Montag, 30. Dezember 2019

Griechische Kinderlager

Christian Grimm hat in der Augsburger Allgemeinen vom 20.12. einen Leitartikel veröffentlicht zu der Diskussion, ob 4.000 im griechischen Flüchtlingslager Moria unter unmenschlichen Umständen befindliche Kinder nach Deutschland geholt werden sollen, wie der Grüne Habeck vorschlug, oder nicht, wie Innenminister Seehofer sagt:


Christian Grimm schreibt, Europa habe "nichts gelernt aus der Flüchtlingskrise des Jahres 2015". Es sei ein Keil zwischen europäische Staaten und "in die Gesellschaften dieser Staaten getrieben" worden. Nun drohe eine Weiderholung des Dramas, weil auf griechischen Inseln wieder mehr Menschen ankommen. Die Zunahme der Ankünfte steigt, obwohl das Abkommen mit der Türkei weiter gilt, nach dem Ablandungen zu verhindern sind und die Türkei im Gegenzug Geldzahlungen in Milliardenhöhe erhält.
In Anbetracht der unmenschlichen Zustände im Lager, die sich durch den Winter verschlimmern werden, hatte Grünen-Chef Habeck gefordert, die etwa 4.000 Kinder sollten nach Deutschland geholt werden. Christian Grimm schreibt:
"Doch Innenminister Horst Seehofer lehnt das ab. Der CSU-Politiker hat die Bundesregierung hinter sich und er hat recht mit seiner Position. Es braucht eine Einigung zwischen den Staaten Europas darüber, wie sie mit Flüchtlingen umgehen wollen."
Nun, eine Einigung ist seit der Eskalation der Lage im Jahr 2015 nicht erzielt worden. Seit damals ist klar, dass der Dublin-Modus nicht funktionieren kann, nach dem die Erstankunftsländer für die Asylverfahren zuständig sind. Wenn sich alle Ankünfte auf wenige Länder konzentrieren, ist dies weder im Sinne der europäischen Gemeinschaft noch von diesen Ländern administrativ zu bewerkstelligen.
Einen Alleingang Deutschlands schließt Christian Grimm aus:
"Ein Alleingang Deutschlands darf sich aus zwei Gründen nicht wiederholen. Er würde einerseits den fragil gewordenen Zusammenhalt der Gesellschaft noch weiter schwächen, das Klima noch rauer machen. Das Land braucht Zeit, um die Hunderttausenden Neuankömmlinge zu integrieren. Andererseits würde eine einsame Geste der Bundesregierung eine europäische Lösung noch weiter erschweren. So ist es vor vier Jahren geschehen, als Kanzlerin Angela Merkel die Grenzen offen ließ."
Ja, Neuankömmlinge sind zu integrieren, sofern sie eine Bleibeperspektive haben. Einen Modus dafür zu entwickeln, hatte Deutschland vier Jahre Zeit. Wurden solche Anstrengungen unternommen und würde eine weitere Aufnahme den gesellschaftlichen Zusammenhalt so schwächen, dass im Gegenzug gerechtfertigt ist, Kinder in elenden Zuständen zu belassen? Zweifel bleiben.
Ein Alleingang würde eine europäische Lösung erschweren, kann als Argument nicht ernst genommen werden, weil einige Staaten Europas gar keine Lösung anstreben, sondern sich ihr schlicht verweigern. Die Visegrád-Staaten wie Orbans Ungarn und Polen fallen hier besonders auf. Es sind die Staaten, die in Europa auch wegen Verstößen gegen europäische Rechtsgrundsätze auffallen. Mit der Zurückhaltung bei der Aufnahme der Kinder haben sich die Verweigerer durchgesetzt, durch sture Passivität, durch das Abmelden vom europäischen Gemeinsinn. Das kann es nicht sein.
Christian Grimm schreibt jedoch:
"Trotz dieser politischen Blockade darf Europa nicht einfach wegsehen vom Elend auf den Inseln in der Ägäis. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung müssen die Lager winterfest gemacht werden."
Das ändert nichts daran, dass die Lager völlig überbelegt sind, Moria auf Lesbos beispielsweise fünffach. Es mangelt an Infrastruktur, an Gesundheitsversorgung, an Personal. Wie da innerhalb von Tagen eine gemeinsame Kraftanstrengung möglich sein soll, ist unklar.
Christian Grimm schreibt:
"Eine europäische Lösung wird es nur geben, wenn auf den griechischen Inseln direkt über einen Asylantrag entschieden wird. Dafür sollten Flüchtlingszentren mit europäischer Unterstützung aufgebaut werden."
Es scheint, als ob die Lagerinsassen das Faustpfand abgeben sollen für eine europäische Einigung. Je schlechter die Zustände, desto eindrücklicher das Faustpfand. Doch das Faustpfand wird nicht wirken. Weder wird es andere Migrationswillige abhalten, nach Europa zu wollen. Noch wird es europäische Staaten beflügeln, eine Einigung zu erzielen. Und die Rechten lachen sich ins Fäustchen, weil ihr gezeichnetes Angstbild wirkt und sie selbst nicht einmal in Regierungsverantwortung sein müssen, um ihre "Politik" umzusetzen.
Christian Grimm titelt, Europa müsse aus den Fehlern im Umgang mit Flüchtlingen lernen. Nach vier Jahren wurde nichts gelernt. Es wurden Ideen lanciert, wie Lager jenseits des Mittelmeeres, die jedoch nie Realität wurden. Panzer rollten am Brenner auf. Die Balkanroute wurde geschlossen. Und heute führen wir wieder die selben Diskussionen? Es wurde nichts gelernt im Umgang mit Flüchtlingen und es besteht wenig Anlass zur Hoffnung, dass dies in den nächsten Jahren anders werden könnte. Die Menschen in den winterlichen Lagern werden im Eis die Strafe erfahren, die gemäß Dante Alighieri im neunten Höllenkreis den Verrätern zuordnet. Verraten haben diese Menschen nichts, die Verräter europäischer Werte und des europäischen Gemeinsinns sitzen weiterhin im Warmen.

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