Mittwoch, 14. Juni 2017

Visieren statt zielen

Bernhard Junginger hat am 14.6. in der Printausgabe Augsburger Allgemeinen einen Kommentar veröffentlicht zu den Berichten der Innenministerkonferenz und den dort diskutierten Vorschlägen zur (inneren) Sicherheit:


Bernhard Junginger erklärt, die "Zielvorrichtung einer Feuerwaffe" sei gemeint, wenn im "Kampf gegen Terrorismus" "immer mehr Bürger noch stärker, noch umfassender ins Visier genommen werden".
Ein treffendes Bild, das sich mit dem vermutlichen Selbstbild der Sicherheitsminister erweitern lässt. Die sehen sich erhöht sitzend, den gesamten Staat und alles was kreucht und fleucht überblickend. Trotz des Gewusels sehen sie sich in der Lage, mit den Feuerwaffen des Rechtsstaats mit chirurgischer Präzision - eben indem sie durch ein Visier die Bösen auf's Korn nehmen - das Böse zu bekämpfen. Aus diesem Selbstbild heraus kommen dann die Vorschläge, "noch stärker, noch umfassender ins Visier" zu nehmen. Sie rufen nach einem größeren Visier, mit besserem Fadenkreuz, mit größerer Vergrößerung, mit schärferer Optik. Bernhard Junginger schreibt treffend:
"So stumpf sind die vorhandenen Instrumente gar nicht. Nur krankt es [...] oft daran, dass sie niemand konsequent benutzt"
Und vielleicht auch nicht benutzen kann, weil alle nicht mehr durch das vorhandene Visier blicken, sondern dauernd auf den Katalog starren, in dem neuere, größere, buntere, schönere Visiere feilgeboten werden.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kann seinen Blick nicht mehr vom Katalog lösen - Thomas de Maizière auch nicht, meine vorgestrige Titulierung als Janus bleibt deshalb passend. Minister Herrmann fordert, minderjährige Islamisten vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Der § 19 StGB bezeichnet als schuldunfähig, "wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist". Den Sinn dieser Grenze erläutert Wikipedia so:
"Strafmündigkeit beschreibt das Erreichen eines Alters, ab dem einem Mensch vom Gesetzgeber her zugetraut wird, die Folgen seiner Handlungen so weit zu überblicken, dass er bewusst anderen schaden kann und daher für diese Handlungen die Verantwortung übernehmen muss."
Der Verfassungsschutz soll also jemanden beobachten, dem nicht zugetraut werden kann, die Folgen seiner Handlungen zu überblicken und der deshalb auch nicht die Verantwortung übernehmen kann. Da möchte ich Joachim Herrmann fragen, ob er politikmündig ist, wenn er Strafunmündige dem Verfassungsschutz anempfehlen möchte. Der beobachtet dann und stellt fest, dass der Minderjährige sich radikalisiert. Und dann? Solange zuschauen, bis konkrete Anschläge vorbereitet werden? Warten, bis er Lehrerin die Treppe hinab stößt oder mit einem Messer in der Schule ein Schlachtfest anrichtet?
Würde Herrmann sein Visier hochklappen - diesmal geht es um den "um den aufklappbaren Gesichtsschutz am Motorrad- oder Ritterhelm" - könnte er vielleicht das Gebäude des Jugendamtes, das Zimmer eines Schulpsychologen oder den Sportplatz einer fähigen Einrichtung sehen. Dort könnte er - mit einem Zielvisier - Menschen entdecken, die bei dem Minderjährigen mehr ausrichten könnten als der Verfassungsschutz. Doch leider: Herrmanns Helmvisier ist noch unten und das Zielvisier nicht fein genug. Er findet keine entsprechenden Mitarbeiter in ausreichender Zahl bei den Einrichtungen. Herr Herrmann, da hilft es nicht, im Katalog nach besseren Zielvisieren zu suchen: Da braucht es eine am Bedarf orientierte personelle (und sonstige) Ausstattung der Einrichtungen. Sprechen Sie doch mal mit dem Sozialministerium darüber.

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