Sonntag, 9. Juli 2017

Mit aller Gewalt

Bernhard Junginger hat in der Augsburger Allgemeinen vom 8.7. einen Kommentar veröffentlicht zu den gewalttätigen Ausschreitungen in Hamburg anlässlich des G20-Gipfels:


Bernhard Junginger schreibt:
"Das Ausmaß der Gewaltbereitschaft linksextremer Chaoten hat selbst die schlimmsten Befürchtungen der Sicherheitskräfte weit übertroffen. Und dass dieselben Kreise, die seit Monaten in der autonomen Szene zu diesen massiven Gewaltakten aufrufen, nun die Polizei dafür verdammen, dass sie das Schlimmste zu verhindern versucht, ist zynisch."

Gewalttäters Welt

Ich würde es nicht "zynisch" nennen, wenn die Gewaltaufrufer "die Polizei dafür verdammen, dass sie das Schlimmste zu verhindern versucht". Es passt in deren Welt, in der sie sich auf der Seite des Guten wähnen und gegen "das System" kämpfen. Selbstverständlich sind "die Anderen" Schuld. Die Argumentation ist viel einfältiger als es ein Zynismus je sein könnte.
Bernhard Junginger frägt:
"War es leichtsinnig, den Gipfel ausgerechnet in Hamburg, einer Hochburg der Autonomen, abzuhalten? War das eine unnötige Provokation?"
Nein. Es spielt keine Rolle, wo ein solcher Gipfel stattfindet, wie Veranstaltungen in Heiligendamm oder Schloss Elmau gezeigt haben. Anreisen von vielen Hundert Kilometern waren für die angeblich Provozierten kein Problem. Bernhard Junginger weiter:
"Darum muss auch und gerade in Hamburg [...] jederzeit ein Treffen der führenden Politiker der Welt möglich sein, ohne dass es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommt."
Nicht nur an symbolischen Orten. In einer Demokratie nach meinem Verständnis muss es überall möglich sein, dass sich führende Köpfe treffen können. Nicht nur Politiker, auch Künstler, Wirtschaftsführer. Nicht nur führende, sondern jedwede. Die einzige Beschränkung sollte die Logistik sein, also An- und Abreisemöglichkeiten, die Unterbringung, die Tagungslokalität und die Möglichkeiten zum Schutz.
Bernhard Junginger entlarvt die Exzesse als das, was sie sind:
"Hinter den Gewaltexzessen steckt nichts weiter als eine nur schwach durch angebliche politische Ideale maskierte Lust an Randale, Gewalt und Zerstörung."
An diesem Punkt deckt sich linke mit rechter Gewalt und mit der Gewalt, die aus reinem Selbstzweck erfolgt und wie sie beispielsweise von Hooligans praktiziert wird. Manche machen sich noch die Mühe und versuchen eine Argument-Kulisse aufzubauen: Das System, der Kapitalismus, das bedrohte eigene Volk. Vor dieser Kulisse werden Schauspiele inszeniert, in der sogenannte Provokateure auftreten. Der Polizei fällt oft diese Rolle zu. Die Provokateure werden als Katalysator gesehen, an dem sich die Gewalt erst entzünde. Dies ist reine Schönfärberei der eigenen Position. Bereits durch den Aufbau der Kulissen und der Ankündigung, bei Provokationen entsprechend reagieren zu müssen, wird der späteren Gewalt der Weg geebnet. "Reagieren müssen", gezwungen sein ist übrigens auch eine Parallelität zwischen linker und rechter Gewalt. Alle nehmen für sich in Anspruch, ein Opfer zu sein und aus dieser Opferposition heraus ein Selbstverteidigungsrecht wahrnehmen zu dürfen und müssen.
Es ist nicht nur die "schwach durch angebliche politische Ideale maskierte Lust an Randale", es ist auch eine frappierend schwache Argumentation der Gewaltbefürworter. Die Schwäche der Argumentation tritt besonders deutlich hervor, weil sich die Befürworter auf politische Ideale berufen, die in ihrem Kern durchaus berechtigte Kritik am Status Quo mitbringen können.

Polizeiwelt

Die Gewaltbereitschaft habe "selbst die schlimmsten Befürchtungen der Sicherheitskräfte weit übertroffen", schreibt Bernhard Junginger. Im TV sieht man Bilder von Wasserwerfern, brennenden Autos, von mehreren Polizisten niedergeworfene Vermummte. Viele artikulieren ihren Respekt und ihre Anerkennung für die harte Arbeit der Polizei.
Ja, dennoch das ist zu differenzieren. Einerseits die Polizeikräfte unmittelbar im Geschehen, die mit Schutzausrüstung in sommerlichen Temperaturen körperliche Höchstleistung vollbringen und gleichzeitig besonnen bleiben müssen, um nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, provoziert zu haben oder übertrieben gewalttätig geworden zu sein. Unübersichtlich, wie solche Straßenkämpfe sind, ist das auch psychisch eine enorme Aufgabe. Auf der anderen Seite die Polizeiführung, die in der Vorbereitung und im Einsatz Entscheidungen zu treffen hat: Wo Kräfte aufstellen, wohin im Einsatz verschieben, wie früh oder spät mit welchen Mitteln bei welchen Aktionen der (zu dem Zeitpunkt vielleicht erst potentiellen) Gewalttäter reagieren?
Mit dieser Differenzierung fällt auch das Urteil über die Polizeiarbeit zwiespältig aus, wenn Bernhard Junginger richtig liegt, dass die Befürchtungen übertroffen wurden. Denn das hieße nichts anderes als eine Fehleinschätzung der kommenden Situation. Nun kann man diskutieren, ob die Maßnahmen, die nach dem Erkennen der Fehleinschätzung ergriffen wurden, gut oder weniger gut waren. Anerkennung und Respekt vor dem Einsatz der Polizei darf nicht dazu führen, jedwede Analyse auf mögliche Fehler oder Verbesserungspotentiale zu verteufeln. Genauso wenig hilfreich ist ein nach Lagern aufgeteilter Urteilskanon. Von eher rechts erschallt Lob, Kritik von eher links wird skandalisiert. Von links wird über Provokation durch die Polizei schwadroniert, von rechts mit Provokation der linksextremen Gewalttäter dagegengehalten. All das mag vorgekommen sein, aber kaum in der breiten Masse. Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen. Erkenntniswert haben solche gegenseitigen Vor- und Anwürfe keinen.

Jens Spahns Meinungsstrauß

Jens Spahn, CDU-Präsidiumsmitglied, sah sich berufen, eine Reihe von Tweets abzusetzen. In einem liefert er ein beachtliches Statement zu dem eben dargestellten wenig hilfreichen Lagerdenken:


Als ob "d Linken" allesamt zu "schwach durch angebliche politische Ideale maskierte Lust an Randale, Gewalt und Zerstörung" (B. Junginger) applaudieren würden. Vielleicht ist Jens Spahn bereits im Wahlkampfmodus, inhaltlich hilfreich ist sein Tweet nicht.
Weiter geht es mit einem von Jens Spahn retweeteten Tweet von Kristina Schröder:


Beim Original und beim Retweet frage ich mich, ob das ein Diskussionsbeitrag sein soll oder lediglich ein Stimmungsbild. Wir haben ein Problem mit gewaltbereiten, menschenverachtenden Extremisten. Die Rechten zünden Asylbewerberheime an, Islamisten rasen durch Fußgängerzonen, Linke plündern und greifen Polizisten an. Alles inakzeptabel. Alles zu bekämpfen mit rechtsstaatlichen Mitteln und mit Aussteigerprogrammen, Bildung, Sozialarbeit etc., um bereits einzelne vor Gewalttaten aus ihrer Extremistenwelt wieder in die der Menschen zu führen.
Martin Schulz tweetete, Randale habe nichts mit Politik zu tun. Der ist damit auf der Linie von Bernhard Junginger und der schwachen ideologischen Untermauerung. Jens Spahn sieht das anders aus seinem Links-Rechts-Lagerdenken:


Als ob es gesellschaftlicher Konsens wäre, linksextremistische Gewalt zu leugnen. In Teilen der SPD mag es Personen geben, die linke Gewalt verharmlosen. Vielleicht genauso viele, wie es in der Union Mitglieder gibt, die brennende Asylbewerberheime nicht ganz so schlimm und als Signal an Flüchtlinge sehen, dass sie hier unerwünscht sind. So wenig hilfreich mein letzter Satz in einer Diskussion wäre, so wenig ist es der Betrag von Jens Spahn.
Doch Jens Spahn sieht mehr Handlungsbedarf:


Der Grüne Konstantin von Notz meint zu Recht, Polizeiarbeit müsse verhältnismäßig sein und zielgenau auf Gewalttäter abzielen. Ja, richtig, alles andere ist auch kaum vorstellbar als rechtmäßiges Handeln. Jens Spahn hingegen meint, alle Friedfertigen müssten sich "KLIPP UND KLAR von Gewalttätigen" unterscheiden und abgrenzen. Warum? Warum sollen sich ständig "Normale" von Extremisten abgrenzen? Muslime sollen sich von Islamisten distanzieren, Demonstranten von Gewalttätern. Da habe ich weitere Vorschläge:
  • Steuerehrliche von Steuerhinterziehern und -betrügern
  • Katholiken nach jedem tödlich verlaufenen Exorzismus von einem solchen Verständnis von Katholizismus
  • Konservative Frauen-an-den-Herd-Befürworter von Frauen-bleiben-zu-Hause-Muslimen
  • Menschen mit jüngeren Ehepartnern oder -partnerinnen von Kinderehen
Nein, niemand muss sich rechtfertigen, wenn andere eine gemeinsame ideologische Grundposition extrem oder extremistisch auslegen. Es sollte Konsens sein, dass Extremisten extreme Positionen einnehmen, die nichts mit den Positionen "der Normalen" gemein haben.

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