Donnerstag, 27. April 2017

Ausgeladener Außenminister

Winfried Züfle hat in der Augsburger Allgemeinen vom 27.4. einen Leitartikel veröffentlicht, nachdem der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu ein Treffen mit dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel kurzfristig absagte:


Winfried Züfle beschreibt die Situation Israels als "Demokratie, die einzige im Nahen Osten", die sich in einer Ausnahmesituation befinde, weil Israel "sich gegenüber äußeren Feinden behaupten muss". Aus dieser Situation heraus "erwächst ein Freund-Feind-Denken", das von "der immer stärker werdenden politischen Rechten in den vergangenen Jahren massiv befeuert wurde". Die aktuelle Regierung Israels setzt sich konservativen, nationalreligiösen und ultraorthodoxen Parteien zusammen. Diese Regierung setzt einen auf Kurs der militärischen Stärke, zu dem auch die Besiedelung besetzter Gebiete gehört. Militärische Stärke mag angesichts der äußeren Feinde verständlich sein. Die seit vielen Jahren stattfindende Besiedelung besetzter Gebiete hingegen nicht. Denn dazu sagt die UN-Resolution 242 von 1967:
"Der Sicherheitsrat, mit dem Ausdruck seiner anhaltenden Besorgnis über die ernste Situation im Nahen Osten, unter Betonung der Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch Krieg und der Notwendigkeit, auf einen gerechten und dauerhaften Frieden hinzuarbeiten, in dem jeder Staat der Region in Sicherheit leben kann, [...] erklärt, dass die Verwirklichung der Grundsätze der Charta die Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens im Nahen Osten verlangt, der die Anwendung der beiden folgenden Grundsätze einschließen sollte: i) Rückzug  der  israelischen  Streitkräfte  aus  (den) Gebieten, die während des jüngsten Konflikts besetzt wurden"
Weiter beschreibt die UN-Resolution 2334 von 2016:
"The Security Council, [...] Condemning all measures aimed at altering the demographic composition, character and status of the Palestinian Territory occupied since 1967, including East Jerusalem, including, inter  alia, the construction and expansion of settlements, transfer of Israeli settlers, confiscation of land, demolition of homes and displacement of Palestinian civilians, in violation of international humanitarian law and relevant resolutions"
Das ist eindeutig. Jede Maßnahme, die die demografische Struktur in den seit 1967 besetzten Palästinensergebieten ändert, wird verurteilt. Das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs behandelt in seinem Artikel 8 Kriegsverbrechen:
  • Art. 8 2. a) bezeichnet "schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949" als Kriegsverbrechen und führt in iv) beispielhaft aus: "Aneignung von Gut in grossem Ausmass, die durch militärische Erfordernisse nicht gerechtfertigt" ist
  • Art. 8 2. b) bezeichnet "andere schwere Verstösse gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche" auch als Kriegsverbrechen und nennt in xvi) "die Plünderung einer Stadt oder Ansiedlung, selbst wenn sie im Sturm genommen wurde"
Die israelische Politik ist also insofern rechtswidrig, als sie gegen Resolutionen des US-Sicherheitsrates verstößt und auch nicht mit notwendigen Maßnahmen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts exkulpiert werden kann.
In der gleichen Ausgabe der Augsburger Allgemeinen findet sich ein Interview mit Arye Sharuz Shalicar zum gleichen Thema:


Manche der im Interview getroffenen Aussagen kann ich nicht unkommentiert lassen und mit diesen Kommentaren komme ich Winfried Züfle in seiner Argumentation zur Hilfe.
Arye Sharuz Shalicar sagt:
"Jeder Politiker, der aus Deutschland nach Israel kommt, fordert mit den immer gleichen stereotypen Sätzen die Zwei-Staaten-Lösung. Die wollen wir Israelis auch, aber viele Deutsche verstehen nicht, dass man diese Lösung nicht erzwingen kann. Dazu muss man Vertrauen aufbauen, sich wieder näher kommen – und dazu braucht man verlässliche Partner auf der anderen, der palästinensischen Seite."
Das ist richtig, mit Zwang und ohne Vertrauen zwischen den beteiligten Parteien wird sich keine Lösung finden lassen. Er beschreibt es selbst als etwas, in dem "sich linke wie rechte Parteien in Israel einig" seien:
"Sie wollen hier in Frieden leben - mit den Palästinensern, mit den Syrern, mit dem Libanon und auch mit dem Iran."
Eine Möglichkeit dazu böte die Zwei-Staaten-Lösung. Die Unmöglichkeit einer Alternative in einem gemeinsamen israelisch-palästinensischen Staat argumentiert Winfried Züfle sehr plausibel. Für die Zwei-Staaten-Lösung gebe es keinen "verlässliche[n] Partner auf der anderen, der palästinensischen Seite". Mag sein. Rechtswidrige Handlungen in besetzten Gebieten sind jedoch kaum als vertrauensbildende Maßnahmen einzustufen.
Arye Sharuz Shalicar sagt weiter:
"Die beiden Organisationen jedoch, die Sigmar Gabriel am Dienstag besucht hat, bauen kein Vertrauen auf, sondern säen nur neues Misstrauen."
Das kann man aus der Sicht der israelischen Regierung verstehen, da sich die beiden Organisationen als regierungskritisch verstehen. Selbst angenommen, die Organisationen würden übertreiben, böte dann nicht der Kontakt zu Gabriel und das anschließende Gespräch mit Netanjahu die Möglichkeit, dies aufzudecken?
"'Breaking the silence' und 'Betselem' sind politische Gruppierungen, die ihr Geld aus dem Ausland bekommen und dort ein Israel-Bild zeichnen, das nicht der Realität entspricht, nämlich das eines Unrechtsstaates, der die Palästinenser im Westjordanland terrorisiert."
Das Argument, eine Organisation sei aus dem Ausland bezahlt und deshalb verdächtig, vielleicht sogar Agent fremder Mächte, kenne ich eher von Russland oder der Türkei. Beides sind Staaten, die es mit Rechtsstaat und Demokratie nicht arg ernst nehmen.
"Die israelische Regierung hat kein Problem damit, wenn ausländische Gäste Regierungskritiker wie Oppositionschef Jitzhak Herzog oder die frühere Außenministerin Tzipi Livni treffen."
Auch das kenne ich von rechtsstaatlich und demokratisch ausbaufähigen Staaten, die Staatsgästen vorschreiben wollen, was der Regierung genehme Oppositionelle sind und welche nicht.
"Die Oppositionellen, mit denen Herr Gabriel sich verabredet hat, haben sich allerdings nur als Menschenrechtsorganisationen verkleidet, sie haben keine Bedeutung und sollten deshalb auch für andere Staaten keine Bedeutung haben."
Warum dann die Absage des Termins mit dem Außenminister? Wenn die Organisationen so bedeutungslos wären, wäre die Absage ein zu großes Geschütz gegen einen viel zu kleinen Spatzen. Das wäre so, als würde der chinesische Präsident ein Treffen absagen, weil sich der Staatsgast nach einem umgefallenen Sack Reis umdreht. 
"In Israel selbst nimmt diese Propaganda, die im Übrigen auch den Antisemitismus schürt, mit Ausnahmen einiger extremer Linker niemand wahr."
Antisemitisch wäre sie, wenn sie "Verhaltensweisen, die den als Juden wahrgenommenen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aufgrund dieser Zugehörigkeit negative Eigenschaften unterstellen" würde, wie ich im letzten Blogeintrag zum Antisemitismusbericht der Bundesregierung dargestellt habe. Der Bericht hat explizit auf die Grauzone zwischen Kritik und Antisemitismus hingewiesen. Im Übrigen und um mich zu wiederholen: Wäre es dann nicht besser gewesen, Netanjahu hätte sich mit Gabriel getroffen und eventuell verzerrte Sichten auf die Lage vor Ort gerade gezogen?
"Sich jetzt bedingungslos auf eine Zwei-Staaten-Lösung einzulassen wäre politischer Selbstmord, weil die Hamas aus dem Gaza-Streifen sofort das Westjordanland überrennen und auf Israel zu marschieren würde."
In Anbetracht der militärischen Überlegenheit scheint mir das Überrennen nicht sehr realistisch. Dennoch könnten Angriffe nicht ausgeschlossen werden. Deshalb verlangt oder erwartet auch niemand, "[s]ich jetzt bedingungslos auf eine Zwei-Staaten-Lösung einzulassen".
Gestern hatte Winfried Züfle in einem Kommentar in der Printausgabe der AZ über "Netanjahus Bärendienst" geschrieben:
"Premierminister Benjamin Netanjahu hat mit der Gesprächsverweigerung gegenüber Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sich, seiner Regierung und seinem Land einen Bärendienst erwiesen."
Nicht nur das, er hat sich als Tanzbär der Scharfmacher in der israelischen Regierung behandeln lassen.

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