Montag, 12. Juni 2017

Janus, der Überwacher

Winfried Züfle hat in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 12.6. einen Kommentar zu einem Artikel über die Innenministerkonferenz veröffentlicht:


Winfried Züfle nennt "wohlfeil", was dem deutschen Innenminister Thomas de Maizière vorschwebt.

Abhören um jeden Preis

De Maizière gab dem Berliner Tagesspiegel ein Interview, über das auszugsweise berichtet wurde, in dem es heißt:
"Ginge es nach dem Minister, sollten Sicherheitsbehörden im Falle eines Falles auch auf die Kommunikation in verschlüsselten Messenger-Diensten wie WhatsApp zugreifen dürfen. 'Wir wollen, dass Messenger-Dienste eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung haben, damit die Kommunikation unbescholtener Bürger ungestört und sicher ist', sagte de Maizière. 'Trotzdem brauchen Sicherheitsbehörden, wie bei einer SMS auch, unter bestimmten Voraussetzungen Zugriffsmöglichkeiten'. Dazu könnten Instrumente wie die Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung genutzt (TKÜ) werden. Bei der Quellen-TKÜ lesen die Behörden mit einer Software die laufende Kommunikation eines Verdächtigen auf einem Gerät mit, bevor sie verschlüsselt wird. Der Maßstab müsse sein, was die Polizei im analogen Bereich darf. 'Das muss sie auch im Digitalen rechtlich dürfen und technisch können', sagte de Maizière."
Bei solchen Äußerungen frage ich mich, was mich mehr ärgert: Die Forderung oder die Begründung. Ich vermag ein Verständnis aufzubringen für die Forderung, Messenger-Dienste abhören zu wollen. Aber die Begründung, was analog erlaubt sei, müsse digital möglich sein, ist höchst fragwürdig. Denn es ist unklar, auf was er sich bezieht. Und es ist immer abzustellen auf die Einschränkung von Bürgerrechten, die damit einherginge. Im Analogen gibt es das Abhören von Telefonaten, das Belauschen von Wohnungen mittels Wanzen. Es ist jedoch etwas anderes, eine Wanze in einer Wohnung zu verstecken oder eine Verschlüsselung mittels zu installierender Software auszuhebeln. Diese Software, ein sog. "Staatstrojaner", fällt - wie alle Trojaner - fallen in die Kategorie "Schadsoftware". Das wird nicht anders, wenn der Staat den Trojaner installiert. Nutzt die Software eine Sicherheitslücke aus, wird sie auch von anderen ausgenutzt werden - siehe WannaCry. Die digitale Welt ist anders. Nicht alles, was im Analogen die Bürgerrechte in vertretbarem Ausmaß einschränkt, schränkt übertragen in die digitale Welt gleichermaßen ein. Die Abwägung muss neu getroffen werden. Dass de Maizière diese Unterscheidung nicht macht, stimmt bedenklich.
Wie leichtfertig die Bevölkerung Bürgerrechte aufgeben will, zeigt der Kommentar von jessica86 zu dem Artikel im Tagesspiegel auf der gleichen Website:
"Eine kürzlich erfolgte Emnid-Umfrage zu dem Thema hat ergeben, daß über 70% der Befragten dafür sind, daß die Polizei mehr Überwachungsmöglichkeiten bekommt, denn somit wird die Sicherheit erhöht, die den befragten Bürgerinnen und Bürgern am wichtigsten ist. Das zeigt ja deutlich, daß die Bevölkerung mehrheitlich kein Problem damit hat, ich schließe mich dem auch an und würde mehr Überwachung und mehr Eingriffsmöglichkeiten der Polizei sehr begrüßen, denn nur so kann Kriminalität effektiver bekämpft werden."
Der Kommentar zeigt weiter, wie verbreitet die Ansicht ist, mehr Überwachung würde zu mehr Sicherheit und/oder weniger Verbrechen führen. Die Terroristen der letzten Anschläge in Europa waren allesamt der Polizei oder den Behörden bekannt. Teilweise waren sie vorbestraft. Dennoch wurden die Attentate nicht verhindert. Es hätte "genügt, wenn die Behörden ordentlich gearbeitet hätten", schreibt Winfried Züfle. Ja! Noch mehr Daten, noch mehr Überwachung schafft kein Mehr an Sicherheit, wenn die Behörden nicht in der Lage sind, aus den Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen und die Erkenntnisse in gute Arbeit umzusetzen. Winfried Züfle schreibt:
"Wenn es Konsequenzen zu ziehen gibt, dann doch diese: Der Staat muss die Wiederholung solch skandalöser Fehlleistungen verhindern."
Und nicht vom eigenen Versagen durch laute Rufe nach mehr Abhören ablenken, ergänze ich.

Videoüberwachen um jeden Preis

Der Tagesspiegel weiter über eine weitere Forderung von Thomas de Maizière:
"'Wir haben derzeit zwar Videoüberwachung an Bahnhöfen. Wir haben aber bislang nicht die Möglichkeit, das Bild von beispielsweise einem flüchtigen Terroristen in die Software einzuspielen, so dass ein Alarm angeht, wenn er irgendwo an einem Bahnhof auftaucht', sagte de Maizière dem Tagesspiegel. Die Grundrechtseinschränkung sei dabei gering, da Unbeteiligte nicht erfasst würden."
Wieder eine hanebüchene Begründung. Selbstverständlich werden Unbeteiligte erfasst, weil die Software sie sonst nicht als Unbeteiligte ausschließen könnte. Ein Analogon hierzu findet sich im Urteil C-527/15 vom 26.4.2017 des EuGH, das beispielsweise die Kanzlei Wilde Beuger Solmecke kommentiert:
"Zwar erfolgen beim Streaming Zwischenspeicherungen im sogenannten Browser-Cache sowie im Arbeitsspeicher des Nutzers. Dabei handelt es sich auch jeweils (nach überwiegender Ansicht) um die Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werkes."
Wenn die Juristen "nach überwiegender Ansicht" der Meinung sind, beim Streaming werden Zwischenspeicherungen gemacht, die eine Vervielfältigung von Inhalten darstellen, wie kann dann der Innenminister behaupten, bei der Videoüberwachung würden Unbeteiligte nicht erfasst?
Hinzu kommen Erfahrungen aus England, auf die ich im Januar bereits hingewiesen habe:
"Massive investment in CCTV cameras to prevent crime in the UK has failed to have a significant impact, despite billions of pounds spent on the new technology, a senior police officer piloting a new database has warned."
Teuer, dafür wirkungslos. Deutlicher kann die Chimäre der Sicherheitsillusion durch Videoüberwachung nicht beschrieben werden.

Conclusio

Der Glaube, mehr Überwachung würde mehr Sicherheit ohne oder bei vertretbarem Schaden für uns alle bieten, ist naiv. Der Rechtsstaat hat sich aus allen Belangen herauszuhalten, die ihn nichts angehen. Es können nicht die Freiheitsrechte vieler wegen Verbrechen einzelner eingeschränkt werden. "Ich habe nichts zu verbergen" als typischer Ausfluss dieser Naivität offenbart noch weitere Aspekte:

  • Es ist ok, wenn der Rechtsstaat unbescholtene und unverdächtige Bürger überwacht. Mir fällt hierzu nur "Stasi" ein, nicht jedoch ein freiheitlicher Staat. Das vor dem Hintergrund, dass de Maizière im Mai erneut die Diskussion um die Leitkultur angestoßen hatte. Heute demaskiert er sich als Janus.
  • Verdächtige dürfen weitreichend überwacht werden. Etwas weiter gedacht: Sie verlieren mir nichts dir nichts einen beträchtlichen Teil ihrer Bürgerrechte, deren Schutz die vornehmste Aufgabe des Rechtsstaates ist. 

Beide Aspekte weisen auf ein Rechtsverständnis, das ich nicht teile. Wenn Bürgerrechte eingeschränkt werden aus Gründen der Sicherheit, muss dies wohlbegründet werden. Thomas de Maizière liefert solche Gründe nicht, auch wenn er das Wort Terror benutzt.
Der Schlusssatz gebührt Winfried Züfles Überschrift:
"Terrorabwehr ja, weniger Bürgerrechte nein"

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