Donnerstag, 9. März 2017

Sparer und Banken in der Zinsfalle?

Die Augsburger Allgemeine berichtet am 9.3. über ein Interview mit dem Präsidenten des Genossenschaftsverbandes Bayern (GVB), Jürgen Gros. Michael Kerler kommentiert dazu in der Printausgabe:


Michael Kerler schreibt von "einem rasanten Umbruch", in dem die Bankenlandschaft sich befinde. Die Branche galt jahrzehntelang "als grundsolide, wenn nicht gar langweilig", weil sie "Geld von den Sparern leihen und an Kreditnehmer ausgeben" als das Hauptgeschäft betriebt. Der Umbruch hat für Michael Kerler zwei Ursachen:
"Ein Teil ist dem digitalen Wandel geschuldet. Kunden kommen immer seltener in die Filialen und betreiben stattdessen Online-Banking. Doch wie ein Beschleuniger wirkt die Politik der Europäischen Zentralbank unter Mario Draghi. Diese hat den Leitzins auf null gesenkt."
Die Situation fasst Michael Kerler so zusammen:
"Sparer wie Banken sitzen in der Zinsfalle."
Dabei kommen die Banken noch gut weg:
"Noch stemmen sich Sparkassen und die meisten Genossenschaftsbanken gegen die Weitergabe von Strafzinsen an Privatkunden."
Michael Kerler stellt sich zu sehr auf die Seite der Banken und macht Banken und Kunden gleichermaßen zu Opfern der EZB. Die EZB und insbesondere Marion Draghi sind für ihn allein schuldig. Ist es wirklich so einfach?

Zahlen über die VR-Banken

Sind die VR-Banken wirklich so arm dran, wie es aus dem Kommentar klingt? Ein wenig Licht in die Frage bringen Blicke in die Berichte der Geschäftsjahre 2014, 2015 und 2016:
  • Anzahl der Banken sank von 287 (Ende 2013) auf 260 (Ende 2016), also um 9%
  • Anzahl der Geschäftsstellen sank von 2.994 (Ende 2013) auf 2.569 (Ende 2016), also um 14%
  • Anzahl der Mitarbeiter: Sie sank von 35.359 (Ende 2013) auf 32.953 (Ende 2016) also um 7%
Diese Zahlen zeigen einen Rückgang. Die Rückgänge sind bereits im Jahresvergleich 2013 und 2014 zu sehen. Im Jahr 2014 waren die Leitzinsen noch nicht auf Null, sie fielen erst im Jahresverlauf so tief. Zur weiteren Beurteilung der Situation der VR-Banken ein paar weitere Zahlen aus den oben genannten Berichten:
  • Bilanzsumme stieg von 141 Mrd. € (Ende 2014) auf 153,3 Mrd. € (Ende 2016), also um 9%
  • Kundengelder, also die von den Sparern den VR-Banken überlassenen Gelder, stiegen von 109,9 Mrd. € (Ende 2014) auf 120 Mrd. € (Ende 2016), also um 9%
  • Ausleihungen stiegen von 83,1 Mrd. € (Ende 2014) auf 91,2 Mrd. €, also um 10%
  • Ergebnis vor Steuern ist im Vergleich der Jahre 2014 und 2016 mit 1,5 Mrd. € unverändert
  • Zinsüberschuss fiel von 3,2 Mrd. € (Ende 2014) auf 3,1 Mrd. €, also um 3%
  • Provisionsüberschuss blieb bei etwa 0,9 Mrd. € praktisch konstant
  • Betriebskosten blieben bei etwa 2,6 Mrd. € praktisch konstant
Diese Zahlen lassen sich so interpretieren:
  • Die VR-Banken haben in den letzten Jahren 7% der Mitarbeiter abgebaut und die Anzahl der Geschäftsstellen um 14% reduziert. Dennoch sind die Betriebskosten etwa gleich geblieben.
  • Der Rückgang des Zinsüberschusses, also aus dem "Hauptgeschäft der Regionalbanken", beträgt lediglich 3%.
  • Der leichte Ertragsrückgang aus dem "Hauptgeschäft" macht sich im Ergebnis vor Steuern nicht bemerkbar, da dieses konstant bleibt.
Aus den Zahlen der VR-Banken lässt sich für diese Bankengruppe nicht ausmachen, dass sie in einer "Zinsfalle" säße, wie Michael Kerler schreibt.

Schuldfrage mal anders

Zinsen und Inflation

Michael Kerler sieht auch die Sparer in der "Zinsfalle", schreibt von realen Verlusten "für das Ersparte und in der Altersvorsorge". Das ist im Vergleich der Sparzinsen einerseits und der Inflationsrate andererseits richtig. Allerdings darf nicht übersehen werden, wie die Inflationsrate sich entwickelt hat:
"Im Jahresdurchschnitt 2015 stiegen die Verbraucherpreise lediglich um 0,3 Prozent, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) berichtete. Die jährliche Inflationsrate ist somit seit 2011 rückläufig."
Erst in den letzten Wochen und Monaten ist sie gestiegen. Stellt man die Verbraucherpreisentwicklung den Leitzinsen gegenüber, zeigt sich, dass bereits in den Jahren 2011 bis 2013 die Leitzinsen niedriger waren als die Inflation. Draghi wurde im November 2011 zum EZB-Präsidenten bestellt.

Gebühren

Im oben verlinkten Bericht der AZ heißt es:
"Auch aufgrund der EZB-Politik führt nach Ansicht des Verbandspräsidenten (des GVB Jürgen Gros, Anm.) kein Weg an 'angemessenen Preisen' für Bankdienstleistungen vorbei: 'Dienstleistungen anzubieten kostet Geld. Das gilt in allen Wirtschaftsbereichen, auch für Banken. Das aktuelle Marktumfeld zwingt die Institute dazu, genau zu rechnen und unternehmerisch zu handeln, um die Belastungen aus dem Niedrigzinsumfeld zu verarbeiten.'"
Soso, Draghi soll also Schuld daran sein, dass Banken in der Vergangenheit Dienstleistungen gratis angeboten haben, die in der Durchführung Geld kosten? Natürlich verursacht selbst ein simples Girokonto Kosten für die Bank. Dennoch haben viele Banken Girokonten gratis angeboten, weil damit auf Kundenfang gingen. Immer war damit verbunden die Hoffnung, ein Kunde mit Girokonto würde auch andere Produkte nutzen und die Bank so am Kunden verdienen können. Wie erfolgreich die VR-Banken bei der Kundengewinnung waren, zeigen die o.g. Berichte, nach denen die Mitgliederanzahl von 2,57 Mio. (Ende 2013) auf 2,67 Mio. (Ende 2016) stieg. Es waren Managemententscheidungen der Banken, quersubventionierte Produkte anzubieten. Es hat einen äußerst üblen Beigeschmack, wenn nun versucht wird, die Konsequenzen solcher Managemententscheidungen der EZB-Politik anzulasten.

Self Service und Digitalisierung

Im oben verlinkten Bericht heißt es:
"'Die Kunden signalisieren uns, dass die Banken bestimmte Serviceleistungen nicht mehr in den Filialen vorhalten müssen – sie tätigen ihre Überweisungen lieber von unterwegs mit dem iPhone oder richten Daueraufträge am Wochenende am Computer ein', sagt Gros."
Ja, Banken haben über Jahre hinweg die Kunden entsprechend dressiert und ihnen eingeredet, wie viel bequemer es doch wäre, die Arbeit von Bankmitarbeitern selbst zu erledigen, außerhalb der Geschäftszeit der Bank. Die Dressur hat funktioniert, es werden weniger Geschäftsstellen und Bankmitarbeiter benötigt. Wobei ich zugebe, es ist bequemer, eine Überweisung online zu machen und nicht mit einem Beleg in eine Geschäftsstelle laufen zu müssen. Zugegeben, die sog. Digital Natives werden noch viel mehr online erledigen wollen, wobei das nichts mit der Dressur durch Banken zu tun hat, sondern zum Lifestyle gehört. Das wird eine große Herausforderung für die Banken. Es wird spannend sein zu sehen, ob sie in diesem Fall bessere Managemententscheidungen treffen werden als bei den Gratisprodukten.

Produktstrategie

Im oben verlinkten Bericht heißt es:
"Vor allem für die Sparer ist die Situation bitter, sagt Gros, der seit August 2016 an der Spitze des Verbandes steht. Sie bekommen kaum Zinsen für ihre Geldanlage und müssen zudem die Inflation schlucken, die im Februar auf über zwei Prozent in die Höhe geschnellt ist."
Ja, allerdings scheint das fast schizophren. Banken bieten derzeit (auch wegen der EZB) kaum Zinsen auf Sparguthaben, weswegen Gros sein Bedauern ausdrückt. Dies gilt allerdings nur für Anlageformen mit flexiblem Zins oder Anlagen, die neu geschlossen werden. Wie rücksichtsvoll Banken mit Sparern umgehen zeigen die Kündigungen von gut verzinsten Bausparverträgen. Bedauern findet sich hierbei nicht.
Über Jahrzehnte haben die Banken Produkte angeboten, die mit langen Zinsbindungen daherkommen, Sparbriefe mit über viele Jahre fixierte Zinsen waren üblich. Den Kunden wurde gezeigt, dass ohne Risiko ordentliche Erträge erzielt werden können. Bei der Entwicklung dieser Produkte wurde die Möglichkeit der aktuellen Zinssituation nicht gesehen oder das Risiko unterschätzt. Eindeutig ein Fehler in der Produktentwicklung.
Hinzu kommt, dass Banken bei der Anlageberatung nicht ihre eigenen Interessen vergessen. Sie bieten die Beratung gratis an, verkaufen dafür Produkte, bei denen sie an Provisionen oder laufenden Vergütungen partizipieren (wieder ein fragwürdig konzipiertes Produkt). Wohl aus einer Gemengelage von Riskioaversion der Kunden und einer Beratung der Banken auf risikolose Produkte ist die Sicherheitsorientierung der Sparer entstanden. Was wäre, wenn die Banken ebenso nachhaltig über renditestärkere Anlageformen aufgeklärt hätten, wie sie für Self Service geworben haben? Würden dann nicht mehr Sparer entspannt auf ihre Anlage schauen und sich über Kursgewinne und stattliche Dividenden freuen?

Conclusio

Die von Michael Kerler behauptete Zinsfalle, in der Banken und Sparer sitzen sollen, ist nicht eine Falle. Den Banken macht die aktuelle Zinssituation zu schaffen, sie schaffen es aber dennoch, ordentliche Erträge und Gewinne zu erwirtschaften. Die Falle ist nicht zugeschnappt.
Für Kunden ist die Lage prekärer, weil sie tatsächlich eingeklemmt sind zwischen mageren Zinserträgen, Inflation und drohenden Bankgebühren. Dass Kunden in dieser Falle sitzen, kann nicht Draghi angelastet werden. Es waren Entscheidungen der Bankmanager, aus Gewinnstreben Produkte zu entwickeln und zu vertreiben, die nicht kostentragend konzipiert wurden oder nicht flexibel genug auf ein sich änderndes Umfeld reagieren können. Produkte, die Banken und die Kunden in Schwierigkeiten bringen. Das Bedauern der Banken über die Sparer klingt für mich wie Hohn, die alleinige Schuldzuschreibung an Draghi wie ein großer Winkelzug, um Michael Kerlers Vokabel zu bemühen.

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