Sonntag, 21. August 2016

Staatsvertrauen in der Krise

Die Augsburger Allgemeine hat am 20.8. einen Leitartikel von Walter Roller veröffentlicht zum Wahlkampfthema Sicherheit:


Das was die Unionsparteien als Sicherheitspaket geschaffen haben, ist der erste Schatten des langen Bundestagswahlkampfes. Die gefühlte verlorene Sicherheit muss die Union als Aufruf verstehen, wie Walter Roller schreibt:
"Die Union steht wie keine andere Partei für einen wehrhaften Staat, der Sicherheit und Freiheit als zwei Seiten einer Medaille begreift."
Ich hoffe, dass im "Umfragetief der Union und [im] Aufstieg der AfD" die zweite Seite der Medaille nicht unter die Räder gerät. Immerhin hat der Bundesinnenminister Forderungen nach einem Burka-Verbot widerstanden, das - wie Walter Roller schreibt - "symbolischer Natur" ist. Denn das hat mit Sicherheit mit Sicherheit nichts zu tun. Keiner der Attentäter in Deutschland trug ein solches Kleidungsstück und sie wären als Männer ohnehin nicht typische Burka-Träger.
Walter Roller zählt auf:
"mehr Polizisten, eine bessere technische Ausstattung, eine engere Kooperation in der EU, die Kontrolle des Cyberraums, die konsequentere Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern, Gefährdern und Hasspredigern. Was ist daran verkehrt?"
Nichts daran ist verkehrt, wenn die Maßnahmen sachgerecht und mit dem gebotenen Augenmaß definiert und umgesetzt werden. Die ersten drei Punkte sind für Kritik wenig anfällig, denn mehr Personal, bessere Ausstattung und bessere Zusammenarbeit können als Grundpfeiler jeglicher Sicherheitsanstrengungen verstanden werden. Für die "Kontrolle des Cyberraums" wird es schon schwieriger, den richtigen Weg zwischen Sicherheit und Freiheit zu finden. Die "konsequentere Abschiebung" scheitert ja meist nicht an einer gesetzlichen Lücke, sondern an der tatsächlichen Durchführung: der Zielstaat verweigert die Aufnahme, die Fluglinie verweigert die Mitnahme sich widersetzender Personen, bei bestimmten Zielorten stehen höhere Rechtsgüter als das Abschieberecht der Abschiebung entgegen.
Ein paar andere Sicherheitsforderungen werden von Walter Roller richtig analysiert:
"Aber hier ist das vorrangige Kalkül, im Wahlkampf ein paar leichte Punkte zu machen und den konservativen Anhang mit Merkel ein bisschen zu versöhnen, deutlich zu spüren."
Wahrscheinlich dürfen wir uns im langen Wahlkampf auf einige Blüten gefasst machen, wenn Umfragen die AfD reüssieren sehen und vor allem die CSU glaubt, mit AfD-nahen Forderungen konservatives Klientel bedienen zu können.
Eine Passage im Leitartikel ist jedoch fragwürdig. Walter Roller qualifiziert die Aussage von Merkel, es gäbe keinen Zusammenhang zwischen Terrorgefahr und Flüchtlingen:
"Merkels steile These, die im Widerspruch zur Einschätzung von Sicherheitsexperten steht, entspricht ihrem generellen Kurs, nur ja keine Fehler oder Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik einzugestehen."
Warum ist eine These "steil", wenn sie im Widerspruch zu Expertenmeinungen steht? Wenn Walter Roller bei "Sicherheitsexperte" an Rainer Wendt denkt, den Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft, ist das das gleiche Expertenniveau, das man von einem Vorstand in der Pharma-Industrie zum Thema Gesundheitswesen kennt. Mir kommt der Begriff "Lobbyist" in den Sinn.
Vielleicht ist Walter Roller einer Verwechslung aufgesessen: Das zeitliche Zusammentreffen des Flüchtlingszuzuges einerseits und die zunehmende Hinwendung islamistischer Terroristen nach Europa und damit auch Deutschland verwechselt er mit Kausalität. Die Terrorprofis des IS sind nicht darauf angewiesen, als Flüchtling getarnte Attentäter nach Europa zu schleusen. Sie können mit Erfolg bereits hier lebende Personen requirieren, wie die Anschläge in Brüssel gezeigt haben. Und: ich traue dem IS soviel Flexibilität zu, dass er bei einer verstärkten Kontrolle von Flüchtlingen Wege finden wird, diese Kontrollen zu umgehen. Denn der IS verfügt über die notwendige Logistik und die notwendige Motivation. Je stärker der IS in seinem "Staatsgebiet" unter Druck gerät, desto mehr wird er versuchen, außerhalb dessen aktiv zu werden. Wie stark seine Motivation ist, lässt sich im Beitrag "Why we hate you & why we fight you" des professionell gemachten IS-Magazins nachlesen, aus dem ich vor zwei Tagen zitiert habe. Natürlich ist es plausibel anzunehmen, dass der IS versuchen wird, in den Flüchtlingen versteckt Terroristen nach Deutschland zu bringen. Allerdings ist es nicht plausibel, dass der Terror mit den Flüchtlingen nach Deutschland gekommen sei, wie im Leitartikel anklingt.

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