Montag, 26. Juni 2017

Rudi Wais' gefräßiger Steuerstaat

Rudi Wais hat in der Augsburger Allgemeinen vom 26.6. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er die Hoffnung auf eine tatsächliche Steuerentlastung als Chimäre identifiziert:


Rudi Wais zeigt, wie seit 2010 das Durchschnittseinkommen um etwa 19% gestiegen ist, die Steuerbelastung jedoch um 26% - "eine Folge der Progression". Immerhin hat die "kalte Progression" zuletzt Eingang gefunden in diverse Diskussionen und Optimisten könnten den Eindruck gewinnen, es sei Besserung in Sicht.
Ganz grundsätzlich beschreibt Rudi Wais, wie die Steuerbelastung verteilt ist:
"Schon jetzt zahlen die zehn einkommensstärksten Prozent in Deutschland gut die Hälfte der gesamten Lohn- und Einkommensteuer. Auch ein sozialdemokratischer Finanzminister kann diese Kuh nicht ewig melken."
Das IREF, das Institute for Research in Economic and Fiscal Issues bringt in einem Artikel vom 22.12.2026 eine grafisch aufbereitete Darstellung:


Aus der Grafik wird auch deutlich, dass die unteren 50% der Steuerpflichtigen 12% der Steuerschuld aufbringen und die untersten 20% nur noch 2% beitragen. Da wird sich die SPD jedenfalls der Frage stellen müssen, was denn das gelobte Land der Steuergerechtigkeit sei. Denn wenn die einen 50% der Steuerpflichtigen 88% des Steueraufkommen beitragen und die anderen 50% nur 12%, bleibt wenig Bewegungsspielraum unter der Leitlinie einer Gerechtigkeit. Das erinnert mich an die Diskussion um Managergehälter und in wie weit sie für Unternehmen steuerlich abziehbar sein sollen. Hier wie dort ist völlig unklar, wie die Gerechtigkeit aussehen soll, um deren Willen die Diskussionen geführt werden.
Der Gerechtigkeitsgedanke spielt beim Solidaritätszuschlag nur für die SPD eine Rolle. Rudi Wais schreibt:
"Den Solidaritätszuschlag, Beispiel Nummer eins, will die Union nur in Trippelschritten abschaffen und die Sozialdemokratie zunächst nur für einen Teil der Steuerzahler. Tatsächlich verliert er mit dem Auslaufen des Solidarpaktes 2019 seine Existenzberechtigung und gehört deshalb in den Restmüll der Finanzpolitik."
Der Forderung schließe ich mich an: auf den Restmüll und zwar schnell. Weder ist einzusehen, dass sich der Abbau über viele Jahre hinzieht, noch dass nur eine Teil der Steuerzahler entlastet werden soll. Das Zögern der beiden großen Parteien ist ohnehin nicht zu verstehen im Angesicht von Rudi Wais' weiteren Ausführungen:
"Wie gefräßig der Steuerstaat geworden ist, zeigt ein Blick auf die Steuerquote und den Spitzensteuersatz. Im Jahr 2010, Beispiel Nummer zwei, haben wir „nur“ 6,2 Prozent unserer Wirtschaftskraft an den Fiskus überwiesen, inzwischen sind es fast acht Prozent. Und der Spitzensteuersatz? Der wurde, Beispiel Nummer drei, 1960 erst beim 18-fachen eines Durchschnittslohns fällig, heute zahlt ihn ein Unverheirateter ohne Kinder schon bei einem zu versteuernden Einkommen von knapp 54.000 Euro, das ist nur noch etwas mehr als das Eineinhalbfache eines Durchschnittsverdienstes. Facharbeiter werden damit teilweise besteuert wie Topmanager – und selbst wenn Union und SPD diese Grenze jetzt anheben wollen, schafft das nur partiell mehr Steuergerechtigkeit."
Spätestens hier werden die Aussagen von Martin Schulz von "hart arbeitenden Menschen in der Mitte Lebens" auf dem Parteitag, über den die AZ berichtet hat, fragwürdig. Wer sind denn diese hart arbeitenden Menschen, wenn nicht einmal Facharbeiter dazu gehören? Daran schließt sich die Vermutung an, dass er vor allem Kleinverdiener, Teilzeitkräfte, Hilfskräfte, prekär Beschäftigte im Auge hat. Nur: was soll hierbei das Steuerrecht ausrichten?
Das Institut Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg Essen hat im September 2012 eine Expertise im Auftrag der IG Metall veröffentlicht. Hierin heißt es:
"Seit gut 15 Jahren gehört Deutschland zu den OECD-Ländern, in denen Niedriglohnbeschäftigung am stärksten zugenommen hat. Der Anteil der Niedriglöhne ist bei Berechnung einer gemeinsamen Niedriglohnschwelle für Ost- und Westdeutschland von 17,7% im Jahre 1995 auf 23,1% der Beschäftigten im Jahre 2010 gestiegen."
"Besonders hohe Anteile von Geringverdienern finden sich bei Minijobbern (86%), Leiharbeitskräften (67,7%), Jugendlichen unter 25 Jahren (51%) und befristet Beschäftigten (46%). Hier kombinieren sich schlechte Einkommen und Beschäftigungsunsicherheit."
"Zweitens gab die Deregulierung des Arbeitsmarktes durch die Agenda 2010 schlecht bezahlter Arbeit einen starken Schub."
Die Studie wurde vor Einführung des Mindestlohnes im Jahr 2015 verfasst, weshalb manche Aussagen der Expertise wie das Fehlen einer Lohnuntergrenze inzwischen nicht mehr gelten. Dennoch gibt es einen großen Anteil von Geringverdienern, denen weder die Steuerversprechen der SPD noch die der Union eine spürbare Hilfe sein werden. Im Geldbeutel der Steuerzahler wird nichts oder nichts Spürbares ankommen. Mit Rudi Wais:
"Egal, wer am 24. September gewinnt: Unter vielen Gehaltsabrechnungen wird netto nicht viel mehr stehen als vor der Wahl."
 Zum Thema Steuergerechtigkeit werden wir ebenfalls nicht schlauer nach der Wahl als wir es vorher bereits sind. Es zeichnet sich ab, dass eine Chance vertan wird.

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