Dienstag, 25. April 2017

Antisemitismusbericht der Bundesregierung

Bernhard Junginger hat in der Augsburger Allgemeinen vom 25.4. den Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus kommentiert:


Bernhard Junginger schreibt:
"Juden in Deutschland fühlen sich zunehmend bedroht, vor allem von jungen Muslimen. [...] Übergriffe, ob mit Worten, Fäusten oder Waffen sind in keiner Weise akzeptabel und auch durch vermeintlich religiöse Gründe nicht zu rechtfertigen. [...] Gleichzeitig verbietet es sich, den Antisemitismus, den manche Muslime hegen, zur Rechtfertigung pauschaler Islamkritik heranzuziehen."
Das ist alles richtig. Allerdings ist der Bericht über 300 Seiten lang. Von Muslimen ausgehender Antisemitismus ist nicht der einzige Befund, weshalb der Kommentar arg einseitig daher kommt. Ich nehme dies zum Anlass, ein paar weitere Befunde darzustellen.

Der Bericht des Expertenkreises

Über die Veröffentlichung des Berichtes hat auch der Deutsche Bundestag berichtet. Der Bericht in seiner Vorabversion ist als Drucksache 18/11970 veröffentlicht.

Begriffsbestimmung

Der Bericht konstatiert, eine "allgemein gültige Definition von 'Antisemitismus' existier[e] nicht" und verwendet deshalb, aufbauend auf einer Arbeitsdefinition, die folgende Definition:
"Sammelbezeichnung für alle Einstellungen und Verhaltensweisen, die den als Juden wahrgenommenen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aufgrund dieser Zugehörigkeit negative Eigenschaften unterstellen"
Weiter wird beispielhaft erläutert:
"Ergibt sich die Abneigung gegen eine jüdische Person aus deren Zuordnung zur jüdischen Religionsgruppe, ist hingegen von einer antisemitischen Haltung auszugehen."
Es werden zwei Arten von Antisemitismus angegeben:
"Diese latenten Formen des Antisemitismus (diffuse Aversionen bis hin zu Ressentiments und Vorbehalten, Anm.) unterscheiden sich von manifesten Einstellungen, die eine bewusste Auffassung widerspiegeln und in entsprechenden Äußerungen privat oder im öffentlichen Raum geäußert werden."
Hinsichtlich der Äußerung von Antisemitismus in Handlungen wird festgestellt:
"Derartige Einstellungen können, müssen aber keine Folgen in Form von konkreten Handlungen haben."
Es werden mehrere Formen des Antisemitismus erläutert:
  • Religiöser Antisemitismus
  • Sozialer Antisemitismus, bei dem ein besonderer sozialer Status der Juden in der Gesellschaft das Grundmotiv sei
  • Politischer Antisemitismus, bei dem die Vorstellung vorherrsche, die "Juden seien ein homogenes Kollektiv mit einflussreicher sozialer Macht, das sich in politischer Absicht zu gemeinsamem Handeln zusammengeschlossen hat"
  • Nationalistischer Antisemitismus, bei dem Juden "als eine ethnisch, kulturell oder sozial nicht zur jeweiligen Nation gehörende Minderheit betrachtet" werden
  • Rassistischer Antisemitismus, der "alle Juden von Natur aus negativ bewertet und sie weder durch die Abkehr von ihrer Religion noch durch ein anderes Verhalten dieser Bewertung entgehen können"
  • Als moderne Form wird der sekundäre Antisemitismus genannt, der unterstellt, "dass die öffentliche Auseinandersetzung mit der massenhaften Ermordung der Juden im Nationalsozialismus nur der Diffamierung der nationalen Identität der Deutschen, der Gewährung von Wiedergutmachungszahlungen an Israel und der Legitimation der israelischen Politik im Nahen Osten diene"
Die Autoren sind sich einer Grauzone bewusst, die sich vor allem im Bereich zwischen Israelkritik und Antisemitismus findet. Die Unterscheidung sei schwierig und von der Motivseite her nicht zu klären. Sie empfehlen deshalb:
"Stattdessen sollte das Bewusstsein im Zentrum stehen, dass kritische Äußerungen zu Israel unter Umständen sowohl als kritische Positionierung als auch als Antisemitismus verstanden werden können. Es kommt daher darauf an, wer, was, wann sagt und ob die Kritik ohne Zuschreibungen an ein unterstelltes jüdisches Kollektiv erfolgt oder ob im Sinne einer 'Umwegkommunikation' Israel nur an die Stelle 'der Juden' quasi als Legitimierung antisemitischer Einstellungen tritt."

Erfasste antisemitische Vorfälle

Zahlen über antisemitische Vorfälle sind dem Bericht zu Folge abhängig davon, wer sie erhebt. In einer Tabelle auf Seite 39 werden die Fälle der polizeilichen und NGO-Auswertungen gegenübergestellt. Während die polizeiliche Statistik nur Straftaten erfasst, erfassen NGO auch "nicht angezeigte Vorfälle, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegen".
Im Kapitel III.4 des Berichts wird die Demografie der Straftäter dargestellt und so zusammengefasst:
"Die Auswertungen der antisemitischen Straftaten nach dem Alter und der Geschlechtszugehörigkeit ergeben ein klares Bild. Die meisten der ermittelten antisemitischen Straftaten werden aus dem nach wie vor männlich dominierten rechtsextremen Spektrum heraus begangen. Entsprechend ist daher mit einem höheren Anteil männlicher Täter zu rechnen. Es sind denn auch die Altersgruppen der 14-24-Jährigen, die mit über 2000 männlichen Tätern in der Zeit von 2001-2013 den höchsten Anteil stellen."
Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Bernhard Junginger in seinem Kommentar einen einseitigen Schwerpunkt setzt.

Wahrnehmung in der Bevölkerung

Der Bericht zeigt in der Einleitung des Kapitels IV zur antisemitischen Einstellung der Bevölkerung:
"In einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2013 waren 77 Prozent der Deutschen der Auffassung, nur eine geringe Zahl der Bundesbürger bzw. kaum jemand in Deutschland sei negativ gegenüber Juden eingestellt. Während nur 19 Prozent den Antisemitismus als weitverbreitet einschätzen, zeigt die Befragung von Juden in Deutschland 2016 eine völlig andere Einschätzung: hier halten 76 Prozent den Antisemitismus in Deutschland für ein eher bzw. sehr großes Problem, von dem zudem 78 Prozent meinen, er habe in den letzten fünf Jahren etwas bzw. stark zugenommen. Während Antisemitismus also von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung in der Regel weit von sich gewiesen wird, beklagen gleichzeitig 77 Prozent: 'In Deutschland darf man nichts Schlechtes über Ausländer und Juden sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden.'"
Im weiteren Verlauf des Kapitels werden einzelne Fragen und das Antwortverhalten darauf dargestellt. Ein paar Beispiele in der gleichen Formulierung wie im Bericht dargestellt:
  • Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß.
  • Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen.
  • Durch ihr Verhalten sind Juden an ihren Verfolgungen mitschuldig.
  • Viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren Vorteil zu ziehen.
  • Ich ärgere mich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden.
  • Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.
  • Durch die israelische Politik werden mir die Juden immer unsympathischer.
  • Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser.
Es ist leicht zu erkennen, dass eine stärkere Zustimmung zu den Aussagen zu einer höheren Einstufung bzgl. einer antisemitischen Einstellung einhergeht. Der Bericht hat auch untersucht, wie sich Antisemitismus mit der Bildung ändert, und stellt fest:
"Allein der Faktor Bildung hat nach wie vor einen deutlichen Einfluss auf die Übernahme antisemitischer Einstellungen. Die Zustimmung zu den drei Dimensionen des Antisemitismus fällt umso höher aus, je niedriger die formale Schuldbildung ist. Dabei macht offenbar ein hohes Bildungsniveau den entscheidenden Unterschied, da die Differenzen sowohl zwischen den 'hohen' und 'niedrigen' als auch zwischen den 'hohen' und 'mittleren' Bildungsgruppen hochsignifikant sind [...]."
Wo Bernhard Junginger "staatliche Nachsicht" als fehl am Platze sieht und "Härte" fordert, zeigt der Bericht, dass das kaum zur Lösung führen wird. Wie so oft: It's the education, stupid! Auch bei der sozialen Schichtung des Antisemitismus zeigt sich ein solches Bild:
"Sowohl bei der subjektiven (definiert über die Selbsteinstufung) als auch der objektiven Schichtzugehörigkeit (definiert über Bildung, Einkommen und Beruf) zeichnet sich ab: Befragte der sozialen Mitte sind auch auf mittlerem Niveau antisemitisch. Diejenigen, die sich selbst einer unteren Position in der Gesellschaft zuordnen, über wenig Bildung, Einkommen oder einen Beruf mit niedrigem Status verfügen, tendieren am stärksten zum traditionellen Antisemitismus, während die Befragten, die sich selbst 'oben' verorten, die schwächste Zustimmung zeigen." 

Religion

Für christliche Religionsangehörige weist der Bericht aus:
"Hingegen spielt die bloße christliche Religionszugehörigkeit und das Ausmaß an Religiosität für das Ausmaß an Antisemitismus in der breiten Bevölkerung in Deutschland keine besondere Rolle. Vereinzelt ergeben sich einige höhere Zustimmungswerte, aber kein klares Muster."
Für Muslime ist die Datenlage nicht so klar:
"Trotz des von vielen Seiten als dringlich erachteten Problems fehlt es bisher in Deutschland an einer repräsentativen Befragung unter der muslimischen Bevölkerung. Es gibt jedoch eine Reihe von Studien, die zumindest gewisse Anhaltspunkte zur Beantwortung der Frage der Verbreitung und zu den Ursachen antisemitischer Einstellungen in dieser Bevölkerungsgruppe bieten."
Der Bericht warnt davor, allein aus der muslimischen Religionszugehörigkeit vorschnell Schlüsse zu ziehen:
"Der Faktor 'muslimische Religionszugehörigkeit' ist mit einer Reihe von anderen Variablen konfundiert, die nicht immer auseinandergehalten werden, was aber gerade mit Blick auf Schlussfolgerungen für Prävention und Intervention von Bedeutung sein kann – weniger in Bezug auf die Zielgruppe, an die sich die Intervention richtet, sondern vielmehr über welche Wege sie geht und welche Themen sie aufgreift."
Jugendliche sind in Studien untersucht worden mit dem Ergebnis:
"Zusammenfassend konstatieren diese Studien, dass antiisraelische Äußerungen, die dann auf alle Juden generalisiert werden, unter den Jugendlichen gebräuchlich sind. Der Nahostkonflikt wird als die Hauptquelle für antisemitische Äußerungen angesehen, wobei die Jugendlichen dabei auf eine imaginierte muslimische oder ethnische Kollektividentität zurückgreifen, um sich selbst zu versichern, dass es eine von allen Muslimen geteilte Ablehnung von Juden gebe und dass dies demnach eine 'normale Haltung' sei."
Eine repräsentative Umfrage türkischstämmiger in Deutschland stellt Vorbehalte gegenüber Juden fest, allerdings auch gegenüber Atheisten:
"Noch negativer als gegenüber Juden war die Haltung zu Atheisten: 27 Prozent wählten hier die Kategorien sehr oder eher negativ (49 Prozent sehr oder eher positiv, wiederum hohe 24 Prozent die Vorgaben 'weiß nicht/keine Antwort')."
Zur Altersstruktur bei Muslimen stellt der Bericht fest:
"Außerdem sind junge Muslime nicht antisemitischer als ältere Nichtmuslime. Offenbar haben junge Muslime die positive Entwicklung der letzten Jahrzehnte hin zu weniger Antisemitismus nicht oder noch nicht – und das ist eine ganz wesentliche Frage – nachvollzogen. Dies wirft Fragen an die Prävention auf, z. B. inwieweit junge Muslime, die häufig nicht als dazugehöriger Teil der deutschen Gesellschaft verstanden und adressiert werden, sich von bestehenden Präventionsanstrengungen angesprochen fühlen bzw. von diesen angesprochen werden"
Hier erneut der Hinweis, dass die im Kommentar von Bernhard Junginger geforderte "Härte" wenig bewegen dürfte.
Der Bericht verweist auf eine Studie, in der antisemitische Einstellungen unter nach Europa zugewanderten muslimischen Migranten untersucht wurden, und stellt fest:
"Deutlich wird, dass Antisemitismus – gemessen mit dem verwendeten Index – unter der muslimischen Bevölkerung im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich höher ausgeprägt ist. Der durchschnittliche Index Score unter den Muslimen betrug in den sechs Ländern für dieses Sample 55 Prozent. Die ADL führt dieses Ergebnis primär auf die Religion zurück, doch zeigt die ADL-Studie selbst, dass die Herkunftsregion wahrscheinlich entscheidender ist."
Im Kapitel X.3.6 wird die Lage so dargestellt:
"Zusammenfassend legen die Befunde ein vergleichsweise hohes Maß an antisemitischen Einstellungen und große Wissenslücken unter Geflüchteten aus arabischen und nordafrikanischen Ländern bzw. Ländern des Nahen und Mittleren Ostens nahe. Zugleich besteht ein großes Interesse an Information über den Holocaust."
Bernhard Junginger adressiert Muslime. Er könnte falsch liegen, wenn er vor allem auf die Religion als Ursache oder Auslöser abzielt.

Wahrnehmung bei den Juden

Der Bericht stellt den bisherigen Ausführungen auch eine Untersuchung der Wahrnehmung des Antisemitismus durch Juden gegenüber:
"Die große Mehrheit der Befragten (76 Prozent) betrachtet Antisemitismus als ein eher großes oder sehr großes Problem in Deutschland und verglichen mit verwandten Phänomenen als ein besonders großes Problem . Allerdings bewerten fast genauso viele Befragte Islamfeindlichkeit und Rassismus als ein eher oder sehr großes Problem (64 Prozent)."
Allerdings gibt es unterschiedliche Sensibilität, was als antisemitisch gilt:
"Während die nichtjüdische Mehrheitsbevölkerung diese Formen des Antisemitismus nicht immer erkennt, zeigt eine große Mehrheit der befragten Jüdinnen und Juden hier eine deutlich höhere Sensibilität. Den Befragten wurde eine Reihe von subtilen Ausdrucksformen des Antisemitismus vorgelegt, die jeweils rund 90 Prozent der Befragten eher oder auf jeden Fall als antisemitisch einstuften (hier wäre es interessant zu eruieren, welche Einstufung von der nichtjüdischen Bevölkerung vorgenommen würde)."
Zu der im Kommentar genannten Gewalt schreibt der Bericht:
"So hat eine Mehrheit der Befragten im vergangenen Jahr Antisemitismus selbst oder bei einer nahestehenden Person erfahren. 61 Prozent der Befragten gaben an, in den letzten zwölf Monaten versteckte Andeutungen erlebt zu haben, 58 Prozent hatten dies bei nahestehenden Person miterlebt. 29 Prozent berichten über verbale Beleidigungen bzw. Belästigungen und 36 Prozent der Befragten hatten diese wiederum über nahestehende Personen mitbekommen. Weitere drei Prozent der Befragten berichten davon, im vergangenen Jahr körperlichen Angriffen ausgesetzt gewesen zu sein, und sogar acht Prozent hatten dies bei nahestehenden Personen erlebt."
Auf die Frage, wie besorgt Personen über einen körperlichen Angriff auf sich selbst oder nahestehende Personen seien, antworteten 45% mit "eher besorgt" oder "sehr besorgt". Zu den Tätern wird festgestellt:
"Als Täter wurden von den Betroffenen überproportional häufig muslimische Personen identifiziert, daneben aber auch links Orientierte, rechts Orientierte und gerade bei den versteckten Andeutungen auch Personen aus der 'Durchschnittsbevölkerung'."
Auf die Frage, ob Antisemitismus auch ohne die Flüchtlinge ein Problem in Deutschland sei, stimmten 84% "eher" oder "voll und ganz" zu.

Religionen im Detail

Der Bericht geht an verschiedenen Stellen explizit auf religionsbezogene Zusammenhänge ein. Bernhard Junginger kommentiert mit Blick auf Muslime. Der Bericht widmet sich in einem eigenen Kapitel dem Salafismus, einer besonders engen Auslegung des Islam, und kommt zu diesem Fazit, das ich ungekürzt zitiere:
"Trotz dieser Hinweise auf antisemitische Grundlagen in der Ideologie des Salafismus und den häufig gegen Juden und jüdische Einrichtungen gerichteten Anschlägen von Salafisten in Europa gehen die Islamismus-Experten Olaf Farschid und Rudolph Ekkehard davon aus, dass es im 'Mainstream-Salafismus' keinen Unterschied im Verhältnis zum Judentum und zum Christentum gibt und damit auch keine 'spezifische antijüdische und in der politischen Konsequenz antizionistische Wahrnehmungen jüdischer Religion'. Beide Religionen, das Judentum umd (Fehler im Original, Anm.) das Christentum, werden als Verfälschungen von der einen göttlichen Wahrheit betrachtet. Judenfeindliche Haltungen seien eher untergeordnet. Farschid und Ekkehard betonen jedoch die Verwendung antisemitischer Stereotype bei salafistischen Bewegungen im Nahen Osten, die eine Traditionslinie einer historischen Feindschaft zwischen Juden und Muslimen zeichnen, die sich vom Frühislam bis zum israelisch-palästinensischen Konflikt hinziehe."
Hinsichtlich Muslimen im Allgemeinen wird festgestellt:
"Seit etwa zehn Jahren stehen Muslime im Fokus der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Antisemitismus in Deutschland. Dabei geraten insbesondere muslimische Verbände und Moscheegemeinden immer wieder unter Antisemitismusverdacht. Imame werden in diesem Zusammenhang v. a. als 'Hassprediger' charakterisiert. Untersuchungen zu antisemitischen Einstellungen in muslimisch geprägten religiösen Milieus, die diese Vermutungen untermauern könnten, gibt es bisher jedoch kaum."
Der Bericht zeigt auch Antisemitismus in christlichen Religionen:
"Demnach sind die nach außen hin vertretenen Positionen der großen Kirchen in Deutschland deutlich anti-antisemitisch. Aufgrund der empirischen Befunde zu antisemitischen Einstellungen in der Gesamtbevölkerung ist jedoch zu vermuten, dass die Positionierung gegen Antisemitismus in der Öffentlichkeit nicht auch zwangsläufig die Vorstellungen der Gemeindebasis widerspiegeln."
Weiter heißt es mit Blick auf eine aktuelle Studie
"Danach schützt der christliche Glaube nicht vor Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Homophobie. Je nach Bibelauslegung kann der Glaube dazu beitragen Vorurteilen entgegenzuwirken oder aber diese zu stützen und zu festigen. Zumeist lassen sich daher in den Gemeinden beide Positionen finden: Offenheit ebenso wie vorurteilsbehaftete Einstellungen gegenüber Juden, Muslimen oder Homosexuellen. Ein interessanter Befund der Studie ist die Unterscheidung zwischen dem Umgang mit Vorurteilen in Großstadtgemeinden und Dorfgemeinden. Für Großstadtgemeinden wird von einer 'intoleranten Kultur der Toleranz' gesprochen. Diese signalisiere nach außen hin eine große Offenheit gegenüber den drei genannten Gruppen, grenze aber nach innen Gemeindemitglieder, die diese Haltung nicht teilen, diskursiv aus. In dörflichen Gemeinden herrsche hingegen eine 'tolerante Kultur der Intoleranz', die insbesondere nach innen Vorurteile toleriere."

Conclusio

Bernhard Junginger bezieht Stellung und lehnt antisemitische Übergriffe in jeglicher Form klar ab. Er lehnt ebenfalls ab, Antisemitismus als Rechtfertigung für Islamkritik heranzuziehen. In beiden Punkten liegt er richtig. Allerdings setzt er einen unglücklichen Schwerpunkt, weil er bereits in der Überschrift auf Muslime abzielt. Der Bericht des Expertenkreises zeigt eindrucksvoll, in welchen Formen und in welcher Verbreitung Antisemitismus auftritt. Der Kommentar ist kein Grund, dass Nicht-Muslime sich zurückzulehnen und zu glauben, Muslime seien das Problem. Antisemitismus geht uns alle an. Härte, Rechtsstaat und Strafen sind kein hilfreiches Mittel. Bildung schon. Mit der angenehmen Nebenwirkung, dass sie auch berufliche Perspektiven eröffnen hilft und so andere gesellschaftliche Probleme mit löst.

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