Sonntag, 18. Juni 2017

Politisierte Religion

Walter Roller hat in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 17.6. einen Kommentar zum angekündigten Demonstrationszug gegen Terror veröffentlicht:


Walter Roller ist auf ganzer Länge zuzustimmen:
"Die weit überwiegende Mehrheit der in diesem Land lebenden Muslime ist friedlich und hegt auch keine klammheimlichen Sympathien für die furchtbaren Anschläge von Glaubensbrüdern. [...] Es wäre gut, wenn endlich mehr Muslime als bisher in aller Klarheit [...] ein unmissverständliches Zeichen setzten."
Solche Zeichen sind das eine. Das andere ist, "was letztlich aus der Mitte der muslimischen (Welt-)Gemeinde heraus erfolgen muss":
"Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der radikalen, demokratiefeindlichen, gewaltbereiten Strömung des Islam - und deren kompromisslose Ächtung."
Es wäre schön gewesen, wenn dieser privat organisierte "Friedensmarsch" ein solches Zeichen hätte sein können. Doch das Zeichen war nicht so kraftvoll, wie von den Veranstaltern erhofft, wie die AZ schreibt:
"Zunächst waren einige hundert Menschen zu der Demonstration unter dem Motto "Nicht mit uns" in die Kölner Innenstadt gekommen. Dann stießen während des knapp zweistündigen Marsches weitere hinzu. Am Ende sprach Kaddor von 3000 bis 3500 Menschen. Dennoch blieb die Teilnehmerzahl weit hinter den Erwartungen der Organisatoren zurück. Die Veranstalter hatten bis zu 10 000 Teilnehmer angemeldet."
Man ist geneigt zu sagen, die Teilnehmerzahlen sind enttäuschend. Im gleichen Bericht schreibt die AZ weiter:
"Um die Aktion hatte es vorher Debatten gegeben - vor allem, weil der Islamverband Ditib eine Teilnahme abgelehnt hatte. Verbände wie der Zentralrat der Muslime oder die Türkische Gemeinde und zahlreiche Politiker hatten dagegen parteiübergreifend dafür geworben. 'Es ist ein Fehler, bei einem solchen Friedensmarsch nicht dabei zu sein', kritisierte Kaddor die Ditib während der Demonstration."
Die Ditib selbst, die "Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V." schreibt in einer Pressemitteilung am 14.6. auf ihrer Website:
"Den Personen, die diese aktuelle Demonstration organisieren, hätte bewusst sein müssen, dass für eine gemeinsame Veranstaltung Vorgespräche notwendig sind. [...] Muslime sind darüber hinaus keine Verhandlungsmasse, die sich nach Belieben hierhin oder dorthin zitieren lässt – die DITIB hätte sich statt Ansprache über die Medien zumindest Gespräche im Vorfeld gewünscht. Dies zeigt uns, dass die Initiative entweder zu kurz gedacht war oder vordergründig um eine mediale und politische Effekthascherei bemüht, und nicht etwa, wie behauptet, um die Bedürfnisse und Wünsche der Muslime. Öffentlich wirksame Aktionen begrüßen wir, lehnen jedoch die Art und Weise, wie dieser angekündigte Marsch organisiert wurde, ab. Diese Form ist eine öffentliche Vereinnahmung und Instrumentalisierung."
Nun kann von außen nicht beurteilt werden, ob und in welcher Form Vorgespräche stattgefunden oder nicht stattgefunden haben. Nur wundert es mich, wenn eine sich bietende Chance zum Auftritt nicht genutzt wird, weil keine Gespräche, sondern nur "Ansprache über die Medien" stattgefunden habe. In der gleichen Pressemitteilung findet sich ein anderer Grund:
"Forderungen nach 'muslimischen' Anti-Terror-Demos greifen zu kurz, stigmatisieren die Muslime und verengen den internationalen Terrorismus auf sie, ihre Gemeinden und Moscheen – das ist der falsche Weg und das falsche Zeichen, denn diese Form der Schuldzuweisung spaltet die Gesellschaft. Darin pflichten wir Aydan Özoğuz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, bei."
Muslime würden stigmatisiert, wenn sie an Anti-Terror-Demos teilnähmen. Um das besser einzuordnen, lohnt sich ein Blick auf die "Wer-wir-sind-Seite" der Ditib:
"DITIB wurde in der Mitgliederversammlung vom 05.07.1984 in Köln nach bürgerlichem Recht für die Koordinierung der religiösen, sozialen und kulturellen Tätigkeiten der in ihr organisierten Vereine als bundesweiter Dachverband gegründet.
Im Gründungsjahr waren dies 135 Vereine, mittlerweile sind es über 930. Die angeschlossenen Ortsgemeinden sind rechtlich und wirtschaftlich selbstständige eingetragene Vereine, die die gleichen Prinzipien und satzungsgemäßen Zwecke der DITIB verfolgen und die DITIB als Dachverband anerkennen. DITIB ist heute die mitgliederstärkste Migrantenorganisation in der Bundesrepublik Deutschland und ist zu einem anerkannten Glied in der Kette der anderen Anstalten und Einrichtungen mit religiöser und sozialer Zielsetzung in der Bundesrepublik Deutschland, und so zu einer wichtigen Säule der Gesellschaft, geworden. Umfragen zufolge, vertritt die DITIB über 70% der in Deutschland lebenden Muslime."
Die "mitgliederstärkste Migrantenorganisation in der Bundesrepublik Deutschland" würde zu einer Stigmatisierung ihrer Mitglieder beitragen, wenn sie sich an dem Friedensmarsch beteiligte? Das ist nicht glaubwürdig, weil sie es selbst in der Hand hätte, wie sie sich bei dem Marsch präsentiert.
Ditib untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Am 19.1.2017 schrieb der Deutschlandfunk:
"Eigentlich sollte die türkische Religionsbehörde Diyanet, 1924 von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk gegründet, mäßigend wirken. Doch mit dem Aufstieg der AKP und unter dem aktuellen Vorsitzenden Mehmet Görmez herrscht ein deutlich konservativerer und zugleich offensiverer Ton. Inzwischen gilt sie als Instrument von Präsident Recep Erdogan."
Erdogan hat seit dem Putsch im Jahr 2016 einen straffen Kurs gesetzt. Es geht in eine erzkonservative, in eine nationalreligiöse Richtung. Er hat die Verfassung in einem Referendum geändert, um als Alleinherrscher zu fungieren. Er liebäugelt mit der Einführung der Todesstrafe. Er lässt Menschen ins Gefängnis werfen, weil sie ihn beleidigt hätten, weil sie Gülen naheständen, weil sie als kritische Journalisten arbeiten. Die Wirksamkeit von Erdogans Instrument beschreibt der Deutschlandfunk so:
"Denn ein Großteil der wöchentlichen Freitagspredigt wird zentral von der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara verfasst. [...] Der immense Einfluss der Diyanet, mit ihren 120.000 Mitarbeitern und einem Haushalt, der höher ist als der des türkischen Innen- oder Außenministeriums, sei absolut berechtigt, glauben genau deswegen die Befürworter der Behörde, wie Nigar Tugsuz."
Wiederum lässt sich nicht von außen beurteilen, wie groß der Einfluss von Diyanet auf die Ausführungen der Ditib zum Friedensmarsch war. Kaum von der Hand zu weisen ist jedenfalls die Annahme, dass die Absage der Ditib-Teilnahme am Marsch im Einklang mit der grundlegenden Haltung von Diyanet korrespondiert, auch wenn es keine konkrete Abstimmung gegeben haben sollte. Der Absagegrund, die "Ansprache über die Medien" macht den Eindruck, als sei die Ditib beleidigt - Beleidigtsein beherrscht Erdogan. Die Absage ist deshalb mit dem Verdacht behaftet, politisch motiviert zu sein. Der Öffentlichkeit wird vor allem die Absage eines Islam-Vereins im Gedächtnis haften bleiben. Ein gefundenes Fressen für die AfD und ihre Sympathisanten. Wo die Ditib behauptet, solche Demos würden Muslime stigmatisieren, übersieht sie das Stigma, das sie selbst den Muslimen beibringt. Anfang Juni hatte ich geschrieben:
"Die Ablehnung terroristischer Gewalt ist - wenn man so will - 'überreligiös' und muss jedem Menschen ein Anliegen sein."
Dabei bleibe ich. Die Teilnahme an einer Demonstration gegen Gewalt ist ein überreligiöses, ein menschliches Zeichen. Sie stigmatisiert niemanden, der ernsthaft daran teilnimmt. Mit der Verknüpfung von Politik und Religion hat die Ditib ihren Mitgliedern einen Bärendienst erwiesen.

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