Freitag, 28. April 2017

BKA, das Bundeskriminalisierungsamt

Die Augsburger Allgemeine berichtet in ihrer Ausgabe vom 28.4. unter dem Titel "Wenn Polizisten zu Opfern werden" über das Sicherheitspaket, das gestern im Bundestag verabschiedet wurde:


Als erstes ins Auge springt der in die Irre führende Titel. Das Sicherheitspaket umfasst mehr, als der Titel vermuten lässt. Im Plenarprotokoll 18/231 findet sich das Thema unter TOP 7. Das andere hier interessierende Thema ist unter TOP 6 behandelt worden.
Der Bericht stellt richtig dar, was im Bundestag verabschiedet wurde. Mit seinem Titel und dem Bild setzt der Artikel jedoch einen Anker, der beim Leser eine positive Einstellung zu den Gesetzesänderungen auszulösen vermag. Diese Einstellung bleibt erhalten auch bei den Themen, die nichts mehr mit der Überschrift und dem Bild zu tun haben. Die behandelten Gesetze hätten einen kritischeren Bericht verdient, in dem auch Kritiker der Gesetze erwähnt werden. Besser noch wäre ein kritischer Kommentar gewesen, der hilft, das Thema besser einzuordnen. Deshalb ein paar Anmerkungen von mir.

Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften

Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, eröffnete seine Rede mit einer Begründung für das Gesetz:
"Die Dringlichkeit dieses Gesetzgebungsvorhabens unterstreicht die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2016. Im vergangenen Jahr wurden über 71000 Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamte Opfer von Gewaltdelikten: 2016 sind damit 6345 Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamte mehr Opfer solcher vollendeter Gewaltdelikte geworden. Das ist ein Anstieg um 11,2 Prozent."
Der AZ-Bericht bringt ein Beispiel, in dem eine Menge "vereint und geschlossen" die unformierten Beamten attackiert hätte. Die Kriminalstatistik bestätigt die Aussagen von Christian Lange. Allerdings sind nach der Statistik für 2016 insgesamt über 1 Mio. Vollstreckungsbeamte, Rettungsdienst- und Feuerwehrkräfte Opfer von Straftaten geworden. Auf Seite 37 der Statistik sind die Straftaten aufgeschlüsselt. Darunter finden sich Mord, Totschlag, Körperverletzung, Bedrohung, räuberische Erpressung und Widerstand gegen Vollzugsbeamte. Jede dieser Straftaten ist bereits strafbewehrt. Was kann also eine Strafverschärfung nützen? Sie "ergänzt die Strafvorschrift der unterlassenen Hilfeleistung in §323c StGB" und soll die schützen, "die Hilfe leisten oder Hilfe leisten wollen".
Ganz richtig ist dies nicht, weil sich auch im TOP 6 dazu etwas findet:
"Gleich  beschließen wir das BKA-Gesetz. Im Anschluss beschließen wir die Änderungen der §§113 und 114 des Strafgesetzbuches. Damit werden wir die Strafen bei Angriffen auf Polizeibeamte und Rettungskräfte bei jeder Diensthandlung erhöhen – ein wichtiger Schritt und ein Zeichen für alle, die Tag und Nacht ihren Kopf für unsere Sicherheit hinhalten."
In der Plenarsitzung waren sich alle einig, dass die Beamten und Helfer geschützt werden müssen. Allerdings wurden Fragen aufgeworfen, wie hier vollzogen werden soll. Das wird schwierig, wenn sich ein Mob zusammenfindet, der zahlenmäßig stark überlegen Polizisten oder Sanitäter angreift. Es wird auch schwierig, Gaffer bei Autobahnunfällen zur Rechenschaft zu ziehen.
Man wird sehen, ob das Gesetz seine intendierte Wirkung entfalten wird und es zukünftig zu weniger Übergriffen auf Helfer kommt. Ich zweifele daran. Erstens geschehen solche Taten oft unter Alkoholeinfluss, aus einer Gruppendynamik heraus, aus Sensationslust etc. Im Jahr 2015 wurde auf der Grundlage einer Studie des LKA eine Verschärfung des Strafrechts gefordert, weil Jugendliche vermehrt Polizeibeamte angegriffen haben. Ich habe schon damals nicht an die Wirkung schärferer Strafen geglaubt. Zweitens würde eine Abschreckungswirkung darauf fußen, dass die Täter tatsächlich überführt werden. Die Kriminalstatistik 2016 weist beispielsweise für die Tatgruppe "Widerstand" eine Aufklärungsquote von über 97% aus. Die hohe Aufklärungsquote hat dennoch nicht verhindert, dass die Zahl der Widerstandsstraftaten von 2015 auf 2016 um 11% gestiegen ist.
Wegen meiner Zweifel scheint mit das Gesetz eher ein symbolischer Akt, weniger eine echte Hilfe für die Opfer zu sein. "Heute ist ein guter Tag für die Sicherheit in Deutschland" wird Thomas de Maizière im Bericht zitiert. Man wird sehen.

BKA mit neuen Möglichkeiten

Das wesentlich kritischere Thema der Plenarsitzung war die unter TOP 6 behandelte Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes. In seiner Rede in der Plenarsitzung behauptet Thomas de Maizière:
"Aber es geht um weit mehr als um die Neustrukturierung eines Gesetzes. Es geht um nichts weniger als die Zukunft deutscher Polizeiarbeit. [...] die Anforderungen aus der europäischen Datenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit im Polizei- und Justizbereich umzusetzen. Ich habe mich früh dazu bekannt, diese anspruchsvolle Aufgabe nicht sozusagen minimalinvasiv vorzunehmen, sondern als richtige Chance zu nutzen. Der Gesetzentwurf setzt natürlich alle Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils um, aber steckt die Aufgaben weiter."
Die Änderung mache "den Weg frei für eine moderne polizeiliche IT-Infrastruktur, eine Infrastruktur, die das Fundament für gute, rechtsstaatliche Polizeiarbeit auf einem neuen Niveau darstellt". Und weiter:
"Jede Polizistin, jeder Polizist soll sämtliche Informationen phänomenübergreifend zusammenführen und nutzen können, die sie oder er braucht und wenn sie oder er dazu berechtigt ist. Eine Unterteilung des Informationsaufkommens in verschiedene Datentöpfe wird überflüssig."
Das klingt plausibel. Es ist tatsächlich kaum einzusehen, warum innerhalb Deutschlands polizeiliche Informationen in verschiedenen Strukturen auf verschiedenen Systemen verarbeitet werden. In einem Redebeitrag von Martina Renner gibt es erste Kritik:
"Der Gesetzentwurf folgt dem bekannten Muster: Ihr Erzfeind ist eigentlich der Datenschutz. Das sieht man insbesondere an den Regelungen zum Datenpooling: Einmal erhobene Daten können fast ohne besondere Voraussetzungen weiter genutzt, auf Vorrat gehalten und im Ergebnis noch Jahrzehnte später verwertet werden. Nach Verhältnismäßigkeit und Zweckbindung fragt hier niemand mehr."
Die entsprechende Regelung ist in §18 (3) des Gesetzes beschrieben:
"Das Bundeskriminalamt kann personenbezogene Daten weiterverarbeiten, um festzustellen, ob die betreffenden Personen  die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllen. Die Daten dürfen ausschließlich zu diesem Zweck weiterverarbeitet werden und sind im Informationssystem gesondert zu speichern. Die Daten sind nach Abschluss der Prüfung, spätestens jedoch nach zwölf Monaten zu löschen, soweit nicht festgestellt wurde, dass die betreffende Person die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt."
Für bestimmte Personen können also Daten länger als 12 Monate gespeichert werden. Das sind zum Einen Verurteilte, Beschuldigte und Verdächtige. Es sind aber auch sog. "Anlasspersonen", also "Personen, bei denen Anlass zur Weiterverarbeitung der Daten besteht, weil tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betroffenen Personen in naher Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden."
Mit dem Gesetz werden Datenbestände zusammengeführt. Die Daten können so lange gespeichert werden, wie Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass jemand in Zukunft Straftaten begehen könnte. Das öffnet der Beliebigkeit Tür und Tor. In der Stellungnahme von Prof. Dr. Matthias Bäcker zum Gesetzentwurf heißt es deshalb:
"Die geplanten Ermächtigungen zur Weiterarbeitung erhobener Daten in § 16 Abs. 1, § 18 und § 19 BKAG-E weisen grundlegende konzeptionelle Defizite auf. Der Gehalt dieser Normen ist in wesentlichen Punkten unklar. Je nach Interpretation geben sie die Bevorratung erhobener Daten und deren weitere Nutzung in verfassungswidrig großem Ausmaß frei, sie könnten jedoch - gerade umgekehrt - auch zu einer verfassungsrechtlich nicht erforderlichen und kaum praktikablen Einschränkung der Informationsverwaltung bei dem Bundeskriminalamt führen."
Eine Einschätzung, das ernstliche Zweifel an der Qualität des Gesetzentwurfs aufkommen lässt. Auch in der Plenarsitzung findet dies seinen Niederschlag. Werden die Daten in einem System vereinigt, werden sie verknüpfbar. Damit werde der "zentrale Grundsatz der Zweckbindung von Informationen und Daten [...] in pauschaler Weise aufgehoben". Das Gesetz wird so zum feuchten Traum jedes Ermittlers, das BKA mutiert als Zentralstelle für das neue System zu einem Bundeskriminalisierungsamt. Dazu die Einschätzung der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit:
"Weiterhin kritisch gesehen werden muss aber der geplante Informationsverbund der Polizeibehörden. Hier gespeicherte Daten können künftig umfassender verknüpft werden, weil sie nicht mehr an einen bestimmten Zweck gebunden sind. Gleichzeitig fehlen Regeln für Datenabgleiche und zur Nutzung von Big Data-Methoden durch die Sicherheitsbehörden. Und auch in Zukunft werden gespeicherte Daten nach einem Freispruch nicht automatisch gelöscht."
Der schlechte Qualitätseindruck verstärkt sich nach einem Blick in die Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf. Die Kritik zielt nicht auf den Inhalt, sondern auf die Begründung, warum die Systemänderung notwendig sei:
"Die Ausführungen dazu beginnen im Urteil erst ab Rn. 284 beziehungsweise Rn. 287. Die Ausführungen des BVerfG in Rn. 281 können damit nicht - wie beabsichtigt - zur Fundierung des neuen Systems herangezogen werden"
Oben hatte ich Thomas de Maizière zitiert, der die Anforderungen des Urteils des Verfassungsgerichts vom 20. April 2016 vollständig umgesetzt sieht. Der Bundesrat vertritt hingegen die Ansicht, das Urteil sei gar nicht anwendbar als Begründung für die Gesetzesänderung.
Der Gesetzesentwurf steht zu Recht unter heftiger Kritik und ich teile die Einschätzung von Martina Renner:
"Das alles bringt kein Mehr an Sicherheit, nur ein Mehr an Überwachung. Das alles führt zur Preisgabe des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre."
Nachdem die Union seit langem und nun auch die SPD im Wahlkampf auf Sicherheit fokussieren und sich nun einig sind beim Beschluss solcher Gesetze:

Wahlkampf! Mir graut's vor dir.

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