Samstag, 12. November 2016

Walter Rollers Weg gegen Populisten

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen am 12.11. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er Entwicklungen und Schlussfolgerungen aus dem Aufstieg von Populisten aufzeigt:


Walter Roller fragt, ob "ein Mann wie Donald Trump auch in Deutschland an die Spitze gelangen" könne und gibt auf den ersten Blick die Antwort: Nein. Doch er wagt einen zweiten Blick:
"Auf den zweiten Blick zeigt sich: Wir sollten uns nicht zu sicher wähnen. Es gibt zwar keinen Grund, nun in Alarmismus zu verfallen oder gar die Gefahr einer Zerstörung der westlichen Werteordnung an die Wand zu malen. Aber Trumps Sieg ist ein Warnsignal, dass die liberale, pluralistische Demokratie keine Ewigkeitsgarantie besitzt. Sie muss stets aufs Neue verteidigt und so gestaltet werden, dass sie das Vertrauen der Menschen behält. Geschieht dies nicht, wird populistischen 'Bewegungen' auch in scheinbar gefestigten Demokratien ein fruchtbarer Boden bereitet."
Richtig. Eine funktionierende Demokratie besteht nicht einfach so, sie muss verteidigt und erarbeitet werden. Walter Roller bringt aktuelle Beispiele von Akteuren und populistischen Bewegungen: Le Pen in Frankreich, AfD in Deutschland, Trump in den USA. Es lassen sich weitere anführen: Ungarn, Österreich, Polen, Türkei, Philippinen.
Walter Roller setzt seine Analyse fort:
"Doch es gärt in allen westlichen Gesellschaften. Überall hat sich viel Verdruss aufgestaut, der sich in einer Revolte gegen das 'System' und gegen die politischen und wirtschaftlichen Eliten Bahn bricht. Viele der sogenannten kleinen Leute fühlen sich zurückgelassen und abgehängt. Es ist nicht die Angst vor wirtschaftlichem Abstieg und Jobverlust allein, die den Populisten Zulauf beschert. Hinzu kommen die Angst vor Überfremdung durch massive Einwanderung und das Unbehagen an dem rasanten soziokulturellen Wandel, der mit einer Verächtlichmachung traditioneller Lebensformen durch linksliberale, privilegierte Eliten einhergeht.
Aus all dem - und dem Misstrauen in das 'Establishment' und die Institutionen - rührt der Erfolg der Populisten her."
Wirtschaftliche Entwicklungen im Kontext der Globalisierung und dem zunehmenden Einsatz von Maschinen und vor allem Computern gefährden manche Planung des Berufslebens. In manchen Branchen mag eine starke Gewerkschaft Entwicklungen vielleicht bremsen können, aufhalten lassen sie sich nicht. Deshalb entstehende Ängste sind verständlich. Walter Roller benennt "die Angst vor Überfremdung durch massive Einwanderung" und "Unbehagen mit dem soziokulturellen Wandel" als weitere Gründe. Hier vermischt er Dinge: Der wirtschaftliche und soziokulturelle Wandel sind Entwicklungen, die quasi von selbst entstanden sind durch Technisierung, Computerisierung, Logistikmöglichkeiten, Kostenüberlegungen in Unternehmen, Aufstiegswünschen in allen Ländern der Welt etc. Sie führen zu einem Wegfall von europäischen Standortvorteilen und zum Entstehen von Standortvorteilen in anderen Weltgegenden. Solchen Entwicklungen stehen Staaten teilweise machtlos gegenüber oder sie würden viel Einsatz erfordern. Die "Angst vor Überfremdung" ist jedoch keine solche Von-Selbst-Entwicklung. Würde "massive Einwanderung" als Bereicherung empfunden, gäbe es diese Angst nicht. Diese Angst ist gemacht, zumindest mehr gemacht als manche Abstiegsängste. Gemacht von Bewegungen, die das Angstmachen besser beherrschen als "das 'Establishment' und die Institutionen" das Entwickeln und Realisieren von guten Lösungen je könnten.
Walter Roller schreibt:
"Die Demokratie ist noch nicht in Gefahr. Doch unsere Politiker sollten anfangen, das Problem ernst zu nehmen."
Richtig, Populisten sind noch keine Gefahr für die Demokratie. Sie sind Teil der Demokratie und nutzen demokratische Mechanismen für ihre Belange. Für die Bewertung der Gefahr für die Demokratie reicht es jedoch nicht, nur auf das Phänomen des Populismus zu blicken. Es ist zu untersuchen, wie die Populisten demokratische Mechanismen (aus)nutzen und mit welchem Erfolg. Ein paar Beispiele:
  1. Art. 3 des Grundgesetzes verbietet Bevorzugungen oder Benachteiligungen wegen Rasse, Herkunft, Glaube etc. Doch genau hier setzen Populisten an, weil sie in "Uns" und "Die Anderen" unterteilen. Die Gefahr für die Demokratie entsteht, wenn durch diese Unterteilung eine Benachteiligung der anderen gerechtfertigt wird und sich als Selbstverständlichkeit etabliert. Nicht jede Ungleichbehandlung ist eine Benachteiligung, aber es ist genau zu schauen, wo sie zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung wird.
  2. Art. 5 des Grundgesetzes definiert die Meinungs- und Pressefreiheit. Verschiedene Meinungen sind demokratisch, mögen sie sich inhaltlich noch so sehr widersprechen. Die Gefahr für die Demokratie entsteht, wenn beispielsweise die Presse in Bausch und Bogen als Lügenpresse bezeichnet wird und eben nicht mehr die Möglichkeit des Art. 5 genutzt wird, sich "sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten". Nicht jede Information aus einer einseitigen Quelle ist eine Demokratiegefahr, aber wer sich in seiner politischen Willensbildung vom politischen Geschehen abkoppelt, gefährdet seine Demokratiefähigkeit.
  3. Walter Roller lehnt die "[t]örichte und falsche Wählerbeschimpfung nach der Art, es stimmten ja nur deklassierte, ausländerfeindliche und nicht hinreichend 'aufgeklärte' Leute für die Populisten" ab. Richtig, Wählerbeschimpfung ist falsch. Allerdings dürfen Erkenntnisse über Schwerpunkte im politischen Verhalten von bestimmten Wählergruppen nicht ignoriert werden. Erst gestern habe ich auf solche Schwerpunkte bei der US-Präsidentenwahl hingewiesen. Würden solche Erkenntnisse ignoriert, könnten nicht die richtigen Lehren gezogen werden und ergriffene Maßnahmen würden unter ihren Wirkmöglichkeiten bleiben. Das wäre eine Gefahr für die Demokratie. Walter Roller schreibt selbst, "die Menschen brauchen das Gefühl, mit ihren Sorgen ernst genommen zu werden." Das klappt nur, wenn die Politik die Sorgen der Menschen zielgenau kennt.
  4. Demokratie lebt von Mehrheiten. Allerdings wäre es fatal, jede Mehrheitsentscheidung bereits als demokratisch gute Entscheidung einzustufen. Leider tut dies Walter Roller: "Die gegen eine große Mehrheit betriebene, das Land spaltende Flüchtlingspolitik Merkels war ein Paradebeispiel für die Missachtung der realen Stimmung im Volk." Wenn bei jeder politischen Entscheidung die reale Stimmung im Volk das Ergebnis bestimmen und zweifelsohne zu einem guten Ergebnis führen würde, wäre die Einführung der Todesstrafe in der Türkei genauso legitimierbar wie der Erste Weltkrieg, wie Karl Kraus in Die letzten Tage der Menschheit eindrucksvoll darlegt. Die Gefahr für die Demokratie besteht darin, die Möglichkeit von Fehlentscheidungen durch Stimmungen im Volk zu unterschätzen.
Deshalb nochmals Walter Roller Forderung:
"Die Demokratie ist noch nicht in Gefahr. Doch unsere Politiker sollten anfangen, das Problem ernst zu nehmen."
Er sollte nicht nur an die Politiker appellieren. Demokratien als Herrschaftsformen, "in denen Macht und Regierung vom Volk" erfordern auch vom Volk, die Demokratie ernst zu nehmen. Wenn das Volk den Populisten und ihren simplen Heilsversprechen glaubt, wenn das Volk nicht die Bürde der Willensbildung als Weit- und Breitsicht erfordernde Arbeit akzeptiert, wenn das Volk Stimmungen nachläuft und Fakten ignoriert, wenn das Volk sich von geschickten Akteuren über Inhaltslosigkeit hinwegtäuschen lässt, dann ist die Demokratie in Gefahr. Walter Roller unterschätzt die Gefahr. Wachsamkeit ist bereits heute nötig.

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