was für eine Art Demokratie Frau Smolka beansprucht. Wenn das die Demokratie ist, in der in diesem Jahr ein neuer Bundestag gewählt wird:

Wahlkampf! Mir graut's vor dir.

Dienstag, 3. Januar 2017

Quark, breit, nicht stark

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 3.1. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er ein entschlosseneres Handeln des Rechtsstaats fordert:



Wahlkampforakel

Walter Roller schreibt:
"Deutschland steuert auf einen harten, das Land noch mehr polarisierenden Wahlkampf um die Sicherheits- und Flüchtlingspolitik zu. [...] Aber wann, wenn nicht vor einer Bundestagswahl, soll in einer Demokratie über jene Probleme diskutiert werden, die den Bürgern auf den Nägeln brennen?"
Sein Voraussage dürfte richtig sein, seine Frage über den Zeitpunkt für politische Diskussionen ist es jedenfalls. Selbstverständlich muss ein solches Thema im Wahlkampf diskutiert werden - hoffentlich bleibt es nicht das einzige Thema, hoffentlich dominiert es nicht alle anderen Themen. Einen Rahmen steckt Walter Roller ab:
"Verantwortliche Politik darf die Lage weder dramatisieren (wozu die CSU/CDU aus taktischem Kalkül neigt) noch, wie es im rot-rot-grünen Lager üblich ist, mit beschwichtigenden Formeln schönzureden versuchen."
Er sollte hinzufügen, dass sich die verantwortliche Politik auch nicht von den Populisten die Themen aufzwängen darf. Und er sollte die Wähler aufrufen, einen verantwortlichen Umgang von der Politik einzufordern. Tut er aber nicht, er begnügt sich mit einer Schuldzuweisung und einem Hinweis auf Law-and-Order:
"Die Verantwortung hierfür trägt eine Politik, der es am Willen zur konsequenten Durchsetzung von Recht und Ordnung fehlt."
Nir Baram hat in seinem Roman "Weltschatten" einen schönen Einblick gegeben in verantwortungslose Wahlkämpfe, als er den Wahlkampfberater Alister Edmond in einer Mail schreiben lässt:
"Unsere einzige Chance ist, die Kampagne auf eine Botschaft zuzuspitzen: Eine Wirtschaftskrise historischen Ausmaßes (wie in den achtziger Jahren, oder im Grunde noch schlimmer) kommt mit der Geschwindigkeit einer Raumfähre, die von einem betrunkenen Astronauten gesteuert wird, auf Bolivien zu, sodass jetzt einfach jemand gewählt werden muss, der uns vor der nahenden Apokalypse rettet.
Eine 'Breitseite' gegen die beiden anderen Kandidaten muss her, vor allem gegen den der extremen Linken. Ein Verunglimpfungshagel wie eine Sintflut, und danach die erfolgreichsten Anschuldigungen immer wieder durchkauen, bis die Kinder sie in ihren Albträumen aufsagen können. Das sind die beiden Kernelemente der Kampagne, etwas anderes kommt nicht in Frage."
Ein verantwortungsbewusster Wahlkampf ist der erste Schritt, den die etablierten Parteien setzen können, um den Populisten Einhalt zu gebieten.

Angst wovor?

Walter Roller schreibt:
"Wenn sich nur noch 40 Prozent der Deutschen ausreichend beschützt fühlen, so ist dies ein alarmierendes Zeichen für das schwindende Vertrauen in den Staat."
Er sagt nicht, woher er die Zahl hat. Die Studie "Die Ängste der Deutschen 2016" zeigt jedenfalls ein Anwachsen der Angst vor Terrorismus:


Die Angst machte bei konkreten Anlässen einen Sprung und zeigt, wie sehr das Thema "den Bürgern auf den Nägeln" brennt. Wie rasch sich die Angst ändern kann, zeigt auch eine Rückschau auf eine Presseinfo 2014:
"Die Deutschen sind 2014 so entspannt wie lange nicht mehr. Nie zuvor in der R+V-Langzeitstudie 'Die Ängste der Deutschen' befürchteten so wenige Bundesbürger, dass es mit der Wirtschaft bergab geht und die Arbeitslosenzahlen steigen. Auf ein Rekordtief fiel auch die Sorge um die Überforderung der Politiker. Und noch wichtiger: Der Angstindex, der Durchschnitt aller langjährig abgefragten Ängste, sank um 2 Prozentpunkte auf 39 Prozent - und damit auf den niedrigsten Wert seit 20 Jahren. 2014 liegen nur vier Ängste über der 50-Prozent-Marke. 'Am meisten Sorgen machen sich die Bundesbürger ums Geld, die Umwelt und ihre eigene Gesundheit', so Rita Jakli, Leiterin des R+V-Infocenters, auf der heutigen Pressekonferenz in Berlin. 'Die Mehrheit der Deutschen befürchtet, dass die Euro-Schuldenkrise die Steuerzahler teuer zu stehen kommt und die Lebenshaltungskosten weiter steigen.' Mehr als jeder zweite Bundesbürger hat Angst vor zunehmenden Naturkatastrophen und davor, im Alter auf Pflege angewiesen zu sein."
Die Studie 2016 wiederum zeigt, wie breit die Themen gefächert sind, die den Bundesbürgern Angst machen:


Die Top-Themen befeuert Walter Roller, wenn er schreibt:
"Nichts trägt mehr zur Verunsicherung bei als das Gefühl mangelnder Sicherheit infolge staatlichen Kontrollverlustes."
Mangelnde Sicherheit ist die Triebfeder, die das Sicherheitsthema zum dominierenden im Wahlkampf machen kann. Angeblicher staatlicher Kontrollverlust (Walter Roller) bzw. Überforderung der Politiker (Studie) die Triebfeder, die es den Vertretern verantwortlicher Politik schwer machen, überhaupt Gehör zu finden. Ängste, die im Kern verständlich sind, dürfen nicht zum Nebel werden, der europäische Werte und Lehren aus der Geschichte verhüllt und bei dem "Lösungen", wie sie Populisten fordern, zum Leuchtturm werden.

Getretener Quark

Walter Roller hat es inzwischen auf eine beachtliche Sammlung von Leitartikel gebracht. Bei den Themen Sicherheit, Migration und Flüchtlinge kommen seine Analysen immer zum selben Ergebnis: Mehr Rechtsstaat, entschlosseneres Handeln, mehr Härte. Dabei nutzt er den Effekt, den Dipl.-Psychologe Dr. A. Kitzmann so beschreibt:
"Auch durch ständige Wiederholungen können wir manipuliert werden. So kann ein Gesprächspartner, der immer wieder eine bestimmte Tatsache äußert, durch die ständige Wiederholung die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen erhöhen. Mit der Zahl der Wiederholungen einer Behauptung wächst die Bereitschaft, die Behauptung als wahr zu akzeptieren, denn bei der Wiederholung tritt ein Bekanntheitseffekt auf, der dazu führt, daß wir eine vertraut freundliche Haltung einnehmen."
Ergänzend der Hinweis, die "Tatsache" muss nicht wahr sein, es kann sich auch um eine bloße Behauptung handeln.
Die immer gleiche Forderung Walter Rollers nach Härte kann man einer in den Leitartikeln ausgedrückten konservativen, vielleicht sogar rechts-konservativen Haltung zuschreiben. Fragwürdig sind jedenfalls seine Ausflüge in den populistischen Werkzeugkasten, wie auch heute (Hervorhebung von mir):
"Das Versagen der Behörden liegt auf der Hand. Doch sie sind nicht schuld daran, dass einer wie Anis Amri – wie viele Amris leben eigentlich hier? – nicht in Abschiebehaft genommen und zügig ausgewiesen wird, keiner Melde- und Residenzpflicht unterliegt und sich in einem Netz islamistischer Moscheen bewegen und verbergen kann."
Walter Roller macht - wiederum unter Anwendung populistischer Methoden - gleich klar, für wie realitätsfern er abweichende Meinungen hält:
"Die Leugnung eines Zusammenhangs zwischen der großherzigen Asylpolitik und der verschärften Sicherheitslage kommt einer Realitätsverweigerung gleich."
Auch dies kommt in seinen Leitartikeln wiederholt zum Ausdruck. Wobei er ja recht hat, wenn er einen Zusammenhang herstellt zwischen Zuwanderung und Sicherheit: Bei den eingereisten Menschen waren auch solche darunter, die ihre beruflichen Zukunft im Terrorismus sahen. Allerdings hat er nicht recht, wenn er einen Zusammenhang herstellt zwischen Zuwanderung und Sicherheit: Er tut so, als ob Abschiebung, Residenzpflicht etc. Mittel gegen den Terror wären. Das sind bestenfalls Mittel für ein besseres Sicherheitsgefühl, nicht für eine verbesserte Sicherheitslage. Auch Deutsche oder zur deutschen Staatsbürgerschaft gewechselte können sich radikalisieren, auch hier geborene. Ab wann soll ein Flüchtling oder Asylbewerber nicht mehr als Gefahr gelten? Hier verkennt Walter Roller selbst die Realität. Oder er handelt nach dem obigen Wahlkampfvorschlag von Alister Edmond. Ich hoffe, im Wahlkampf durchschauen die Wähler den Unterschied zwischen Symbolpolitik und verantwortlicher Politik. Doch mein Optimismus ist ein verhaltener, wenn ich mir die Ergebnisse einer Studie zu möglichen Maßnahmen zur Steigerung der Sicherheit bei Statista ansehe:


Apropos Realitätsverweigerung: Ich persönlich habe ja viel mehr Angst vor Fahrdienstleitern der Deutschen Bahn. Denn (Zahlen gerundet, damit sich's leichter rechnet):
  • 2015 kamen etwa 1 Million Flüchtlinge. 2016 gab es etwa 5 Attentate
    Quote: 0,0005 %
  • Es gibt etwa 12.000 Fahrdienstleiter, wie die DB im November schrieb, 1 davon verschuldete einen schweren Zugunfall (Bad Aibling)
    Quote: 0,00833 %
Sollten nicht alle Fahrdienstleister das Handy im Dienst abgeben müssen, sollte nicht eine Handypolizei kontrollieren, welche Spiele installiert und wann gespielt wurden (Identifikation)? Vielleicht sollten alle Fahrdienstleister alle 15 Sekunden einen Aufmerksamkeitsknopf drücken müssen (Meldepflicht), um aufmerksam zu bleiben?

Montag, 2. Januar 2017

Deutscher Widerspruch

Martin Ferber hat am 2.1. in der Augsburger Allgemeinen einen Leitartikel veröffentlicht mit der Frage, wie stark Deutschland wirklich sei:



Der Same Stimmungsgebräu

Martin Ferber schreibt:
"Wobei die Situation widersprüchlicher kaum sein könnte: Einerseits halten 83 Prozent der Deutschen die Wirtschaftslage in Deutschland für gut und 82 Prozent sind mit ihrer eigenen Finanzsituation zufrieden. Andererseits glauben 46 Prozent, dass sich Deutschland auf dem falschen Weg befindet, und nur noch 25 Prozent sagen, das Land entwickele sich in die richtige Richtung."
Die Forschungsgruppe Wahlen hat in ihrem Politbarometer Dezember 2016 ähnliche Ergebnisse erhoben, was die persönliche Bilanz betrifft:
"Trotz Flüchtlingskrise und Terroranschlägen sagen ähnlich wie in den Vorjahren 77 Prozent aller Befragten, dass 2016 für sie persönlich eher ein gutes Jahr war, für 20 Prozent war es ein schlechtes. Die meisten (64 Prozent) gehen davon aus, dass sich für sie im nächsten Jahr nicht so viel ändern wird, 30 Prozent erwarten, dass 2017 besser laufen wird und nur 5 Prozent meinen, dass sich die Lage für sie verschlechtern wird."
Zu wirtschaftlichen Aspekten aus dem Themenfeld Flüchtlinge sagt die Forschungsgruppe:
"Beim Thema Flüchtlinge dominiert die wirtschaftliche Dimension: So fürchten 60 Prozent, dass es wegen der Ausgaben für die Flüchtlinge zu Einsparungen in anderen Bereichen kommt (39 Prozent glauben das nicht). Auf Platz zwei folgt das Thema Kriminalität: 52 Prozent erwarten, dass es aufgrund der vielen Flüchtlinge zu einer Zunahme der Kriminalität kommt, 45 Prozent haben diese Befürchtung nicht. Dass unsere kulturellen und gesellschaftlichen Werte durch die Flüchtlinge bedroht werden, meint nur ein knappes Drittel (30 Prozent), 66 Prozent sehen das nicht so."
Die Widersprüchlichkeit fasst Martin Ferber zusammen:
"Trotz hoher Beschäftigungsquote, sicheren Jobs, steigenden Reallöhnen und niedriger Inflation hat sich ein diffuses Gebräu von Unzufriedenheit und pauschaler Ablehnung aller etablierten Parteien entwickelt, das sich aus der Kritik an der Flüchtlingspolitik und der äußerst angespannten Sicherheitslage speist."
Und wenn's gerade passt, findet sich im Gebräu Ablehnung der EU, Ablehnung des Euro, Ablehnung der Globalisierung. Die Gründe wechseln und suchen sich Wege, auf denen Schuldige leicht auszumachen sind: abgehobene Politiker, Mario Draghi, Konzerne und überhaupt Geldberge. Dabei spielt es kaum eine Rolle, wie hoch der Wahrheitsgehalt im Gebräu ist. Beispielsweise wurde auf Yougov eine Untersuchung der Politikwissenschaftlerin Annette Elisabeth Töller von der Fernuni Hagen veröffentlicht, in der der Einfluss von EU-Vorgaben auf die deutsche Gesetzgebung untersucht wurde. Das Gesamtergebnis zeigt, dass der EU-Einfluss überschätzt wird:


Im Text heißt es:
"Das DIP (Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentarische Vorgänge des Bundestags, Anm. )veröffentlicht das parlamentarische Geschehen in Bundesrat und Bundestag. 7 Prozent der Gesetze im Bereich der sozialen Sicherung, 21 Prozent der Gesetzgebung zu Steuern und öffentlichen Finanzen und 57 Prozent der Wirtschaftsgesetzgebung sind demnach von der EU beeinflusst."
Tröller macht Einschränkungen hinsichtlich der Forschungsmethode, weil sie nicht alle Einflusskanäle berücksichtigt. Dennoch kann die Untersuchung als Hinweis verstanden werden, dass wahrgenommene Zustände nicht die tatsächlichen Zustände korrekt beschreiben müssen. Hier den Begriff des Postfaktischen zu verwenden, würde zu weit gehen, weil es sich wohl eher um eine Fehleinschätzung und nicht um ein bewusstes Ausblenden von Fakten handelt.
Beim Gebräu spielt zudem eine Rolle, dass auf bestimmte Fassetten fokussiert wird, die dann möglichst scharf in das Gebräu eingerührt werden. Bei der EZB geht es immer nur um die Nullzinsen und um deutsches Steuergeld, das den unfähigen und/oder unwilligen Südländern nachgeworfen wird. Ein Beispiel liefert die AfD mit dem Titel:
"Lucke: 'Die Bundesregierung geizt bei unseren Kindern und wirft Griechenland das Geld hinterher'"
Bei den Konzernen dreht es sich um Lobbyismus und Steuerhinterziehung. Natürlich gibt es Lobbyismus, aber nicht jede politische Instanz ist von Lobbyisten gesteuert. Die AfD sieht das vorsichtiger:
"Inzwischen hat die Bundesregierung sogar, nachdem sie sich vorher lange gesträubt hatte, der Kaufprämie für Elektroautos zugestimmt. Eine Hand wäscht die andere."
Natürlich gibt es fragwürdiges Steuerverhalten. Doch oft ist es legal, nur moralisch fragwürdig, wie das politische Mühen um den Austausch von Steuerinformationen, Mindeststeuersätze etc. zeigen.

Die Saat geht auf

Martin Ferber schreibt:
"Der machtbewusste Autokrat im Kreml nutzt die Schwäche des Westens, um seine Macht weiter auszubauen. Mehr noch, seine teilweise verdeckte, teilweise offene Unterstützung der rechtspopulistischen Bewegungen führt dazu, dass diese sein Spiel mitspielen und die Axt an die liberalen Grundwerte anlegen und die Länder Europas zurück in die eigentlich längst überwunden geglaubte Zeit der Kleinstaaterei und der politischen wie ökonomischen Jeder-gegen-jeden-Kirchturmpolitik führen, in der es nur Verlierer geben kann."
Wie lieb manche Putin haben, zeigt die AfD:
"Statt deutsche Soldaten nach Litauen zu senden, sollte die Bundesregierung den Dialog auf allen Ebenen mit Putin suchen. Wir brauchen Russland als Partner in der Wirtschaft und in der Sicherheit. Nicht als permanenten Gegner."
Richtig, ein partnerschaftliches Miteinander Europas und Russlands wäre gut. Nur ist Putin, der "machtbewusste Autokrat im Kreml", ein Träumer über die Größe der Sowjetunion, die er wieder herstellen möchte. Deshalb ist Vorsicht angebracht. Nicht nur die Rechtspopulisten finden ganz toll, was Putin macht. Am linken Skalenende meint Sahra Wagenknecht:
"Ich habe mehr Angst vor Trump als vor Putin"
Auch wenn Trump unberechenbar ist, glaube ich nicht, dass er schneller die Waffe zieht als Putin, der Teile der Ukraine militärisch besetzen lässt, weil zu seinen Sowjetträumen auch die Krim gehört. Sogar manche Proponenten etablierter Parteien zeigen große Nähe zu Putin, beispielsweise Seehofer.
In der Innenpolitik wird die klare Kante gefordert. Gegenüber Despoten offenbar nicht: lieber vom russischen Bären betanzen lassen als ihm ordentlich auf die Pfoten zu steigen. Aus Antiamerikanismus orientieren sich manche Orientierungslosen nach Osten und glauben, dort ginge die Sonne auf über ein besseres Leben, ein besseres Deutschland. Martin Ferber bezeichnet es als "Kleinstaaterei", als "Jeder-gegen-jeden-Kirchturmpolitik", was die Populisten als Rettung sehen aus ihrem selbstgerührten Gebräu. Es ist eine Überlegung wert, ob die Abwesenheit von Krieg in Mittel- und Westeuropa nicht erst möglich wurde, als die Kleinstaaterei überwunden wurde. Es ist eine Überlegung wert, ob nicht der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands vor allem am Export hängt und deshalb ein Miteinander essentiell ist. Diejenigen, die sich auf ihre angeblich berechtigten Ängste und Sorgen berufen und behaupten, die Politik würde die Sorgen nicht ernst nehmen, sollten sich fragen, wofür sie ernst genommen werden wollen. Walter Roller malte die "Überfremdung" an die Wand, wahlweise auch unbegrenzte Zuwanderung. Nach Silvester 2015 war es die Angst vor massenhafter Vergewaltigung. Diese Angst wurde abgelöst durch die Terrorangst. Es gibt Terror, es gibt Vergewaltigungen. Deswegen steht dennoch nicht der Untergang des Abendlandes an. Wer sich davor fürchtet, sollte Hilfe aufsuchen, wie ich bereits im Juni 2016 empfahl.
Aus dem Gebräu entsteht ein Geblubber, bei dem AfD und teilweise CSU lautsprechen und den Eindruck erwecken, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen, sie hätten als einzige noch den Durchblick. Sie sollten sich das Gebräu aus den Augen wischen, damit sie klarer sehen. Damit sie sehen, wie weit Sorgen berechtigt und ab wann übertrieben sind. Damit sie sehen, auf welchen falschen Annahmen ihre "Lösungen" beruhen. Damit sie sehen, welche Werte sie verraten, wenn sie die "Lösungen" fordern, die sie fordern. Der Aufruf geht vor allem an die Wähler, die heuer einen Wahlkampf über sich ergehen lassen müssen, vor dem es einen nur grausen kann: Mitte Dezember 2016 wurde die Sau "Doppelpass" durch's Dorf getrieben, später dann Härte gegen den Terror. Das wird ein Wahlkampf, wo der "Wind of Fear" jeden Tag aus einer anderen Richtung kommen kann und das Wahlvolk geflissentlich mitflattert. Der Politikbetrieb ist derzeit so angstfixiert, dass er auch flattert und andere Themen es kaum auf die Bühne schaffen, obwohl es sie zahlreich gibt abseits der Flüchtlinge und des Terrors. Und - wie die Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen oben zeigt - zwei Drittel der Bevölkerung die Flüchtlinge nicht als Bedrohung für unsere Werte sehen. Es wäre gut, die zwei Drittel würden Gehör finden im Politgeschäft: Hört auf die leiseren Töne.
Deshalb nochmals der Appell an die Wähler, sich nicht von einem Haufen besorgter Wutbürger treiben zu lassen, sich nicht jeden Blödsinn aufschwatzen zu lassen, weder in der Problem- noch in der Lösungsdarstellung. Die Populisten sind die Sirenen, die in das Verderben führen. Populismus ist nicht der Untergang Deutschlands, Deutschland vielleicht stärker gegen Rechts gewappnet als manch anderes Land in Europa. Immun ist es nicht und Martin Ferber warnt richtig:
"Und so könnte es zu der fatalen Situation kommen, dass ausgerechnet jene, die behaupten, Deutschland wieder stärker zu machen, es so beschädigen, dass es am Ende des Jahres schwächer dasteht als zu Beginn."
Die Beschädigung wäre innen- wie außenpolitisch enorm. Gewesen sein will's dann niemand, wie die Tauchgänge der Brexit-Populisten nach dem Votum zeigen.