Montag, 30. Dezember 2019

Griechische Kinderlager

Christian Grimm hat in der Augsburger Allgemeinen vom 20.12. einen Leitartikel veröffentlicht zu der Diskussion, ob 4.000 im griechischen Flüchtlingslager Moria unter unmenschlichen Umständen befindliche Kinder nach Deutschland geholt werden sollen, wie der Grüne Habeck vorschlug, oder nicht, wie Innenminister Seehofer sagt:


Christian Grimm schreibt, Europa habe "nichts gelernt aus der Flüchtlingskrise des Jahres 2015". Es sei ein Keil zwischen europäische Staaten und "in die Gesellschaften dieser Staaten getrieben" worden. Nun drohe eine Weiderholung des Dramas, weil auf griechischen Inseln wieder mehr Menschen ankommen. Die Zunahme der Ankünfte steigt, obwohl das Abkommen mit der Türkei weiter gilt, nach dem Ablandungen zu verhindern sind und die Türkei im Gegenzug Geldzahlungen in Milliardenhöhe erhält.
In Anbetracht der unmenschlichen Zustände im Lager, die sich durch den Winter verschlimmern werden, hatte Grünen-Chef Habeck gefordert, die etwa 4.000 Kinder sollten nach Deutschland geholt werden. Christian Grimm schreibt:
"Doch Innenminister Horst Seehofer lehnt das ab. Der CSU-Politiker hat die Bundesregierung hinter sich und er hat recht mit seiner Position. Es braucht eine Einigung zwischen den Staaten Europas darüber, wie sie mit Flüchtlingen umgehen wollen."
Nun, eine Einigung ist seit der Eskalation der Lage im Jahr 2015 nicht erzielt worden. Seit damals ist klar, dass der Dublin-Modus nicht funktionieren kann, nach dem die Erstankunftsländer für die Asylverfahren zuständig sind. Wenn sich alle Ankünfte auf wenige Länder konzentrieren, ist dies weder im Sinne der europäischen Gemeinschaft noch von diesen Ländern administrativ zu bewerkstelligen.
Einen Alleingang Deutschlands schließt Christian Grimm aus:
"Ein Alleingang Deutschlands darf sich aus zwei Gründen nicht wiederholen. Er würde einerseits den fragil gewordenen Zusammenhalt der Gesellschaft noch weiter schwächen, das Klima noch rauer machen. Das Land braucht Zeit, um die Hunderttausenden Neuankömmlinge zu integrieren. Andererseits würde eine einsame Geste der Bundesregierung eine europäische Lösung noch weiter erschweren. So ist es vor vier Jahren geschehen, als Kanzlerin Angela Merkel die Grenzen offen ließ."
Ja, Neuankömmlinge sind zu integrieren, sofern sie eine Bleibeperspektive haben. Einen Modus dafür zu entwickeln, hatte Deutschland vier Jahre Zeit. Wurden solche Anstrengungen unternommen und würde eine weitere Aufnahme den gesellschaftlichen Zusammenhalt so schwächen, dass im Gegenzug gerechtfertigt ist, Kinder in elenden Zuständen zu belassen? Zweifel bleiben.
Ein Alleingang würde eine europäische Lösung erschweren, kann als Argument nicht ernst genommen werden, weil einige Staaten Europas gar keine Lösung anstreben, sondern sich ihr schlicht verweigern. Die Visegrád-Staaten wie Orbans Ungarn und Polen fallen hier besonders auf. Es sind die Staaten, die in Europa auch wegen Verstößen gegen europäische Rechtsgrundsätze auffallen. Mit der Zurückhaltung bei der Aufnahme der Kinder haben sich die Verweigerer durchgesetzt, durch sture Passivität, durch das Abmelden vom europäischen Gemeinsinn. Das kann es nicht sein.
Christian Grimm schreibt jedoch:
"Trotz dieser politischen Blockade darf Europa nicht einfach wegsehen vom Elend auf den Inseln in der Ägäis. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung müssen die Lager winterfest gemacht werden."
Das ändert nichts daran, dass die Lager völlig überbelegt sind, Moria auf Lesbos beispielsweise fünffach. Es mangelt an Infrastruktur, an Gesundheitsversorgung, an Personal. Wie da innerhalb von Tagen eine gemeinsame Kraftanstrengung möglich sein soll, ist unklar.
Christian Grimm schreibt:
"Eine europäische Lösung wird es nur geben, wenn auf den griechischen Inseln direkt über einen Asylantrag entschieden wird. Dafür sollten Flüchtlingszentren mit europäischer Unterstützung aufgebaut werden."
Es scheint, als ob die Lagerinsassen das Faustpfand abgeben sollen für eine europäische Einigung. Je schlechter die Zustände, desto eindrücklicher das Faustpfand. Doch das Faustpfand wird nicht wirken. Weder wird es andere Migrationswillige abhalten, nach Europa zu wollen. Noch wird es europäische Staaten beflügeln, eine Einigung zu erzielen. Und die Rechten lachen sich ins Fäustchen, weil ihr gezeichnetes Angstbild wirkt und sie selbst nicht einmal in Regierungsverantwortung sein müssen, um ihre "Politik" umzusetzen.
Christian Grimm titelt, Europa müsse aus den Fehlern im Umgang mit Flüchtlingen lernen. Nach vier Jahren wurde nichts gelernt. Es wurden Ideen lanciert, wie Lager jenseits des Mittelmeeres, die jedoch nie Realität wurden. Panzer rollten am Brenner auf. Die Balkanroute wurde geschlossen. Und heute führen wir wieder die selben Diskussionen? Es wurde nichts gelernt im Umgang mit Flüchtlingen und es besteht wenig Anlass zur Hoffnung, dass dies in den nächsten Jahren anders werden könnte. Die Menschen in den winterlichen Lagern werden im Eis die Strafe erfahren, die gemäß Dante Alighieri im neunten Höllenkreis den Verrätern zuordnet. Verraten haben diese Menschen nichts, die Verräter europäischer Werte und des europäischen Gemeinsinns sitzen weiterhin im Warmen.

Sonntag, 8. Dezember 2019

Wird die AfD diskriminiert?

Götz Frömming, Bundestagsabgeordneter der AfD, hat in einem Tweet geäußert, die Demokratie nehme Schaden, wenn Einzelne ob ihres politischen Engagements berufliche Nachteile erfahren müssen:


Hintergrund war das Absetzen der Sendung "Steimles Welt" des Kabarettisten Uwe Steimle beim MDR. Die Fortsetzung der Sendung sei nicht möglich, da das Vertrauen zwischen den Beteiligten beschädigt sei, wie z.B. der Tagesspiegel berichtete. Steimle selbst sieht Zensur. Aus dem Umfeld der AfD gab es viel Zuspruch für den Kabarettisten und viel Kritik am MDR im Besonderen und dem öffentlichen Rundfunk im Allgemeinen.
Auf den Tweet von Hr. Frömming antwortete ich:
"Wäre die #AfD eine glaubwürdig konservative oder bürgerliche - von mir aus auch rechtskonservative - Partei, wäre Ihre Aufregung verständlich. Da aber die Abgrenzung zum Rechtsradikalismus nicht glaubhaft erfolgt, sind das die rechtsstaatlichen Konsequenzen."
Worauf Hr. Frömming schrieb:
"Das ist nun gerade nicht rechtsstaatlich. Solange eine Partei nicht verboten ist, dürfen ihre Mitglieder nicht benachteiligt werden. Siehe Grundgesetz. Oder wollen Sie zurück in die Zeiten, als es Berufsverbote gab?"
Ob eine verbotene und damit offiziell nicht mehr existente Partei überhaupt noch offizielle Mitglieder haben kann, spielt für die weitere Diskussion keine Rolle.

Berufsverbote

Wird eine Person oder eine Personengruppe mit einem Berufsverbot belegt, so ist es ihnen untersagt, bestimmte Tätigkeiten auszuüben. Beispiele sind
  • Ärzte, die ihre Approbation verlieren nach schweren Fehlern
  • Anwälte, denen die Zulassung wegen groben Berufsrechtsverstößen entzogen wurde
  • Straftäter, die als verurteilte Pädophile nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen
Ein solches oder vergleichbares Berufsverbot liegt im Falle Steimle sicher nicht vor. Kein Staatsorgan hat Hr. Steimle untersagt, Kabarett zu machen. Er darf es weiterhin, jedoch nicht auf der Bühne, die der MDR aufgebaut hat. 
Hr. Frömming verweist auf "die Zeiten, als es Berufsverbote gab". Vielleicht meint er damit den sog. Radikalenerlass, mit dem in den 1970er Jahren die Beschäftigung sog. Verfassungsfeinde aus dem rechts- und linksradikalen Milieu im öffentlichen Dienst verhindert werden sollte. Sollte Hr. Frömming tatsächlich diesen Erlass meinen, würde er Hr. Steimle einen Bärendienst erweisen, weil der Erlass sich auf bekannte Verfassungsfeinde bezieht. Hr. Steimle soll sich hingegen kritisch zur politischen Situation in Deutschland geäußert haben und so Berührungspunkte zur AfD haben. Die AfD selbst lehnt ab, rechtsextrem oder rechtsradikal zu sein, sie betont, auf dem Boden der Verfassung zu stehen. Also ist auch aus dieser Perspektive der Begriff der Berufsverbote sachlich unzutreffend.

Benachteiligung und Rechtsstaat

Der Vorgang zwischen Hr. Steimle und dem MDR hat nichts mit einem Berufsverbot zu tun. Er ist vielmehr Ausfluss der Vertragsfreiheit und der Privatautonomie. Diese wiederum fußen auf dem Persönlichkeitsrecht, das Art. 2 GG beschreibt:
"(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt."
Jeder ist berechtigt, seine Belange in Verträgen zu regeln, Verträge zu ändern etc. Natürlich muss der Vertragspartner einverstanden sein und der Gesetzgeber hat Grenzen der Privatautonomie definiert, die sich beispielsweise im Mietrecht, in Kontrahierungszwängen (z.B. Guthabenkonto) etc. zeigen. Es ist also grundsätzlich rechtsstaatlich, Verträge mit anderen zu schließen oder eben nicht bzw. bestehende Verträge nicht zu verlängern.

Diskriminierung

Der staatliche Rahmen zur Privatautonomie macht wenig Vorgaben, mit welchen Argumenten ein Abschluss eines Vertrages zwischen potentiellen Vertragspartners abgeschlossen oder abgelehnt werden darf. Eine sehr grundsätzliche Vorgabe ist das Diskriminierungsverbot des Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention:
"Der Genuß der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten."
Die "politischen […] Anschauungen" sind eindeutig ein Fall, der im Zusammenhang mit der politischen Vorliebe für die AfD und ihrer Ansichten zum Tragen kommt. Auch wenn Steimle der Anlassfall für den Tweet von Hr. Frömming war, gibt es weitere ähnliche Fälle, wenn beispielsweise AfD-Mitglieder in Restaurants unerwünscht sind oder die AfD als Partei Schwierigkeiten hat, Räume für Versammlungen anzumieten.
Die AfD behauptet, das sei bereits diskriminierend. Nun, die Privatautonomie stellt es jedem anheim, frei über Vertragsabschlüsse zu entscheiden. Er kann, muss aber nicht die Gründe offenlegen. Dabei kann er sich diskriminierend verhalten und AfD-Nähe als Begründung haben, bestimmte Personen nicht willkommen zu heißen. Das ist genauso zulässig wie die Beschränkung mancher Hoteliers, keine Kinder unter 16 Jahren zu beherbergen. Die öffentliche Erregung seitens Betroffener über solche Beschränkungen mag persönlich verständlich sein. Rechtswidrig sind die Beschränkungen nicht. Selbst dann nicht, wenn sich nicht ausführlich begründet werden.
Etwas anderes wäre eine staatliche Diskriminierung. Die liegt im Falle Steimle jedoch nicht vor, auch wenn es sich beim MDR um eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt handelt. Denn auch diese darf Privatautonomie für sich beanspruchen. Zudem hat der MDR das Vertragsende mit einem zerstörten Vertrauen argumentiert und bei zerstörtem Vertrauen zwischen den Vertragspartnern ist die Fortsetzung des Vertrages i.d.R. nicht zumutbar.
Ein möglicher Fall Diskriminierung ist die Wahl - vielmehr Nichtwahl - von Vizepräsidenten im Bundestag oder im bayerischen Landtag. Die Kandidaten der AfD fielen mehrfach durch, so dass die Positionen unbesetzt sind, auch wenn die Partei nach der Geschäftsordnung oder anderen Regelwerken einen Anspruch auf eine solche Position hat. Im April hatte ich einen Blogeintrag veröffentlicht und an die im Bundestag vertretenen Parteien geschickt. Die Begründungen für die Nichtwahl von Harder-Kühnel waren von unterschiedlicher Qualität. Die Linke hatte ausführlich mit Zitaten und Handlungen von Harder-Kühnel argumentiert und so in ihrer Person liegende Gründe angeführt - sehr gut! Von anderen Parteien kamen lediglich Allgemeinplätze über Nicht-wählen-müssen und die AfD im Allgemeinen - schwach. Gerade Vertreter des Staates müssen genau darauf achten, #keineAfdOpferPose zu unterstützen. Die Qualität der Argumente gibt hier den Ausschlag.

Conclusio

Götz Frömming irrt, wenn wer er im Zusammenhang mit dem Fall Steimle von Berufsverboten redet. Dieser Begriff ist hier überhaupt nicht anwendbar. Eine Ungleichbehandlung von Personen wegen ihrer Nähe zur AfD mag im Privatrecht durchaus diskriminierende Züge haben. Dies ist jedoch rechtsstaatlich, weil die Privatautonomie ausdrücklich die Wahlfreiheit der Vertragspartner zulässt. Und welchem Vertragspartner soll zugemutet werden, sich in die Nähe von Rechtsextremismus setzen zu lassen, weil es der AfD nicht gelingt, sich selbst glaubwürdig davon zu distanzieren und tatsächlich eine konservative, bürgerliche Partei zu sein?

Montag, 2. September 2019

AfD als Wahlsiegerin?

Gregor Peter Schmitz hat in der Augsburger Allgemeinen vom 2.9. einen Leitartikel veröffentlicht zu den Wahlen in Brandenburg und Sachsen:


Gregor Peter Schmitz nennt zwei Sätze, die nach den Wahlen Wiedergänger werden:
"Der eine Satz wird lauten: Wie umgehen mit dieser Alternative für Deutschland (AfD)? Der andere Satz wird lauten: So schlimm ist es ja doch nicht gekommen. Schließlich sei die AfD ja nicht stärkste Partei geworden."
Der zweite Satz ist ein Offenbarungseid. Erregten sich Demokraten vor Monaten und Jahren noch darüber, ob die AfD überhaupt einen Platz in Parlamenten haben dürfe, begnügen sie sich heute mit der Feststellung, die AfD sei nicht stärkste Partei geworden. Sie ist in beiden Bundesländern klar zweitstärkste Kraft, der Abstand zur stimmenstärksten Partei keineswegs so groß, dass es beruhigen würde. Die Zugewinne sind beträchtlich, wie die AfD selbstbewußt twittert: in Sachsen fast eine Verdreifachung, in Brandenburg immerhin eine Verdoppelung. Beatrix von Storch sieht in ihrem Tweet bereits eine Zeitenwende:
"Nicht-linke Mehrheiten gibt es NUR noch mit der #AfD. Jenseits von ihr gibt es nur schwache kunterbunte Bündnisse. Das ist die Realität, die AfD ist der Spielmacher."
Und Jörg Meuthen twittert:


Der Begriff "Wahlsiege" wird sich angesichts der Ergebnisse kaum wegdiskutieren lassen. Ob es für die AfD schon zur "Volkspartei" im bisherigen Verständnis reicht, ist fraglich. Auch fraglich, ob die AfD das bisherige Verständnis einer Volkspartei überhaupt zu Grunde legen will, oder ob sie sich nicht nach einer neuen, eigenen Definition richtet, bei der dem Volk aufs Maul geschaut wird. Gewiss  hingegen ist:
"Die AfD hat sich als feste Größe etabliert. Sie ist kein flüchtiger Spuk, wie es die Republikaner waren."
Damit wird der erste Satz relevant, weil sich die AfD nicht aussitzen lassen wird. Erschwert wird die Antwort durch einen weiteren Befund:
"Die allermeisten Wähler, die ihr Kreuz bei der AfD machen, wissen von den dunklen Seiten dieser Partei. Radikale Positionen ziehen sie vielleicht nicht sonderlich an, schrecken sie aber auch nicht."
Doch was tun? Gregor Peter Schmitz schreibt:
"Deswegen muss die Politik ihre Reaktionsmuster hinterfragen. Es kann keine Lösung sein, nun Koalitionen mit der AfD zu erwägen. Man muss aber auch bedenken, dass deren komplette Ausgrenzung ihr die Chance bietet, sich noch mehr als Opfer zu vermarkten."
Die AfD stilisiert sich als Alternative zu den etablierten Parteien. Diese wiederum würden die AfD ausgrenzen, weil sie nicht hören wollen, was man doch sagen können müssen dürfe. Bei Wählern, denen die "dunklen Seiten dieser Partei" egal sind, die sich von radikalen Positionen nicht abschrecken lassen, verfängt diese Geschichte, der klar zu widersprechen ist. Zum Teil ist dieser Marketingtrick der AfD nicht gelogen, weil es ja tatsächlich Ansätze zur Ausgrenzung gibt, siehe AfD in der Fußballmannschaft des Bundestages, siehe Anträge, die abgelehnt werden, wenn sie von der AfD kommen und mit ähnlichem Inhalt von anderen Parteien Zustimmung erfahren. Es hilft nichts: Die Augen vor der AfD verschließen, hoffen, dass sie von selbst verschwindet, wenn sie lange genug ignoriert wird, wird nicht funktionieren. Deshalb wird sich die Politik mit den Politikdarstellern der AfD befassen müssen. Und wir dürfen #keineAfdOpferPose zulassen.
Allerdings wird es nicht reichen wenn "die Politik ihre Reaktionsmuster" hinterfrägt. Denn politische Muster verfangen nicht:
  • Radikale Positionen schrecken nicht
  • Die Ideologie der AfD ist eine diffuse
  • Unklar sind die Inhalte, die politischen Alternativen der AfD
  • "Lösungen" der AfD widersprechen teilweise dem Grundgesetz, den Menschenrechten etc.
  • Fakten werden ignoriert, beispielsweise der menschliche Einfluss auf das Klima
  • Offensichtliche Lügen werden geglaubt
  • Umdeutungen von Lügen wird geglaubt
Normalerweise sind Wahlen eingebettet in einen Prozess der politischen Willensbildung bei Wählern, die "sich überlegen, wer ihre Interessen am besten vertritt" und daraus ableiten, wo sie ihr Kreuz machen wollen. Doch die AfD bedient keine politischen Interessen. Sie bedient den Bauch, ein dumpfes Gefühl. Sie nimmt zwar am demokratischen Spiel in Deutschland teil, aber sie spielt nicht auf dem demokratischen Spielfeld im Wettkampf der besten politischen Ideen. Dies gilt, obwohl eine deutsche Demokratie auch konservative, vielleicht auch rechts-konservative Mitspieler ver- und ertragen kann. Die AfD ist nicht bürgerlich-konservativ, wie sie selbst behauptet. Sie deckt ein breites rechtes Spektrum ab, von dem bürgerlich-konservativ wohl nur der linke Rand ist. Ein Teil ihres Spektrums liegt außerhalb dessen, was als demokratisches Spektrum in Deutschland gelten kann.
Wie wenig die AfD im Übrigen auf demokratische Abläufe setzt, zeigt ihr Bemühen, im Vorfeld der Wahlen Wahlbeobachter zu rekrutieren. So verbreitete Frank Pasemann einen Aufruf des rechten Vereins "Ein Prozent für unser Land":


Während der Wahlen kam es laut Radio Dresden zu Störungen durch Wahlbeobachter. Wahlhelfer seien bedrängt und gestört worden, der Sicherheitsdienst musste eingreifen, um die Auszählung ordnungsgemäß zu ermöglichen. Am Tag nach der Wahl ruft "Ein Prozent" auf, Probleme, Hinweise und Fälle zu melden:


Es ist zu erwarten, dass "Ein Prozent" weiter am Eindruck arbeitet, die Demokratie in Deutschland sei gefährdet, Wahlen manipuliert und die Wahlergebnisse damit fragwürdig. Allerdings wagt sich derzeit niemand von der AfD aus der Deckung, um Wahlprobleme zu benennen - kein Wunder, bei den Ergebnissen.
Der Ablauf und der Ausgang der Wahlen in Brandenburg und Sachsen zeigen, dass und wie es der AfD gelingt, in demokratischen Wahlen undemokratisch zu agieren. Demokratie ist für die AfD lediglich Mittel zum Zweck. Sie will sich demokratisch legitimieren lassen, um eine teilweise undemokratische Agenda umzusetzen. Die AfD hat die stärksten Stimmengewinne erzielt. Da sie selbst nicht fest genug auf demokratischem Boden steht, kann sie den Titel der Wahlsiegerin jedoch nicht für sich beanspruchen.

Montag, 15. Juli 2019

Dekadenz aus Sicht der AfD

Wolfgang Schütz hat in der Augsburger Allgemeinen vom 13.7. einen gelungenen Kommentar veröffentlicht, warum Heterosexualität nicht normal sei. Er schrieb zu den Entwicklungen der letzten Jahre, die unter Anderem eine Abkehr von Homosexualität als Krankheit oder Straftat sowie die Ehe für alle brachten:
"Sind Masse und Heftigkeit der Intoleranz auch weniger geworden – entschiedene Ablehnung wird spätestens dann laut, wenn vermeintlich die Grenzen verwischt werden zu dem, was doch normal sei und als solches auch hervorgehoben bleiben müsse: die Beziehung zwischen Mann und Frau mit der Perspektive auf Vater, Mutter, Kind – 'Keimzelle der Gesellschaft', die traditionelle Familie."
Weiter schreibt er:
"Denn vor alle Erwägungen, was durch die kulturelle Prägung in unserem Alltag als Normalität erscheint, und vor allem vor alles Abwägen, was die Mehrheit in unserer Gesellschaft als Normalität empfindet, hat schon das Grundgesetz das höchste Prinzip gestellt: die Würde des Menschen. Und das meint gerade auch hier das Ideal: die Freiheit des Einzelnen in seinem Leben und Lieben – insofern er oder sie damit nicht die Würde eines anderen verletzt. Übersetzt heißt das: Nein, nicht Heterosexualität ist in dieser Gesellschaft normal – aber freilich auch nicht Homosexualität. Normal soll die Freiheit des Einzelnen, sollen die unterschiedlichen Lebensentwürfe und Liebesmodelle sein. Insofern also muss die Absage gegen eine verbreitete Stammtischparole deutlich ausfallen: Nein, es ist nicht genug mit der Gleichberechtigung, solange sich Homosexuelle nicht genauso 'normal' fühlen wie Heterosexuelle."
Richtig, normal ist nicht, was die Mehrheit so empfindet, sondern Normalität aus gesellschaftlicher Sicht ist ein viel höheres Gut. An diesen höchsten Maßstäben muss sich Politik orientieren. Diese höchsten Maßstäbe muss sich jeder Einzelne vergegenwärtigen.

Der Leserbrief von Wolfgang Kahl

Wolfgang Kahl hat den Artikel von Wolfgang Schütz zum Anlass genommen, einen Leserbrief zu schreiben:


Nach Wolfgang Kahl sei normal, "was über Jahrtausende in der Menschheitsgeschichte - von kirchlichen bzw. religiösen Institutionen getragen und manifestiert und nicht zu vergessen auch im Tierreich - Bestand hat". Was zähle, sei dass es "für den Fortbestand der Art unerlässlich war und ist". Er hält die "von der Natur erschaffene Form von Homo- und Transsexualität" für "nicht weniger normal". Für nicht normal hält er die "von Politikern und Medien vor allem linksgrüner Couleur" hochgespielte Zuspitzung, "wer heterosexuell ist, ist nicht normal bzw. sozusagen nicht 'in'". Er sieht "spätrömische Dekadenz" heraufziehen ob der "Agonie", mit der "dieses 'normale' Thema ständig 'beschworen' wird".
Interessant, dass Wolfgang Kahl kirchliche und religiöse Institutionen als das Normale definierende benennt. Denn Wolfgang Kahl ist 2. stellvertretender Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Augsburg Land. Die AfD behauptet an anderer Stelle, die Kirche stelle sich auf die Seite der Mächtigen:
"Der organisierte Protestantismus sei zum politischen Akteur verkommen und stelle sich bewusst auf die Seite der Mächtigen. Das zeige sich an deren Einsatz für die Klimarettung, am Umgang mit der AfD, an der Flüchtlingshilfe und an der Befürwortung der 'Homo-Ehe'."
Interessant, dass Wolfgang Kahl ein hochgespieltes Thema sieht. #Gendergaga sozusagen. Wo man doch sagen müsse, was nicht mehr gesagt werden dürfe, will er bei diesem Thema ein Rede-, wenn nicht gar ein Behandlungs- oder Bearbeitungsverbot erteilen.
Dabei übersieht er, dass Homo- und Transsexuelle eben noch nicht normal leben können. Sie sind Widerständen ausgesetzt, Ablehnung. Es ist für viele noch nicht normal, wenn zwei Männer oder zwei Frauen sich lieben und dies in der Öffentlichkeit zeigen. So viel ist noch nicht normal, dass wir als Gesellschaft weiter darüber sprechen müssen. Auch wenn die AfD das anders sieht.

Der Kreisverband der AfD wurde zur Stellungnahme zu diesem Beitrag aufgefordert.

Samstag, 13. Juli 2019

Orbans Ungarn, der Exoplanet

Wikipedia definiert einen Exoplaneten so:
"Ein Exoplanet, auch extrasolarer Planet, ist ein planetarer Himmelskörper außerhalb (griechisch ἔξω) des vorherrschenden gravitativen Einflusses der Sonne, aber innerhalb des gravitativen Einflusses eines anderen Sterns oder Braunen Zwergs."
Das Interview von Margit Hufnagel in der Augsburger Allgemeinen vom 13.07. mit dem ungarischen Außenminister Peter Szijjarto gibt die Referenz dazu:


Szijjarto zu Migration

Bereits zu Beginn des Interviews wird klar:
"Das einzige, was für uns wichtig ist, ist der Rückhalt der ungarischen Bevölkerung. […] Politik ist dafür da, den Bedürfnissen des Volkes gerecht zu werden. Und die Ungarn haben eine ganz klare Meinung: Illegale Migranten dürfen das Land nicht betreten."
Rückhalt ist wichtig, sofern er seinen Ausdruck in Wählerstimmen findet. Migranten sind der Sündenbock, den Orbán schießt, um dem Volk, den wahren Ungarn zu gefallen. Dabei setzt Ungarn auf ein einziges Pferd:
"Klar ist: Wir werden die EU künftig noch stärker dazu drängen, die Migration in die EU zu stoppen. Wir dürfen die Zuwanderung nicht länger managen, sondern müssen sie beenden."
Selbst auf Rückfrage, ob dies ernst gemeint sei, bekräftigt Szijjarto:
"Ja, wir wollen sie stoppen. Denn sie ist nicht nur ein Sicherheitsrisiko für unsere Länder, sondern auch ein Risiko für die europäische Kultur."
Ohne selbst zu bemerken, dass er sich mit einer solchen und in weiteren Passagen ausgedrückten Haltung bereits abseits der europäischen Kultur befindet. Es ist ohnehin unklar, ob er überhaupt in der Lage wäre, eine solche zu definieren. Denn das rechte Narrativ der europäischen Kultur, die verteidigt werden müsse, ist angesichts der Unterschiedlichkeiten innerhalb Europas eine Chimäre. Eine solche europäische und damit christliche Kultur will er jedoch nicht, wie er selbst beweist:
"Ja, natürlich müssen wir denen helfen, die in Not sind. Aber wir schaffen uns keine Probleme, wo eigentlich keine sind. Das heißt, die Hilfe muss dort stattfinden, wo die Menschen leben: in den christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten und im Osten."
Hilfe will er nur denen angedeihen lassen, die in christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten und im Osten leben. Keine Hilfe für Afrika, das liegt im Süden. Keine Hilfe sonstwo. Zu den Menschen, die aus Afrika kommen wollen, aber von Salvini nicht an Land gelassen werden, meint Szijjarto:
"Das ist eine sehr gute Entscheidung von Herrn Salvini. Er hat meinen vollen Respekt. Wir haben dafür gesorgt, dass die EU-Außengrenze mit einem Zaun geschützt wird. Herr Salvini tut sein Bestes, das Gleiche auf dem Meer zu tun. Und ausgerechnet dafür wird er angegriffen. Das ist doch heuchlerisch. Es darf den Booten der Hilfsorganisationen nicht erlaubt werden, einen europäischen Hafen anzufahren. Das sind Schlepper."
Die unsägliche Gleichsetzung von Hilfsorganisationen mit Schleppern wird wenig überraschend auch von Szijjarto geteilt. Ebenso wenig überrascht seine Verbundenheit mit Salvini, mit dem er sich Seit an Seit gegen Feinde kämpfen sieht. Dabei könne er sich auf das Volk stützen:
"In Ungarn haben die Menschen sehr deutlich gemacht: Wir wollen bei der Verteilung von Flüchtlingen nicht mitmachen. Und das werden wir auch nicht. Verpflichtende Quoten für die Aufnahme von Migranten sind für uns nicht hinnehmbar, das werden wir niemals akzeptieren."
Selbst auf den Hinweis von Margit Hufnagel hin, dass damit die Anlandeländer wie Griechenland im Stich gelassen werden, beharrt Szijjarto auf seiner nationalistischen Position:
"Es ist das Recht unseres Landes, dass wir selbst entscheiden, wen wir in unser Land lassen und wen nicht, mit wem wir zusammenleben möchten und mit wem nicht."
Und bestärkt auf die Frage, ob er mit einer solchen Haltung überhaupt noch europäische Werte teile:
"Noch einmal: Wir sehen es als unsere Pflicht, die Sicherheit unserer Bevölkerung zu garantieren."
Dabei hätte er die Frage einfach beantworten können: Nein! Nein! Nein! Das wäre ehrlich. Doch damit hat es Szijjarto nicht. Er bringt zudem Sicherheit der Bevölkerung als den europäischen Wert. Einen klareren Beweis der Engführung rechter Politik und damit der Unehrlichkeit gegenüber den existenten Problemen hätte Szijjarto nicht geben können. Um sich selbst vor einem Vorwurf, er sei rechts, ins Konservative retten zu können, führt er aus:
"Wenn Sie sich den Ausgang der Europawahl anschauen, dann sehen Sie: Viele Parteien, die Zuspruch vom Wähler erfahren, befürworten eine strikte Flüchtlingspolitik: Fidesz hat in Ungarn 53 Prozent der Stimmen erhalten, die polnische 'Recht und Gerechtigkeit' (PiS) 45 Prozent, die Österreichische Volkspartei 34 Prozent und die Lega in Italien kam auf 34 Prozent. Das sollte die EU berücksichtigen. Und übrigens sollte da auch der Europäischen Volkspartei (EVP) zu denken geben. Die hat sich meiner Meinung nach zu weit nach links bewegt."
Vier Beispiele sind seiner Meinung nach ausreichend, um die EU zu verändern. Dass er dabei die ÖVP vereinnahmt und sie, nicht die FPÖ, auf eine Linie stellt mit Salvinis Lega, ist mindestens grenzwertig, wenn nicht eine Unverschämtheit - selbst wenn sich die ÖVP unter Sebastian Kurz gewandelt hat und Verteilungsquoten ebenfalls ablehnt.

Szijjarto zu Wirtschaft

Szijjartos Weisheiten reichen über die Flüchtlings-, Migrations- und Asylthematik hinaus. Für ihn ist Ungarn der Quell von Wohlstand:
"Die zentraleuropäischen Länder werden mehr und mehr zum Kraftzentrum der EU. Das hat schon alleine ökonomische Gründe: Ungarn überflügelt den europäischen Durchschnitt, was das Wirtschaftswachstum angeht. Uns ist es gelungen, den Strukturwandel so zu gestalten, dass er unsere Wirtschaft angekurbelt hat. Das macht uns stark. Im vergangenen Jahr war das Handelsvolumen zwischen Deutschland und den vier Visegrad-Ländern 74 Prozent höher als das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Frankreich. Wir tragen zum Erfolg Europas bei. Das zeigt doch deutlich, dass sich die Achsen verschieben."
Dabei übersieht er, worüber beispielsweise Heise berichtet hat:
"Interessant ist nicht nur, dass Ungarn ebenso wie andere europäische Länder Auswanderungsland ist, also darauf angewiesen ist, dass andere Länder ihre Grenzen nicht verschließen. Gleichzeitig findet dadurch eine Abwanderung von Menschen mit hoher Bildung, aber auch von nicht gut ausgebildeten Niedriglöhnern statt, die anderswo hoffen, besser verdienen, mehr erreichen oder überhaupt angenehmer leben zu können. Über 5 Prozent der Ungarn im arbeitsfähigen Alter leben im EU-Ausland."
Wobei die Auswanderer nicht Migranten genannt werden dürften, weil sie ja keine illegalen Migranten seien und als Arbeitskräfte in anderen europäischen Ländern zum Erfolg beitrügen.
"Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit ist auf 3,6 Prozent gesunken. Die ausgewanderten Arbeitsmigranten wollen aber (noch) nicht zurück, gleichzeitig vergreist auch Ungarn, es gibt weniger Kinder und mehr alte Menschen. Ungarn hat wie Polen eine der niedrigsten Fertilitätsraten. Die EU-Kommission warnte letztes Jahr, dass das Wirtschaftswachstum bei geringer Produktivität zwar zu höheren Löhnen, aber auch zu einem Fachkräftemangel führe, andererseits könnten höhere Löhne auch die Abwanderung reduzieren, aber wiederum den Wirtschaftsstandort gefährden.
Die ungarische Regierung versuchte, die Fertilität durch staatliche Maßnahmen anzuheben, was aber nicht gefruchtet hat. Um den Brain Drain einzudämmen, wurde versucht, Studierende nicht aus dem Land zu lassen, die gehen nun schon zum Studienbeginn ins Ausland, wenn sie können. Schließlich wurde versucht, durch vereinfachte Visa- und Passvergaben Angehörige der ungarischen Minderheiten aus den Nachbarländern anzulocken. Aber auch das brachte nicht viel."
Wirtschaftswachstum, Arbeitslosenquote, Exporterfolge sprächen für den Erfolg Ungarns. Das ist so kurzsichtig wie sich angesichts des Klimawandels über den sonnigen Sommer zu freuen. Ungarn hat ein Problem, das sich in den kommenden Jahren verschärfen wird. Junge gut ausgebildete oder Junge mit dem Potential für gute Ausbildung verlassen das Land: Brain Drain. Das beschleunigt Orbán noch mit der Vertreibung der Central European University, die von George Soros gegründet wurde.

Exoplanet Ungarn

Eingangs habe ich die Definition eines Exoplaneten dargestellt. Er müsse sich außerhalb des Einflusses einer Sonne und innerhalb des Einflusses eines braunen Zwerges aufhalten. Nach dem Interview mit Szijjarto wird klar, dass Ungarn ein solcher Exoplanet ist:
  • außerhalb des Einflusses europäischer Werte, wie sich an den menschenfeindlichen und nationalistischen Äußerungen zeigt,
  • aber innerhalb des Einflusses eines braunen Zwergs - in diesem Fall Orbán - der Kleptokratie und Rechtslastigkeit als politisches Mittel ansieht, und sich damit wiederum außerhalb europäischer Werte stellt.
Das Ungarn von Orbán ist damit ein Perpetuum-Mobile-Exoplanet. 

Respekt für Margit Hufnagel, dieses Interview mit Szijjarto ausgehalten zu haben.

Mittwoch, 19. Juni 2019

Maut als Wahlkampffinanzierung

Bernhard Junginger hat in einem Leitartikel der Ausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 19.06. das Urteil kommentiert:


Bernhard Junginger schreibt, das Aus der Maut sei "ein Debakel für die CSU". Das ist untertrieben, denn:
"Wenn eine geplante Gebühr schon 'Ausländermaut' genannt wird, dann ist es gut, wenn sie gar nicht erst zustande kommt. Allein der Name verrät, welches Denken dahintersteckt: Wir müssen 'bei denen' zahlen, drum sollen 'die' gefälligst auch bei uns den Geldbeutel aufmachen. Mit dem Ideal eines vereinten, solidarischen Europas hat diese Parole herzlich wenig zu tun."

Die Blamage 

Dieses Die-und-Denen-Denken wurde geboren, als die CSU ihr Heil als #AFDkopie suchte und von dem sie erst zur letzten Landtagswahl abzurücken begann. Kraftmeierei als Fassade für die absolute Unfähigkeit, den rechten Populisten mit Geist zu begegnen. Deshalb hat Bernhard Junginger recht:
"So ist das Nein des Europäischen Gerichtshofs zu den deutschen Plänen eine ebenso schallende wie verdiente Ohrfeige für Horst Seehofer und die CSU. In seltener Deutlichkeit zeigt das Maut-Debakel, wie wenig am Ende oft bei politischer Kraftmeierei herauskommt. Ohne Maut kein Koalitionsvertrag, drohte Seehofer Kanzlerin Merkel 2013. Bei der markigen Forderung aus der christsozialen Mottenkiste ging es Seehofer weniger um die erwarteten, eher überschaubaren Einnahmen. Sondern vielmehr darum, aus einer populären Stimmung politisches Kapital zu schlagen."
Die Welt berichtet, die Maut sei als Murks umgesetzt worden:
"Zwischen den Zeilen lässt sich aus dem Urteil herauslesen, dass der EuGH Deutschland vorwirft, sich mit einem vorgeschobenen Argument durchzuschummeln."
Doch offenbar war nicht nur die Konstruktion der Maut mangelhaft, sondern auch das Auftreten Deutschlands vor dem EuGH:
"Denn die dafür als Nachweis nötigen Fakten – etwa dazu, in welchem Umfang Steuern überhaupt zum Straßenbau beitragen – habe Berlin nicht geliefert. Die Regierung habe auch 'in keiner Weise dargetan', dass der Ausgleich für deutsche Fahrer angemessen und nicht etwa womöglich gar zu hoch angesetzt sei. Und sollte die festgestellte Diskriminierung von ausländischen Fahrern beispielsweise durch Umwelterwägungen gerechtfertigt werden können, habe Deutschland es ebenfalls versäumt, das nachzuweisen.
Einen weiteren Beweis dafür, mit vorgeschobenen Argumenten zu agieren, fanden die Richter in den Kurzzeitvignetten für Ausländer. Die CSU hatte geplant, Fahrern ohne deutsches Kennzeichen die Möglichkeit zu geben, eine Durchfahrerlaubnis für zehn Tage oder wahlweise zwei Monate anzubieten. Die Kosten wären abhängig gewesen von der Motorleistung. Dass Deutsche hingegen stets eine Jahresgebühr hätten berappen sollen, selbst wenn sie ihr Auto nur ein Mal im Jahr für zehn Kilometer benutzen, fand der EuGH nicht nachvollziehbar. Hier zeige sich doch, so die Richter, dass der Übergang zum 'Benutzer- und Verursacherprinzip' in Wahrheit nur Ausländer betreffe. 'Für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen gilt weiterhin das Steuerfinanzierungsprinzip.'"
Schlecht konzipiert und dann schlecht argumentiert. Dobrindt und Scheuer als gegenseitige Fortsetzung politischen Unvermögens.

Die Feigheit

Dabei hätte der von Deutschland angeführte Übergang - weg von Steuerfinanzierung hin zu Verursacherprinzip - bewiesen werden können, hätte Alexander Dobrindt den Mut gezeigt, den ich vor fast exakt vier Jahren am 20. Juni 2015 von ihm forderte:
"Wären Sie, Herr Dobrindt, wirklich so mutig, wie Sie klingen, dann würden Sie die Unabhängigkeit der beiden Komponenten beweisen und von Ihrer nationalen Hoheit Gebrauch machen. Führen Sie die Steuerreduktion ein. Jetzt. Beweisen Sie damit der EU, dass die Infrastrukturabgabe alle belastet. Bleiben Sie Sieger."
Dobrindt war feige. Sein Nachfolger Andreas Scheuer war weiterhin feige. Die Quittung für Dilettantismus und Mutlosigkeit wurde nun serviert.
Die CSU muss sich hüten, nun auf trotziges Kindergartenkind umzuschalten. Bernhard Junginger empfiehlt richtig:
"Nach dem deutlichen Signal aus Luxemburg sollte die Bundesregierung tunlichst die Finger von weiteren nationalen Alleingängen in Sachen Maut lassen. Und sich stattdessen dafür einsetzen, dass die Gebühren-Kleinstaaterei auf Europas Straßen möglichst bald durch ein gerechtes und einheitliches europäisches System abgelöst wird."

Die Wahlkampffinanzierung

Zur Erinnerung über die damaligen Vorkommnisse sei ein Bericht im Tagesspiegel zitiert:
"Ganz in trockenen Tüchern ist sie noch nicht, die Infrastrukturabgabe. So lautet der offizielle Titel für die Pkw-Maut – einst als 'Ausländer-Maut' von der CSU im Wahlkampf propagiert und von den Christsozialen dann auch 2013 in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Gegen den ursprünglichen Willen der Kanzlerin (mit ihr werde es keine Maut geben, hatte Angela Merkel damals im Wahlkampf gesagt) und begleitet vom mlatenten Unmut der SPD. Es ist, nach dem Scheitern des Betreuungsgeldes, das einzige größere Projekt der CSU."
Trotz dieser Wahlkampfkracher brachte es die CSU nicht weit, wie Heise berichtet hatte:
"Der größte Verlierer der gestrigen Bundestagswahl ist die CSU. Ihr Ergebnis sank um über zehn Punkte von 49,3 auf 38,8 Prozent. So schlecht schnitt die Partei seit 1949 bei keiner Bundestagswahl ab. Die letzten Umfragen hatten die Christsozialen lediglich einen Verlust von zwei bis drei Punkten erwarten lassen."
Und in einem aktuellen Artikel der Augsburger Allgemeinen heißt es:
"Die Grünen schätzen, dass auf den Bund nun Kosten von über zwei Milliarden Euro zukommen, weil Verträge geschlossen und bereits Vorleistungen erbracht worden sind. 'Mit dem Urteil hat die CSU Steuergelder im Milliardenbereich in den Sand gesetzt', sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer."
Zusammengefasst:

  • Die CSU erfindet die Ausländermaut, um einen populistischen Wahlkampf zu führen
  • Der populistische Wahlkampf führt zum schlechtesten Ergebnis seit 1949 für die CSU
  • Für diesen Wahlkampf zahlt der bundesdeutsche Steuerzahler noch heute 
  • Es werden für den Bund Kosten von über zwei Milliarden Euro erwartet
Aus meiner Sicht ist das der teuerste Wahlkampf, der je in Deutschland geführt wurde. Dabei hat die CSU ihren Wahlkampf nicht selbst oder aus Spenden bezahlt, sondern nimmt ganz Deutschland in Haftung. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1992 entschieden, dass die Erstattung von Wahlkampfkosten zulässig, aber an die Einnahmen der Parteien gekoppelt ist. Mit den im Zusammenhang der Maut kolportierten Beträgen ist diese Grenze weit überschritten. Ob die Vorgänge parteirechtlich zulässig sind, vermag ich nicht zu beurteilen. Dass Alexander Dobrindt, Andreas Scheuer und Horst Seehofer jeglichen Kredit verspielt haben, hingegen schon. Sie sollten alle politischen Ämter aufgeben.

Dienstag, 18. Juni 2019

Gauck im Interview

Michael Stifter hat in der Augsburger Allgemeinen vom 18.6. einen Beitrag geliefert zur Debatte, die das Interview mit Joachim Gauck im Spiegel ausgelöst hatte:


Die Überschrift drückt bereits aus, welche Vorwürfe gegen Gauck erhoben wurden. Und das, wo er doch lediglich "für 'erweiterte Toleranz in Richtung rechts'" wirbt. Michael Stifter bringt ein plakatives Beispiel der Reaktionen:
"'Ey Gauck, mit Nazis regiert man nicht.' Besser als mit diesem kurzen Satz kann man kaum beschreiben, wie es um die Debattenkultur in unserem Land bestellt ist. Geschrieben hat ihn nicht irgendein anonymer Internet-Troll, sondern Tiemo Wölken, Europa-Abgeordneter der SPD."
Zur von Gauck geforderten erweiterten Toleranz schreibt er weiter:
"Das tut er tatsächlich und darüber kann, darüber muss man streiten."
Und er nähert sich der Debatte mit der Frage, was Gauck tatsächlich gemeint habe:
"'Wir müssen zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch oder rechtsradikal unterscheiden', stellt der 79-Jährige klar. Das kann nun nur missverstehen, wer es missverstehen will. Und genau da liegt das Problem. Es gibt heute in allen Lagern zu viele Leute, die nur darauf lauern, Zitate des politischen Gegners für ihre Zwecke zu missbrauchen."
Ein guter Zugang. Letztendlich dreht sich die Debatte um die Frage, was unter dem von Gauck verwendeten Begriff der Toleranz zu verstehen sei. Der im Beitrag zitierte Satz, "'Toleranz enthält das Gebot zur Intoleranz gegenüber Intoleranten'" ist nicht nur schwurbelig. Er fällt zudem in den Erzählbereich der AfD, die gern davor warnt, der Tolerante (im Sinne Gutmensch) werde gegen den Intoleranten (im Sinne Islamisierer) letztendlich unterliegen.
Der verkrampfte Umgang mit den Verlautbarungen und dem Gebaren der AfD, die "Hilflosigkeit der etablierten Parteien im Umgang mit der AfD" ist nicht nur "das Ergebnis der eingangs erwähnten kaputten Diskussionskultur". Es ist umgekehrt: Weil die etablierten Parteien kein Mittel finden, den flachen Lösungen, dem populistischen Auftreten, dem schlagkräftigen Auftritten in sozialen Medien, den behaupteten Zusammenhängen, Verschwörungen etc. der AfD etwas wirksames entgegen zu setzen, entstand eine Debattenunkultur, in der sich Nazis mit linksgrünversifften Gutmenschen um die Deutungshoheit keilen und dabei lediglich einen Keil zwischen sich treiben.
Manche Punkte, die der AfD zu Gute kommen und die sie selbst anspricht, sind tatsächliche Probleme bzw. ungelöste oder nicht gut gelöste politische Aufgaben. Die AfD spricht sie an und verbindet das mit einem Hinweis auf die systematische Unfähigkeit oder Unwilligkeit der etablierten Parteien. Letzteres ist Quatsch. Das macht aber den Hinweis auf bestimmte Probleme nicht ebenfalls zum Quatsch. Die AfD braucht diese Verbindung, um ihrer Geschichte treu bleiben zu können, sie sei die einzige Alternative aus dem Gestrüpp arrivierter Politik. Der erwartbare Aufschrei der Etablierten öffnet der AfD die Tür zu einer weiteren Geschichte: dass man nicht mehr sagen dürfe, was doch gesagt werden müsse.
Michael Stifter dazu:
"Wenn der Altbundespräsident sagt, man müsse 'darüber sprechen können, dass Zuwanderung in diesem Maße nicht nur Bereicherung ist', stimmt das ja. Aber er unterstellt damit eben in AfD-Manier, dass man das bislang nicht darf. Und das ist Unsinn. Politiker aller Parteien haben es schließlich in den Wahlkämpfen der vergangenen Jahre getan."
Und wieder der AfD auf den Leim gegangen. Hätte Gauck doch bloß gesagt, man müsse darüber sprechen oder man solle darüber sprechen. Michael Stifter weiter:
"Und doch macht Gauck einen entscheidenden Fehler, indem er teilweise die Märtyrer-Erzählung der Rechtspopulisten übernimmt. Wenn er beispielsweise appelliert, 'nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten und aus dem demokratischen Spiel herauszudrängen', dann stimmt das natürlich. Aber einige AfD-Leute sind eben nicht 'schwer konservativ', sondern rechtsradikal. Wenn Abgeordnete Hitler-Bilder herumschicken oder den Holocaust verharmlosen, ist dann halt Schluss mit Toleranz."
Die Bandbreite der AfD-Wähler oder -Versteher ist vermutlich so breit wie die anderer Parteien auch. Sie deshalb alle als Nazis zu bezeichnen, deshalb schlichtweg falsch. Und ebenso falsch ist es - wie die AfD es tut - alle als Nicht-Nazis zu bezeichnen. Die Ich-Erzählung der AfD beschreibt die Partei als konservativ, patriotisch, national. Die Grenzen zu einem ins Rechtsextreme reichenden Verständnis von konservativ, patriotisch, national sind nicht klar zu ziehen. Immerhin haben auch andere Parteien inzwischen Heimat als Politikfeld entdeckt - und sind damit der AfD und ihrer Themensetzung hinterher gelaufen.
"Toleranz in Richtung rechts" kann nur heißen:

  • anerkennen, dass es solche rechten Ansichten gibt
  • anerkennen, dass teilweise aggressive Äußerungen der Rechten vorkommen
  • anerkennen, dass rechte Politikvorschlägen nur demokratisch begegnet werden kann

Was jedoch aus Toleranz gegenüber Rechten nicht passieren darf:

  • rechte Äußerungen unwidersprochen stehen lassen
  • rechte Lösungsvorschläge für zielführend zu halten, selbst wenn man der Problemdarstellung noch folgt
  • die Erwartung, sachliche Gespräche mit Rechten würden diese zum Umdenken bewegen 
Fehlgeleitete Intoleranz gegenüber Rechten ist es, wenn dadurch die Märtyrer-Erzählung der Rechten neue Nahrung erhält. Wird ein Bewerber um den Bundestagsvizeposten nicht gewählt, weil er von den Rechten ist, bedient das die Erzählung. Wird er nicht gewählt, weil er selbst in seinen Ansichten und Handlungen so rechts ist, dass das mit dem Wesen und Geist der Parlaments nicht verträglich ist, muss sich die AfD das gefallen lassen - auch wenn sie sich daraufhin als Märtyrer stilisiert. Oder wenn parlamentarische Anträge der AfD abgelehnt, inhaltlich gleiche anderer Parteien anschließend angenommen werden.
Man darf in Deutschland über alles reden. Über den Quatsch rechter Politiker und über missverständliche Aussagen ehemaliger Präsidenten. Das sollte in unserer demokratischen DNA sein und kein Akt der Toleranz.

Freitag, 5. April 2019

Harder-Kühnel als Demokratieübung

Stefan Lange hat in der Augsburger Allgemeinen vom 5.4. einen Kommentar veröffentlicht, nachdem Mariana Harder-Kühnel von der AfD im dritten Wahlgang zu einem Posten als Bundestagsvizepräsidentin erneut gescheitert war:


Stefan Lange schreibt:
"Harder-Kühnel bekam 199 Ja- und satte 423 Nein-Stimmen, viele Abgeordnete rieben sich anschließend erfreut die Hände. [...] Viele Abgeordnete begründen ihre ablehnende Haltung damit, eine Kandidatin der AfD tauge nicht als Repräsentantin eines demokratischen Rechtsstaates."
Doch trägt dieses Argument? Stefan Lange weiter:
"Nachvollziehbar ist diese Denke nicht. Man muss die AfD nicht mögen. Aber die vom Bundestag selbst aufgestellten Regeln sehen nun einmal vor, dass jede Fraktion im Präsidium des Bundestages mit einem Vizeposten vertreten ist. Der AfD kann das nicht verweigert werden."
So einfach, so richtig. Dazu bedarf es noch nicht einmal des Hinweises, die AfD sei "vom Volk demokratisch gewählt", mithin "legitimiert". Wie sollte sie sonst in das Parlament gekommen sein? Auch der Hinweis, die AfD sei "die größte Oppositionspartei im Bundestag" ist entbehrlich, weil das einzige Kriterium für den Vizeposten die Fraktionseigenschaft ist - auf deren Größe kommt es nicht an, auch wenn § 10 BTGO eine Mindestgröße für Fraktionen "von mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages" vorsieht. Und die Rechtslage ist eindeutig in § 2 (1) BTGO beschrieben:
"Jede Fraktion des Deutschen Bundestages ist durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten."
Man muss die AfD nicht mögen. Man muss ihre "Politik" nicht mögen. Man kann ihre "Lösungen" für untauglich halten. Der Platz, ihr das zu sagen, ist das Parlament.
Jacques Schuster schreibt in Der Welt:
"Schlimmer noch: Die 423 Abgeordneten, die gegen die AfD-Kandidatin Mariana Harder-Kühnel gestimmt haben, verhalten sich genau so, wie sie es den Rechtspopulisten seit ihrem Aufkommen vorwerfen: Sie grenzen aus. Nicht im Namen des Volkes, wie es die AfD tut, im Namen der Moral schließen sie einen Teil der Abgeordneten und damit auch die Bürger aus, die sie gewählt haben. Dabei halten sie sich noch für besonders vorbildliche Demokraten."
Es ist natürlich übertrieben, 423 Abgeordneten zu unterstellen, sie grenzten "im Namen der Moral" aus. Jacques Schuster kennt die Motivlage der Abgeordneten nicht.
Dennoch ist der Eindruck, den die "besonders vorbildliche[n] Demokraten" hinterlassen, fragwürdig. Der AfD wird zu Recht vorgeworfen, sie spiele mit Emotionen der Wähler. Wiederholt wird gefordert, die Politik müsse zurück zur Sachlichkeit finden. Vernunft müsse einkehren. Jede Partei hält sich und ihre politischen Vorschläge für vernünftig. Dass dann im Kern der Demokratie - dem Parlament - derart unvernünftig, derart emotional abgestimmt wird, sägt an dem Ast, auf dem sich die Parlamentarier selbst sitzen sehen.
Die AfD hat nun angedroht, zu jeder sich bietenden Gelegenheit erneut Kandidaten zur Wahl zu bringen. Kopf durch die Wand. Das wird der Wand nichts anhaben, doch der Lack geht ab. Denn es ist zu erwarten, dass diese Wahlen nicht anders ausgehen werden wie die bisherigen.
Die anderen Fraktionen im Bundestag müssen sich fragen lassen, welche Eigenschaften ein Kandidat mitbringen muss, um gewählt zu werden. Ich bin mir sicher, es gibt keine vernünftigen Antworten.
Jacques Schuster schreibt:
"In dieser Legislaturperiode geht es dank der AfD lebhafter und damit auch demokratischer zu. Sieht man von diesem Tag ab."
Er hält die Nicht-Wahl von Harder-Kühnel für nicht demokratisch. Das ist falsch. Demokratie heißt ja nicht, eine bestimmte Option wählen zu müssen. Demokratisch legitimiert ist kein Kriterium für sinnvolle Ergebnisse, es beschreibt bestenfalls den Vorgang, wie die Ergebnisse erzeugt wurden. Die Nicht-Wahl von Harder-Kühnel ist wie die Abstimmungen im Britischen Parlament zum Brexit: Nein aus Prinzip, egal zu welchem Vorschlag. So, liebe Parlamentarier, geht Politik nicht. Deshalb nochmals die Frage an die anderen Fraktionen: Welches Schweinderl hätten's denn gern?

Mittwoch, 6. März 2019

Orbán und die EU

Gregor Peter Schmitz hat in der Augsburger Allgemeinen vom 6.3. einen Kommentar veröffentlicht zu den Aktivitäten von Viktor Orbán und den zu ziehenden Schlussfolgerungen:


Gergor Peter Schmitz bezeichnet treffend Orbán aus Sicht der CDU/CSU als "einen peinlichen Verwandten", der "mitunter gar als Vorzeigewerwandter" "zu Familienfeiern" eingeladen war. Wobei: der Anlass, nämlich als Kronzeuge für Merkels Flüchtlingspolitik aufzutreten, weder als Familienfeier noch als Vorzeigeereignis herhalten kann. Das war eine Einladung an einen bekannten Party Crashers für eine Party, bei der sich die einladende CSU nicht crash-stark genug gefühlt hatte.
Doch über das Partyniveau ist Orbán längst hinaus, er ist "mehr als peinlich, er ist gefährlich". Gregor Peter Schmitz sieht die Gefährlichkeit, weil Orbán "vielleicht kein Antisemit ist, aber Worte der Antisemiten für seine (Macht-)Zwecke nutzt". Als Beispiele führt er "Spekulanten" und "Weltbürgertum" ins Feld, "den ewigen Juden, beispielhaft verkörpert durch Investor George Soros."
Wie sehr sich Viktor Orbán an George Soros abarbeitet, zeigt auch ein Interview in der Sendung "Guten Morgen Ungarn" von Radio Kossuth vom Januar 2019:
"Obwohl es am besten ist, wenn das Land nicht attackiert wird, und ich keine solchen Besuche im Europäischen Parlament absolvieren muss, doch jetzt steht eine Debatte bevor, die ein Wahlkampfevent sein wird. Wenn es also keinen Sinn hat, zu debattieren, dann muss man nicht debattieren, wenn es bei einer Diskussion um nichts geht, dann ist es vielleicht besser, an dieser lieber nicht teilzunehmen. Das jetzt wird so eine George Sorossche Seance, so eine Wahlversammlung, auf der die die Einwanderung unterstützenden Abgeordneten der Europäischen Union zu einem kleinen Autodafé zusammenkommen, um dort das ihnen missfallende Land – das ist jetzt gerade Ungarn – dann gründlich zu verurteilen, ihr Urteil aus der Sicht der Sorosschen offenen Gesellschaft formulierend."
"George Soros verfügt über eine sehr starke Vertretung im Europäischen Parlament. Am meisten spricht jene Tatsache für sich selbst, dass die Linke, die die Hauptkraft der Anhänger im Europäischen Parlament und auch in der Kommission darstellt, also diese Linke hat als Spitzenkandidaten für die europäischen Wahlen einen Holländer namens Timmermans, der ein Mann von George Soros ist – hierbei lohnt es sich nicht, dies in Abrede zu stellen. Die Linke hat also beschlossen, an die Spitze der Europäischen Kommission, die vielleicht das wichtigste Organ der Europäischen Union ist, diesen Menschen setzen zu wollen. Es ist offensichtlich, dass George Soros – jetzt bereits offen – die europäischen Institutionen besetzen möchte. Auch bisher hat er schon einen riesigen Einfluss gehabt, mehrere hundert Abgeordnete unter den europäischen Abgeordneten stehen auf seiner Liste, auch mehrere Kommissare, die in der Europäischen Kommission sitzen, sind eindeutig seine Leute. Doch indem Herr Timmermans der Spitzenkandidat der Linken, der Präsidentschaftskandidat für die Kommission geworden ist, der eindeutig ein Mann von George Soros ist, was – wie soll ich es ausdrücken? – eine derart allgemein bekannte Tatsache darstellt, die keiner Beweisführung bedarf, höchstens wieder und immer wieder in Erinnerung gerufen werden sollte, bedeutet dies, dass George Soros seinen Anspruch auf die offene Besetzung und Beherrschung der europäischen Institutionen angemeldet hat."
Soros wird als der große Strippenzieher im Hintergrund präsentiert, der "die europäischen Institutionen besetzten möchte". Auch wenn die Religion von Soros im Interview keine Rolle spielt, spielt Orbán auf der Klaviatur des permanent mitschwingenden Antisemitismus. Orbán selbst kann sich als Verfechter der wahren Ungarn, als Kämpfer gegen eine internationale Verschwörung präsentieren.
Die aktuelle Frage, ob ein Ausschluss der Partei Fidesz aus der konservativen EVP im Europaparlament Orbán treffen würde, untersucht ein Hintergrundbericht von Detlef Drewes und Michael Stifter in der AZ:


Ein Rauswurf sei mit einem "Bedeutungsverlust verbunden, den sich der 'Selbstdarsteller' kaum leisten will". Fraglich, wie stark der Verlust wäre:
"Auf der anderen Seite stehen die Orbán-Anhänger, die dem ungarischen Premier dankbar für seine harte Flüchtlingspolitik sind, in deren Folge die Balkan-Route geschlossen wurde."
Mag sein, dass die derzeitige Diskussion vor dem Hintergrund der anstehenden Europawahl "plumpes Kalkül" ist. Dennoch stellt sie sich. Aus europäischer Sicht sollte die Frage nutzenorientiert angegangen werden:

  • Welchen Eindruck wird den Rauswurf auf Orbán machen?
    Keinen, vermute ich, im Gegenteil, er wird sich bestätigt fühlen als derjenige, der eine Verschwörung bekämpft.
  • Welche Nutzen hat die EVP?
    Moralisch sicher den, einem fragwürdigen Familienmitglied entsagt zu haben. Aber auch in der eigenen Bedeutung geschrumpft zu sein, weil die Fraktion weniger Mitglieder haben wird.
  • Welchen Schaden hat die Fidesz?
    Wird sie bedeutungslos oder wird sie von einer (neu)formierten rechten Fraktion mit offenen Armen empfangen? Da die Rechte bereits von einem Erstarken träumt, sollte mit einer vereinigten Rechten gerechnet und ihr nicht potentielle Mitglieder zugeschanzt werden.
  • Welchen Nutzen hat das Parlament und haben die europäischen Anliegen?
    Bisher sind die Abgeordneten der Fidesz nicht durch explizit negatives Abstimmungsverhalten im Parlament aufgefallen. Solange sie nicht dezidiert gegen die EVP stimmen, würde ein Rauswurf auch die europäische Kraft der EVP schwächen.
Günstig wäre es, einen Weg zu finden, die Kraft der europafreundlichen EVP zu erhalten und dennoch Viktor Orbán Grenzen aufzuzeigen. In den 1980er Jahren gab es mit Kurt Waldheim einen Bundespräsidenten Österreichs, der der Beteiligung an NS Verbrechen verdächtig war. Damals waren Maßnahmen sehr zielgerichtet auf seine Person. So sollten wir es auch mit Orbán halten.

Montag, 18. Februar 2019

Trump, der Sandkastendealer

Karl Doemens hat in der Augsburger Allgemeinen vom 18.2. einen Leitartikel veröffentlicht zum Vorgehen von US-Präsident Trump, der die Mauer zu Mexiko finanzieren will:


Im Wahlkampf versprach Trump er werde eine Mauer bauen, um illegale Grenzübertritte, Waffen- und Drogenschmuggel zu beenden. Was damals wie heute niemanden interessierte, waren die Fakten:
"Die Zahl der erfassten illegalen Grenzübertritte ist seit der Jahrtausendwende im Gegenteil um 75 Prozent auf rund 400.000 gesunken. Und von einem Anstieg der Kriminalität in der Grenzregion ist nichts zu spüren. Ja, es kommen Waffen und Drogen in die USA. Aber sie werden nach den Angaben von Trumps eigenen Experten ganz überwiegend über die offiziellen Grenzstationen eingeschmuggelt."
Was hingegen interessierte, war die Mauer an sich:
"Erst sollte Mexiko zahlen. Dann der amerikanische Kongress. Eine 'wunderschöne massive Mauer' von 1000 Meilen werde er bauen und damit illegale Zuwanderung, Drogenhandel und Kriminalität stoppen, fabulierte Donald Trump im Wahlkampf. 'Build the wall', ließ er seine Anhänger skandieren, bis er den Slogan kürzlich in 'Finish the wall!' steigerte: Mach die Mauer fertig!"
Was Trump tatsächlich erreicht hat, war wenig. Nach dem längsten Shutdown der US-Geschichte, vielmehr dem bisher längsten Erpressungsversuch eines US-Präsidenten gegenüber dem Parlament, nur das:
"Und auch Republikaner und Demokraten im US-Kongress halten die Tasche zu. Gerade einmal 1,375 Milliarden Dollar für 55 Meilen Zaun, nicht Mauer, haben sie nun bewilligt."
Willfährige Adlaten kramen andere mögliche Geldquellen hervor, wie z.B. Ted Cruz, worüber die FAZ berichtet hat:
"Was diese anderen Quellen sein könnten, verdeutlichte nun der republikanische Senator Ted Cruz. In einem Video, reich an Gesten und Animationen, wirbt er dafür, das Vermögen des Drogenbosses 'El Chapo' und anderen mexikanischen Kriminellen für den Bau der Grenzmauer zu verwenden."
Doch das reicht dem Präsidenten nicht.
"Also wirft der Präsident nun wütend den ganzen Spieltisch um. Wenn er auf verfassungsmäßigem Weg nicht an sein Geld kommen kann, dann holt er es sich nach der Art eines Autokraten"
Trump ruft den Notstand aus. Eine glatte Lüge, denn wenn die Lage wirklich so dramatisch wäre, müsste er anders handeln:
"Und würden die Amerikaner durch Horden von Invasoren bedroht, müsste die Grenze sofort durch Truppen und Stacheldraht gesichert werden. Der Bau einer massiven Mauer aus Stahl und Beton aber wird viele Jahre dauern."
Trump bleibt sich treu. Alles für den Dackel, alles für den Hund. Der Dackelhund sind seine Kernwähler, die Trumps Fabeln über Zusammenhänge und Fakten glauben:
"Doch in seiner faktenfreien Demagogie dürfte Trump diese Entwicklungen zu seinen Gunsten umzudeuten versuchen. Je schlimmer die Lage, je größer die Widerstände, je stärker die Polarisierung, desto besser kann sich der Narzisst mit seinen autokratischen Neigungen als unerschrockener Kämpfer in Szene setzen."
Erster Widerstand zeigt sich in den ersten Klagen. Anwohner der Grenzregion setzen sich zur Wehr, um den Wertverlust ihrer Grundstücke zu verhindern, wenn diese durch einen Zaun oder eine Mauer im Niemandsland liegen. Das ist der Rechtsweg, um den sich Trump nicht schert, weshalb er den (persönlichen) Notstand ausruft.
Die Notstandsgesetzgebung wurde im Jahr 1976 eingeführt, um dem Präsidenten ein schnelles Handeln in Notfällen zu ermöglichen und so die Krise, den Notstand rasch beenden zu können. Die Liste bisheriger Notstände ist lang. Doch kein bisheriger Notstand bediente derart schamlos den Egoismus eines Narziss.
Trump ist es nicht gelungen, einen Deal zu machen. Seit er im Amt ist. Denn das, was er als Deals verkaufen will, sind lediglich erpresste Vereinbarungen. Das dickste und stärkste Kind im Sandkasten macht auch keine Deals. Es setzt sich drauf und damit durch. Diesmal ist es anders:
"Mit der Ausrufung eines fingierten Notstands schickt er sich endgültig an, das Fundament der amerikanischen Verfassung zu untergraben."
Er schickt sich nicht an. Er tut es bereits. Hat er bisher "nur" multilaterales Porzellan zerschlagen durch willkürliche Vertragskündigungen oder die ihm von der amerikanischen Verfassung gegebenen Rechte genutzt und sich die Macht durch latente Möchtest-Du-Deinen-Job-Behalten-Drohungen erhalten, verabschiedet er sich nun von der US-Verfassung. Damit beweist er, dass er nicht nur ungeeignet für das Amt ist, sondern untragbar.

Freitag, 8. Februar 2019

Maut-Maulerei

Detlef Drewes hat in der Augsburger Allgemeinen vom 8.2. anlässlich des Gutachtens zur deutschen PKW-Maut einen Leitartikel veröffentlicht:


Detlef Drewes schreibt:
"Niemand hatte daran geglaubt, dass ausgerechnet das höchste EU-Gericht die deutsche PKW-Maut retten könnte."
Umso interessanter ist die Lektüre der Ausführungen des Gutachters:
"Kurz gefasst verlangt das Diskriminierungsverbot, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen. Eine unterschiedliche Behandlung wäre allenfalls dann gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhte und in einem angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Zweck stünde, der mit den nationalen Rechtsvorschriften verfolgt wird. [...]
Für die Feststellung eines Falles von Diskriminierung muss zunächst eine geeignete Vergleichsgröße gefunden werden: eine Person, die sich in einer vergleichbaren Situation befindet und aufgrund des identifizierbaren Merkmals eine günstigere Behandlung erfährt. Insoweit ist es nicht erforderlich, dass das Opfer der Diskriminierung oder der durch die günstigere Behandlung Begünstigte zu einem bestimmten Zeitpunkt als Menschen aus 'Fleisch und Blut' identifiziert werden: Es genügt, wenn aufgrund der angeblich diskriminierenden Maßnahme offensichtlich ist, dass diese Personen existieren. [...]
Folglich liegt, wenn beide Maßnahmen zusammen betrachtet werden – wie es die österreichische Regierung vom Gerichtshof verlangt –, offensichtlich keine weniger günstige Behandlung ausländischer Fahrer vor: Für jedes in einem anderen Mitgliedstaat zugelassene Fahrzeug, das auf deutschen Autobahnen genutzt werden wird, wird, damit es dort genutzt werden darf, an die deutschen Behörden stets ein geringerer Betrag gezahlt werden als der, der vom Halter eines in Deutschland zugelassenen Fahrzeugs desselben Modells entrichtet wird. [...]
Abschließend ist festzustellen, dass es der österreichischen Regierung nicht gelungen ist, ihren Standpunkt in Bezug auf zwei Diskriminierungsgrundsätze überzeugend darzulegen: Zum einen befinden sich die beiden Gruppen von Personen, die sie verglichen hat, in Bezug auf die von ihr beanstandeten Maßnahmen nicht in einer vergleichbaren Situation. Zum anderen konnte sie keine weniger günstige Behandlung darlegen, die die in Rede stehenden Maßnahmen für die Fahrer ausländischer Fahrzeuge bedeuten würden."
Nach dem Gutachten liegt also keine Diskriminierung vor. Wir werden sehen, ob das Gericht diesen Argumenten folgt - in der Regel ja. Doch ungeachtet der rechtlichen Zulässigkeit einer solchen Mautkonstruktion weist Detlef Drewes zu Recht auf die inhaltlichen Fehler hin:
"Wer viel fährt, zahlt auch viel. [...] Das ist der wohl wichtigste Einwand, der bedauerlicherweise vor dem Gerichtshof keine Rolle gespielt hat. Obwohl auch diese Vorgabe in den europäischen Richtlinien zur Maut ausdrücklich festgeschrieben wurde, durchgesetzt wird sie nicht."
Deutschland führt also eine Maut ein, die europäischen Vorgaben widerspricht. Sollte in den nächsten Jahren eine europäische Maut kommen, ist die deutsche nur noch Schrott. Und mit ihr die Apparaturen und Infrastrukturen, die für die deutsche Maut gebaut wurden.
Detlef Drewes weiter:
"Hinzu kommt die weiter offene Frage, ob sich die Installation und der kostspielige Betrieb eines Mautsystems überhaupt lohnt. [...] Mit anderen Worten: Im besten Fall kann die Bundesregierung gut 80 Kilometer unserer Schnellstraßen finanzieren - im ungünstigsten Fall gerade mal fünf."
Es wird also ein Mautsystem eingeführt mit riesen Brimborium, um dann eine Autobahn zu bauen über eine Länge, die eine bequeme Tagesetappe einer Radtour umfasst.
Detlef Drewes weiter:
"Die Pkw-Maut ist eine Einzelmaßnahme, die keine Antwort auf die Frage liefert, welche Rolle das Auto [...] spielen soll, neben der Bahn, neben dem öffentlichen Personennahverkehr, neben Carsharing, neben anderen Verkehrsmitteln wie Fahrrädern oder Bussen."
Ein Minister, der unbeeindruckt von den aktuellen intensiven Diskussionen über Motorisierungen, über Verkehrskonzepte, über Umwelt- und Luftreinhaltung etc. auf eine solche Einzelmaßnahme setzt, hat seine Aufgabe verfehlt. Denn der Minister hat die Aufgabe, die Zukunft zu gestalten und nicht nur das Heute zu verwalten.
Die Maut ist also eine Einzelmaßnahme mit Ablaufdatum, deren Lenkungseffekt gleich Null und deren Wirtschaftlichkeit höchst fragwürdig ist. Doch Andreas Scheuer beharrt darauf, die "Maut-Maulerei" aus Österreich müsse nun aufhören.
Der Begriff ist falsch gewählt. Österreich kritisiert die Maut mit einem für den Gutachter nicht stichhaltigen Argument. Maut-Maulerei war die Einführung der Maut. Da wurde über Gerechtigkeit schwadroniert, die Ausländer müssten endlich ihren Beitrag zahlen, es könne nicht sein, dass sie gratis über vom deutschen Steuerzahler finanzierte Autobahnen führen. Maulerei auf Stammtischniveau.
Es wird ein technisches Monstrum entwickelt werden, das von einem Unternehmen realisiert werden soll, in dem ein ehemaliger Mitarbeiter des Verkehrsministeriums in der Geschäftsführung sitzt: Stefan Stadler ist Geschäftsführer Qualität. Wie nah das Verkehrsministerium der Wirtschaft war, lässt sich über Jahre nachvollziehen. So vielleicht auch hier: Es geht nicht um Einnahmen aus der Maut. Es geht um ein Ruhekissen für ausgeschiedene verdiente Mitarbeiter, die weiter verdienen sollen. Für deren Zukunft wird vorgesorgt. Nicht aber für die Zukunft der Mobilität in Deutschland.

Sonntag, 20. Januar 2019

CSU rüstet sich

Uli Bachmeier hat in der Augsburger Allgemeinen am 19.1. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er die CSU als eine im Kern verunsicherte Partei beschreibt:


Uli Bachmeier leitet ein:
"Die CSU versucht bei ihrem Parteitag, endlich wieder zu Frieden und Geschlossenheit zurückzukehren. Dabei müsste es jetzt ums Grundsätzliche gehen."
Er fährt fort:
"Zu groß ist immer noch die Erleichterung darüber, dass der Machtkampf an der Spitze endlich entschieden und die CSU bei der Landtagswahl im Oktober noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ist. Außerdem fehlt – wieder einmal – die Zeit für die längst überfällige Grundsatzdebatte."
Völlig anders sieht das Markus Blume, der Generalsekretär der CSU, der in einer Kolumne im Bayernkurier klartextet. Es gelte zunächst einmal, die "richtigen Fragen zu stellen" und nennt konkret:
"Wie werden wir als Partei wieder agiler, weiblicher, breiter in der thematischen Aufstellung? Wie werden wir wieder mehr Plattform und Bewegung?"
Man stutzt: "wieder mehr Plattform und Bewegung"? War nicht die CSU bisher die Plattform, auf der das Unwort des Jahres 2018 "Anti-Abschiebe-Industrie" das Licht der Welt erblickte? Damit zeigt sich nicht nur eine fragwürdige Bewertung, sondern die thematische Engführung, der die CSU die letzten Jahre folgte. Nun soll sie sich thematisch breiter aufstellen, und Alexander Dobrindt als Erfinder des Unwortes meint im Merkur:
"Dass eine von niemandem gewählte und vollkommen unbekannte Jury jetzt sogenannte 'Sagbarkeitsregeln' thematisiert, darf auch hinterfragt werden."
Er bleibt also auf seinem Kurs der #AFDkopie, die ja auch von staatlich und sonstwie verordneten Was-man-sagen-und-nicht-mehr-sagen-dürfe-Regeln fabuliert. Uli Bachmeier greift diesen Widerspruch auf und schreibt:
"Und beide (Markus Söder und Manfred Weber, Anm.) zusammen bemühen sich – in offenkundigem Gegensatz zu Landesgruppenchef Alexander Dobrindt –, die CSU wieder breiter aufzustellen und einen kooperativeren Führungsstil zu etablieren."
Und:
"Die CSU wird Geschlossenheit demonstrieren, so wie ihr das meistens gelang, wenn es darauf ankam."
Das mit der Einigkeit und Geschlossenheit. Wie oft mussten wir Bürger im letzten Jahr und davor im Wahlkampf hören, dass sie jetzt aber wirklich erreicht seien, um dann Tage oder Wochen später einem alten neuen Streit beizuwohnen. Es wurde eben nicht der Rost entfernt und dann Farbe aufgetragen. Es wurde nur darübergepinselt. So agiert der, über den Uli Bachmeier schreibt:
"Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie (die CSU, Anm.) im Kern verunsichert ist."
Verunsichert durch das Auftauchen der AfD und mit ihr des Populismus. In der Landtagswahl hat die CSU lernen müssen, dass ihr nicht hilft, sich nach rechts anzubiedern. Uli Bachmeier sieht noch mehr Lücken:
"Die vertrauten Mechanismen greifen nicht mehr. Es reicht nicht mehr aus, die Erfolge in der Vergangenheit herauszustellen: den Wohlstand in Bayern, die niedrige Arbeitslosigkeit, die innere Sicherheit, die hohe Lebensqualität."
Das erinnert an die SPD. Der kam die Zielgruppe abhanden, weil es die - vielleicht nie - geschlossene Gruppe der Arbeiter nicht mehr gibt. Und weil sie die Themen einer möglichen geänderten oder neuen Zielgruppe nicht vertreten hat. Die CSU mag einen Teil ihrer Zielgruppe an die AfD verlieren, doch die "vertrauten Mechanismen", die nicht mehr greifen, weisen tiefer. Es geht um das Narrativ der CSU, um die Einheit von Bayern und CSU. Nach dem Erfolg der Grünen bei der Landtagswahl meint die CSU, nun von dort Wähler zurückgewinnen zu können durch - wie Markus Blume es ausdrückt:
"Ökologie und Ökonomie, Wachstum und Nachhaltigkeit"
Das sind Selbstverständlichkeiten. Sie nicht im Programm zu haben, zeichnet Populisten aus. Sie im Programm zu haben, macht noch keine hervorstechende Politik. Der im Wahlkampf zur Landtagswahl erfolgreiche Begriff der "Stabilität" lässt zudem keinen Aufbruch erkennen. Der Begriff ist der Welt der "vertrauten Mechanismen" entlehnt. Bislang macht die CSU weiterhin den Eindruck, weiterhin mit Farbe den Rost überpinseln zu wollen. Alles soll bunter, vielfältiger werden. Doch die Maler sind die gleichen, die bislang vor allem durch Schwarz und Weiß aufgefallen sind. Ein Seehofer weniger ändert das nicht. Die alten Reflexe schlummern weiter, mühsam in Schach gehalten durch neue Farben. Wie wäre es auch mit neuen Pinseln und neuen Maltechniken?