Dienstag, 7. März 2017

Hör mal, wer da hämmert

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 7.3. einen Leitartikel veröffentlicht zu den aus seiner Sicht notwendigen Konsequenzen nach den Nazi-Vergleichen Erdogans:


Walter Roller bezeichnet das Auftreten Erdogans als "wahrer Regierungschef der in Deutschland lebenden Türken". Erdogan spricht die in Deutschland lebenden Türken an, das ist richtig. Allerdings geht es Erdogan nicht darum, die Situation dieser Menschen zu verbessern. Ihm geht es um Wählerstimmen, die er für seinen Staatsumbau in der Türkei braucht. Türken in Deutschland sind Werkzeug, Stimmvieh. Ein "wahrer Regierungschef" würde nicht so agieren.
Walter Roller schreibt:
"Die Bundesregierung hat Erdogans Tiraden hingenommen, weil sie an guten Beziehungen mit Ankara interessiert ist, mit Erdogan im Gespräch bleiben und das Grundrecht auf Meinungs- und Redefreiheit auch dem herrischen Sultan vom Bosporus gewähren wollte."
Vor dem Hintergrund der "zunehmend schärfer gewordenen Attacken Erdogans und [...] seiner Minister" sei "das Maß des Erträglichen weit überschritten." Ohne Zweifel. Walter Roller fordert deshalb "eine glasklare, entschiedene Reaktion":
"[...] und zwar entschiedener, als die mit Samthandschuhen operierende Kanzlerin und ihr Außenminister Gabriel bisher reagiert haben. Wenn alle Appelle, den Ton zu mäßigen und Deutschland nicht zum Schauplatz innertürkischer Richtungskämpfe zu machen, nichts bewirken, dann muss Erdogan eben Konsequenzen zu spüren bekommen. Andernfalls verdichtet sich der Verdacht, dass Berlin sich aus lauter Angst vor einer Aufkündigung des Flüchtlingsdeals durch Erdogan wegduckt, zur Gewissheit."
Hier ist bereits ein Hämmern zu hören. Es richtet sich aber nicht gegen Erdogan, es richtet sich gegen Kanzlerin und Außenminister. Walter Roller hält nichts von "Samthandschuhen", er will grobe lederne Arbeitshandschuhe. Die ganze Motivation der Bundesregierung gegenüber Erdogan verortet Walter Roller in der Angst, der Flüchtlingsdeal könnte aufgekündigt werden. Einen Beweis liefert er nicht, er hämmert unbeirrt seine Behauptung. Die absurden Vergleiche Erdogans gehören nicht nur durch die Bundesregierung beantwortet, die EU insgesamt ist gefordert. Die lässt Walter Roller jedoch außen vor.
Dabei ist es eine wichtige Frage: Wie soll auf Personen reagiert werden, die wie Erdogan den Bogen völlig überspannen? Zur Reaktion über das kommunale Ordnungsrecht meint Walter Roller:
"Auf den ersten Blick wirkt das Argument der Regierung, man wolle aus rechtsstaatlichen Gründen niemanden am Reden hindern und bei Bedarf nur das kommunale Ordnungsrecht anwenden, einleuchtend. Auf den zweiten Blick stellt sich sehr wohl die Frage, warum Deutschland rabiaten ausländischen Wahlkämpfern Tür und Tor öffnen sollte – mitsamt dem wachsenden Risiko schwerer innertürkischer Auseinandersetzungen hierzulande."
Einleuchtend nur auf den ersten Blick, auf den zweiten Blick solle die Versammlungs- und Redefreiheit eingeschränkt werden. Dabei hat das Verfassungsgericht beim NPD-Verbotsantrag klargestellt, eine Demokratie nach unserem Verständnis müsse sogar den eigenen erwiesenen Feinden verfassungsmäßig verbriefte Rechte zubilligen. Welches Gewicht hat dieses Argument, wenn es um andere Staaten geht? Für einen klaren Blick sollte Walter Roller lieber nochmals hinschauen.
Auch das Argument, Erdogan fordere "für sich und seine AKP jene Redefreiheit, die er selbst zu Hause nicht gewährt", zieht nicht. Gerade als demokratischer Staat muss Deutschland anders mit der Redefreiheit umgehen wie Erdogan. Das ist kein Zeichen von Schwäche oder Samthandschuhen, das ist notwendig, um die eigenen Werte zu leben. Walter Roller schreibt:
"Es gibt keinerlei Verpflichtung des deutschen Staates, den Werbefeldzug des Islamisten Erdogan für eine antidemokratische Politik zu dulden."
So pauschal spricht ein Hammer. Wie hält es Walter Roller mit der Redefreiheit, wenn er Themen definiert, über die gesprochen und über die nicht gesprochen werden darf? Wer entscheidet über diese Themen? Wer entscheidet, wer sprechen und dabei zuhören darf? Darf Marine Le Pen in Deutschland über ihre Vorstellung von Frankreich sprechen?
Zum Schluss bringt Walter Roller seine oft wiederholten Vorschläge:
"Und was spricht eigentlich dagegen, die längst zur Farce geratenen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei formell auszusetzen und die milliardenschwere Zahlung von 'Vorbeitrittshilfen' zu beenden? Es wäre ein sichtbares Zeichen dafür, dass eine Türkei unter der Knute Erdogans in der EU nichts verloren hat [...]"
Immerhin spricht er von aussetzen, nicht (mehr) von abbrechen.
"[...] und es wäre eine Botschaft, die der auf Europas wirtschaftliche Hilfe angewiesene Erdogan womöglich besser versteht als alle Appelle, doch bitte schön zur Besinnung zu kommen."
Hier hofft Walter Roller. Die Frage ist, ob Erdogan diese Botschaft verstehen würde. Nein, wird er nicht. Er glaubt ohnehin, Deutschland sei gegen ihn. Ein rollerscher Hammerschlag wäre für Erdogan ein Beweis. Ein rollerscher Hammerschlag würde Erdogan zu einem Jetzt erst Recht anstacheln. Erdogan ist ein Machtmensch, der Widerstände mit brachialer Gewalt (siehe Verhaftungen, siehe Krieg gegen Kurden, siehe Todesstrafe, siehe Genozid an Armeniern etc.) brechen will. Er wird eine Hammerreaktion zum eigenen Vorteil umdeuten. Er wird andere Wege finden, seine Botschaft an die in Deutschland lebenden Türken zu bringen: Satelliten-Fernsehen, Internet, Kaffeehäuser, Moscheen (über DITIB beispielsweise).
Selbstverständlich hat Deutschland das Recht und die Pflicht, irrsinnige Aussagen zurückzuweisen. Deutschland hat auch das Recht, Grenzen für Wahlkämpfe ausländischer Akteure zu setzen. Bevor mit groblederbewehrten Händen zum Hammer gegriffen wird, sollte jedoch überlegt werden, ob das Werkstück tatsächlich ein Nagel ist. Oder ob es nicht zielführender wäre, mit feinen Handschuhen eine ebensolche Klinge zu führen.

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