Dienstag, 20. September 2016

Merkel erklärt sich

Die Augsburger Allgemeine hat am 20.9. einen Leitartikel von Walter Roller zu den Wahlergebnissen der CDU veröffentlicht:


Walter Roller beschreibt zutreffend das Wahljahr 2016:
"Die CDU ist die große Verliererin des Wahljahres 2016. Sie hat fünf Landtagswahlen mit Pauken und Trompeten verloren. Die einst große, stolze Volkspartei CDU ist im Sinkflug; die Wähler laufen ihr in Scharen davon. Auch die SPD hat überall massive Stimmenverluste erlitten und steckt bundesweit im Dauertief. Doch die Soziademokratie hat es 2016 immerhin geschafft, ihre Machtposition in den Ländern zu behaupten. Die SPD ist an 13 von 16 Regierungen beteiligt, die Union nur noch an sieben."
Nutznießer ist die AfD. Walter Roller weißt auf den Haupttreiber dieser Entwicklung hin:
"Aber es besteht kein Zweifel daran, dass die Niederlagen der CDU in erster Linie mit der Flüchtlingspolitik Merkels und den dadurch ausgelösten Vertrauenseinbußen zu tun haben. Der staatliche Kontrollverlust im Zuge der Masseneinwanderung war Wasser auf die Mühlen der rechtspopulistischen AfD, die nun in zehn Parlamenten sitzt und den Protest kanalisiert."
Die AfD kanalisiert einen Protest, der die Flüchtlinge als Kristallisationspunkt missbraucht. In der gleichen Ausgabe der AZ wird über die Aussagen Merkels berichtet, mit denen sie ihre bisherige Politik bewertet. In diesem Bericht wird in der Printausgabe eine Grafik gezeigt zu Ansichten von allen Wählern und von Wählern der AfD im Besonderen:


83% der AfD-Wähler haben Angst vor der Anzahl der Flüchtlinge und ebenfalls 83% sind der Meinung, für die Flüchtlinge würde mehr getan als für die einheimische Bevölkerung. Bei der FPÖ, dem großen Vorbild der AfD, tönte es Anfang 2016 so:
"Wenn Sozialminister Stöger sein Amt als 'Lebensaufgabe' sehe und es sein Ziel sei, dass in seiner Amtszeit die Arbeitslosigkeit sinken solle, dann müsse er sofort an die Arbeit gehen und sich in erster Linie um die Österreicher kümmern. 'Die eigenen Leute müssen nun im Fokus seiner Ministertätigkeit stehen und daher braucht es in Bälde einen Plan, wie Österreichs Sozialsystem und der Arbeitsmarkt vor dem Ansturm an Asylwerbern geschützt werden kann – das ist gleich einmal die erste Hausaufgabe, die der neue Sozialminister in den nächsten Wochen erledigen muss', forderte der FPÖ-Sozialsprecher."
Es geht vor allem um die Angst, die Flüchtlinge würden etwas bekommen, was eigentlich den eigenen Leuten, den Einheimischen zustünde. Interessant in diesem Zusammenhang ist der zweite Teil der Grafik: 72% der Wechsler zur AfD gaben an, dies wegen der Flüchtlinge getan zu haben und 28% wegen der sozialen Gerechtigkeit. Wenn es wirklich um die-Flüchtlinge-nehmen-mir-etwas ginge, wäre da nicht die soziale Gerechtigkeit das lohnendere Thema? Das ist in etwa so, als ob man zur Anti-TTIP-Demo führe und dort mit dem in Asien hergestellten Smartphone eines amerikanischen Herstellers Selfies macht, die über in den USA entwickelte soziale Medien weltweit verbreitet werden. Es verfestigt sich der Eindruck, dass die Flüchtlinge als willkommene Projektionsfläche für alles Mögliche herhalten müssen. Die AfD poliert diese Fläche mit Inbrunst und offensichtlichem Erfolg. Die CSU greift teilweise auch schon in die (FPÖ)Trickkiste. Andreas Scheuer fabuliert von Senegalesen, die man nicht mehr loswerde und zieht damit den Unmut auf sich, was ihn dazu bringt, von einem Missverständnis zu reden. Aber gesagt wurde es und damit der Eindruck vermittelt, die CSU stünde für die harte Linie.
Walter Roller schreibt:
"Angela Merkel hat einen beträchtlichen Teil der konservativen Stammkundschaft vergrault und läuft Gefahr, auf Dauer mehr Wähler zu verlieren, als sie in der Mitte hinzugewinnen kann."
Da taucht die Frage auf, ob Merkel die CDU mehr in die Mitte geführt hat. Oder ob die Wähleransichten mehr zu den Extremen, zu den Rändern tendieren als früher. Manche Politik Merkels ist ein Indiz für ihre Bewegung zur Mitte. Andererseits gibt es tatsächlich einen Wandel in den Ansichten der Wähler hin zu den Rändern, der zum Teil verständlich (Beispiel: Sylvester in Köln), zum Teil populistisch angetrieben ist.
Walter Roller schlussfolgert:
"Merkels kämpferischer Auftritt nach dem Berlin-Desaster lässt drei Schlussfolgerungen zu. Erstens: Die Kanzlerin will es 2017 noch einmal wissen. Zweitens: Sie will ihre Flüchtlingspolitik fortan besser erklären. Drittens: Sie scheint nun bereit, das von der CSU geforderte 'Signal' für eine nachhaltige Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung zu liefern."
Die zweite Schlussfolgerung, nach der Merkel ihre Politik besser erklären will, ergibt sich auch aus der Rede Merkels. Das ist sicher nötig und wird schwierig werden, weil diese Erklärungen naturgemäß leisere Töne sein werden als das Geschrei der AfD und der CSU. Schwierig zudem, weil Erklärungen eher auf den Kopf zielen, die AfD vor allem auf den Bauch. Sich Gehör zu verschaffen mit ihren Erklärungen wird für Merkel eine große Herausforderung werden.
Die dritte Schlussfolgerung, nach der Merkel bereit zu sein scheint für ein Signal an die CSU, wird genau zu beobachten sein. Weniger auf der Seite der Senderin, mehr auf der Seite der Empfänger. Die Empfänger scheinen taub zu sein, sofern im Signal nicht das Wort "Obergrenze" vorkommt. Diese Taubheit verhindert wahrscheinlich auch die Wahrnehmung der rechtlichen, menschenrechtlichen und moralischen Grenzen dieser Forderung. Wo viele eine Sturheit Merkels sehen, sehe ich vor allem eine Weigerung, der vermeintlichen Themenführerschaft der AfD zu folgen. Dass das nichts bringt, haben die letzten Wahlen gezeigt, bei denen die AfD trotzdem erfolgreich war. Es täte auch der CSU gut, nicht auf die AfD herein zu fallen. Die Wiener SPD war im letzten Wahlkampf genau deshalb erfolgreich, weil der Oberbürgermeister Häupl sich klar von der FPÖ und ihren Forderungen distanziert hat. So geht klare Kante, nicht in einer vermeintlich harten Linie gegen Flüchtlinge und Asylbewerber.

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