Mittwoch, 19. April 2017

Zeit für Steuerreform

Martin Ferber kommentiert in der Augsburger Allgemeinen vom 19.4. einen Bericht in der gleichen Ausgabe über die Steuerbelastung in Deutschland:


Martin Ferber schreibt:
"Längst müssen nicht mehr nur die Topverdiener den höchsten Steuersatz zahlen, sondern auch Bürger, die als Normalverdiener gelten."
Er weist darauf hin, dass innerhalb von zehn Jahren die Grenze für den Spitzensteuersatz vom Doppelten auf das Eineinhalbfache des Durchschnittseinkommens gefallen sei. Angesichts des Unwillens der Regierung, von der "stetig sprudelnden Einnahmequelle" etwas an die Bürger zurückzugeben, fordert er eine echte Steuerreform, bei der der Grenzwert für den Spitzensteuersatz "deutlich nach oben angehoben" und in der Folge jährlich angepasst werden müsse.
Dieser Forderung muss ich mich anschließen. Allerdings bin ich im Zweifel, ob die Politik den Mut und die Kraft aufbringt zu einer echten Steuerreform. Dazu zwei Gründe:

  1. Einnahmen erfreuen die Budgetverantwortlichen, weil sie dadurch einen größeren Spielraum haben und zudem die Verwaltung von und Verantwortung für die Budgets bei gut gefüllten Töpfen wesentlich einfacher ist.
  2. Eine echte Steuerreform ist ein breit zu diskutierendes Feld. Einfacher ist es, für die eigene politische Klientel zielgruppenkonforme "Geschenke" zu versprechen. Damit lässt sich im Wahlkampf wunderbar wuchern.
Eine Facette des Feldes "Steuerreform" habe ich vor etwa einer Woche angesprochen, als ich Steuerlast einerseits und staatliche Leistungen andererseits diskutiert habe. Denn daraus ergibt sich überhaupt die Manöveriermasse für eine Reform. Sollen die staatlichen Ausgaben gleich hoch bleiben, kann eine Steuerreform nur umverteilen.
Heute beschränke ich mich auf die Einnahmenseite. Die Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln liefert einige Aufschlüsse für Überlegungen zur Steuergerechtigkeit. Dazu wurden die Einkommen in zehn Klassen eingeteilt, die sich so staffeln:


Die gelbe Spalte "Dezilgrenze" gibt jeweils die Obergrenze an, bis zu dem Einkommen in die jeweilige Gruppe gehören. Als Einkommen werden sog. "Haushaltsbruttoäquivalenzeinkommen" verwendet, bei der die erhobenen Haushaltseinkommen auf Ein-Personen-Haushalte heruntergerechnet werden. Die höchste Gruppe beginnt danach bei einem Monatseinkommen von 5.393€, also einem Jahreseinkommen von knapp 65.000€. Die zweithöchste Gruppe beginnt bei einem Monatseinkommen von 4.216€, das sind gut 50.000€ im Jahr. Das sind Größenordnungen, unter denen ich noch nicht die von Martin Ferber genannten "Topverdiener" einordne, sondern die "Leistungsträger", durchaus gut verdienende und hart arbeitende Fachkräfte.
Die Studie zeigt, wie hoch die Belastung dieser Gruppen mit Steuern (betrachtet wurden Einkommen-, Mehrwert- und Versicherungssteuer) und Sozialabgaben ist:


Die Grafik zeigt deutlich, wie mit höherem Einkommen die Belastung durch die Einkommensteuer steigt (grüne Säulen). Die abnehmende Belastung mit Mehrwert- und Versicherungssteuer hat mit dem Konsumanteil des verfügbaren Einkommens zu tun, die Abnahme bei den Sozialabgaben mit den Beitragsbemessungsgrenzen.
Für Überlegungen zur Gerechtigkeit bei der Einkommensteuer kann diese Passage aus der Studie herangezogen werden:
"Die Hälfte der Haushalte mit den geringsten Äquivalenzeinkommen (also alle Haushalte bis 2.481€ pro Monat, Anm.) trägt lediglich 7 Prozent zum Aufkommen der Einkommensteuer einschließlich Solidaritätszuschlag bei. Der Anteil dieser Gruppe am Mehrwertsteueraufkommen ist mit 38 Prozent dagegen deutlich höher. Werden alle Steuerarten zusammengerechnet, beträgt der Anteil dieser Haushalte 18 Prozent.
Die oberen 30 Prozent der Einkommensverteilung bestreiten etwa 80 Prozent der Einkommensteuereinnahmen und 42 Prozent der Mehrwertsteuereinnahmen. Dies macht etwa zwei Drittel der gezahlten Steuern aus. Dabei erwirtschaftet diese Gruppe etwa 55 Prozent der gesamten Haushaltseinkommen."
Wenn die Hälfte der Haushalte mit dem geringsten Einkommen nur 7%, die oberen 30% der Haushalte jedoch 80% der Einnahmen aus der Einkommensteuer generieren, sollte Behauptungen der Politik, aus Gründen der Steuergerechtigkeit sollten untere Einkommen ent- und obere Einkommen belastet werden, mit Vorsicht begegnet werden. Denn solche Behauptungen kommen meist ohne ausreichend genaue Abgrenzung daher, was unter oberen oder unteren Einkommen zu verstehen sei.
Für eine echte Steuerreform ist es deshalb unabdingbar, endlich ein Ziel für die Steuergerechtigkeit zu formulieren. Denn inzwischen wird der Begriff inflationär gebraucht: Es sei gerecht, kleine Einkommen zu entlasten. Es sei gerecht, höhere Einkommen stärker zu belasten. Es sei nicht gerecht, wenn von einem steigenden Einkommen der Staat sich einen zunehmenden Anteil holt. Kalte Progression sei ungerecht. Millionäre tragen zu wenig bei. Jeder dreht und wendet sich seine Steuergerechtigkeit so, wie es die Zielgruppe verlangt. Deshalb: Was ist Steuergerechtigkeit?
Wenn das geklärt ist, dann kann über die Struktur des Steuertarifes diskutiert und Antworten auf Fragen wie nach dem Eingangs- und Spitzensteuersatz gegeben werden. Doch für eine Steuerreform, die den Namen echt verdient, wäre das zu kurz gesprungen. Vor fast 15 Jahren erlangte Friedrich Merz "Berühmtheit", als er den Anspruch formulierte, jeder Bürger solle seine Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen können. Auf die Steuergerechtigkeit übertragen: Ist es gerecht, wenn das Steuerrecht so kompliziert ist, dass es sich nur Gutverdiener leisten können, mittels Steuerberatern ihre Steuerlast zu gestalten und Klein- oder Normalverdiener diese Möglichkeit versagt bleibt? Davon sind wir meilenweit entfernt
Martin Ferber schreibt:
"Eine echte Steuerreform müsste mehr bieten, als nur ein bisschen an den Stellschrauben des Steuerrechts zu drehen und den 'Soli' in zehn Jahren abzubauen."
Richtig. Ich gehe jedoch weiter als Martin Ferber. Es ist nicht genug für eine echte Steuerreform, den Grenzwert für den Spitzensteuersatz anzuheben und jährlich anzupassen, der Tarifverlauf gehört insgesamt diskutiert. Zudem gehören die Absetzmöglichkeiten untersucht, was davon wirklich nötig und was tatsächlich in der Einkommensteuer gut aufgehoben ist. Und schließlich Kuriositäten im Steuerrecht entfernt, wie beispielsweise die überraschende Steuerzahlung auf die betriebliche Altersvorsorge, über die die Sendung "Die Anstalt" am 4. April berichtet hat und die im Faktencheck nachgelesen werden kann. Sonst sind es nur wieder gedrehte Stellschrauben, aber keine Reform.

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