Montag, 24. April 2017

Petry Heil

Bernhard Junginger hat in der Augsburger Allgemeinen vom 24.4. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er die Lage von Frauke Petry nach dem Parteitag der AfD analysiert:


Bernhard Junginger fasst die Vorgänge auf dem Parteitag treffend zusammen:
"Die Chefin der AfD hat die Machtfrage gestellt, und die Delegierten auf dem Kölner Parteitag haben sie gnadenlos abblitzen lassen. Ihr Versuch, den Einfluss des rechtsnationalen Flügels in der rechtspopulistischen Partei rechtzeitig vor der Bundestagswahl zurückzudrängen, um sie für breitere Wählerschichten zu öffnen, ist so heftig nach hinten losgegangen [...] Die Politik bei der AfD bestimmen jetzt endgültig andere. Alexander Gauland etwa, der vor 'Umvolkung' durch Zuwanderung warnt. Und sein Schützling Björn Höcke. Der Thüringer vom ganz rechten Rand hat mit seinen so braunen wie dummen Entgleisungen, etwa, als er das Holocaustmahnmal in Berlin als Denkmal der Schande bezeichnete, das Bild der AfD zuletzt geprägt."
Petry hatte versucht, die Partei für "viele Bürger aus der konservativen Mitte" attraktiver zu machen und ist gescheitert - Bernhard Junginger schreibt, die AfD sei für diese Menschen "endgültig unwählbar". Hoffentlich. Diese Hoffnung lässt sich stützen mit einem Blick nach Frankreich.
In Frankreich fand am gleichen Wochenende die Wahl zum Präsidenten statt. Zwei Kandidaten werden in zwei Wochen in die Stichwahl gehen: Marine Le Pen vom Front National und Emmanuel Macron von En Marche!. Der Front National ist der AfD ähnlich, weil beide in steiler Rechtskurve das politische Rennen fahren. 2011 übernahm Marine Le Pen den Parteivorsitz von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen und begann, die Partei mehr zur Mitte hin zu führen. Sie gab sich gemäßigter im Ton, behielt jedoch ihre grundsätzliche Rechtslastigkeit bei. Dadurch wurde die Partei für mehr Menschen wählbar, was sich an den Wahlergebnissen zeigte, die seit 2011 zulegen konnten. Jean-Marie Le Pen schaffte es zwar auch einmal in die Stichwahl zum Präsidentenamt, allerdings im ersten Wahlgang mit etwa 5%-Punkten weniger als Marine. Mit dem frisch gewählten Spitzenduo der AfD, Gauland und Weidl, besteht die Aussicht auf geringeren Wahlerfolg als es mit Petry zu befürchten war.

Das AfD-Wahlprogramm

Die AfD hatte auf dem Parteitag über einen Leitantrag zum Wahlprogramm zu befinden. In dem Antrag werden nicht nur die politischen Forderungen dargestellt, sondern ggfs. deren Begründung, Grundlage und behauptete Fakten. Ein paar dieser Narrative stelle ich vor, i.d.R. in der Reihenfolge, in der sie im Antrag aufgeführt sind.
"Die Rechtsstaatlichkeit, insbesondere die Gewaltenteilung, muss wiederhergestellt und der Staat seine eigentlichen Kernaufgaben, insbesondere die Innere Sicherheit, wieder gewährleisten können. Mit den Verträgen von Schengen, Maastricht und Lissabon wurde rechtswidrig in die unantastbare Volkssouveränität eingegriffen."
Unklar ist, wann die Gewaltenteilung abgeschafft wurde. Und von wem. Und warum von gewählten Regierungen geschlossene Verträge per se rechtswidrig sein sollen, auch.
"Es gibt weder ein europäisches Staatsvolk, das für ein solches Vorhaben (EU als kontinentaler Staat, Anm.) konstitutiv wäre, noch ist erkennbar, dass sich ein solches auf absehbare Zeit herausbildet."
Naja, nur wenn man Staatsvolk nicht definiert. Für das deutsche Staatsvolk sieht die AfD die Abstammung als relevant:
"Das Geburtsortsprinzip (Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit allein durch Geburt in Deutschland, auch wenn kein Elternteil Deutscher ist) wollen wir wieder aus dem Gesetz streichen und zum Abstammungsprinzip, wie es bis zum Jahr 2000 galt, zurückkehren."
"Heimlicher Souverän in Deutschland ist eine kleine, machtvolle politische Oligarchie, die sich in den bestehenden politischen Parteien ausgebildet hat. [...] Nur das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland kann durch das Mittel der unmittelbaren Demokratie diesen illegalen Zustand beenden."
Klingt nach Verschwörung. Es sind aber keine jüdischen Weltbeherrscher gemeint, oder?
"Alle Maßnahmen der EZB zur Manipulation des freien Kapitalmarkts müssen eingestellt werden. Eine Politik der künstlich herbeigeführten Null- und Negativzinsen führt zur Zerstörung der zentralen Märkte für Anleihen."
Unklar ist, was keine Manipulation des freien Kapitalmarktes wäre. Die EZB definiert Zinssätze, wie es andere Notenbanken auch tun. Unklar ist auch, wie die Anleihemärkte zerstört wurden, es werden immer noch Anleihen gehandelt.
"Unser Bargeld ist in Gefahr. Mit Unterstützung von Bundesregierung, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank wird seine schleichende Abschaffung vorbereitet. [...] Bargeld ist ein natürliches Bollwerk gegen eine weitere Absenkung der Zinsen bis in den negativen Bereich."
Unklar ist, wie das Bargeld als Bollwerk die Zinssätze hoch halten soll.
"Der erhebliche Anteil von Ausländern gerade bei der Gewalt- und Drogenkriminalität begegnet derzeit nur halbherzigen ausländerrechtlichen Maßnahmen."
Unklar ist, über welche Einzelfälle hinaus ein erheblicher Anteil sein soll. Da die AfD immer mit Abschiebung als "Lösung" hantiert, ist alles andere natürlich halbherzig.
"Zur Entlastung der innerdeutschen Justizvollzugsanstalten, aber auch zur Erhöhung der Abschreckungswirkung des Strafvollzuges sind für ausländische Straftäter durch Vereinbarungen mit ausländischen, möglichst heimatnahen Staaten dort Vollzugsanstalten einzurichten, die den Anforderungen der EMRK entsprechen, unter deutscher Leitung und der Anwendung deutschen Rechts stehen und zu denen jederzeitiger Zugang zu dienstlichen Zwecken ebenso möglich ist wie der Besuch von Angehörigen und Rechtsanwälten. [...]
Die Sicherheitslage verschärft sich vor allem in Ballungsgebieten dramatisch. Eine besondere Rolle hierbei spielen gerade junge Täter, denen derzeit ein geradezu zahnloses Recht gegenübersteht. Erzieherische Erfolge in diesem Segment lassen sich erfahrungsgemäß nur durch sofortige Inhaftierung der Täter schwerer Delikte erreichen."
Sie glauben immer noch an die Abschreckung von Strafen, vielmehr an deren "erzieherische Erfolge". Immerhin: die Todesstrafe wird nicht gefordert.
"Während die europäische Bevölkerung überaltert und schrumpft, explodiert sie in Afrika und in den arabisch-muslimischen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. In Afrika bekommt jede Frau im Durchschnitt 4,5 Kinder. Gleichzeitig nimmt die Kindersterblichkeit dank internationaler Hilfe stark ab. Die Geburtenrate in Europa liegt demgegenüber bei 1,6 und in Deutschland bei 1,4."
Als ob Afrika so einheitlich und das Thema auf einer solch generalisierten Ebene diskutierbar wäre.
"Das hohe Niveau der deutschen Sozialleistungen zieht sowohl aus anderen EU-Staaten als auch aus Drittstaaten zahlreiche Armutszuwanderer an. Hierbei werden die Freizügigkeit in der EU bzw. das Asylrecht missbraucht, um sich Zugang zum Sozialsystem zu verschaffen."
Andere Faktoren blendet die AfD aus, auch wenn sie - wie bereits hier lebende Bekannte - stärker wirken als die Sozialleistungen.
"Wir wollen verhindern, dass sich Muslime bis zum gewaltbereiten Salafismus und Terror radikalisieren."
Christen, Atheisten und andere dürfen sich radikalisieren, oder?
"Islamische Staaten wollen durch den Bau und Betrieb von Moscheen den Islam in Deutschland verbreiten und ihre Macht vergrößern. Sie führen und unterstützen einen Kulturkrieg."
Klingt ja richtig dramatisch.
"Die AfD lehnt es ab, islamischen Organisationen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen, weil sie die rechtlichen Voraussetzungen - eine ausreichende Repräsentanz, die Gewähr der Dauer und die Achtung des freiheitlichen Staatskirchenrechts - nicht erfüllen."
Wirklich alle?
"Die dramatische Zunahme der Ehe- und Kinderlosigkeit und das Verschwinden normaler mittelgroßer Familien - von den etablierten Parteien längst als alternativlos hingenommen - sorgen für eine Schrumpfung unserer angestammten Bevölkerung um mehr als 250.000 Personen pro Jahr, mit stark steigender Tendenz."
Das statistische Bundesamt kommt nur auf jährlich 50.000 über die letzten Jahre.
"Gender-Ideologie marginalisiert naturgegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern und stellt geschlechtliche Identität in Frage. Sie will die klassische Familie als Lebensmodell und Rollenbild abschaffen. [...] Die Gender-Ideologie widerspricht sowohl den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Biologie und der Entwicklungspsychologie als auch der lebenspraktischen Alltagserfahrung vieler Generationen. [...]
Die 'Gender-Forschung' ist keine seriöse Wissenschaft, sondern folgt der ideologischen Vorgabe, dass das natürliche Geschlecht (Sex) und das soziale Geschlecht (Gender) voneinander völlig unabhängig seien. Ziel ist letztlich die Abschaffung der natürlichen Geschlechterpolarität."
Schimmert da die gleiche Fundierung durch wie bei dem Begriff "Rasse", bei dem auch alles mögliche behauptet wird über Unterschiede? Und betont eine biologisch-genetische Perspektive, währenddessen die psychologisch-soziale ignoriert wird.
"Die sogenannte 'neue Lernkultur', die den klassengeführten Unterricht durch selbstgesteuertes, kompetenzorientiertes Lernen ersetzt, hat zu massivem Leistungsabbau bei den Schülern geführt."
Unklar ist, wie sich der massive Leistungsabbau zeigen und warum das durch die "neue Lernkultur" verursacht sein soll.
"Die AfD bekennt sich zur deutschen Leitkultur. Diese fußt auf den Werten des Christentums, der Antike, des Humanismus und der Aufklärung. [...] Die Ideologie des Multikulturalismus gefährdet alle diese kulturellen Errungenschaften."
Wow, alle diese Werte sind zweifelsfrei deutschen Ursprungs. Zumindest wenn Deutschland bis nach Israel, Griechenland, Frankreich gedacht wird.
"Wir wollen auf breiter Front deregulieren und Bürokratie abbauen. Mit Sorge beobachten wir zu viele und ineffiziente Regulierungen, welche die Entwicklung insbesondere der mittelständischen Unternehmen behindern."
OK, das klingt schon fast nach Mainstream.
"Es gilt die hohe Kinderarmut und die drohende Altersarmut zu bekämpfen. Eine Vielzahl von Arbeitslosen ist in Beschäftigung zu bringen. Die Infrastruktur unseres Landes ist in Teilen heruntergewirtschaftet, ohne dass dies in den öffentlichen Haushalten abgebildet wird. Die Stabilisierung der Sozialsysteme erfordert bei einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung besondere Anstrengungen."
Auch dieser Themenkreis ist ein Problemfeld, das sich Politik widmen muss.
"Das Spurengas Kohlenstoffdioxid (CO2) ist kein Schadstoff, sondern eine unverzichtbare Voraussetzung für alles Leben. Die Aussagen des Weltklimarats (IPCC), dass Klimaänderungen vorwiegend menschengemacht seien, sind wissenschaftlich nicht gesichert. Sie basieren allein auf Rechenmodellen, die weder das vergangene noch das aktuelle Klima korrekt beschreiben können."
Augen zu und durch.
"Umweltzonen haben nachweislich nicht zur Reduzierung der Feinstaubemission beigetragen. Sie sind daher abzuschaffen."
Der ADAC zweifelt ebenfalls an der Wirksamkeit, negiert sie aber nicht vollständig und will sie abschaffen, weil sie im Verhältnis zur Wirkung ein zu stark eingreifendes Mittel seien.

Conclusio

An mehreren Stellen orientiert sich das Wahlprogramm an tatsächlich relevanten Problemen. Allerdings werden teilweise irritierende Behauptungen aufgestellt und politische Lösungen im typischen Duktus erhoben (v.a Ausländer und Muslime etc. als Ursache, die es zu bekämpfen gilt). Mit einer Frauke Petry an der Spitze hätte sich das Programm durchaus an die von Bernhard Junginger genannte konservative Mitte verkaufen lassen. Mit Gauland und Konsorten wird das kaum gelingen, da sind die Töne zu eindeutig zu rechts.
Bernhard Junginger schreibt zum Schluss:
"In der Hoffnung, am Ende doch recht zu behalten, klammert sich die gedemütigte Noch-Parteichefin fast trotzig an ihr Amt. Weniger dünnhäutig als ihr Vorgänger Lucke, ist Frauke Petrys Machthunger größer als ihr Stolz."
Wir werden sehen, ob sie ihren Machthunger nach der Bundestagswahl noch mit der AfD stillen will.

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