Dienstag, 4. Juli 2017

Volksstimmen zur Ehe für alle

Am 4.7. hat die Augsburger Allgemeine eine Sonderseite mit Leserbriefen zur Ehe für alle veröffentlicht. Einige dieser Leserbriefe verdienen besondere Aufmerksamkeit und deshalb sollen sie hier zitiert werden.
Wolfgang Böhm unterscheidet "einerseits eine staatliche Ehe für alle [...] und andererseits eine sakramentale christliche Ehe, die sich aus der Heiligen Schrift" ergebe. Soweit verständlich, man kann ja eine standesamtliche und eine kirchliche Hochzeit feiern. Weil in der Heiligen Schrift stehe, "dass Mann und Frau eins sein und fruchtbar sein sollen", fordert Wolfgang Böhm, "die Christen im Bundestag" müssten gegen das beschlossene Gesetz vor dem Verfassungsgericht klagen, damit "[allen] Menschen in Deutschland [...] dieser fundamentale Unterschied klar" werde und "in einer so wichtigen Sache wie der Ehe keine Zweideutigkeit" entstehe. Mit dem Argument einer göttlichen Vorgabe soll also ein staatliches Gesetz geändert werden? In einem säkularen Staat sehr fragwürdig.


Einen Schritt weiter geht Hermann Schäffler. Er meint, "Medien, Politik, Menschen und sogar Kirchenvertreter sind weg von den von unserem Schöpfer gesetzten Maßstäben und machen sich selbst zum Maßstab!" Die Vokabel der Häresie kommt mir hier in den Sinn. Dazu passt das Zitat aus Röm. 1 Vers 28, mit dem Hermann Schäffler unterstellt, die Menschen wären "zu keinem vernünftigen Urteil mehr fähig". Nochmals: Deutschland ist ein säkularer Staat. Religiöse Gebote einzelner Religionen als normative Vorgaben der weltlichen Politik passen zu einem Gottesstaat, nicht nach Mitteleuropa.


Anton Hieble schlägt aus dem religiösen eine Brücke zur Politik, wenn er den Vätern des Grundgesetzes zubilligt, sie "waren noch klar im Kopf", weil es für sie selbstverständlich war, "dass nur Mann und Frau eine Ehe bilden können". Anton Hieble verweigert sich sogar jedweder Entwicklung, weil "Gottes Gebote [...] keinem Zeitgeist" unterlägen. Dem Islam wird vorgeworfen, er sei nicht in der Moderne angekommen, werde mittelalterlich ausgelegt. Und dann bringt Anton Hieble die ewige Gültigkeit unveränderlicher göttlicher Gebote.


Horst Freitag erwartet nicht, "dass jetzt legitime gleichgeschlechtliche Paare weniger verächtlich behandelt werden". Vermutlich hat er recht, leider. Mit seiner Frage, wie "ein Adoptivkind eines männlichen Ehepaares [...] auf die Frage" antwortet, wie die Mama hieße. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass es eben nicht "normal" ist, gleichgeschlechtliche Eltern zu haben. Damit ist es eine Diskriminierung, ausgeführt "im Kindergarten oder Schule". Es ist ein Appell, in der Erziehung sensibler gegenüber Diskriminierung zu sein. Dazu passt der Film "The Imagination Game", in dem ein Teil des Lebens von Alan Turing gezeichnet wird, der sich mit 42 Jahren umbrachte, weil der die Diskriminierung wegen seiner Homosexualität nicht länger ertragen konnte.


Otmar Hoffmann fordert gar Volksentscheide, weil ihm die Entscheidung des demokratisch gewählten Bundestages nicht gefällt. Er sieht unsere abendländische Kultur durch "falsch verstandene Toleranz von anderen Kulturen überlagert". Er frägt, ob "wir für solche Entscheidungen zu dumm" seien. In Anbetracht der Argumentation möchte ein Ja aus meiner Kehle fahren.


Herbert Schaidnagel ist unfassbar dankbar, dass "endlich das existenziellste Problem der Bundesrepublik" gelöst sei. Er hält "Eurokrise, Flüchtlingskrise, über 500 000 ausreisepflichtige Ausländer, Altersarmut [...]" für dringender. Was soll ein solches Argument? Politik ist ein so weites Feld, sich immer nur um das wichtigste Problem zu kümmern, wäre fatal - wenn überhaupt Einigkeit erzielbar wäre über das wichtigste Problem. Herbert Schaidnagel übersieht zudem andere wichtige Probleme wie Klimawandel, Kriege, Hunger und Dürre in Afrika. 


Wolfgang Illauer stellt die Fragen, ob Kinder "ein Recht auf Vater und Mutter" hätten, ob sie beide "für ihre beste Entwicklung" brauchen und ob es "neue und fundierte Erkenntnisse [gäbe], die die Auffassung der vergangenen Jahrhunderte, Kinder bräuchten Vater und Mutter, als überholt erscheinen lassen". Die Antworten gibt er selbst mit Nein, Nein und Ja. Er meint, "[solche] von einer geradezu radikalen Ideologie geprägten Antworten müssten eigentlich sehr zu denken geben". Nein, müssen sie nicht. Zumindest dann nicht, wenn man die Erkenntnisse über die Divergenz von biologischem und "sozialem" Geschlecht, vulgo "Gender" anerkennt. Diese Erkenntnisse sind nicht radikal, nicht ideologisch. Sie sind Ausfluss des Verhaltens und Erlebens von Menschen. Mithin natürlich.



Es ist kaum zu glauben, mit welchen Argumenten gegen die Ehe für alle angeschrieben wird. Vielleicht hilft beten, weshalb ich mich dem Stoßgebet von Jasmin Langenmayer anschließe: "Vor Gott sind alle Menschen gleich." Mehr gibt es nicht zu sagen.

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