Mittwoch, 28. Juni 2017

Storchennest - Beatrix spricht mit sich

Beatrix von Storch hat einen Tweet veröffentlicht:


Sie spricht mit sich selbst, negiert, was denkbar ist und will es nicht. Wirklich unheimlich, mir macht das Angst.

Montag, 26. Juni 2017

Rudi Wais' gefräßiger Steuerstaat

Rudi Wais hat in der Augsburger Allgemeinen vom 26.6. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er die Hoffnung auf eine tatsächliche Steuerentlastung als Chimäre identifiziert:


Rudi Wais zeigt, wie seit 2010 das Durchschnittseinkommen um etwa 19% gestiegen ist, die Steuerbelastung jedoch um 26% - "eine Folge der Progression". Immerhin hat die "kalte Progression" zuletzt Eingang gefunden in diverse Diskussionen und Optimisten könnten den Eindruck gewinnen, es sei Besserung in Sicht.
Ganz grundsätzlich beschreibt Rudi Wais, wie die Steuerbelastung verteilt ist:
"Schon jetzt zahlen die zehn einkommensstärksten Prozent in Deutschland gut die Hälfte der gesamten Lohn- und Einkommensteuer. Auch ein sozialdemokratischer Finanzminister kann diese Kuh nicht ewig melken."
Das IREF, das Institute for Research in Economic and Fiscal Issues bringt in einem Artikel vom 22.12.2026 eine grafisch aufbereitete Darstellung:


Aus der Grafik wird auch deutlich, dass die unteren 50% der Steuerpflichtigen 12% der Steuerschuld aufbringen und die untersten 20% nur noch 2% beitragen. Da wird sich die SPD jedenfalls der Frage stellen müssen, was denn das gelobte Land der Steuergerechtigkeit sei. Denn wenn die einen 50% der Steuerpflichtigen 88% des Steueraufkommen beitragen und die anderen 50% nur 12%, bleibt wenig Bewegungsspielraum unter der Leitlinie einer Gerechtigkeit. Das erinnert mich an die Diskussion um Managergehälter und in wie weit sie für Unternehmen steuerlich abziehbar sein sollen. Hier wie dort ist völlig unklar, wie die Gerechtigkeit aussehen soll, um deren Willen die Diskussionen geführt werden.
Der Gerechtigkeitsgedanke spielt beim Solidaritätszuschlag nur für die SPD eine Rolle. Rudi Wais schreibt:
"Den Solidaritätszuschlag, Beispiel Nummer eins, will die Union nur in Trippelschritten abschaffen und die Sozialdemokratie zunächst nur für einen Teil der Steuerzahler. Tatsächlich verliert er mit dem Auslaufen des Solidarpaktes 2019 seine Existenzberechtigung und gehört deshalb in den Restmüll der Finanzpolitik."
Der Forderung schließe ich mich an: auf den Restmüll und zwar schnell. Weder ist einzusehen, dass sich der Abbau über viele Jahre hinzieht, noch dass nur eine Teil der Steuerzahler entlastet werden soll. Das Zögern der beiden großen Parteien ist ohnehin nicht zu verstehen im Angesicht von Rudi Wais' weiteren Ausführungen:
"Wie gefräßig der Steuerstaat geworden ist, zeigt ein Blick auf die Steuerquote und den Spitzensteuersatz. Im Jahr 2010, Beispiel Nummer zwei, haben wir „nur“ 6,2 Prozent unserer Wirtschaftskraft an den Fiskus überwiesen, inzwischen sind es fast acht Prozent. Und der Spitzensteuersatz? Der wurde, Beispiel Nummer drei, 1960 erst beim 18-fachen eines Durchschnittslohns fällig, heute zahlt ihn ein Unverheirateter ohne Kinder schon bei einem zu versteuernden Einkommen von knapp 54.000 Euro, das ist nur noch etwas mehr als das Eineinhalbfache eines Durchschnittsverdienstes. Facharbeiter werden damit teilweise besteuert wie Topmanager – und selbst wenn Union und SPD diese Grenze jetzt anheben wollen, schafft das nur partiell mehr Steuergerechtigkeit."
Spätestens hier werden die Aussagen von Martin Schulz von "hart arbeitenden Menschen in der Mitte Lebens" auf dem Parteitag, über den die AZ berichtet hat, fragwürdig. Wer sind denn diese hart arbeitenden Menschen, wenn nicht einmal Facharbeiter dazu gehören? Daran schließt sich die Vermutung an, dass er vor allem Kleinverdiener, Teilzeitkräfte, Hilfskräfte, prekär Beschäftigte im Auge hat. Nur: was soll hierbei das Steuerrecht ausrichten?
Das Institut Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg Essen hat im September 2012 eine Expertise im Auftrag der IG Metall veröffentlicht. Hierin heißt es:
"Seit gut 15 Jahren gehört Deutschland zu den OECD-Ländern, in denen Niedriglohnbeschäftigung am stärksten zugenommen hat. Der Anteil der Niedriglöhne ist bei Berechnung einer gemeinsamen Niedriglohnschwelle für Ost- und Westdeutschland von 17,7% im Jahre 1995 auf 23,1% der Beschäftigten im Jahre 2010 gestiegen."
"Besonders hohe Anteile von Geringverdienern finden sich bei Minijobbern (86%), Leiharbeitskräften (67,7%), Jugendlichen unter 25 Jahren (51%) und befristet Beschäftigten (46%). Hier kombinieren sich schlechte Einkommen und Beschäftigungsunsicherheit."
"Zweitens gab die Deregulierung des Arbeitsmarktes durch die Agenda 2010 schlecht bezahlter Arbeit einen starken Schub."
Die Studie wurde vor Einführung des Mindestlohnes im Jahr 2015 verfasst, weshalb manche Aussagen der Expertise wie das Fehlen einer Lohnuntergrenze inzwischen nicht mehr gelten. Dennoch gibt es einen großen Anteil von Geringverdienern, denen weder die Steuerversprechen der SPD noch die der Union eine spürbare Hilfe sein werden. Im Geldbeutel der Steuerzahler wird nichts oder nichts Spürbares ankommen. Mit Rudi Wais:
"Egal, wer am 24. September gewinnt: Unter vielen Gehaltsabrechnungen wird netto nicht viel mehr stehen als vor der Wahl."
 Zum Thema Steuergerechtigkeit werden wir ebenfalls nicht schlauer nach der Wahl als wir es vorher bereits sind. Es zeichnet sich ab, dass eine Chance vertan wird.

Sonntag, 25. Juni 2017

Storchennest - Beatrix verbietet Youtube

Beatrix von Storch hat au einen Tweet von RT Deutsch geantwortet:


Nun ist RT Deutsch ja als seriöse Quelle überaus bekannt. Aber die nach von Storch zu ziehende Konsequenz beachtlich. Aber das muss weitergedacht werden:

  • Verbietet Handies, weil Terroristen sie nutzen
  • Verbietet Busse, Bahnen und Autos, weil Terroristen sie nutzen
  • Verbietet Lebensmittel, weil sie Terroristen am Leben erhalten
  • Verbietet Mäuse, weil man da so leicht ausrutscht #MausländerRaus
  • Verbietet alles, weil ...

Storchennest - Beatrix blockiert AZ Beobachter

Beatrix von Storch, stellvertretende Bundesvorsitzende der AfD, hat den AZ Beobachter auf Twitter blockiert:


Wie die Meldung zeigt, kann der AZ Beobachter nun nicht mehr von Storch folgen oder deren Tweets sehen. Zumindest nicht als AZ Beobachter. Ohne Anmeldung bei Twitter geht's einfach über den Link.
Das Verhalten von Beatrix von Storch ist symbolhaft für die Politik und das Gebaren der AfD:
  • Man bleibt gerne unter sich. Wo viele andere berechtigt vor von Social Media Plattformen generierten undurchsichtigen Filterblasen warnen, hält Beatrix von Storch freiwillig ihr Nest "sauber".
  • Als vor kurzem der Account des AfD-nahen Twitterers Kolja Bonke von Twitter gesperrt wurde, ging ein Aufschrei durch den strammen deutschen Wald. Von Zensur war die Rede, manche witterten gar eine Verschwörung mit Beteiligung des deutschen Staates. 



    Der Hashtag #FreeKolja wurde erfunden. Bei einer Sperre des Accounts des Herren vor über einem Jahr gab es sogar eine Analyse zur Meinungsfreiheit auf Twitter von Cicero. Und dann: Beatrix von Storch greift zu den gleichen Mitteln. Die beschneidet die Meinungsfreiheit, auf die sich selbst gern beruft. Warum fällt mir genau jetzt der Film "Die Vögel" ein? War das auch eine Verschwörung der Tiere?
  • Die Maßnahme kommt über das symbolhafte nicht hinaus. Zwar kann der AZ Beobachter nicht mehr mit seinem Account die Veröffentlichungen von Beatrix von Storch sehen. Doch es ist kein Problem, diese Einschränkung zu umgehen. Das ist wie die Politik der AfD: Was die Partei als Lösungen anbietet sind bestenfalls Symbole. Wirkungsvolle und vor allem gute Politik sieht anders aus.
Den AZ Beobachter treibt nun natürlich die Frage um, was Beatrix von Storch zu dieser durchschlagenden Maßnahme veranlasst haben könnte. Waren es die beiden Tweets als Antworten auf irgendwelche Äußerungen von ihr selbst bzw. ihrem Umfeld:


Oder waren es andere Tweets vom AZ Beobachter, wie beispielsweise diese, die sich nicht an von Storch direkt wendeten, sondern allgemein an die AfD und deren Umfeld:


Manche "Diskussionen" verliefen derart hochkarätig, dass ich mehr als einmal die Notbremse ziehen musste, wie beispielsweise hier:


Der AZ Beobachter wird Beatrix von Storch nun eine eigene Rubrik widmen, das Storchennest. Frau von Storch, Sie sind herzlich eingeladen, die Kommentarfunktion des Blogs zu nutzen, wenn Sie "Lügenpresse" schreiben wollen oder sich anderweitig zu einem Eintrag äußern wollen.

Freitag, 23. Juni 2017

Die grüne Mitte

Rudi Wais hat ein Interview mit dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer geführt, das die Augsburger Allgemeine am 13.6. veröffentlicht hat:


Die Aussagen des grünen OB zum Thema Asyl und Einwanderung halte ich für sehr beachtlich. Das beginnt bereits bei der Einordnung der Grundhaltung der Grünen. Auf die Frage, ob die Grünen die "Bodenhaftung verloren" hätten, antwortet Boris Palmer:
"Nein, das nicht. Ich würde es so formulieren: Meine Partei hat manchmal einen Idealismusüberschuss."
Bei der für viele schwierigen Trennung zwischen Asyl und Migration sieht Boris Palmer diese Pole:
"Weil das Thema von rechts und von links ideologisch aufgeladen wird, was eine vernünftige Lösung natürlich erschwert. Die Linken sagen, es kommen nur Menschen, die verfolgt sind, und von denen dürfen wir auch niemanden abweisen. Für die Rechten sind alle Flüchtlinge nur Schmarotzer, die man nicht im Land haben will. Beides ist falsch. [...] Das heißt: Linke müssen Abschiebungen akzeptieren und Rechte Einwanderung."
Ja, diese Forderung an die politischen Außenbereiche muss erhoben werden. Es macht keinen Sinn, mittels Asyl Schutz für Verfolgte zu gewähren und dann unabhängig davon, ob Verfolgte den Schutz benötigen oder nicht, in jedem Falle zu einem Aufenthaltsrecht zu kommen. Allerdings heißt das im Gegenzug nicht, alle ohne positiven Asylbescheid auszuweisen. Es gebietet die Rechtsstaatlichkeit, in Deutschland seiende Personen nicht dorthin zu bringen, wo ihr Leben oder ihre Gesundheit massiv bedroht ist - auch ohne persönliche Verfolgung, die das Asylverfahren prüft. Doch daran schließen sich schwierige Fragen an wie diese:
  • Was ist eine so starke Bedrohung von Leib und Leben? Muss es Krieg sein (wie in Syrien) oder reicht schon ein schwacher Staat und starke War Lords und Terroristen (wie in Afghanistan)?
  • Wie ist eine Entwurzelung zu bewerten, wenn beispielsweise im Heimatland die Familie umgekommen oder auch geflüchtet ist?
  • Wie ist es zu bewerten, wenn das Heimatland zerstört ist und es folglich keinen Ort gibt, an dem ein neues Leben in halbwegs geordneten Bahnen begonnen werden kann?
Linker "Idealismusüberschuss" kommt zum Bleiberecht, rechte Stringenz zur Ausweisung. Beides ist falsch und diejenigen, die vom abgelehnten Asylantrag unmittelbar zur Abschiebung kommen, machen es sich zu einfach, viel zu einfach. Etwas zu einfach erscheint mir auch diese Aussage von Boris Palmer:
"Hätten wir ein vernünftiges Einwanderungsgesetz, gäbe es die Versuche, sich über das Asylrecht in Deutschland einen Arbeitsplatz oder auch nur den Aufenthalt zu organisieren, nicht in diesem Maße."
Das ist zu optimistisch. Denn solange es für Menschen gewichtige Gründe gibt, ihre Heimat zu verlassen und in einem weit entfernten anderen Land ihr Glück zu versuchen, werden diese Menschen versuchen, ihr Glück zu finden. Wenn das Asylrecht einer dieser Glückswege ist, wird er versucht werden. Migration ist nicht nur ein Pull-Thema: Menschen wandern nicht (nur) aus, weil es ihnen wo anders besser gefällt. Für Europäer mag das der Hauptantrieb sein. In Ländern mit Krieg, mit Dürre und Hunger etc. ist Migration eher ein Push-Thema: die Menschen wollen weg aus der unaushaltbaren Situation.
Rechte Parteien und auch die CSU haben sich bei der Bewertung von Asyl und Migration auf "Grenzen der Belastbarkeit" konzentriert, die erreicht oder überschritten seien. Boris Palmer sagt hierzu:
"Da gibt es nicht eine Grenze, sondern mehrere. Ökonomisch konnten wir es uns leisten, die vielen Menschen aufzunehmen, Deutschland geht es gut. Politisch hatten wir vor einem Jahr einen sehr kritischen Zustand, als die AfD aus dem Stand mit 15 Prozent in den Landtag von Baden-Württemberg eingezogen ist. Da war die Grenze dessen erreicht, was die Leute ertragen können. Auch die Sicherheitslage, würde ich sagen, ist kritisch, weil wir zu viele Flüchtlinge haben, die zu lange nichts zu tun hatten, die in miserablen Verhältnissen leben und irgendwann anfangen, Mist zu bauen. Insgesamt waren wir für drei, vier Monate über der Belastungsgrenze, inzwischen liegen wir wieder deutlich darunter. Die 300000 Menschen, die in diesem Jahr kommen, kann Deutschland problemlos aufnehmen."
Gut, dass er unterschiedliche Dimensionen der Belastungsgrenze anspricht und klar stellt, dass die Aufnahme der "vielen Menschen" für das reiche Deutschland leistbar war. Die Bewertung des politischen Zustandes mit 15 Prozent für die AfD im Landtag und der Grenze dessen, "was die Leute ertragen können", ist nicht so eindeutig. Demokratisch positiv ist es, dass es eine relativ junge Partei schaffen kann, "aus dem Stand mit 15 Prozent in den Landtag" einzuziehen. Kritisch ist, dass das gelang durch Stimmungsmache und nicht mit fundierten Argumenten, weil das die Anfälligkeit demokratischer Entscheidungen für demagogische Umtriebe zeigt.
Interessant ist Boris Palmers Hinweis auf die Sicherheitslage, die er als kritisch sieht, "weil wir zu viele Flüchtlinge haben, die zu lange nichts zu tun hatten, die in miserablen Verhältnissen leben und irgendwann anfangen, Mist zu bauen". Er weist zu Recht auf die Wirkungskette hin: "Mist aus Langeweile", wenn man so will. Ich sehe hier nicht in erster Linie ein Sicherheitsproblem, sondern ein Problem, wie mit Migranten umgegangen wird. Die Sicherheitslage ist ein Symptom. Insbesondere Hardliner sollten sich vor Augen halten, dass das Wegsperren von Migranten in Transitlagern und ähnlichen Anstalten der Katalysator sein kann für den Mist, den diese Menschen dann anstellen. Nicht alle Vorfälle lassen sich so leicht auf kulturelle Gründe schieben, wie es manche gerne tun.
Ich begrüße ausdrücklich die Klarstellung:
"Eine solche Grenze wäre schlicht und einfach verfassungswidrig, das geht nicht. Ich kann in ein Gesetz nicht einfach reinschreiben: Bei 300000 ist Schluss."
Die CSU war auch bisher nicht in der Lage, die Verfassungskonformität einer solchen von ihr geforderten Obergrenze nachzuweisen. Boris Palmer weiter:
"Die Begrenzungsdebatte selbst halte ich dagegen für richtig. Nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge hat tatsächlich Anspruch auf Asyl, einen deutlich größeren nehmen wir aus humanitären Gründen auf, und da ist es sehr wohl möglich, Grenzen zu ziehen. Warum sagen wir nicht, wir sind bereit, ein Kontingent von 100000 oder 150000 Menschen im Jahr aus Krisengebieten direkt zu uns zu holen, mehr aber auch nicht. Eine solche Lösung wäre einerseits humanitär, auf der anderen Seite wäre sie vernünftig, weil wir ja nicht grenzenlos Hilfe leisten können."
Die Debatte ist wichtig und damit sind wir wieder bei den Punkten von oben angekommen. Wie soll mit Menschen mit negativ beschiedenen Asylanträgen umgegangen werden und welche Möglichkeiten möchte Deutschland (und Europa) für reguläre Migration schaffen? Denn wir dürfen nicht vergessen: Wenn jemand in ein EU-Land einwandert und die dortige Staatsbürgerschaft annimmt, darf er sich anschließend überall in der EU niederlassen. Die Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU kennt keine Obergrenze. Ein restriktives Einwanderungsrecht in Deutschland kann in ein paar Jahren zu einer EU-Binnenmigration führen, wenn andere EU-Länder weniger restriktiv wären. Die gesamte Diskussion ist also europäisch zu führen, nicht national. Boris Palmer liefert mit diesem Interview einige gute Beiträge hierfür.

Mittwoch, 21. Juni 2017

Pfusch im Übermaas

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen vom 21.6. einen Leitartikel veröffentlicht zum Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) von Bundesjustizminister Heiko Maas:


Das Ziel des NetzDG ist, "gegen den Hass bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken vorzugehen". Klar ist, dass manche Veröffentlichungen auf solchen Plattformen - vor allem Beleidigungen, Gewaltaufrufe, Beschimpfungen - "eingedämmt werden müssen". Jürgen Marks schreibt:
"Doch der Gesetzentwurf ist eine juristische Handwerksarbeit von lausiger Qualität. Gleich acht von zehn Sachverständigen nannten das Papier Anfang der Woche verfassungswidrig."
Eine gelungene Beschreibung. Das Ministerium listet auf seiner Website eine ganze Reihe von Stellungnahmen zum Gesetzentwurf auf. Jürgen Marks führt zwei haarsträubende Mängel auf:
"Mit den Auflagen würde Maas unfreiwillig Teile des deutschen Rechtssystems privatisieren. [...] Damit kommt es zu Problem Nummer zwei: Träte das Gesetz in Kraft, würden die Netzwerke aus Furcht vor hohen Bußgeldern im Zweifel vieles löschen, was nur in die Nähe eines Straftatbestandes käme. Das wäre im Sinne der Meinungsfreiheit nicht akzeptabel."
Ich habe das "Laienjudikatur" genannt, was Jürgen Marks als Privatisierung des Rechtssystems bezeichnet. Im gleichen Themenkreis bewegt sich die Frage, was bei - ggfs. später per Gericht festgestellter - Rechtswidrigkeit der Lösung geschehen soll. Hat der Autor des Beitrages ein Wiederherstellungsrecht, vielleicht sogar Anspruch auf Schadenersatz?
Jürgen Marks verortet das grundlegende Problem in einer Zögerlichkeit:
"Jetzt rächt sich, dass Maas zu lange abwartete und darauf setzte, dass die Netzwerke das Problem im Rahmen einer Selbstverpflichtung alleine lösen. Stattdessen hätte er mit Facebook an einer gemeinsamen Lösung arbeiten sollen, bei der Rechtsstaat und Internet-Plattformen sich bei der Verfolgung von Straftaten unterstützen."
Die genannte "Selbstverpflichtung" kann kaum die gewünschte Wirkung zeigen. Denn die sozialen Plattformen kommen oft aus den USA, die ein völlig anderes Verständnis der Freedom of Speech haben als die Deutschen. Was in Deutschland als Verherrlichung des Dritten Reiches unter Strafe steht, ist in den USA von der Meinungsfreiheit gedeckt. Es ist naiv zu glauben, dass ein US-Unternehmen sich von der eigenen "Kultur" leicht, schnell und vollständig verabschiedet, um den Wünschen eines anderen Landes entgegen zu kommen.
Daran schließen sich weitere Fragen an: Welche Plattformen sollen überhaupt erfasst sein? Die mit einem Sitz in Deutschland, die mit einer deutschsprachigen Oberfläche, die mit einer Webadresse .de? Was ist, wenn eine Beleidigung auf einem ausländischen Server gespeichert wird?
Weitere Fragen: Warum soll ein Opfer von Beleidigung und Hetze seinen Rechtsschutz verlieren, nur weil der Anbieter der Plattform im Ausland sitzt? Verlieren Opfer auf neuen Plattformen überhaupt jeden Rechtsschutz, weil es zwar die Plattform gibt, aber noch keine ausreichenden Abläufe im Hintergrund? Braucht auch eine ausländische Plattform mit einer ausländischen Zielgruppe in Deutschland einen Zustellungsberechtigten? Schließlich: Selbst wenn alle Plattformen vom Gesetz erfasst wären, wie kann eine Rechtsdurchsetzung erfolgen? Es gelingt ja kaum, in Deutschland gemachte Umsätze der deutschen Steuer zu unterwerfen.
"Selbstverpflichtung", das hört sich nach FSK an, nach der "Freiwilligen Selbstkontrolle", wie sie beispielsweise für Filme und Spiele stattfinden. Es mag ja angehen, ein paar Dutzend Filme pro Woche zu sichten und mit einer (Alters)Freigabe zu versehen. Doch Twitter hat monatlich über 300 Mio. Nutzer, Facebook allein in Deutschland 30 Mio. Die monatlichen Veröffentlichungen sind ein Mehrfaches davon. Wie vollständig und wie qualitativ hochwertig kann eine Beurteilung von Einträgen bei dieser schieren Masse überhaupt sein?
Jürgen Marks schreibt:
"Am Ende zeigt dieser Fall vor allem eines: Das globale digitale Treiben ist zu schnell für die analoge Welt mit ihren nationalen Regierungen und Gesetzen."
Ja. Doch es ist nicht nur eine Frage der Geschwindigkeit. Die Politik glaubt, mit "analogen Antworten" auf "digitale Fragen" Probleme lösen zu können. Sie wird scheitern. So wie hoffentlich Maas' "Handwerksarbeit von lausiger Qualität" scheitert.

Sonntag, 18. Juni 2017

Politisierte Religion

Walter Roller hat in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 17.6. einen Kommentar zum angekündigten Demonstrationszug gegen Terror veröffentlicht:


Walter Roller ist auf ganzer Länge zuzustimmen:
"Die weit überwiegende Mehrheit der in diesem Land lebenden Muslime ist friedlich und hegt auch keine klammheimlichen Sympathien für die furchtbaren Anschläge von Glaubensbrüdern. [...] Es wäre gut, wenn endlich mehr Muslime als bisher in aller Klarheit [...] ein unmissverständliches Zeichen setzten."
Solche Zeichen sind das eine. Das andere ist, "was letztlich aus der Mitte der muslimischen (Welt-)Gemeinde heraus erfolgen muss":
"Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der radikalen, demokratiefeindlichen, gewaltbereiten Strömung des Islam - und deren kompromisslose Ächtung."
Es wäre schön gewesen, wenn dieser privat organisierte "Friedensmarsch" ein solches Zeichen hätte sein können. Doch das Zeichen war nicht so kraftvoll, wie von den Veranstaltern erhofft, wie die AZ schreibt:
"Zunächst waren einige hundert Menschen zu der Demonstration unter dem Motto "Nicht mit uns" in die Kölner Innenstadt gekommen. Dann stießen während des knapp zweistündigen Marsches weitere hinzu. Am Ende sprach Kaddor von 3000 bis 3500 Menschen. Dennoch blieb die Teilnehmerzahl weit hinter den Erwartungen der Organisatoren zurück. Die Veranstalter hatten bis zu 10 000 Teilnehmer angemeldet."
Man ist geneigt zu sagen, die Teilnehmerzahlen sind enttäuschend. Im gleichen Bericht schreibt die AZ weiter:
"Um die Aktion hatte es vorher Debatten gegeben - vor allem, weil der Islamverband Ditib eine Teilnahme abgelehnt hatte. Verbände wie der Zentralrat der Muslime oder die Türkische Gemeinde und zahlreiche Politiker hatten dagegen parteiübergreifend dafür geworben. 'Es ist ein Fehler, bei einem solchen Friedensmarsch nicht dabei zu sein', kritisierte Kaddor die Ditib während der Demonstration."
Die Ditib selbst, die "Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V." schreibt in einer Pressemitteilung am 14.6. auf ihrer Website:
"Den Personen, die diese aktuelle Demonstration organisieren, hätte bewusst sein müssen, dass für eine gemeinsame Veranstaltung Vorgespräche notwendig sind. [...] Muslime sind darüber hinaus keine Verhandlungsmasse, die sich nach Belieben hierhin oder dorthin zitieren lässt – die DITIB hätte sich statt Ansprache über die Medien zumindest Gespräche im Vorfeld gewünscht. Dies zeigt uns, dass die Initiative entweder zu kurz gedacht war oder vordergründig um eine mediale und politische Effekthascherei bemüht, und nicht etwa, wie behauptet, um die Bedürfnisse und Wünsche der Muslime. Öffentlich wirksame Aktionen begrüßen wir, lehnen jedoch die Art und Weise, wie dieser angekündigte Marsch organisiert wurde, ab. Diese Form ist eine öffentliche Vereinnahmung und Instrumentalisierung."
Nun kann von außen nicht beurteilt werden, ob und in welcher Form Vorgespräche stattgefunden oder nicht stattgefunden haben. Nur wundert es mich, wenn eine sich bietende Chance zum Auftritt nicht genutzt wird, weil keine Gespräche, sondern nur "Ansprache über die Medien" stattgefunden habe. In der gleichen Pressemitteilung findet sich ein anderer Grund:
"Forderungen nach 'muslimischen' Anti-Terror-Demos greifen zu kurz, stigmatisieren die Muslime und verengen den internationalen Terrorismus auf sie, ihre Gemeinden und Moscheen – das ist der falsche Weg und das falsche Zeichen, denn diese Form der Schuldzuweisung spaltet die Gesellschaft. Darin pflichten wir Aydan Özoğuz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, bei."
Muslime würden stigmatisiert, wenn sie an Anti-Terror-Demos teilnähmen. Um das besser einzuordnen, lohnt sich ein Blick auf die "Wer-wir-sind-Seite" der Ditib:
"DITIB wurde in der Mitgliederversammlung vom 05.07.1984 in Köln nach bürgerlichem Recht für die Koordinierung der religiösen, sozialen und kulturellen Tätigkeiten der in ihr organisierten Vereine als bundesweiter Dachverband gegründet.
Im Gründungsjahr waren dies 135 Vereine, mittlerweile sind es über 930. Die angeschlossenen Ortsgemeinden sind rechtlich und wirtschaftlich selbstständige eingetragene Vereine, die die gleichen Prinzipien und satzungsgemäßen Zwecke der DITIB verfolgen und die DITIB als Dachverband anerkennen. DITIB ist heute die mitgliederstärkste Migrantenorganisation in der Bundesrepublik Deutschland und ist zu einem anerkannten Glied in der Kette der anderen Anstalten und Einrichtungen mit religiöser und sozialer Zielsetzung in der Bundesrepublik Deutschland, und so zu einer wichtigen Säule der Gesellschaft, geworden. Umfragen zufolge, vertritt die DITIB über 70% der in Deutschland lebenden Muslime."
Die "mitgliederstärkste Migrantenorganisation in der Bundesrepublik Deutschland" würde zu einer Stigmatisierung ihrer Mitglieder beitragen, wenn sie sich an dem Friedensmarsch beteiligte? Das ist nicht glaubwürdig, weil sie es selbst in der Hand hätte, wie sie sich bei dem Marsch präsentiert.
Ditib untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Am 19.1.2017 schrieb der Deutschlandfunk:
"Eigentlich sollte die türkische Religionsbehörde Diyanet, 1924 von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk gegründet, mäßigend wirken. Doch mit dem Aufstieg der AKP und unter dem aktuellen Vorsitzenden Mehmet Görmez herrscht ein deutlich konservativerer und zugleich offensiverer Ton. Inzwischen gilt sie als Instrument von Präsident Recep Erdogan."
Erdogan hat seit dem Putsch im Jahr 2016 einen straffen Kurs gesetzt. Es geht in eine erzkonservative, in eine nationalreligiöse Richtung. Er hat die Verfassung in einem Referendum geändert, um als Alleinherrscher zu fungieren. Er liebäugelt mit der Einführung der Todesstrafe. Er lässt Menschen ins Gefängnis werfen, weil sie ihn beleidigt hätten, weil sie Gülen naheständen, weil sie als kritische Journalisten arbeiten. Die Wirksamkeit von Erdogans Instrument beschreibt der Deutschlandfunk so:
"Denn ein Großteil der wöchentlichen Freitagspredigt wird zentral von der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara verfasst. [...] Der immense Einfluss der Diyanet, mit ihren 120.000 Mitarbeitern und einem Haushalt, der höher ist als der des türkischen Innen- oder Außenministeriums, sei absolut berechtigt, glauben genau deswegen die Befürworter der Behörde, wie Nigar Tugsuz."
Wiederum lässt sich nicht von außen beurteilen, wie groß der Einfluss von Diyanet auf die Ausführungen der Ditib zum Friedensmarsch war. Kaum von der Hand zu weisen ist jedenfalls die Annahme, dass die Absage der Ditib-Teilnahme am Marsch im Einklang mit der grundlegenden Haltung von Diyanet korrespondiert, auch wenn es keine konkrete Abstimmung gegeben haben sollte. Der Absagegrund, die "Ansprache über die Medien" macht den Eindruck, als sei die Ditib beleidigt - Beleidigtsein beherrscht Erdogan. Die Absage ist deshalb mit dem Verdacht behaftet, politisch motiviert zu sein. Der Öffentlichkeit wird vor allem die Absage eines Islam-Vereins im Gedächtnis haften bleiben. Ein gefundenes Fressen für die AfD und ihre Sympathisanten. Wo die Ditib behauptet, solche Demos würden Muslime stigmatisieren, übersieht sie das Stigma, das sie selbst den Muslimen beibringt. Anfang Juni hatte ich geschrieben:
"Die Ablehnung terroristischer Gewalt ist - wenn man so will - 'überreligiös' und muss jedem Menschen ein Anliegen sein."
Dabei bleibe ich. Die Teilnahme an einer Demonstration gegen Gewalt ist ein überreligiöses, ein menschliches Zeichen. Sie stigmatisiert niemanden, der ernsthaft daran teilnimmt. Mit der Verknüpfung von Politik und Religion hat die Ditib ihren Mitgliedern einen Bärendienst erwiesen.

Mittwoch, 14. Juni 2017

Visieren statt zielen

Bernhard Junginger hat am 14.6. in der Printausgabe Augsburger Allgemeinen einen Kommentar veröffentlicht zu den Berichten der Innenministerkonferenz und den dort diskutierten Vorschlägen zur (inneren) Sicherheit:


Bernhard Junginger erklärt, die "Zielvorrichtung einer Feuerwaffe" sei gemeint, wenn im "Kampf gegen Terrorismus" "immer mehr Bürger noch stärker, noch umfassender ins Visier genommen werden".
Ein treffendes Bild, das sich mit dem vermutlichen Selbstbild der Sicherheitsminister erweitern lässt. Die sehen sich erhöht sitzend, den gesamten Staat und alles was kreucht und fleucht überblickend. Trotz des Gewusels sehen sie sich in der Lage, mit den Feuerwaffen des Rechtsstaats mit chirurgischer Präzision - eben indem sie durch ein Visier die Bösen auf's Korn nehmen - das Böse zu bekämpfen. Aus diesem Selbstbild heraus kommen dann die Vorschläge, "noch stärker, noch umfassender ins Visier" zu nehmen. Sie rufen nach einem größeren Visier, mit besserem Fadenkreuz, mit größerer Vergrößerung, mit schärferer Optik. Bernhard Junginger schreibt treffend:
"So stumpf sind die vorhandenen Instrumente gar nicht. Nur krankt es [...] oft daran, dass sie niemand konsequent benutzt"
Und vielleicht auch nicht benutzen kann, weil alle nicht mehr durch das vorhandene Visier blicken, sondern dauernd auf den Katalog starren, in dem neuere, größere, buntere, schönere Visiere feilgeboten werden.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kann seinen Blick nicht mehr vom Katalog lösen - Thomas de Maizière auch nicht, meine vorgestrige Titulierung als Janus bleibt deshalb passend. Minister Herrmann fordert, minderjährige Islamisten vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Der § 19 StGB bezeichnet als schuldunfähig, "wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist". Den Sinn dieser Grenze erläutert Wikipedia so:
"Strafmündigkeit beschreibt das Erreichen eines Alters, ab dem einem Mensch vom Gesetzgeber her zugetraut wird, die Folgen seiner Handlungen so weit zu überblicken, dass er bewusst anderen schaden kann und daher für diese Handlungen die Verantwortung übernehmen muss."
Der Verfassungsschutz soll also jemanden beobachten, dem nicht zugetraut werden kann, die Folgen seiner Handlungen zu überblicken und der deshalb auch nicht die Verantwortung übernehmen kann. Da möchte ich Joachim Herrmann fragen, ob er politikmündig ist, wenn er Strafunmündige dem Verfassungsschutz anempfehlen möchte. Der beobachtet dann und stellt fest, dass der Minderjährige sich radikalisiert. Und dann? Solange zuschauen, bis konkrete Anschläge vorbereitet werden? Warten, bis er Lehrerin die Treppe hinab stößt oder mit einem Messer in der Schule ein Schlachtfest anrichtet?
Würde Herrmann sein Visier hochklappen - diesmal geht es um den "um den aufklappbaren Gesichtsschutz am Motorrad- oder Ritterhelm" - könnte er vielleicht das Gebäude des Jugendamtes, das Zimmer eines Schulpsychologen oder den Sportplatz einer fähigen Einrichtung sehen. Dort könnte er - mit einem Zielvisier - Menschen entdecken, die bei dem Minderjährigen mehr ausrichten könnten als der Verfassungsschutz. Doch leider: Herrmanns Helmvisier ist noch unten und das Zielvisier nicht fein genug. Er findet keine entsprechenden Mitarbeiter in ausreichender Zahl bei den Einrichtungen. Herr Herrmann, da hilft es nicht, im Katalog nach besseren Zielvisieren zu suchen: Da braucht es eine am Bedarf orientierte personelle (und sonstige) Ausstattung der Einrichtungen. Sprechen Sie doch mal mit dem Sozialministerium darüber.

Montag, 12. Juni 2017

Janus, der Überwacher

Winfried Züfle hat in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 12.6. einen Kommentar zu einem Artikel über die Innenministerkonferenz veröffentlicht:


Winfried Züfle nennt "wohlfeil", was dem deutschen Innenminister Thomas de Maizière vorschwebt.

Abhören um jeden Preis

De Maizière gab dem Berliner Tagesspiegel ein Interview, über das auszugsweise berichtet wurde, in dem es heißt:
"Ginge es nach dem Minister, sollten Sicherheitsbehörden im Falle eines Falles auch auf die Kommunikation in verschlüsselten Messenger-Diensten wie WhatsApp zugreifen dürfen. 'Wir wollen, dass Messenger-Dienste eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung haben, damit die Kommunikation unbescholtener Bürger ungestört und sicher ist', sagte de Maizière. 'Trotzdem brauchen Sicherheitsbehörden, wie bei einer SMS auch, unter bestimmten Voraussetzungen Zugriffsmöglichkeiten'. Dazu könnten Instrumente wie die Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung genutzt (TKÜ) werden. Bei der Quellen-TKÜ lesen die Behörden mit einer Software die laufende Kommunikation eines Verdächtigen auf einem Gerät mit, bevor sie verschlüsselt wird. Der Maßstab müsse sein, was die Polizei im analogen Bereich darf. 'Das muss sie auch im Digitalen rechtlich dürfen und technisch können', sagte de Maizière."
Bei solchen Äußerungen frage ich mich, was mich mehr ärgert: Die Forderung oder die Begründung. Ich vermag ein Verständnis aufzubringen für die Forderung, Messenger-Dienste abhören zu wollen. Aber die Begründung, was analog erlaubt sei, müsse digital möglich sein, ist höchst fragwürdig. Denn es ist unklar, auf was er sich bezieht. Und es ist immer abzustellen auf die Einschränkung von Bürgerrechten, die damit einherginge. Im Analogen gibt es das Abhören von Telefonaten, das Belauschen von Wohnungen mittels Wanzen. Es ist jedoch etwas anderes, eine Wanze in einer Wohnung zu verstecken oder eine Verschlüsselung mittels zu installierender Software auszuhebeln. Diese Software, ein sog. "Staatstrojaner", fällt - wie alle Trojaner - fallen in die Kategorie "Schadsoftware". Das wird nicht anders, wenn der Staat den Trojaner installiert. Nutzt die Software eine Sicherheitslücke aus, wird sie auch von anderen ausgenutzt werden - siehe WannaCry. Die digitale Welt ist anders. Nicht alles, was im Analogen die Bürgerrechte in vertretbarem Ausmaß einschränkt, schränkt übertragen in die digitale Welt gleichermaßen ein. Die Abwägung muss neu getroffen werden. Dass de Maizière diese Unterscheidung nicht macht, stimmt bedenklich.
Wie leichtfertig die Bevölkerung Bürgerrechte aufgeben will, zeigt der Kommentar von jessica86 zu dem Artikel im Tagesspiegel auf der gleichen Website:
"Eine kürzlich erfolgte Emnid-Umfrage zu dem Thema hat ergeben, daß über 70% der Befragten dafür sind, daß die Polizei mehr Überwachungsmöglichkeiten bekommt, denn somit wird die Sicherheit erhöht, die den befragten Bürgerinnen und Bürgern am wichtigsten ist. Das zeigt ja deutlich, daß die Bevölkerung mehrheitlich kein Problem damit hat, ich schließe mich dem auch an und würde mehr Überwachung und mehr Eingriffsmöglichkeiten der Polizei sehr begrüßen, denn nur so kann Kriminalität effektiver bekämpft werden."
Der Kommentar zeigt weiter, wie verbreitet die Ansicht ist, mehr Überwachung würde zu mehr Sicherheit und/oder weniger Verbrechen führen. Die Terroristen der letzten Anschläge in Europa waren allesamt der Polizei oder den Behörden bekannt. Teilweise waren sie vorbestraft. Dennoch wurden die Attentate nicht verhindert. Es hätte "genügt, wenn die Behörden ordentlich gearbeitet hätten", schreibt Winfried Züfle. Ja! Noch mehr Daten, noch mehr Überwachung schafft kein Mehr an Sicherheit, wenn die Behörden nicht in der Lage sind, aus den Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen und die Erkenntnisse in gute Arbeit umzusetzen. Winfried Züfle schreibt:
"Wenn es Konsequenzen zu ziehen gibt, dann doch diese: Der Staat muss die Wiederholung solch skandalöser Fehlleistungen verhindern."
Und nicht vom eigenen Versagen durch laute Rufe nach mehr Abhören ablenken, ergänze ich.

Videoüberwachen um jeden Preis

Der Tagesspiegel weiter über eine weitere Forderung von Thomas de Maizière:
"'Wir haben derzeit zwar Videoüberwachung an Bahnhöfen. Wir haben aber bislang nicht die Möglichkeit, das Bild von beispielsweise einem flüchtigen Terroristen in die Software einzuspielen, so dass ein Alarm angeht, wenn er irgendwo an einem Bahnhof auftaucht', sagte de Maizière dem Tagesspiegel. Die Grundrechtseinschränkung sei dabei gering, da Unbeteiligte nicht erfasst würden."
Wieder eine hanebüchene Begründung. Selbstverständlich werden Unbeteiligte erfasst, weil die Software sie sonst nicht als Unbeteiligte ausschließen könnte. Ein Analogon hierzu findet sich im Urteil C-527/15 vom 26.4.2017 des EuGH, das beispielsweise die Kanzlei Wilde Beuger Solmecke kommentiert:
"Zwar erfolgen beim Streaming Zwischenspeicherungen im sogenannten Browser-Cache sowie im Arbeitsspeicher des Nutzers. Dabei handelt es sich auch jeweils (nach überwiegender Ansicht) um die Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werkes."
Wenn die Juristen "nach überwiegender Ansicht" der Meinung sind, beim Streaming werden Zwischenspeicherungen gemacht, die eine Vervielfältigung von Inhalten darstellen, wie kann dann der Innenminister behaupten, bei der Videoüberwachung würden Unbeteiligte nicht erfasst?
Hinzu kommen Erfahrungen aus England, auf die ich im Januar bereits hingewiesen habe:
"Massive investment in CCTV cameras to prevent crime in the UK has failed to have a significant impact, despite billions of pounds spent on the new technology, a senior police officer piloting a new database has warned."
Teuer, dafür wirkungslos. Deutlicher kann die Chimäre der Sicherheitsillusion durch Videoüberwachung nicht beschrieben werden.

Conclusio

Der Glaube, mehr Überwachung würde mehr Sicherheit ohne oder bei vertretbarem Schaden für uns alle bieten, ist naiv. Der Rechtsstaat hat sich aus allen Belangen herauszuhalten, die ihn nichts angehen. Es können nicht die Freiheitsrechte vieler wegen Verbrechen einzelner eingeschränkt werden. "Ich habe nichts zu verbergen" als typischer Ausfluss dieser Naivität offenbart noch weitere Aspekte:

  • Es ist ok, wenn der Rechtsstaat unbescholtene und unverdächtige Bürger überwacht. Mir fällt hierzu nur "Stasi" ein, nicht jedoch ein freiheitlicher Staat. Das vor dem Hintergrund, dass de Maizière im Mai erneut die Diskussion um die Leitkultur angestoßen hatte. Heute demaskiert er sich als Janus.
  • Verdächtige dürfen weitreichend überwacht werden. Etwas weiter gedacht: Sie verlieren mir nichts dir nichts einen beträchtlichen Teil ihrer Bürgerrechte, deren Schutz die vornehmste Aufgabe des Rechtsstaates ist. 

Beide Aspekte weisen auf ein Rechtsverständnis, das ich nicht teile. Wenn Bürgerrechte eingeschränkt werden aus Gründen der Sicherheit, muss dies wohlbegründet werden. Thomas de Maizière liefert solche Gründe nicht, auch wenn er das Wort Terror benutzt.
Der Schlusssatz gebührt Winfried Züfles Überschrift:
"Terrorabwehr ja, weniger Bürgerrechte nein"

Donnerstag, 8. Juni 2017

Mautmaulerei

Jürgen Marks hat am 8.6. in der Augsburger Allgemeinen einen Leitartikel veröffentlicht zur Ankündigung Österreichs, gegen die deutsche Autobahnmaut gerichtlich vorgehen zu wollen:


Jürgen Marks schreibt:
"Österreich macht wohl tatsächlich seine Drohung wahr und wird vor dem EU-Gerichtshof gegen das deutsche Maut-System klagen."
Österreich hatte seit langem angekündigt, gegen die Maut klagen zu wollen, wenn sie denn eingeführt würde. Diese Ankündigung erfolgte bereits weit vor die Große Koalition in Österreich zerbrach, also zu einer Zeit, an der nicht absehbar war, dass der Beschluss zum deutschen Gesetz so nah an einem österreichischen Wahlkampf sein würde. In so fern sind es nicht nur "Muskelspiele im Wahlkampf", wenngleich sich das Thema eignet, im Wahlkampf Muskelspiele zu zeigen:
"Der SPÖ-Politiker Jörg Leichtfried hat von der bayerischen CSU gelernt, dass die Maut ein wunderbarer Wahlkampfzünder ist. Die Christsozialen hatten ihn erfolgreich im Bundestagswahlkampf 2013 eingesetzt."
In diesem Zusammenhang eine bezeichnende Randnotiz: Die CSU betont immer wieder, sie bzw. Dobrindt habe sich durchgesetzt, wie beispielsweise in einem "Topaktuell" vom 2.12.2016:
"Unser Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat sich durchgesetzt: Die PKW-Maut kommt!"
Sie ist stolz auf's Durchsetzen, nicht auf das Durchgesetzte. Damit rückt auch das behauptete Gerechtigkeitsargument in ein anderes Licht, über das Jürgen Marks schreibt:
"Die Maut für Ausländer zielte damals auf das Gerechtigkeitsempfinden der Bayern, die auf Österreichs Autobahnen abkassiert werden, während die Nachbarn bei uns nach wie vor kostenlos fahren. Vor den Nationalratswahlen heuer im Oktober poltert Leichtfried jetzt gegen die Diskriminierung der Österreicher, die zahlen müssen, während die Deutschen über eine Absenkung der Kfz-Steuer entlastet werden. Faktisch ist diese Argumentation natürlich ein Schmarrn. Denn wir Deutsche zahlen für jeden Kilometer Autobahn ohnehin mit unseren Steuern. Da ist es prinzipiell nur richtig, auch Ausländer mittels Maut an den Abnutzungskosten zu beteiligen."
Mit dem "Gerechtigkeitsempfinden der Bayern" machte die CSU Wahlkampf und gebährdete sich als Robin Hood der blutenden Autofahrer. Was sie übersah, war das Niveau dieser Gerechtigkeitsarguments. Es war und ist Sandkastengerechtigkeit nach dem Motto "Wer meine Sandburg kaputt macht, dem seine mache ich kaputt". Auge um Auge, Maut um Maut. Die Behauptung Leichtfrieds, die Deutschen würden durch die Kombination Maut und KFZ-Steuer entlastet, ist natürlich genauso wenig haltbar.
Die Farce der Gerechtigkeit entlarvt Jürgen Marks:
"Die Gebühr soll kilometerabhängig mit Umweltkomponente berechnet werden und widerspricht sowohl dem österreichischen Vignettensystem wie auch Dobrindts 'Flatrate'-Prinzip."
Eine "Flatrate", bei der die Mautgebühren unabhängig von der gefahrenen Strecke sind, kann schon aus konzeptionellen Gründen nicht gerecht sein. Im Gegenteil: Vielfahrer und damit Viel-Abnutzer zahlen pro Kilometer weniger als Wenigfahrer. Dieses Dilemma wird Dobrindt nicht auflösen können, auch wenn er jede Kritik an der Maut als Maulerei abtut. Kleine Ergänzung zur obigen Randnotiz: Maulerei passt natürlich zum Durchsetzen, weil keine inhaltliche Auseinandersetzung erfolgen muss.
Es wurde bei der Einführung der Maut viel Staub aufgewirbelt. Die angekündigte Klage Österreichs wirbelt weiterhin Staub auf. Und wofür das alles? Da schließe ich mich der Einordnung von Jürgen Marks an:
"Dennoch ist das jahrelange Theater um die Maut unverhältnismäßig zum Ertrag von maximal einer halben Milliarde Euro im Jahr. Es wäre vernünftiger gewesen, zur besseren Fernstraßenfinanzierung die Lkw-Maut deutlich zu erhöhen. Die bringt jetzt schon mehr als vier Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr. Und Lkw sind die Hauptverursacher von Straßenschäden. Ausländische Lastwagen zahlen im Übrigen die Abgabe genauso wie inländische Speditionen. Nur: Im Wahlkampf hätte eine wachsende Brummi-Maut nicht so gezündet."

Dienstag, 6. Juni 2017

Hilflos in London

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen am 6.6. einen Leitartikel veröffentlicht zu dem jüngsten Attentat in England:


Wie gut der Terror inzwischen wirkt zeigen die Unterbrechung von "Rock am Ring" oder die Panik bei einem Public Viewing. Zur Reaktion der Britischen Regierung schreibt Jürgen Marks:
"Die britische Premierministerin Theresa May hat zwar recht, wenn sie jetzt sagt: 'Genug ist genug'. Allerdings offenbart diese Formel bei näherem Hinschauen Hilflosigkeit. War denn nicht jedes einzelne Attentat schon mehr als genug?"
Oder anders gefragt: Was war bei dem Bombenattentat in Manchester noch nicht genug, das nun mit London erreicht worden sei? Natürlich nichts. Solche Äußerungen sind wie Ausrufe überforderter Eltern, wenn das Kind nach der dritten Ermahnung immer noch keine Anstalten macht zu gehorchen. Im Gegenteil: das Wissen um die Hilflosigkeit könnte ein zusätzlicher Antrieb sein, es erneut zu versuchen.
Irgendwann "ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die vielen abgedroschenen Reden und Betroffenheitsadressen entschlossenem Handeln weichen müssen". Theresa May präsentiert ihren 4-Punkte-Plan als Lösung:

  • Ideologie bekämpfen
  • Keine Rückzugsräume im Netz
  • Keine Rückzugsräume in der realen Welt
  • Strafverschärfung und Neuausrichtung der Terrorabwehr

Theresa May kommt damit nicht über das Niveau abgedroschener Reden hinaus. Die Ideologie zu bekämpfen kann nicht im Handumdrehen gelingen. Rückzugsräumen im Netz kann mit verstärkter Überwachung zu Leibe gerückt werden, wobei der Grenzsetzung von Jürgen Marks zuzustimmen ist: "ohne die Privatsphäre freier Bürger einzuschränken". Der Kampf gegen den IS in Syrien und Irak führt derzeit eher zu einer Verstärkung terroristischer Aktivitäten in Europa. Das Überdenken der Terrorabwehr gehört zum Standardprogramm politischer Forderungen. Man wundert sich: war nicht in den Jahren 2010 bis 2016 genug Zeit für die damalige Innenministerin May, die Terrorabwehr zu justieren? Damals wurde allerdings nicht auf-, sondern die Polizei abgerüstet. Neben Hilflosigkeit entsteht der Eindruck, Theresa May wolle ablenken und im Restwahlkampf eine offene Flanke verstecken.
Mehr Polizei und der Kampf gegen Rückzugsräume setzt "nur" bei den Symptomen an. Damit wird nicht die Idee des Terrors, die Terrorideologie bekämpft. Dieser Kampf hat zwei Seiten. Erstens die Seite "Gegenwehr ist notwendig" und zweitens die Seite "die Methode der Gegenwehr ist gerechtfertigt". Letzterem ist klar Nein! zu entgegnen. Terror ist kein Mittel für die Durchsetzung irgendwelcher Ziele. Jürgen Marks hat Recht, wenn er hierzu schreibt:
"Doch der Kampf gegen den islamistischen Terror ist selbstverständlich auch eine Aufgabe der Muslime."
Ja, denn hierbei geht es nicht in erster Linie um Religion. Die Ablehnung terroristischer Gewalt ist - wenn man so will - "überreligiös" und muss jedem Menschen ein Anliegen sein. So wenig wie man von "den Katholiken" erwarten würde, gegen tödlich endende Exorzismen zu protestieren, sollte von "den Muslimen" erwarten, dass sie öffentlich gegen Terror demonstrieren, weil sie Muslime sind. Was jedoch erwartet werden kann, ist eine Missbilligung von Gewalt, Gewaltaufrufen, Radikalisierung und Hetzrede in den eigenen Reihen. Mit Jürgen Marks Worten:
"Jede kräftige Initiative gegen die Radikalen im Islam ist ein starkes Symbol für den friedfertigen Islam."
Terroristen argumentieren, sie hätten einen Grund für ihren Kampf. Hierbei wird ein Feindbild konstruiert, das den Gegner als Feind des Islams deklariert. Es wird behauptet, der Islam, seine Ansichten, seine Gebote und Riten und die daraus sich ergebende Lebenseinstellung sei von außen bedroht. Es entsteht ein Gruppengefühl, das auf der Gefährdungsbehauptung fußt. Dem ist nicht beizukommen mit einem Vorgehen gegen Radikalisierung, nicht mit der Erwartung, Muslime müssten gegen den Terror demonstrieren. Das wird sich nur bearbeiten lassen mit gelingender Integration, weil damit das Feindbild abhanden kommt. Dazu gehört eine Koranauslegung, die im heute angekommen ist und nicht im Mittelalter verharrt. Diese Aufgabe müssen Muslime leisten, schon um sich nicht einem ständig selbst erneuernden Feindbild auszusetzen, wenn Muslime für Terror unter Generalverdacht gestellt werden. Im Gegenzug dürfen sie erwarten, nicht wegen ihres Glaubens als verdächtig zu gelten und sich permanent distanzieren zu müssen.

Sonntag, 4. Juni 2017

Hauptsache Zielgruppe

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen am 3.6. einen Leitartikel veröffentlicht zur Ankündigung von Donald Trump, aus dem Pariser Klimaschutz-Abkommen auszusteigen:


Jürgen Marks schreibt:
"Die internationale Bestürzung über diesen Schritt ist gerechtfertigt. Das hat vor allem drei Gründe: Erstens hatte man Donald Trump die Konsequenz, einen so wichtigen globalen Vertrag zu kündigen, nun doch nicht zugetraut. Zweitens befürchten die Staatenlenker negative Auswirkungen auf die globale Erderwärmung. Und drittens gibt es die böse Vorahnung, dass Trumps Klima-Stinkefinger tatsächlich für den Beginn einer neuen Weltordnung stehen wird."
Die Konsequenz des trumpschen Handelns mag tatsächlich überraschen, zumal er in seiner bisherigen Amtszeit durch wechselnde Ansichten glänzte. Mike Allen sieht hinter dieser Konsequenz eine Rückbesinnung auf die Kernwähler und führt zur "obsession with his core voters" weiter aus:
"But the biggest reason was all about that base: Using the muscle memory from the campaign, Trump is increasingly obsessed with his core voters. Officials explain that Trump and his inner circle learned in the darkest days of the campaign that they could power through by doubling down and focusing on the the base, so they're bringing those instincts to government."
Zu dieser Ansicht passen die Ausführungen von Jürgen Marks. Trump trampele "auf allem rum, was Europa wichtig ist", er nennt "Geisterfahrt", was Trump an politischen Entscheidungen getroffen hat. Noch geisterhafter wird das Ganze, wenn stimmt, was U.N. Botschafterin Nikki Haley in einem Interview gesagt hatte, über das beispielsweise von CBS News berichtet hat:
"'That seems to be a difference from what the president has said,' Dickerson replied, noting that Mr. Trump once called climate change a hoax. 'So you're saying that's not true, he believes in man-made climate change?'
'The president believes the climate is changing,' Haley repeated, 'And he does know that pollutants are a part of that equation.'"
Obwohl Trump an den Klimawandel glaube, habe er sich für den Ausstieg aus dem Pariser Abkommen entschieden. Während einerseits große US-Unternehmen einen Ausstieg ablehnten, berichtet die NY Times über Zustimmung von Seiten kleinerer Unternehmen:
"While multinational corporations such as Disney, Goldman Sachs and IBM have opposed the president’s decision to walk away from the international climate agreement, many small companies around the country were cheering him on, embracing the choice as a tough-minded business move that made good on Mr. Trump’s commitment to put America’s commercial interests first."
Jürgen Marks nennt das Schauspiel "Donald gegen den Rest der Welt", bezichtigt - wohl zu recht - Trump des "Egoismus" und traut im zu, "dass er seine diplomatische Unfähigkeit entschlossen weiter in Szene setzt und es zu neuen Verwerfungen kommt". Ja, damit wird zu rechnen sein. Im Wahlkampf hat Trump gegen das Establishment gewettert, Mike Allen sieht ihn an der Seite seiner Kernwähler. Das zusammen ergibt ein Bild, zu dem der Stinkefinger gut passt. Der Rest der Welt wird lernen müssen, mit einem stinkefingernden US-Präsidenten zu leben. Immer bestürzt zu sein, wenn Trump aus äußerst kleingeistigen Überlegungen heraus eine politische Entscheidung trifft, schadet nur dem Blutdruck, wird weder an Trump noch an den Entscheidungen etwas ändern. Immerhin bleibt ein Trost, auf den Jürgen Marks in seinem Leitartikel hinweist:
"Am Ende kann Trump den Trend zu einer gesünderen Umwelt zwar verlangsamen, aber nicht stoppen. So mächtig ist der amerikanische Präsident nun auch nicht."
"Spätestens dann sind auch wieder Präsidentschaftswahlen in den USA. Bis dahin sind noch dreieinhalb Jahre Zeit. Das werden vermutlich keine guten Jahre für die Weltbevölkerung. Wichtig ist, dass sie vorbeiziehen, ohne dass die Schäden tatsächlich irreparabel werden."
Es wird zu beobachten sein, wie lange sich ein Präsident im Amt halten kann, der so strikt an seine Zielgruppe angelehnt Politik betreibt und alle anderen Gruppen schlicht ignoriert. Es wäre überraschend, wenn die Gruppe der Kernwähler tatsächlich die Mehrheit stellte. Trump mag in einem demokratischen Verfahren an die Macht gekommen sein. Wenn er nun nur für eine Minderheit Politik macht, ist das demokratisch bedenklich.

Donnerstag, 1. Juni 2017

Schatten der Vergangenheit

Die Augsburger Allgemeine berichtet am 1.6. über die entdeckten Mängel bei der Bearbeitung von Asylanträgen in der Vergangenheit. Martin Ferber kommentiert dazu in der Printausgabe:


Martin Ferber nennt es "erschreckend", in welchem Ausmaß Fehler bei der Bearbeitung der Asylanträge zutage traten. Im oben verlinkten Artikel wird SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka zitiert, der sagte, es sei beunruhigend, dass im BAMF mit einer "Fehlerquote von bis zu 40 Prozent" gearbeitet werde.
Martin Ferber schreibt:
"De Maizière zieht die Konsequenzen dieses erkennbaren Behördenversagens und will bis zu 100 000 positive Asylentscheide neu überprüfen lassen. Das kommt in Wahlkampfzeiten gut an, auch wenn das neue Probleme schafft."
Das sehe ich ebenso. Für den Wahlkampf ist es tauglich, um das Leitmotiv der inneren Sicherheit zu befeuern. Martin Ferber weist zu recht darauf hin, dass auch negative Bescheide fehlerhaft sind, "wie bei den Gerichtsverfahren offen zutage tritt". Dass die augenscheinlich nicht überprüft werden sollen, ist ein Indiz für den Wahlkampfverdacht.
De Maizière sollte nicht einen Großteil der Energie darauf verwenden, vergangene Bescheide zu überprüfen. Er sollte vielmehr untersuchen, warum die Fehler gemacht wurden und was zu tun ist, um sie zukünftig nicht zu wiederholen. In der Statistik des Bundesamtes für Migration ist in dem Dokument 04-2017 von insgesamt 278.000 anhängigen Fällen die Rede, wovon etwa 190.000 Altfälle betreffen, deren Anträge als vor dem 1.1.2017 gestellt wurden. De Maizière sollte seine Energie dafür einsetzen, dass diese Fälle sauber bearbeitet werden. Das hilft ihm zwar im Wahlkampf kaum, stärkt aber den Rechtsstaat und kann helfen, die Gerichte zu entlasten. So würden die Schatten der Vergangenheit vertrieben.

EU vs. Evil Maut

Die Augsburger Allgemeine berichtet am 1.6. über die EU-Maut-Vorschläge. Mirjam Moll kommentiert dazu in der Printausgabe:


Mirjam Moll staunt, wie spät die EU die Harmonisierung der Mautsysteme entdeckt. Ich staune mit. Über die Vorteile schreibt Mirjam Moll:
"Würden die EU-Staaten ein gemeinsames digitales Erfassungssystem nach dem Vorbild der Lkw-Maut einführen, fiele der Vignettenkauf weg und die Fahrzeit würde sich verkürzen. Denn auch Mautstellen wären endlich überflüssig."
Richtig, es ist kaum einzusehen, dass dem EU-Leitbild der Freizügigkeit so viele verschiedene Systeme in den Weg gelegt werden und den Reisenden zugemutet wird, sich umfänglich über die lokalen Sonderwege zu informieren.
Allerdings wird genau zu beobachten sein, wie der Umgang mit dem Datenschutz ausgestaltet werden wird. Es kann nicht angehen, dass von allen Autos - und damit deren Halter bzw. (Mit)Fahrer - ein Bewegungsprofil erstellt wird. Die zunehmende Digitalisierung der Autos selbst und die damit anfallenden Daten, auf die vor allem die Hersteller Zugriff haben, erschwert das Ganze noch.
Ein anderer Aspekt ist jedoch spannender: Welcher Zusammenhang besteht zwischen der deutschen Maut von Minister Dobrindt und der EU-Maut?

  • Ein möglicher Zusammenhang besteht darin, dass die EU ihren Widerstand gegen die deutschen Pläne - von außen betrachtet durchaus überraschend - aufgegeben hat. Ich nehme an, die EU hatte damals schon ihre Harmonisierungspläne in der Diskussion bzw. Schublade. Wenn sie wusste, dass sie selbst bald diese Pläne veröffentlichen würde, wäre ihre Zustimmung zu den deutschen Plänen nur noch eine Randnotiz.
  • Dobrindt und die CSU verkaufen die deutsche Maut als gerecht. Die EU-Pläne sehen eine streckenbezogene Maut vor und halten dies für gerecht. Ich finde eine streckenbezogene Maut gerechter als die "Flatrate", wie sie beispielsweise Deutschland und Österreich wollen oder haben. Und ich finde eine EU-weit harmonisierte Maut - unter weiteren Voraussetzungen - gerechter, weil sie alle gleich behandelt. Sie entlarvt die CSU-Argumentation, die Maut müsse eingeführt werden, weil Deutsche im Ausland Maut zahlen, als Sandkastengerechtigkeit. Das ist auf dem Niveau eines Sandkastenstreits: "Wer meine Sandburg kaputt macht, dem mache ich auch seine kaputt."
  • Welche Auswirkung auf die Realisierung der deutschen Maut hat der EU-Vorschlag? Wird sie mit großem Aufwand eingeführt und in ein paar Jahren eingestampft - man sieht förmlich das Geld zum Fenster hinausfliegen. Wird sie abgeblasen und in ein paar Jahren kommt die harmonisierte Maut - ohne Entlastung bei der KFZ-Steuer? Ich male mir folgendes Szenario aus: Absage der deutschen Maut und Absage der Entlastung bei der KFZ-Steuer. Im Wahlkampf werden dann ein paar Wahlgeschenke versprochen, die (zum Teil) über die unveränderte KFZ-Steuer gegenfinanziert werden. In ein paar Jahren kommt die EU-Maut zusätzlich, begründet mit "Brüssel will das so". Der deutsche Autofahrer wird draufzahlen.