Dienstag, 6. Juni 2017

Hilflos in London

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen am 6.6. einen Leitartikel veröffentlicht zu dem jüngsten Attentat in England:


Wie gut der Terror inzwischen wirkt zeigen die Unterbrechung von "Rock am Ring" oder die Panik bei einem Public Viewing. Zur Reaktion der Britischen Regierung schreibt Jürgen Marks:
"Die britische Premierministerin Theresa May hat zwar recht, wenn sie jetzt sagt: 'Genug ist genug'. Allerdings offenbart diese Formel bei näherem Hinschauen Hilflosigkeit. War denn nicht jedes einzelne Attentat schon mehr als genug?"
Oder anders gefragt: Was war bei dem Bombenattentat in Manchester noch nicht genug, das nun mit London erreicht worden sei? Natürlich nichts. Solche Äußerungen sind wie Ausrufe überforderter Eltern, wenn das Kind nach der dritten Ermahnung immer noch keine Anstalten macht zu gehorchen. Im Gegenteil: das Wissen um die Hilflosigkeit könnte ein zusätzlicher Antrieb sein, es erneut zu versuchen.
Irgendwann "ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die vielen abgedroschenen Reden und Betroffenheitsadressen entschlossenem Handeln weichen müssen". Theresa May präsentiert ihren 4-Punkte-Plan als Lösung:

  • Ideologie bekämpfen
  • Keine Rückzugsräume im Netz
  • Keine Rückzugsräume in der realen Welt
  • Strafverschärfung und Neuausrichtung der Terrorabwehr

Theresa May kommt damit nicht über das Niveau abgedroschener Reden hinaus. Die Ideologie zu bekämpfen kann nicht im Handumdrehen gelingen. Rückzugsräumen im Netz kann mit verstärkter Überwachung zu Leibe gerückt werden, wobei der Grenzsetzung von Jürgen Marks zuzustimmen ist: "ohne die Privatsphäre freier Bürger einzuschränken". Der Kampf gegen den IS in Syrien und Irak führt derzeit eher zu einer Verstärkung terroristischer Aktivitäten in Europa. Das Überdenken der Terrorabwehr gehört zum Standardprogramm politischer Forderungen. Man wundert sich: war nicht in den Jahren 2010 bis 2016 genug Zeit für die damalige Innenministerin May, die Terrorabwehr zu justieren? Damals wurde allerdings nicht auf-, sondern die Polizei abgerüstet. Neben Hilflosigkeit entsteht der Eindruck, Theresa May wolle ablenken und im Restwahlkampf eine offene Flanke verstecken.
Mehr Polizei und der Kampf gegen Rückzugsräume setzt "nur" bei den Symptomen an. Damit wird nicht die Idee des Terrors, die Terrorideologie bekämpft. Dieser Kampf hat zwei Seiten. Erstens die Seite "Gegenwehr ist notwendig" und zweitens die Seite "die Methode der Gegenwehr ist gerechtfertigt". Letzterem ist klar Nein! zu entgegnen. Terror ist kein Mittel für die Durchsetzung irgendwelcher Ziele. Jürgen Marks hat Recht, wenn er hierzu schreibt:
"Doch der Kampf gegen den islamistischen Terror ist selbstverständlich auch eine Aufgabe der Muslime."
Ja, denn hierbei geht es nicht in erster Linie um Religion. Die Ablehnung terroristischer Gewalt ist - wenn man so will - "überreligiös" und muss jedem Menschen ein Anliegen sein. So wenig wie man von "den Katholiken" erwarten würde, gegen tödlich endende Exorzismen zu protestieren, sollte von "den Muslimen" erwarten, dass sie öffentlich gegen Terror demonstrieren, weil sie Muslime sind. Was jedoch erwartet werden kann, ist eine Missbilligung von Gewalt, Gewaltaufrufen, Radikalisierung und Hetzrede in den eigenen Reihen. Mit Jürgen Marks Worten:
"Jede kräftige Initiative gegen die Radikalen im Islam ist ein starkes Symbol für den friedfertigen Islam."
Terroristen argumentieren, sie hätten einen Grund für ihren Kampf. Hierbei wird ein Feindbild konstruiert, das den Gegner als Feind des Islams deklariert. Es wird behauptet, der Islam, seine Ansichten, seine Gebote und Riten und die daraus sich ergebende Lebenseinstellung sei von außen bedroht. Es entsteht ein Gruppengefühl, das auf der Gefährdungsbehauptung fußt. Dem ist nicht beizukommen mit einem Vorgehen gegen Radikalisierung, nicht mit der Erwartung, Muslime müssten gegen den Terror demonstrieren. Das wird sich nur bearbeiten lassen mit gelingender Integration, weil damit das Feindbild abhanden kommt. Dazu gehört eine Koranauslegung, die im heute angekommen ist und nicht im Mittelalter verharrt. Diese Aufgabe müssen Muslime leisten, schon um sich nicht einem ständig selbst erneuernden Feindbild auszusetzen, wenn Muslime für Terror unter Generalverdacht gestellt werden. Im Gegenzug dürfen sie erwarten, nicht wegen ihres Glaubens als verdächtig zu gelten und sich permanent distanzieren zu müssen.

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