Freitag, 9. September 2016

Vom Klein- und Großreden

Walter Roller hat in der Print-Ausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 9.9. einen Leitartikel veröffentlicht zum unionsinternen Streit in der Flüchtlingspolitik und dem Aufstieg der AfD:


Walter Roller ordnet die Aktivitäten der CSU gut ein:
"Richtig ist: Seehofer und seine Schildknappen führen ihre Kampagne gegen die Flüchtlingspolitik Merkels mit Worten und Begriffen ('Herrschaft des Unrechts'), die - wie der jüngste Forderungskatalog auch - das nötige Augenmaß vermissen lassen und gelegentlich an das Vokabular der AfD erinnern. Richtig ist auch: Die ständigen massiven Angriffe auf die Kanzlerin schaden dem Erscheinungsbild der Union und der Großen Koalition."
Zur Frage, wer die AfD groß gemacht habe, schreibt er ebenfalls richtig:
"Aber der grundsätzliche Vorwurf, erst Seehofer habe die AfD groß gemacht, ist falsch [...]"
Allerdings teile ich nicht die Ansicht im weiteren Fortgang des Satzes:
"[...] und zeugt von einer ganz großen Bundestagskoalition, die mit der Masseneinwanderung einhergehenden Probleme kleinzureden."
Der Vorwurf bezeugt keine große Bundestagskoalition. Die AfD schafft ihren Aufstieg selbst, sie braucht keinen Seehofer - auch wenn der gerne hilft. Die AfD ist geschickt im Aufgreifen der Stimmungen und deren Einsatz für die eigenen Ziele. Der Vorwurf an Seehofer, er habe die AfD groß gemacht, ist kein Zeichen für ein Kleinreden der Probleme, sondern ein Großreden Seehofers. Walter Roller schreibt:
"Der Aufstieg der Rechtspopulisten hat mit jener Politik der offenen Grenzen zu tun, die einem großen Teil der Bevölkerung Unbehagen, ja Furcht bereitet."
Nicht nur. Aber auch. Denn die AfD sammelt vor allem bei jenen Punkte und Stimmen, die "denen da oben" grundsätzlich misstrauen. Walter Roller schreibt:
"Die AfD ist eine rechte, teils radikale, Abschottung predigende Partei, die auch vom Unmut über die politischen und wirtschaftlichen Eliten profitiert. Ihr ist weder durch Ausgrenzung und Dämonisierung noch dadurch beizukommen, dass man alle ihre Wähler als 'sozial abgehängt' und nicht ausreichend aufgeklärt abtut."
Richtig, denn Ausgrenzung und Dämonisierung wäre der Beweis für das Selbstverständnis der AfD, dass sie die einzige echte Opposition, die einzige echte Alternative ist. Der Markenkern der AfD ist die Distanzierung von den etablierten Parteien. Die gleiche Wirkung wird erzielt, wenn die AfD-Wähler ausgegrenzt werden, wodurch es schwerer wird, sie vom Wählen der AfD abzubringen.
Das Problem ist nur, dass "eine harte Auseinandersetzung mit der AfD in der Sache", wie Walter Roller fordert, keine Wirksamkeitsgarantie hat. Denn eine solche Auseinandersetzung müsste sachlich, faktenbasiert erfolgen. Doch Fakten sind nicht das Triebmittel, das die Wähler zur AfD treibt. Es sind Ängste, Vorurteile bis hin zu Verschwörungstheorien, Übertreibungen, Emotionales. Zudem: Die Vokabel "Lügenpresse" zeugt von einer grundsätzlichen Ablehnung der Institutionen, die die notwendigen Fakten liefern könnten. Fakten würden also die Adressaten der "harten Auseinandersetzung in der Sache" nicht erreichen. Die von Walter Roller genannte Grenze "des Möglichen und Verkraftbaren" ist kaum ein echter Wegweiser, wie beispielsweise die Diskussion über den Notstand und die Obergrenze in Österreich zeigt. Nur weil einige Flüchtlingsunterkünfte überbelegt sind, nur weil einige Schulen nicht auf syrische Kinder eingerichtet sind, nur weil es längere Wartezeiten auf Ämtern gibt, ist das alles noch kein Notstand. Das alles rechtfertigt noch keine zahlenmäßig definierte Obergrenze.
Einige Hinweise zum Aufstieg der AfD finden sich in der Studie "Generation Mitte 2016" des Instituts für Demoskopie Allensbach. Die folgenden Aspekte sind der Präsentation von Prof. Dr. Renate Köcher entnommen, die die Ergebnisse der Studie zusammenfasst. Im Überblick auf Seite 1 heißt es:
"Das Lebensgefühl der mittleren Generation ist von einer wachsenden Kluft zwischen der persönlichen Situation und Skepsis in Bezug auf die gesellschaftliche Lage und Entwicklung geprägt
Während die eigene Lebensqualität als hoch eingestuft wird und sich immer mehr als Wohlstandsgewinner sehen, wächst die Verunsicherung über die gesellschaftliche Entwicklung
Der Zukunftsoptimismus der mittleren Generation ist gesunken wie auch ihr Sicherheitsgefühl, und zwar sowohl in Bezug auf ihre materiellen Perspektiven wie in Bezug auf innere Sicherheit"
21% der Befragte sehen eine Verschlechterung der eigenen Lebensqualität. 39% berichten von einer verbesserten wirtschaftlichen Lage im Vergleich zu vor fünf Jahren, nur 20% von einer Verschlechterung. Insgesamt 42% sehen ihre soziale Stellung besser als die ihrer Eltern, wobei 52% der Personen mit hohem sozioökonomischen Status und nur 28% derer mit niedrigem Status die Verbesserung sehen. Im Vergleich zu 2015 sehen in 2016 nur noch 43% mit Hoffnung (2015: 57%) und mit starker Zunahme auf 42% (2015: 30%) mit Befürchtungen/Skepsis in die Zukunft. Dabei werden für die nächsten 10 Jahre vor allem die Unterschiede zwischen Arm und Reich, die wirtschaftliche Lage in der Euro-Zone, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus, Terror, Flüchtlinge und islamischer Einfluss als die relevantesten Faktoren gesehen.
Die innere Sicherheit gerät zunehmend ins Blickfeld. 68% sehen eine Zunahme der Kriminalität. Die Kriminalstatistik 2015 kann das nicht bestätigen. Auch aktuellere Zahlen, die im Hinblick auf sich ändernde Bevölkerungszahlen gewichtet sind, bestätigen die Befürchtungen nicht. Ein Hinweis, dass die "harte Auseinandersetzung in der Sache" schwieriger werden wird, als man es sich wünschen würde.
Ein weiterer Hinweis auf die Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung zeigt sich in der Allensbach-Studie zur Frage nach den Voraussetzungen einer erfolgreichen Integration. Genannt werden auf den Spitzenplätzen mit jeweils über 80% die Integrationsbereitschaft, Gleichheit der Frauenrechte, Deutschkenntnisse und Akzeptanz der deutschen Grundprinzipien. Alles berechtigte Punkte. Allerdings alles auch Punkte, die eine Bringschuld der Zuwanderer beschreiben. Es findet sich kein Hinweis darauf, was Deutschland tun muss (nicht nur sollte!), um erfolgreiche Integration zu schaffen. 63% der Befragten meinen, die Zuwanderer müssen die Bereitschaft haben, unter Deutschen und "nicht zusammen mit anderen Zuwanderern" leben zu wollen. Da ist es nicht hilfreich, ständig das Anderssein der Zuwanderer zu betonen: ihre Kultur, ihre Religion etc. Natürlich gibt es Unterschiede, aber in dem Moment, wo diese Unterschiede als Differenzierungsschema zwischen "denen" und "uns" herausgestellt werden, wird Integration erschwert. Genau hier agiert die AfD. Sie betont die Unterschiedlichkeit, sie baut aus dieser Unterschiedlichkeit ein Argumentationsgebäude. Die Studie schreibt auf Seite 7:
"Die höheren Sozialschichten stehen Zuwanderung wesentlich offener gegenüber als Mittel- und Unterschicht"
Das widerspricht der Behauptung Walter Rollers, "dass man alle ihre Wähler [der AfD, Anm.] als 'sozial abgehängt' und nicht ausreichend aufgeklärt abtut." Natürlich sind nicht alle AfD-Wähler abgehängt, aber eine negative Korrelation zwischen Sozialstatus und AfD-Zustimmung findet sich wiederholt in Studien. Um Walter Rollers Vokabel zu benutzen: Es hilft nichts, diese Korrelation kleinzureden. In der Auseinandersetzung mit der AfD ist es notwendig, die Zielgruppe mit geeigneten Mitteln und Argumenten anzusprechen. Diese Mittel und Argumente müssen andere sein als die, mit denen man höhere Sozialschichten erreichen kann. Und sie werden andere sein, als sie die etablierten Parteien bisher einsetzen. Die AfD ist deshalb erfolgreich, weil sie ihre Zielgruppe mit einer zielgruppenkonformen Sprache erreicht und vorgibt, sie zu verstehen. Gegen diesen Erfolg zu kämpfen ist deshalb schwer, weil ständig behauptet wird, die etablierten Parteien hätten nicht verstanden. Das betont die sprachliche Differenz, das schafft Gruppengefühle, das bindet AfD-Wähler untereinander und schafft Distanz zu den etablierten Parteien.

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