Mittwoch, 15. März 2017

Wie gut zielt Mass?

Die Augsburger Allgemeine berichtet am 15.3. über den Gesetzentwurf des Justizministers Heiko Maas zu strafbarer Hetze in sozialen Netzwerken:


Das Justizministerium selbst veröffentlicht hierzu ein Dokument, in dem es heißt:
"Die Meinungsfreiheit schützt in einer lebendigen Demokratie auch abstoßende und hässliche Äußerungen – sogar eine Lüge kann von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Aber: Die Meinungsfreiheit endet da, wo das Strafrecht beginnt."
Ja, eine Grenze der Meinungsfreiheit ist das Strafrecht. Strafbare Handlungen können nicht über Meinungsfreiheit entschuldigt werden. Was sich leicht formulieren lässt, ist in der Anwendung und Auslegung ungleich schwieriger. Einen ersten Hinweis gibt das Ministerium selbst, wenn es schreibt:
"Wir werden in einer freien Gesellschaft, in der die Meinungsfreiheit gilt, keine Wahrheitskommission einrichten. Aber: Da sich die von uns vorgeschlagenen Regeln gegen die Verbreitung von strafbaren Inhalten richten, sind sie auch ein Mittel gegen strafbare 'Fake News'. Strafbar sind 'Fake News', wenn sie etwa die Tatbestände der Beleidigung, Verleumdung oder der üblen Nachrede erfüllen."
Es werden Hasskommentare und Fake News in den gleichen Topf geworfen, obwohl sie unterschiedliche Qualität haben. Die vermeintliche Gemeinsamkeit sei die Strafrelevanz. Nur: Ein Hasskommentar, der beispielsweise zur Vergewaltigung oder zum Totschlagen auffordert, ist recht leicht als strafbar zu erkennen. Beleidigende Fake News können von Laien kaum so klar eingeordnet werden. Ist beispielsweise die Behauptung beleidigend, Donald Trump hätte große Hände, damit er besser Grapschen kann? Ist etwas beleidigend, weil sich die betreffende Person beleidigt fühlt oder braucht es für eine Beleidigung objektivere Kriterien? Damit wäre die Strafbarkeit abhängig von der Mimosenhaftigkeit Einzelner. Ich stelle mir schon vor, wie alle Beiträge über Erdogan gelöscht werden.
Die Plattformbetreiber sollen nach dem Gesetzentwurf Einträge löschen, wenn sie ihnen gemeldet werden. Es reicht also, wenn ein Nutzer einen Eintrag für strafbar hält. Es muss nicht von einem Profi entschieden werden. Es reicht Laienjudikatur. Das ist im deutschen Rechtsstaat neu. Damit es nicht die Nutzerlaien sind, denen gerichtliche Verantwortung übertragen wird, schreibt das Ministerium in der Pressemitteilung weiter:
"Die Betreiber sozialer Netzwerke werden verpflichtet [...] Nutzerbeschwerden unverzüglich zur Kenntnis zu nehmen und auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen"
Es soll keine "Wahrheitskommission" geben, der Betreiber selbst soll prüfen. Der Betreiber entscheidet über strafrechtliche Relevanz einzelner Einträge. Der Betreiber übernimmt richterliche Aufgaben. Beachtlich. Das ist, also ob ein Polizist Haftbefehle ausstellen dürfte gegenüber Personen, die er für verdächtig hält. Der Betreiber wird zum Entscheider über Strafrelevanz, bei Fake News wird er sogar zur Wahrheitskommission. Wahrheit ist keine Beleidigung, nur Unwahrheit. Der Betreiber muss also über den Wahrheitsgehalt (mit)entscheiden, wenn er die Strafrelevanz beurteilen will. Wer's nicht glaubt, lese in der Pressemitteilung:
"Ein Diensteanbieter ist nach § 10 des Telemediengesetzes verpflichtet, einen rechtswidrigen Inhalt unverzüglich zu löschen, sobald er von diesem Kenntnis erlangt hat. Das bedeutet, dass ein Diensteanbieter zunächst selbst entscheiden muss, ob ein gemeldeter Inhalt rechtswidrig ist."
Wie es mit Qualifikation zur Einordnung von Handlungen als strafbar oder nicht strafbar steht, zeigt der Zentralrat der Juden in seiner Pressemitteilung:
"Judenfeindliche Ressentiments werden durch das Internet weltweit verbreitet. Eine strafrechtliche Sanktionierung von Volksverhetzung, Verherrlichung des Nationalsozialismus sowie Holocaustleugnung in den sozialen Medien ist daher dringend erforderlich, zumal eine freiwillige Selbstverpflichtung bislang nicht zu einer merklichen Reduzierung von Hasskommentaren geführt hat. Das Internet darf nicht zum rechtsfreien Raum werden."
Der Zentralrat hält eine "strafrechtliche Sanktionierung" von Sachverhalten für "dringend erforderlich", die wie die Volksverhetzung nach §130 StGB oder die Holocaustleugnung bereits strafbar sind. So sehr der Zentralrat Recht hat, wenn er als Mahner auftritt und sensibel gegenüber judenfeindlichen Ressentiments ist, so sehr ist er im Unrecht, wenn er so tut, der maas'sche Gesetzentwurf sei "dringend erforderlich".
Löschen Betreiber nicht oder nicht rechtzeitig, soll es Bußgelder geben. Erst hier kommt gemäß der Pressemitteilung eine richterliche Prüfung:
"Will das Bundesamt für Justiz als zuständige Behörde für die Bußgeldverfahren seinen Bußgeldbescheid allerdings darauf stützen, dass ein nicht entfernter oder nicht gelöschter Inhalt rechtswidrig gem. § 1 Abs. 3 NetzDG-E ist und ist diese Rechtswidrigkeit zugleich streitig, so muss über die Frage der Rechtswidrigkeit vorab ein Gericht entscheiden (§ 5 Abs. 5 NetzDG-E)."
Erst vor dem Bußgeld soll ein Richter sicherstellen, dass es zu Recht erhoben wird. Der Staat will sichergehen, das Bußgeld nicht zurückzahlen zu müssen. Eine richterliche Prüfung, ob ein Löschantrag zu Recht gestellt oder zu Recht exekutiert wurde, ist nicht vorgesehen. Wurde ein Eintrag fälschlich gelöscht (wer immer das feststellen sollte), wird kein Richter dies überprüfen. Ein Recht auf Wiederherstellung des gelöschten Eintrages ist in der Pressemitteilung nicht genannt.
Betreiber sind stehen immer vor der Entscheidung: "Löschen oder Bußgeld riskieren?" Naheliegend ist die Entscheidung für das Löschen, gegen das Bußgeld. Das Risiko der Nebenwirkung, dass eine zulässige Meinung zu Unrecht gelöscht wird, wird in Kauf genommen. Die Meinungsfreiheit droht im Bußgeldbescheid unterzugehen.
Ich finde es erschütternd, wie schnell Vertreter unseres demokratischen, freiheitlichen Rechtsstaates willens sind, demokratische, freiheitliche und rechtsstaatliche Grundfeste aufzugeben.

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