Mittwoch, 21. Juni 2017

Pfusch im Übermaas

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen vom 21.6. einen Leitartikel veröffentlicht zum Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) von Bundesjustizminister Heiko Maas:


Das Ziel des NetzDG ist, "gegen den Hass bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken vorzugehen". Klar ist, dass manche Veröffentlichungen auf solchen Plattformen - vor allem Beleidigungen, Gewaltaufrufe, Beschimpfungen - "eingedämmt werden müssen". Jürgen Marks schreibt:
"Doch der Gesetzentwurf ist eine juristische Handwerksarbeit von lausiger Qualität. Gleich acht von zehn Sachverständigen nannten das Papier Anfang der Woche verfassungswidrig."
Eine gelungene Beschreibung. Das Ministerium listet auf seiner Website eine ganze Reihe von Stellungnahmen zum Gesetzentwurf auf. Jürgen Marks führt zwei haarsträubende Mängel auf:
"Mit den Auflagen würde Maas unfreiwillig Teile des deutschen Rechtssystems privatisieren. [...] Damit kommt es zu Problem Nummer zwei: Träte das Gesetz in Kraft, würden die Netzwerke aus Furcht vor hohen Bußgeldern im Zweifel vieles löschen, was nur in die Nähe eines Straftatbestandes käme. Das wäre im Sinne der Meinungsfreiheit nicht akzeptabel."
Ich habe das "Laienjudikatur" genannt, was Jürgen Marks als Privatisierung des Rechtssystems bezeichnet. Im gleichen Themenkreis bewegt sich die Frage, was bei - ggfs. später per Gericht festgestellter - Rechtswidrigkeit der Lösung geschehen soll. Hat der Autor des Beitrages ein Wiederherstellungsrecht, vielleicht sogar Anspruch auf Schadenersatz?
Jürgen Marks verortet das grundlegende Problem in einer Zögerlichkeit:
"Jetzt rächt sich, dass Maas zu lange abwartete und darauf setzte, dass die Netzwerke das Problem im Rahmen einer Selbstverpflichtung alleine lösen. Stattdessen hätte er mit Facebook an einer gemeinsamen Lösung arbeiten sollen, bei der Rechtsstaat und Internet-Plattformen sich bei der Verfolgung von Straftaten unterstützen."
Die genannte "Selbstverpflichtung" kann kaum die gewünschte Wirkung zeigen. Denn die sozialen Plattformen kommen oft aus den USA, die ein völlig anderes Verständnis der Freedom of Speech haben als die Deutschen. Was in Deutschland als Verherrlichung des Dritten Reiches unter Strafe steht, ist in den USA von der Meinungsfreiheit gedeckt. Es ist naiv zu glauben, dass ein US-Unternehmen sich von der eigenen "Kultur" leicht, schnell und vollständig verabschiedet, um den Wünschen eines anderen Landes entgegen zu kommen.
Daran schließen sich weitere Fragen an: Welche Plattformen sollen überhaupt erfasst sein? Die mit einem Sitz in Deutschland, die mit einer deutschsprachigen Oberfläche, die mit einer Webadresse .de? Was ist, wenn eine Beleidigung auf einem ausländischen Server gespeichert wird?
Weitere Fragen: Warum soll ein Opfer von Beleidigung und Hetze seinen Rechtsschutz verlieren, nur weil der Anbieter der Plattform im Ausland sitzt? Verlieren Opfer auf neuen Plattformen überhaupt jeden Rechtsschutz, weil es zwar die Plattform gibt, aber noch keine ausreichenden Abläufe im Hintergrund? Braucht auch eine ausländische Plattform mit einer ausländischen Zielgruppe in Deutschland einen Zustellungsberechtigten? Schließlich: Selbst wenn alle Plattformen vom Gesetz erfasst wären, wie kann eine Rechtsdurchsetzung erfolgen? Es gelingt ja kaum, in Deutschland gemachte Umsätze der deutschen Steuer zu unterwerfen.
"Selbstverpflichtung", das hört sich nach FSK an, nach der "Freiwilligen Selbstkontrolle", wie sie beispielsweise für Filme und Spiele stattfinden. Es mag ja angehen, ein paar Dutzend Filme pro Woche zu sichten und mit einer (Alters)Freigabe zu versehen. Doch Twitter hat monatlich über 300 Mio. Nutzer, Facebook allein in Deutschland 30 Mio. Die monatlichen Veröffentlichungen sind ein Mehrfaches davon. Wie vollständig und wie qualitativ hochwertig kann eine Beurteilung von Einträgen bei dieser schieren Masse überhaupt sein?
Jürgen Marks schreibt:
"Am Ende zeigt dieser Fall vor allem eines: Das globale digitale Treiben ist zu schnell für die analoge Welt mit ihren nationalen Regierungen und Gesetzen."
Ja. Doch es ist nicht nur eine Frage der Geschwindigkeit. Die Politik glaubt, mit "analogen Antworten" auf "digitale Fragen" Probleme lösen zu können. Sie wird scheitern. So wie hoffentlich Maas' "Handwerksarbeit von lausiger Qualität" scheitert.

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