Donnerstag, 1. September 2016

Blick nach vorn in die Vergangenheit

Die Augsburger Allgemeine veröffentlicht am 1.9. einen Artikel von Michael Stifter:


In dem Artikel kommt auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer zu Wort. Merkel beschreibt die aktuelle Flüchtlingssituation auch als Folge von Fehlentscheidungen in den frühen Jahren des Jahrhunderts. Dort wären nicht die notwendigen Entscheidungen getroffen worden, um die vorhersehbare Entwicklung für Europa adäquat zu bearbeiten und die notwendigen Vorbereitungen und Schritte einzuleiten. Weiter wird ausgeführt:
"Merkel hält es für 'völlig verständlich', dass mit der Zahl der Asylbewerber auch die Angst vieler Bürger gewachsen ist. Erst recht seit den Anschlägen durch Flüchtlinge in Bayern. 'Über Gefährdungen müssen wir offen sprechen und konsequent dagegen vorgehen' sagt die CDU-Chefin. Sie stellt aber auch klar, dass 'die ganz große Mehrheit der Flüchtlinge sich vor Gewalt, Mord, Bomben und Terror zu uns in Sicherheit gebracht hat und sich nichts als Ruhe und eine neue Chance zu leben wünscht.'"
Beide Aspekte kann und muss man klar zur Kenntnis nehmen. Auch wenn die Grenzöffnung vor einem Jahr einen starken Anstieg der Flüchtlingszahlen ausgelöst hat und die Grenzöffnung eine menschlich-moralische Entscheidung der Bundeskanzlerin war, gibt es weitere Gründe, die zu den Flüchtlingszahlen und dem Umgang in Europa mit den Flüchtlingen geführt haben. Diese Gründe liegen teilweise Jahre und Jahrzehnte zurück. Und vergessen wir nicht: Die Grenzöffnung erfolgte unter dem Eindruck des grauenhaften Verbrechens, bei dem Schleuser in einem LKW nach dem Grenzübertritt von Ungarn nach Österreich über 70 Menschen ersticken ließen.
Die Analyse Merkels kommentiert Andreas Scheuer so:
"Der ständige Blick zurück und die Rechtfertigungen für Entscheidungen aus der Vergangenheit bringen uns nicht weiter, solange die Spätfolgen immer noch auf dem Tisch liegen".
Wie viele Seelen wohnen ach in seiner Brust? Einerseits wirft er bzw. die CSU Merkel immer wieder vor, falsch entschieden zu haben. Wenn Merkel selbst auf die Entscheidung zurückblickt, kommt der Vorwurf, das bringe niemanden weiter.
Andreas Scheuer wird weiter zitiert:
"Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Deutschland Deutschland und Bayern Bayern bleibt."
Ja, und "Daham statt Islam" sagte die FPÖ. Was für eine Angst muss Andreas Scheuer haben vor dem Untergang der deutschen Leitkultur. Im November 2015 schrieb er:
"Integration kann nicht bedeuten, dass sich die einheimische Bevölkerung und die Flüchtlinge auf halbem Weg treffen und daraus eine neue Kultur entsteht. Es gibt keine Alternative zur deutschen Leitkultur – Multi-Kulti ist gescheitert."
Warum glaubt er, einige Hundertausend Flüchtlinge würden die Leitkultur aushebeln können? Befürchtet er, dass zukünftig deutsche Frauen scharenweise von deutschen Männern in die Burka gezwungen werden? Hat er ein Kulturverständnis, wie es die CSU im Dezember 2015 mit der "kulturellen Statik" umschrieben hat? Warum hat er keine Angst vor dem Untergang der Leitkultur angesichts amerikanischer Einflüsse wie Facebook? Vielleicht weil Amerikaner keine Burka tragen? Weil sich aus der Islamangst leichter politisches Kapital schlagen lässt?
Ein weiteres Beispiel für das Kulturverständnis Andreas Scheuers findet sich im Artikel:
"Das wird aber nur gelingen, wenn wir die meisten Flüchtlinge schnell in ihre Heimat zurückführen, sobald dort wieder Frieden herrscht“, sagt Scheuer. Diejenigen ohne Bleibeperspektive müssten das Land sofort wieder verlassen."
In einem Rechtsstaat, auf den sich die CSU so gern beruft, ist es nicht so einfach, nur durch die Abwesenheit einer Bleibeperspektive die sofortige Ausreise zu verfügen. Rechtsmittel wie Einsprüche, Berufungen, Revisionen dienen dem Rechtsschutz und sind zentraler Bestandteil eines europäischen Rechtsstaatsverständnisses. Zu diesem Verständnis gehört auch ein Diskriminierungsverbot, das eine unterschiedliche Behandlung von Menschen aus nicht sachgerechten Gründen untersagt. Andreas Scheuer vermittelt mir den Eindruck, er macht sich seine Welt, wie sie ihm gefällt. Er trägt manche Monstranzen vor sich her, aber immer nur in Ausschnitten. Er verkürzt damit die Realwelt unangemessen.

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