Montag, 31. Juli 2017

Antriebslos

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen vom 31.7. einen Leitartikel veröffentlicht zum aktuellen Geschehen rund um Dieselfahrzeuge, Fahrverbote, Luftverschmutzung, Verfehlungen in Politik und Industrie:


Jürgen Marks schreibt:
"Eigentlich ist es wie so oft. Die Politik wartet, bis es gar nicht mehr anders geht. Erst dann sucht sie unter größtem Druck Lösungen."
Oft ist es genau so. Erschwerend kommt hinzu, dass die Politik unter Druck keine druckvollen Lösungen generiert, sondern zusammengeschusterte. Wobei, mit Jürgen Marks:
"Doch den globalen Trend zur Elektromobilität haben deutsche Politik und Industrie verschlafen."
Verschlafen trifft es nicht ganz. Elon Musk konnte während dieser Schlafenszeit ein Unternehmen gründen, Mitarbeiter rekrutieren, von Null weg ein neues Produkt entwickeln und erfolgreich am Markt positionieren. Das war kein Schlaf der Politik und der Industrie, das war Bewusstlosigkeit oder Koma. Ein Koma, das sich die Beteiligten selbst eingebrockt haben, weil sie geglaubt haben, mit Augen zu und Luft anhalten würde sich alles Unbill in Wohlgefallen auflösen. Nur haben sie es versäumt, rechtzeitig wieder Augen und Nase zu öffnen.
Das ist nicht allein Alexander Dobrindt anzulasten, seine Vorgänger haben sich ebenfalls sehr defensiv verhalten. Jürgen Marks schreibt:
"Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kümmerte sich lieber um die umstrittene Autobahn-Maut, statt frühzeitig gegenzusteuern."
Bereits im Juni habe ich darauf hingewiesen, dass es keine Aussage zur Qualität einer Lösung ist, wenn man (hier die CSU) sich brüstet, etwas (hier die Maut) "durchgesetzt" zu haben. Im Zusammenhang mit dem Diesel drängt es sich förmlich auf, die Qualität der Lösungen ist zweitrangig, es geht in erster Linie ums Nicht-vergrätzen:
"Niemand wollte die Millionen Fahrer älterer Dieselautos vergrätzen. Niemand hatte Lust, sich mit der mächtigen Autoindustrie anzulegen. Niemand wollte Arbeitsplätze gefährden. Allein in Bayern hängen 400000 Jobs an dieser Industrie."
Und was ist nun das Ergebnis? Vielleicht sind die Arbeitsplätze erst recht gefährdet, weil Politik und Industrie nicht loslassen wollten. Atomindustrie ist out, Kohle auch, Videotheken wurden überflüssig, Fabrikarbeiter werden durch Roboter ersetzt. Wer zu lange schläft, dem blüht ein unsanftes Erwachen. Jürgen Marks schreibt:
"Hätten sie sich vor Jahresfrist zusammengesetzt, um Maßnahmen für den Gesundheitsschutz in den Städten zu beschließen, wäre mehr zu retten gewesen."
Wahrscheinlich, die Situation wäre nicht so eskaliert. Doch selbst dann wäre es ein Warten-bis-es-nicht-mehr-anders-geht gewesen. Klare politische Rahmenbedingungen zur zukünftigen Mobilität könnten seit Jahren ernsthaft diskutiert werden.
Doch was ist nun zu tun? Jürgen Marks schreibt:
"Vielleicht gelingt es ja, mit dem nun angebotenen Mobilitätsfonds die Stadtluft etwas sauberer zu machen. Vielleicht helfen auch die nun diskutierten Steuervorteile, dass der eine oder andere auf einen neuen 'Clean-Diesel' umsteigt."
Steuervorteile, damit Kunden, die von der Industrie betrogen wurden, bei genau dieser Industrie ein neues Produkt kaufen? Und was geschieht mit den ausrangierten alten Dieselstinkern? Raus aus unseren Städten und rein in Städte im Ausland? Sankt-Florians-Prinzip. Ich vermag es nicht einzusehen, dass eine Industrie, die durch Einflussnahme auf die Politik weiche Gesetze realisieren und die weichen Gesetze durch großzügige Interpretation zu ihren Gunsten ausnutzen konnte, nun belohnt werden soll. Belohnt durch zusätzlich Verkäufe, was Absatzstatistik und Gewinne in die Höhe treiben wird. Bei Banken wird gefordert, dass zuerst Eigentümer, Aktionäre und Gläubiger einspringen, bevor der Staat aktiv wird. Diese Reihenfolge muss auch für die Autoindustrie gelten. Zusätzlich spielt hier eine Rolle, dass das Verhalten der Autoindustrie inzwischen als betrügerisch gilt. Das ist ein Argument weniger, Belohnungen an die Hersteller auszuschütten. Das Argument der Arbeitsplätze ist hier nicht stichhaltig, denn die sind auch dann weg, wenn niemand mehr Diesel kaufen will. Das Urteil des Stuttgarter Gerichtes hat klar gemacht: Gesundheitsschutz geht vor Bestandsschutz für Dieselfahrer. Übertragen auf die Industrie: Es gibt kein Anrecht auf Arbeitsplätze, die in weiten Landstrichen zu Gesundheitsgefahren führen. Es ist Aufgabe der Industrie, moderne und nicht gesundheitsschädliche Produkte herzustellen. Es ist Aufgabe der Politik, die hierfür notwendigen Rahmenbedingungen zu definieren. Beide haben versagt.

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