Dienstag, 6. September 2016

Walter Rollers Albtraumbeschreibung

Die Augsburger Allgemeine hat am 6.9. einen Leitartikel von Walter Roller veröffentlicht zum Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern:


Walter Roller hat Recht, wenn er das Ergebnis als Debakel, ja Albtraum beschreibt:
"Der Weg der AfD in den Bundestag ist geebnet. Damit wird jener Albtraum wahr, der die Union seit den Zeiten von Kohl und Strauß umtreibt: Rechts von der Union macht sich eine demokratisch legitimierte Partei breit, die das angestammte national-konservative Wählerreservoir von CDU und CSU dauerhaft anzapft."
Andererseits ist das ein Vorgang, der Parteien am linken Spektrum ebenso traf und - wenn man so will - als Zeitgeist auch in anderen Ländern auftritt:
"Nun widerfährt der Union, was der SPD auf der linken Seite mit den Grünen und der Linkspartei passiert ist. Nun ereignet sich auch in Deutschland, was in vielen Ländern Europas längst eingetreten ist: Eine populistische, dezidiert rechte, mit einfachen Parolen operierende Partei wird zur parlamentarischen Konstante."
Das Phänomen des populistisch erstarkenden politischen Randes tritt auch außerhalb Europas auf, wie Donald Trump in den USA oder Rodrigo Duterte auf den Philippinen beweisen. Walter Roller verortet für Deutschland die Verantwortung bei Angela Merkel:
"Selbstverständlich hat der Siegeszug der AfD auch mit dem angestauten Frust vieler Wähler über die politische Klasse, die EU und soziale Probleme zu tun. Und natürlich fühlt sich ein Teil der konservativen Klientel in der CDU schon länger nicht mehr daheim. Aber es war und ist die Flüchtlingspolitik Merkels, die der AfD Auftrieb verschafft. Ehe die Kanzlerin hunderttausende Muslime einreisen ließ, war die AfD so gut wie erledigt. Deren Erfolge sind die Folge des massiven Vertrauensverlustes, den die Kanzlerin mit ihrer Politik der offenen Grenzen bis weit in die bürgerliche Mitte hinein erlitten hat."
Darin stecken viele Hinweise auf die Gründe für das Erstarken einer Partei rechts der Union. Schon allein, wenn sich ein Teil der konservativen Klientel in der CDU nicht mehr daheim fühlt, ist das eine Einladung für geschickt agierende Parteien, diese neue Heimat anzubieten. Dazu kommt der "Frust über die politische Klasse, die EU und soziale Probleme". Das zeigt aber auch die breite der Motivation, Protest wählen zu wollen. Frust über die politische Klasse trifft alle etablierten Parteien und wird von der AfD meisterlich bedient. Sie ist eine junge Partei, sie wird von allen etablierten Parteien gemieden und kann sich so hervorragend gegen das Establischment positionieren. Sie ist nicht so radikal wie die NPD und damit für breitere Schichten kein Belzebub. Die EU taugt generell als Zielscheibe für die Idee, national Probleme besser lösen zu können bzw. Probleme erst verursacht zu haben. Soziale Probleme sind teilweise verursacht durch Entwicklungen, die sich einer Politik entziehen: Globalisierung, Digitalisierung und die dadurch ausgelösten Änderungen im Arbeits- und Privatleben sind nicht verhinderbar und schüren Ängste.
Die Flüchtlinge sind ja nicht eine wirkliche Gefahr für den deutschen Sozialstaat, die Finanzen und die Gemeinschaft. Einzelne Gefährder unter den Flüchtlingen ändern daran nichts. Aber sie geben als Gesamtheit einen wunderbaren Sündenbock, der mit religiöser Garnitur die Bühne betreten hat: Sie saugen den Sozialstaat aus, nehmen Arbeitsplätze weg, vergewaltigen Frauen, fressen Kinder und unterwerfen ganz Europa unter ihre mittelalterliche Kultur. Merkels "Wir schaffen das" war der Auslöser, um den Scheinwerfer auf Merkel zu richten und sie als Projektionsfläche für alle Kritik an der Politik und nicht nur Merkels Politik zu inszenieren. Weder hat Merkel fehlerfrei Politik betrieben noch ist sie Schuld an allem, was der Bevölkerung nicht passt. Die AfD war nicht erfolgreich, weil sie für Mecklenburg-Vorpommern ein politisch tragfähiges Angebot gemacht hätte. Sie hat - bei großzügiger Betrachtung - Bundespolitik gemacht. Sie schafft, was andere Parteien nicht schaffen: ihre Politik zu verkaufen. Die einfachen Botschaften sind schnell gehört und leicht verstanden. Sie erreichen auch diejenigen, denen etablierte Politik zu schwierig oder fruchtlos ist; Wahlforscher sprechen von aktivierten Nichtwählern. Sie bieten einfache Erklärungs- und Lösungskonzepte und behaupten, ohne das langwierige politische Abwägen auszukommen. Sie benennen einen Schuldigen.
Walter Roller schreibt:
"Der Kanzlerin bleibt also noch Zeit, um die drohende Niederlage 2017 zu verhindern und – das ist die zwingende Voraussetzung hierfür – die Kontrolle über die Zuwanderung zurückzugewinnen."
Wenn Zuwanderung - insbesondere ohne die notwendige Unterscheidung in die Ursachen "Flucht" und "andere Ursachen" - das einzige Thema ist, mit dem der Bundestagswahlkampf geführt wird, wirft das ein dunkles Licht auf den Zustand der hiesigen Demokratie. Die Bundestagswahl stellt das Ruder für die nächsten Jahre in der Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik, in der Sicherheitspolitik und einem breiten weiteren Spektrum. Es ist fahrlässig von den Wahlkämpfern, das eine Thema Flüchtlinge so zu exponieren. Und es ist fahrlässig von den Wählern, wenn sie sich nur von diesem einen Thema anlocken ließen.

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