Freitag, 10. März 2017

Von Schwachen und Starken

Die Augsburger Allgemeine berichtet am 10.3. vom Fortgang der Nazivergleiche und der Diskussion um Auftrittsverbote zwischen Deutschland und der Türkei:


Der Bericht titelt von fehlender Einsicht der türkischen Regierung und berichtet von der Ankündigung des türkischen Außenministers Cavusoglu, weitere Wahlkampfauftritte absolvieren zu wollen vor dem Hintergrund scharfer Kritik an und "Absagen von Auftritten der Vertreter des türkischen Regierungslagers, die in Deutschland für die Annahme der Verfassungsänderungen mit umfassenden Machtbefugnissen für Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beim Referendum am 16. April werben wollen".
Die Empörung in Deutschland kristallisiert an zwei Punkten. Zum Einen am Nazi-Vergleich selbst, über den der Außenminister Cavusoglu im Bericht zitiert wird:
"'Wir sagen nicht, dass die aktuelle Regierung Nazi ist. Aber ob man will oder nicht, ihre Praktiken erinnern uns an die Praktiken dieser Epoche damals.'"
Zum Anderen an der bisherigen Reaktion der deutschen Regierung, die beispielsweise so beschrieben werden:
"'Diese Vergleiche der Bundesrepublik Deutschland mit dem Nationalsozialismus müssen aufhören', sagt die Kanzlerin an die Adresse der türkischen Regierung. Sie betont die Grundsätzlichkeit des Streites: Er betreffe Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit in der Türkei. 'All das legt die ganze Bundesregierung in all ihren Gesprächen wieder und wieder auf den Tisch.'."
Die Empörung führt auch in der Bevölkerung zu einer klaren Positionierung:
"Laut ARD-Deutschlandtrend lehnen die Bürger die Auftritte türkischer Politiker nahezu geschlossen ab. 91 Prozent gaben in der Umfrage an, dass sie derartige Veranstaltungen nicht gut finden."
Nur darum geht es nicht. Eine Demokratie lebt auch davon, Dinge zu akzeptieren, die man nicht gut findet. "Gut finden" ist kein Argument, es mag als Zusammenfassung durchgehen. Um Entscheidungen zu treffen, braucht es Argumente:
  • Es ist keine deutsch-türkische Angelegenheit, wie der Bericht mit Hinweisen auf die Schweiz und die Niederlande zeigt. Eine allein deutsche Reaktion geht am Problem vorbei. Bereits vor drei Tagen habe ich darauf hingewiesen, dass Europa insgesamt eine Antwort finden muss.
  • Bei Donald Trump und seinem Muslim Ban gab es große Aufregung, weil er sich gegen sieben vorwiegend muslimische Länder richtete. Wie will man nun einen "Wahlkampf Bann" nur für türkische Politiker argumentieren? Schlimmer sogar: Derzeit werden ja nur Verbote für Auftritte der Regierungspartei AKP diskutiert, nicht Verbote für Oppositionsparteien.
  • Vor dem Hintergrund der demokratischen Grundwerte scheint es zumindest fragwürdig, Wähler - nämlich die in Deutschland lebenden Türken - von der Meinungsbildung über die anstehende Wahl auszuschließen.
  • Eine Entscheidung für ein Verbot erfordert unbedingt, die Wirkungen abzuschätzen. Insbesondere ist zu überlegen, ob ein Verbot erstens die Propaganda der AKP in Deutschland verhindern kann und zweitens, ob es zu einer Befriedung der Türken in Deutschland beitragen kann. Letzteres wird immer wieder als Argument für ein Verbot gebracht, weil sich pro-AKP und contra-AKP eingestellte Türken zunehmend unversöhnlicher gegenüberstehen würden. Ich glaube nicht, dass ein Verbot die Propaganda in Deutschland verhindern wird. TV, Internet etc. sind reichweitenstarke Alternativen. Und wenn weiterhin die Idee des Erdogan verbreitet werden kann, wird es auch keine Befriedung innerhalb der gespaltenen Türken in Deutschland geben.
  • Die türkische Regierung fühlt sich im Recht, wie die Zitate und die Wiederholungen der Nazi-Vergleiche zeigen. Der Bericht trägt den Titel "Von Einsicht keine Spur". Wer sich im Recht fühlt, wird kaum Einsicht zeigen, wenn die angeblichen Feinde des türkischen Volkes widersprechen.
  • Die türkische Regierung fühlt sich stark, Erdogan glaubt, vor Kraft bereits über Wasser gehen zu können. Trotz eines Verbotes wird er seine Stärke zeigen wollen, ein Verbot also mit allen möglichen Tricks und Winkelzügen umgehen.
Ein Verbot mag die deutsche Volksseele beruhigen, wird aber nicht inhaltlich wirken. Was mich nachdenklich stimmt ist die fantasielose Reaktion bei deutschen Politikern. Die Nazi-Vergleiche müssen aufhören, sage die Kanzlerin. Im Kindergarten würde man sagen: "Du darfst nicht das Förmchen wegnehmen". Andreas Scheuer fordert den Abbruch der Beitrittsverhandlungen, im Kindergarten heißt das "In die Ecke mit Dir!".
Ein paar Denkanstöße für eine fantasievollere Reaktion:
  • Erdogan wähnt sich stark. Dabei fürchtet er, sein Referendum im April zu verlieren, weil die Zustimmung in der Türkei nicht so groß ist, wie er sich es erhofft. Er baut auf die stärkere Zustimmung der Türken in Deutschland, die aber von der Rechtsänderung nichts haben. Warum gibt es keine Aktivitäten, die Erdogan vor diesem Hintergrund als schwach entlarven? Als jemand, dem es um das eigene Ego-Ziel geht und der dabei Millionen von Wählern instrumentalisiert?
  • Nach dem Bericht ist der türkische Wahlkampf in Deutschland nach "Artikel 94/A des von der Regierungspartei AKP unter Erdogan 2008 eingeführten Wahlgesetzes" unzulässig. Auch wenn nicht beschrieben sei, wer das überwachen soll und wie Strafen aussehen können, wäre eine Klage vor einem türkischen Gericht ein deutliches Zeichen.
  • Wenn Deutschland ein Naziland sei, wie die türkische Regierung behauptet, könnte das Auswärtige Amt eine Reisewarnung aussprechen: die Türkei ist unsicher, Deutsche müssten mit Anfeindungen rechnen. Das würde dem Tourismus in der Türkei schaden und die Türkei dort treffen, wo sie derzeit ohnehin geschwächt ist.
  • Es ist doch erstaunlich, wie stark die in Deutschland lebenden Türken noch mit der Türkei verbunden sind. Wie konnte es über Jahre und Jahrzehnte nicht gelingen, sie so an Deutschland zu binden, dass sie sich nicht so leicht vor den Karren Erdogans spannen lassen?
Erdogan wird nicht aufhören, ihm fehlt die dafür notwendige Einsichtsfähigkeit. Er wird weitergehen, bis das Referendum abgeschlossen ist. Solange nach Verboten zu rufen oder sich halbherzig die Nazi-Vergleiche zu verbitten, hilft nur Erdogan. Der Mann hat Angst, sein Referendum zu verlieren und pfeift deshalb mit viel heißer Luft Nazi-Vergleiche.

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