Donnerstag, 30. März 2017

Österreichs Enthüllungen

Mariele Schulze Berndt berichtet am 30.3. über eine Gesetzesänderung in Österreich, die unter anderem ein Burkaverbot umfasst:


Zu der politischen Rahmensituation schreibt Mariele Schulze Berndt:
"Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) haben trotz der ständigen öffentlichen Querelen gezeigt, dass sie und ihre sozialdemokratisch-konservative Regierung noch die Kraft haben, angekündigte Gesetzesvorhaben umzusetzen."
Es könnte Kraft gewesen sein. Es könnte aber auch das pure Adrenalin gewesen sein, das die beiden zu einem überraschenden Kraftakt getrieben hat. Die rechte FPÖ ist mit ihren populistischen Parolen erfolgreich. Die Regierung versucht nun, der FPÖ das Wasser abzugraben. Die FPÖ selbst ist dieser Meinung und veröffentlicht auf ihrer Website:
"Die Politik von Sebastian Kurz ist ein klassischer Fall von Produktpiraterie – allerdings in äußerst miserabler Qualität."
Sebastian Kurz war Verhandler des verabschiedeten Gesetzespakets, wie Mariele Schulze Berndt schreibt:
"Im Detail waren es Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) und die zuständige SPÖ-Staatssekretärin Mona Duzdar, die das Gesetz aushandelten. Es verbietet, im öffentlichen Raum einen Gesichtsschleier zu tragen, der die Person unkenntlich macht. Wer gegen das Burkaverbot verstößt, muss 150 Euro Strafe zahlen. Ebenfalls verboten werden kann in Zukunft, dass auf der Straße der Koran verteilt wird. Die sehr verbreiteten Informationsstände von Salafisten in Fußgängerzonen können nun untersagt werden, wenn sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden."
Auf der Website des österreichischen Parlaments wurde der verabschiedete Text mit vorzunehmenden gesetzlichen Änderungen veröffentlicht. Da heißt es zum Burkaverbot im "<Bundesgesetz über das Verbot der Verhüllung des Gesichts in der Öffentlichkeit", kurz "Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz – AGesVG":
"§ 1. Ziele dieses Bundesgesetzes sind die Förderung von Integration durch die Stärkung der Teilhabe an der Gesellschaft und die Sicherung des friedlichen Zusammenlebens in Österreich. Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, dessen Gelingen von der Mitwirkung aller in Österreich lebenden Menschen abhängt und auf persönlicher Interaktion beruht.
§ 2. (1) Wer an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Gebäuden seine Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände in einer Weise verhüllt oder verbirgt, dass sie nicht mehr erkennbar sind, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 150 Euro zu bestrafen. [...] Öffentliche Orte oder öffentliche Gebäude sind Orte, die von einem nicht von vornherein beschränkten Personenkreis ständig oder zu bestimmten Zeiten betreten werden können, einschließlich der nicht ortsfesten Einrichtungen des öffentlichen und privaten Bus-, Schienen-, Flug- und Schiffsverkehrs.
(2) Ein Verstoß gegen das Verhüllungsverbot gemäß Abs. 1 liegt nicht vor, wenn die Verhüllung oder Verbergung der Gesichtszüge durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist, im Rahmen künstlerischer, kultureller oder traditioneller Veranstaltungen oder im Rahmen der Sportausübung erfolgt oder gesundheitliche oder berufliche Gründe hat."
Das Gesetz verbietet eine Verhüllung der Gesichtszüge. Fallen darunter auch übergroße Sonnenbrillen, künstliche Bärte, Schlapphüte in Verbindung mit hochgestelltem Kragen? Nicht relevant sind Verhüllungen, die im Rahmen bestimmter Veranstaltungen erfolgen. Kulturelle und traditionelle Veranstaltungen sind genannt, religiöse nicht. In Deutschland wird auf die christlich-abendländische Kultur verwiesen. Damit wird ein Bezug herstellt zwischen Religion und Kultur, Religion wird Teil der Kultur. Wo will das österreichische Gesetz hier die Trennlinie ziehen?
Die Freiheit der Kunst hat Verfassungsrang, die Freiheit der Religion ebenfalls. Warum darf Kunst alles, Religion weniger? Ich bin gespannt, was passiert, wenn eine Burkaträgerin - oder -träger - seinen Aufenthalt als künstlerische Performance deklariert. Oder mehrere Burkaträgerinnen ihren Aufenthalt als traditionellen Spaziergang. Oder jemand auf die Idee kommt zu überlegen, welche Religionen eine Verhüllung fordern oder zumindest ermöglichen, und der Islam als einzige übrig bleibt. Ist das bereits diskriminierend oder noch nicht? Wahrscheinlich werden Gerichte einiges zu tun bekommen.
Das im Bericht genannte Verbot, den Koran zu verteilen, findet sich in der Straßenverkehrsordnung wider, deren § 83 ergänzt wird:
"(3) Ist aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass der Zweck des Vorhabens (§ 82 Abs. 1) gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des § 81 SPG oder öffentliche Sicherheit verstößt, so sind davon die Sicherheitsbehörden in Kenntnis zu setzen. Eine Bewilligung nach § 82 Abs. 1 ist nicht zu erteilen, wenn die jeweilige Landespolizeidirektion in der Stellungnahme erklärt hat, dass die Durchführung des Vorhabens (§ 82 Abs. 1) eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. Die Stellungnahme ist ohne unnötigen Aufschub, möglichst innerhalb von 10 Werktagen zu übermitteln."
Der §82 StVO enthält Bestimmungen für die Nutzung von Verkehrsflächen "zu anderen Zwecken als zu solchen des Straßenverkehrs". Eine Werbeaktion fiele darunter. Der §81 SPG (Sicherheitspolizeigesetz) beschreibt die Gefährdung der öffentlichen Ordnung als "ein Verhalten, das geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen". Die Gefährdung ist also abhängig davon, ob ein Ärgernis erregt wird. Das wäre nicht kritisch, wenn sich über jegliche religiöse Werbung gleichermaßen erregt würde. Ich bin mir sehr sicher, dass es nicht als Ärgernis gewertet wird, wenn Zeugen Jehovas Bibeln verteilen oder andere Religionen ihre heiligen Schriften oder Werbemittel. Es wird sich auch hier die Frage stellen einer (mittelbaren) Diskriminierung, wenn nur eine bestimmte Religion betroffen sein wird. Oder im Vergleich zur Kunst: Warum ist ein Kunstprojekt, das die öffentliche Ordnung stört, weil sich Menschen darüber aufregen, zulässig, eine stille "Missionierung" im Rahmen der Religionsausübung aber nicht?
Das Ziel des Gesetzes ist die "Förderung der Integration". Was unter Integration verstanden werden soll, ist im ebenfalls veröffentlichten "Bundesgesetz zur Integration rechtmäßig in Österreich aufhältiger Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft", kurz "Integrationsgesetz – IntG" beschrieben:
"§ 1. (1) Das Ziel dieses Bundesgesetzes besteht in der raschen Integration rechtmäßig in Österreich aufhältiger Personen in die österreichische Gesellschaft durch das systematische Anbieten von Integrationsmaßnahmen (Integrationsförderung) sowie durch die Verpflichtung, aktiv am Integrationsprozess mitzuwirken (Integrationspflicht).
(2) Österreichs liberales und demokratisches Staatswesen beruht auf Werten und Prinzipien, die nicht zur Disposition stehen. Diese identitätsbildende Prägung der Republik Österreich und ihrer Rechtsordnung ist zu respektieren. Sie bildet die Grundlage für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und damit für den Zusammenhalt der Gesellschaft in Österreich. Dies zu wahren ist ebenfalls Ziel dieses Bundesgesetzes.
§ 2. (1) Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, dessen Gelingen von der Mitwirkung aller in Österreich lebenden Menschen abhängt und auf persönlicher Interaktion beruht. Integration erfordert insbesondere, dass die Zugewanderten aktiv an diesem Prozess mitwirken, die angebotenen Integrationsmaßnahmen wahrnehmen und die Grundwerte eines europäischen demokratischen Staates anerkennen und respektieren. Auch alle staatlichen Institutionen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene haben im Rahmen ihrer Zuständigkeiten ihren Beitrag zu einem erfolgreichen Integrationsprozess durch das systematische Anbieten von Integrationsmaßnahmen zu leisten. Integration als gesamtgesellschaftlicher Prozess erfordert ein aufeinander abgestimmtes Vorgehen der unterschiedlichen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure und setzt einen aktiven Beitrag jeder einzelnen Person in Österreich im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten voraus.
(2) Integrationsmaßnahmen sollen zur Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich befähigen. Zentral sind dabei die Teilhabe durch Erwerbsarbeit, der Zugang zu und die Annahme von Bildungsangeboten, die Gleichstellung der Geschlechter und das rasche Erreichen der Selbsterhaltungsfähigkeit. Der Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft soll den Endpunkt eines umfassenden Integrationsprozesses darstellen."
Ob sie da von Deutschland abgeschrieben haben mit dem Fördern und Fordern? Es wird eine "identitätsbildende Prägung der Republik Österreich" genannt - in Deutschland fand dies als Leitkultur Eingang in die öffentliche Diskussion. Pikant an Österreich ist, was denn die identitätsbildende Prägung sein soll in einem Staat, der der Nachfahre eines monarchischen Vielvölkerstaats ist. Was in Deutschland nicht gelingt, nämlich eine Definition der Leitkultur, gelingt in Österreich ebenfalls nicht scharf.
Integration sei "ein gesamtgesellschaftlicher Prozess". Ja. Allerdings beschreibt das Gesetz die aktive Mitwirkung der Zugewanderten als insbesondere erforderlich. Alle staatlichen Institutionen müssen Integrationsmaßnahmen anbieten. Obwohl die "Mitwirkung aller in Österreich lebenden Menschen" genannt wird, wird die Bevölkerung nicht adressiert, um an der Integration mitzuwirken, nur die Zugewanderten und staatliche Institutionen. Der "Endpunkt eines umfassenden Integrationsprozesses" sei der "Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft". Österreich ein Einwanderungsland? Ein Zugewanderter soll Staatsbürger werden wollen, ohne dass er von der Bevölkerung willkommen zu heißen ist. In Deutschland wundert man sich über die Nähe von Türken zu Erdogan. Österreich liefert mit dem Gesetz einen Erklärungsansatz.

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